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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188810023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18881002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18881002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-10
- Tag1888-10-02
- Monat1888-10
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1888
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Zweite Beilage M Leidiger Tageblatt und Ameiger. L78. Dienstag den 2. October 1888. 8L. Jahrgang. Engel. Novelle von Ernst Remta. Nachdruck »evi>»ten. «Nun aber, lieber Herr Busse, eine neue unv letzte Frage!?" Als die schöne Frau Carola dem Doclor diese Worte »»schnellte, glänzte ihr Gesicht gerade so muthwillig. als stände sie ans vein Tennisplatz und schlage ibm den Ball mit dem Racket so zu. Latz er nun einen Fehler mache» müsse. Die kleine Gesellschaft saß beim NachmiltagSlbee auf der großen Gartenterrasse der Pension Pilivet in Montreux, und da sie meist Deutsche waren, so hatte baS Gespräch sich auch einmal aus ein ernfthasteS Thema oerirrt. »Und welche Frage, meine gnädige Frau?" .Woblan — Sie haben alle Glaubensartikel der ^risi- lichen Kirche gegen unS Heiden verlheidigt und i» Schutz genomine» — nun frage ich Sie: da Sie doch ein rechter, gläubiger Christ sein wollen, glaube» Sie auch au die Criste,,; der Engel?" Der Doctor lächelte eigen. Er wußte, sie würde ihm init Schnstsiellcn komme», wenn er leugnete. „Ich glaube an die Existenz von Engeln!" fiel da der Lieuleuaut Horn ein. welcher Fra» Carola schräg gegenüber saß. Ei» eigenthümlick leuchlendcr Blick in die Äugen der schonen Frau unterstrich seine Worte. ES war eine recht alltägliche Schmeichelei, aber Herr» Beuzbeimer, Frau Carola'S Gatte», schien sic nickt zn ge fallen. Er wendete sich zu Herr» von Horn, der halb hinter ihm saß, mit finsterer Braue um „Ich glaube an Engel, gnädige Frau", vervollständigte der Lieutcilaitt gewandt seinen Sah. „sobald ich in die klaren schonen Aindcrauge» Ihrer kleinen Fedora sehe! ' Gegen diese Vervollständigung konnte Herr Benzheimer nicht- einwenveii. und dock sah er mit Unruhe, daß Frau Carola'S Stirn sich lei; rvkhere. Sic dachte daran, wie gestern Abend Walther von Hör» ihre und ihres Kindes Augen prüfend verglich und dann der Kleinen mit den Worten über daS Haar strick: „Deine wunderschönen, braunen Auge» hast Du Deiner Mutter ad- gebetlelt, nicht wahr, kleiner Schelm? ' „Gewiß giebt cS Engel!" ries die drollige Holländerin, Fräulein Troost, mit ihrer schrille» Stimme, „„ganze Galerien voll" davon habe ick in Aon, und Floren; gesehen, mit PanSbacke» und Quabbelarme!" Sie sagte: Chewiß, chiebt eS Aeugel. chan;e Challerien. „O, die Putti!" meinte Fräulein Her;, „daS sind aber nur gemalte!" „Es soll auch Engel gebe», gnädiges Fräulein, welche sich nickt malen!" bemerkte ihr Herr von Horn. ..Wen» Sie ein ehrliches B.kenntniß wollen", sagte jetzt endlich Doctor Busse ;u Frau Carola, „so erkläre ick: da ich an das Walte» eines hohen, reine» und heiligen G 'isteS glaube, der aller Well Geschicke lenkt, glaube ick auch daran, baß dieser über jedes Menschenhai:; weiß In den Zeiten der Wunder „erschien der Engel tcS Herrn", wenn dieser einmal unmittelbar in ein Menschenschicksal eingrifs. Heute bedarf eS da;u nickt mehr einer Engelcrscheinung. «ncr neuen Inkarnation, der Schöpfung eines besonderen verklärte» Leibe-. Will vicb mehr dieses Göttliche, geheimnißvoll Wallende, a» bedeutungs vollen Wendepuncten unseres Daseins uuö in Fleisch und Blut nahe irrten, warum sollte cS da nickt für einen Augenblick «ine M mschcnseelc, unschuldig und rein genug, ihm zur Wolmiing zu diene», mit seinen, Wehen und Hauche erfüllen? I Hand ruckweiö zuckle. Und all' daS drängte pch in diese» Tagen verheißend a» sie? Walther von Horn war voll jungen, schäumende» sieben-, eine unverbrauchte Natur. Sie sah, baß er sie anbetete. Und sie suhlte, waS er ihr bieten würde, war Glück, Poesie, Enthu siasmus. — Und sie durste e» nicht aui.ehinen. — Nu» war d,c Sonne untergegange», die satte Purp»,färbe auS der s'anbschasl gewichen. Nur ei»S leuchtete noch, die Deut du Midi, hock fern droben, aber mit fahlem, gespenstischem Grau weiß, säst bedrohlich. — Sie staub aus und ging in- HauS. In ihre» Zimmer» brannte noch kein Lickt. Ihr Man» war nickt nebenan i»> Zimmer — er mochte wobl nach dem Curkanse h»iübe>aeschle»bert sei». Er sagte zwar immer, das Rennen der Pferdchen im Spielsaalc langweile ihn, aber er ging dock immer wieder hinüber, um sich zu „langweilen" und ein paar Franken zu verliere». Unter ihr >,» Salon spielte Jemand Clavier. Sie hatte »och eine halbe Stunde Zeit b>S zniu Souper, sie setzte sich >,» Dunklen in ein großes, bequemes Fauleuil und lauschte gedankenvoll dem Spiel. ES war ein aufregendes Lied. daS saust einsetzte, in fast monotoner Wiederholung des Motivs immer stärker und stärker anschwoll, im Fortissimo abbrach und — sanft wieder rinsehte. Eme wunderliche Mnsik. englisch verinutblick, stark »crvcnreizeiid. Da klopfte eS a» der Thür. „Kutter!" Alice, das Zimn ermädckeu, brachte auf der Tablette eine» Brief und zündete Lickt a». Frau Carola »ahn, den Brief und öffnete ihn. AlS daS Mädchen die Lampe neben sie aus den kleinen Tisch gesetzt, sah sie an der Anrede, daß caS Schreibe» nicht an sie ge richtet. Tie Anrede lautete uäinl.ch: „HerzschnuckigeS Tatzel- Sckatzel!" ES war ein Brief an Herrn Benzheimer, war a»S Ostende, und eine Photographie lag darin. Sie faltete de» Bogen n»d steckte ihn wieder inö Couvert, die Photo graphie sah sie voll wuiidcrlichen Interesse- a». Eine Dame iu> Badecostüm. Freilich nichts Unpassende- m diesem Cosium. Von eben bi- unten Svitzeiistosf mit unterlegter, Heller Seide; eine breite, faltige Schärpe um die Hüsten; ein riesige- goldgesticktes Monogramm aus dem Spann deS Strumpfes, ei» blnine»b>k>än;ter „Sonnenschirmhut darunter ein seltsam »aiv-keckl- Gefickt, ein Gesicht, wie eS nur irgend eine Oprretlenschvnheit haben konnte. Sie hielt das Bild a»S Lickt und gedankenlos ruhten ihre Ang'u daraus. Und unten war kaS englische Lied, welches Wcilther Horn spielte, eben wieder auf dem „maestoso kk" angelangt. Ja, was sollte sie nun mit Bcies und Photographie thun? Sic ging zum Kamin und warf Beide- in die Flammen. Schrieb die Schönheit in Ostende einen zweiten Brief, an baS „berzschiiuckige Tatzel-Schatzel". um nach dem Eindruck ihre- CostümbildeS zn fragen, so mochte Herr Benzheimer annehincu, das erste Schreiben sei aus der weite» Reise ver loren gegangen Oder mochte auch aunrhmen, eö sei in seiner Frau Hände gefallen, und diese habe eS voll Ekel lobt geschwiegen. Ganz still saß sie dann wieder, bildete sich ein, sie sei vollkommen ruhig und recht gleickgiltig — koch ging ihr Blut in Harle» Stößen, so baß die aus der Armlehne liegende Indem eS nun ihr Antlitz verklärt, mit ihre- Körpers Augen unS rein, hock und heilig anblickt, aus ilireS Körper; Zunge! ferne Worte legt, erscheint cs »ns. Diese- begnadete Menschen kind ist dann für eine kurze Spanne Zeit ein Engel. Und! so mögen auch wohl wir in unserem neunzehnten Jahrhundert unsre Engelerscheinungen haben!" Herr Benzheimer. der Bankier, sah den Doclor erstaunt I und belustigt an: „Sie kommen mir selbst „in dieser Spanne Zeit" ein wenig „englisch" oder wen» Sic wollen „spanisch" vor, lieber Herr!" spottete er. Frau Carola aber sagte nachdenklich: — „Ein frommer Glaube oder ein lästerlicher — wie man will! Nun aber: Anck die Seelen der Verstorbenen sollen! Engel werden! Was sagen Sie dazu?" „Gewiß, gewiß!" ries Herr Buße. „Haben Sie nicht auch die Ersahruiig gemacht, gnädige Frau, daß die Seelen unserer I Lieben, die wir verloren, unS immer reiner und verklärter erscheinen, je länger sie unS gestorben sind? Die Flecken, die wir bei Lebzeiten sahen, schwinden mcbr und mehr, lichter stet- und lichter wird ihr Andenken; Niemand wobl giebt cs, in dessen Herzen nicht wenigsten» Vater oder Mutter, die er lange verloren, wie reine, selige Geister, wie Engel, wohnen? Und verkehren wir da nicht mit ihnen wie mit Lebenden? Ja sogar, wenn wir in Stunden schweren, iiimreit Ringen- und Schwankens zwischen Gut und Böse ihrer gedenken, treten sie uns da nicht nahe wie gute, mahnende Wesen au» ein r heiligeren Sphäre und üben Einfluß auf unsere Ent- schlüsse und Geschicke. Also und in diesem Sinne sind sie unS! Engel geworben!" Er schwieg. Die kleine Gesellschaft saß ernst da und! Niemand mochte widersprechen, da I-der c,n dies oder jenes trübe Ercigniß a»S seiner Leben-geschickte znrückdachtc An der Quaimaucr drS Pilivcl'schcn Garten» unter einem Granalbaum, der seine Zweige mit den glühenden Blüthen über sic neigte, saß ganz allein Frau Carola und blickte über den See hin zu den javoyischen Felsen hinüber Es war ein paar Stunde» später und die Sonne versank bereits hiulcr dem Jura. Der See breitete sich in öliger Glätte vor ihr auS; über der gewaltigen, dunkle» Wasserfläche lag eine unbewegte Lust schickt, welche ganz leickt mit flüssigem Violett durchlränkt schien; die großen Felsengebirge drüben am Ufer standen schwarz, schroff, zack g und dräuend klar da; wo sich gegen Ost das uebelübersluthete Rhonethal breit öffnet, trat oben über Wolkenschleiern die stolze, massige Sckncegipfelkelle der Tent tu Midi rosig «gliihcnv hervor; diesseits war die weite, grüne Hngcllandsckast, die langsam bis zur Felssckrossennnie der RocherS de Neye unv deS MontS d'Arvel oben am Horizont ansteigt, mit sattem Purpurlicht übcrgossen, in dem selbst das alte, graue Gestein roth leuchtete — so groß, so frieden-voll, so stille da- ganze, mächtige LandsckastSbild. daß da- Herz der einsame» Frau von tiefer, sanfter Web mntb schwoll. Sie mochte sünsunddrcißig Jahre zählen; vielleicht mehr Ihrer Erscheinung »ach freilich hätte man ihr zehn Iayre weniger gegeben. Und c» war ihr in dieser stille» Viertelstunde, als wiche langsam Jugend. Glückhoffen und jeder Anspruch auS ihrem Leben; als nähme eine große, balbwehmülhige Resignation Vv» ihrer Seele Besitz. Resignation! Nicht« an lebeu-wertheni Inhalt konnte ihr Leben an ihres Gatten Seite ihr in Zukunft mehr bringen. Ncichthum, Ge selligkeit, Reisen, Theater, Kunstausstellungen, Concerte, Rennen — alle« auSgekostcte Genüsse für sic. Resignation! Und doch träumte ihr Herz, ganz iu der Tiefe, tu ver schwiegener, heißer Erwartung, von einer letzten, gewaltigen Erregung, welche ihr ganzes Sein »och einmal vor Glück, vor Leidenschaft und glühender Poesie vibriren macken würde Noch einmal rin Daseinsrausch, kann mochte sie kommen, die Resignation. Dann nahm sie aus dem Buck der Bcnda'schen Circnlatiug library, das aus dem kleinen Tisch lag, ein beschriebenes Blatt und laS. ES war ein Gedicht. Walther Horn halte cS ihr gegeben, als sie gestern über Cartucci gesprochen und gesagt, er habe cS au- dem Italienischen übersetzt. Allein sie halte au seinen unsicheren Augen gesehen, daß er es selbst gemacht. „Im öden Thal w llst Du matthcrzig schleiche», „Das Nüchternheit grau init Gewölk vechängl, „Za seinen, Felsihor, da i» aold'acn Zeichen „Die Inschrift „Tod" de» Wanderer ci»p äugt? „Und weißt doch klar, daß ob der Wolken Schleier „Ein' andre Welt in heit'rer Höbe liegt, „Wo Stürme brause», Licht lacht, wilder, freier „Das Herz geht unv der Puls begeistert fliegt! „Da Lebe» lohnt, und Lieb', der Eng' entronnen, „Freijaiichzeiid alle Schranken »iederbricht, „Sich lättigend i» süßen, wilden Wonnen „Des Schwertes harrt, das Beider Herz durchsticht. ,,O hörst Dii'S uahn Dir nicht im seur'gen Wage», „Der donnernd über Wolke» niedcriährl? „Sich, himmelan will Leidenschalt Dich tragen, „Tie lohnt »nd sühnt und selig rasch verzehrt!" ,8 os es es es ck es k g'' setzte da von Neue,», nia»schartig, aber weich »och und gebunden die Melodie wieder ein. Vcrrathcn! Alle Welt um sic brach aus den Schranken! Mvqnante Blicke batte ma» für die Schwache», Unsitten, welche nickt auch auSbrache». Correct, kalt, unintcrrsiant hieß eine tugendhafte Frau! „6 t k k k e k g as' kam eS stärker, dringender, mit mäch tigerer Begleitung heraus. Gewiß war cS ein Marschlicd irgend einer verrückte», englische» Seele, ein Lied, welches aufrcqe» und sannlisiren soll. .Tugend ist Teniperamenlssache", lautet daS moderne Dogma. „Blut und Gchirnanlage präkestiuircu zum Glück, zum Verbreche». Der Geweihte ist verdicustloS, der Fehlende nur mitleidSwortb!" Frau Carola sprang aus. Bei allen Göttern d r Unter welt. Temperanient halte sie auch! „Da Leben lohnt, »nd L»eb' der Wett entronnen, frei, jauchzend alle Schranken »iederbricht!" Gewaltsam, unwiderstehlich schritt unten taS Lied vor. „Ja. wilder, freier daS Herz gehn heißen!" flüsterte oben die Lanschende nnd beugte langsam daS blaffe, «regle Gesichl gegen die Lampe. „Sick sättigend in süßen, wilden Wonnen!" Da war nute» daS triumphirentc Maestofo erreicht, welches daS ganze Haus mäcklig tnrckhallle — mit heiligem Athem- z»g blieS Frau Carola die Flamme and. Pianissiino verklang unten die Melodie — aus de» Zehen- spitzen, init geschlossenen -lugen, Blut im Gehirn, ging oben leise, teise die Dame zur Thür und öffnete. Walther Horn stieg die Treppe empor, der Cvrridor war säst dnnkel. Ce mußte au ihrem Zimmer vorüdergehen. »m zu dem seine» zu gelangen. Da flüsterl plötzlich neben ihm eine seltsam vibrirende Stimme seinen Namen: „Walther . . ." In, gleiche» Augenblick aber beginnt unten die Tisckglccke zu lärmen. Jetzt tritt Frau Carola auS ihrer Thür heraus und sagt lächelnd etwas athemloS zu dem jungen Manne „Guten Abend, Herr von Horn; ich glaube, e« wird heut' draußen sehr angenehm. Kommen Sie nach dem Abendessen auch ncch etwa- in den Garten?" Btt Tisch sah man Herrn von Horn eine gewisse Er regung an. ..Gottlob", dachte Frau Carola, die ihm ein paar Mal ! mit blitzscharsem Blick über da? Gesicht fuhr, „er ist nicht ^ geübt in solchen Dingen — er kann sich kaum beherrschen!' Beim Nachtisch kam Beb6 Fedora herein — rin reizende- ^ Kind. welches in eineni allerliebste» Kinderfranzösisch, daS sie i» Montreux von russischen Gespielinnen angenommen, mit > Papa, Mama und ihren sonstigen Freunden am Tisch de» Gutenachtgruß lauschte, gern ein paar Praline- mitgenommen hätte, »nd nur zögernd wieder binau-ging Wie seltsam Frau Carola'S Gesicht war. so lange die Kleine sich im Zimmer befand. Welch' großen, fragenden Blick Mademoiselle Fedora aus die Mama richtete, als diese ie mit einem ziemlich energischen: „kü> dien, Kanne unit eutiu!" verabschiedete. — Nun war die Tafel ausgehoben. Ma» ging im Garte», wie eS der Zufall gefugt, Frau Carola mit Walther, wenige Schritte Vor ihnen Herr Beuz- kwinier neben der ebenso schönen wie koketten Miß Simpkin „Ich habe Ihr Lieb gelesen und — verstände»!" begann Frau Carola. „Verstanden!" wiederholte Walther langsam. „Nun will ich auch gestehen . . „Daß es keine Uebersetzung, daß Sie eS gedichtet!" siel sie e„i. „Sie sehe«, die- Gestäiiduiß ist überflüssig. Ihre Augen wisse» nicht zu schweigen. Mau liest in ihnen!" .Wohlan. waS lesen Sie in ihnen? Lasen Sie, daß daS Lieb a» Sie gerichtet war?" er sprach leise und hastig. „DieS »nd mehr!" sagte sie laut und heftig „Alles!" Cr preßte ihre Hand fest gegen seine Brust. Ihr heftiger To» erstaunte ihn und riß ihn ln». Seine Gedanken w».betten wild aus. Ei» paar Minuten hörte sie nur den raschen Gang seines Aibcui-. Endlich stieß er daS eine Wort heran»: ..Wann?" Er suhlte, cS durchfuhr sie wie ein Schlag, die- eine Wort. Dann cntgrgnete sie säst genau in seinem Tone: „Sofort!" „In einer halben Stunde geht der letzte Zug nach Lausanne!" I» einer halben Stunde? Gut! Oder warten Sie: Lass.» Sie »:>S moigen mit dem Frühesten . . I Nein. Sic solle» nickt warten! In einer Halden Stunde bin ick fertig. Wallh r. schwöre» Sie mir, mich vier Woche» wirklich leiden- schajttick lieb haben zu wolle»!" „Nickt so! Iininer, inimer, bis zum letzte» Alhcinzug!" „Nein, ich will Sie lieben und nicht Ihr junge» Leven an mich reißen Allwerdende Lücke ist so grau, so schal! Schwören Sic mir. Sie wollen vier selige Wochen ganz mein sein, mich i» einem Taumel der Leidenschaft, deS besinnungs lose» Glücks erhalle» — dann geh' ich Sie frei! Und ich verbeiße Ihne», diese Spanne Zeit soll zählen in Ihrem Lebea!" „Ich schwöre, ick schwöre, ich schwöre! Und ist die Zeit erfüllt, schwöre ich wieder!" „In einer halben Stunde bi» ich am Bahnhof!" Mit einem feste», kurzen Händedruck trennten sie sich. I» Fieber und Wonnetaumel blieb Walther zurück. Wie warm ihre Hand, wie klangvoll tief ihre leise Stimme, welche niachtige Leidenschaft ihr Ä)esen athniele. „Vier Wochen tolle» Glucks — und daun ein Ende mache»!" Mit diesem Gedanke» begann sie hastig die nothweudigsten Toitctte-Reglnsiteu iu einen Handkoffer zu werfe». „Mama! Mama!" ries da eine klägliche Stimme ari dem Nebenzimmer. „Schlaf, mein Herz, schlaf!" antwortete sie. „Nein, Bebe kan» nicht schlafe»!" kam cs bittend zurück. Frau Carola stieß die Tbür auf. Das Kind lag mit großen, offenen Augen in seinem Bettchen; eö zuckte eigen ihinnlick im Gesicht der Mutter, als sie daS Kind sah. „Mach Deine Augen zu, Fedora! Sieh mich nicht an!' sagte sic unwillkürlich hart. Gehorsam scktoß die Kleine die Augen, aber um die feuchte», großen Kinderlippku bildete« sich Falten, welche der schöne» Frau dasselbe sagten wie die -lugen. Nasch wendete sie sich ab und wollte hinaus. „Mama, Mama!" kan» cS binter ihr drein, bittend und etwa» weinerlich, als sie a» der Thür war. „Nun. waö?" ries sie, ohne sick ili»;ublicke,i. „Ack>, gehe nichtsort. Mama! B6b6 fürchtet sich. Mama hat ibin keinen Gute-Nachlkuß gegeben!" Sic sland zögernd. Da»» eilte sic schnell an daS Bcttche», beugte sich nieder und da schlangen sich die nackte», kühlen Kiliderarinc scsi ui» ihren Hals. „Mein Ki»d. mein Kind! Schlaf wohl, mein Kindl" flüsterte die Mutter mit rauber, tiefer Stimme. Aber die kleinen Arme ließen sic nicht los. „Ich kann nicht fort!" dachte Frau Carola. „Die Zeit reicht nickt auS. Und ich kann doch nicht reisen wie ich geh' und stehe!" Ihre Gedanke» flatterte» wild umbrr. Nicht heute, nicht jetzt, morgen. Ja morgen, init dem Früheste». Sie konnte jetzt nicht, sie konnte wirklich nicht!" Waltber Horn wartete vergeben- aus den, Bahnhcse. Als der Zug fort war, warf er die beiden Bittet- erster Classe auf die Schienen und kehrte heim. Langsam ging er den Cerrikor an ihrem Zimmer vorüber, da öffnete sich ihre Thür. Sie trat rasch auf ihn zu und gab ihm ihre heiße Hand. „Walther!" sagte sie. „Ick beginne mit einer Treulosig keil. Ich konnte nicht, ich konnte wirklich nicht heut. Morgen irüh! Verzttben Sie mir. Mein Kind — mein Kind hielt inick aus!" Da ging hinten aus dem Gange, um die Ecke desselben, eine Tbür und rasch trat Frau Carola wieder bei sich ein. — WaS für eine Nacht folgte! Die kleine Fedora schlief nicht ein. Sie war ausgeregt, weil sie am Abend mit hartem Ton von Tisch geschickt worden, weil sie keinen Gutc-Nachlkuß bekommen, weit ihre Maina aufgeregt war. Frau Carola saß »eben ihrem Bettchen Die Bonne war längst riiigcscklasen und schnarchte. Die kleine Nachtlampe brannte, und in ihrem inatten Lickt erschien Bebst so seltsam wachsbleich, ihre großen Augen so dunkel nnd so lies. Und WaS auS dem lieblichen Klndergesickl nicht heranSsah, sah die fieberhaft erregte Mutter hinein. Wollte sie sich erheben, so kam ein ganz leise»: „Geh' nickt fort, Mama!" vo» den schwellenden, süße» Lippen, die solch eigen reine» und kühlen Ha»ch balle». „Küste mich lock. Mama — dann kann ich schlafen!" bat sie wieder und wieder mit der Hartnäckigkeit ihrer vier Jahre — »nd Frau Carola konnte ihr Kind nicht küsse»! — Endlich hatte die Müdigkeit doch obgesiegt — Fedora schlief Die schöne Frau aber, uni sie nickt wieder zu erwecke», blieb still bei ibr sitzen »nd träumte. Da kam ihr daS An denken einer Nacht, i» der sie ebenso an einem Bette gesessen und gewacht: am Bett ihrer längstverstorbenen älteren Schwester; und eS war dir Nacht gewesen, in der dic>e beim Morgengrauen gestorben war. Reichliche fünfzehn Jahre war eS her. Wie jung ihr Hrrz damals, wie gläubig, wie rein! O. wie anders alS heut! TaS sanfte, stille Mädchen, daS ihre Schwester Anna gewesen war! und so reis, so srieve voll in ihrem jungen Gemülhe! Kam man zn ihr, so trat man i» ein Gotteshaus. Nun war sie lange todt, lang schon hatte ihr Andenken seine heiligende, sanfte Nachwirkung aus die Seele der überlebende» Jüngeren eingebüßt Der schöne Schatten war leise verblaßt. Nein! In der Stille dieser Nacht, am Bette des schlafenden Kinde-, trat er wird« vor die inneren Augen der Träumenden. Ganz unmerklick rübrle die Schwesterhand an ihr Herz: „Vergiß mich nickt, satt' nickt ab, strauchle nicht!" Frau Carola schauerte zusammen. alS habe ein Geister hauch ihre Wange gestreift. Da» Nachtlicht flackerte leise. Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust: „Die Bessere starb, die Schlechtere lebt. Ach, wer so ganz unangefochten und schuld losen Herzen- leben und sterben könnte wie Jene!" „In Stunden schweren Ringen- und Schwanken- zwischen Gut und Böse, da treten sie unS nahe wie mahnendr, hohe Geister auS einer heiliger«! Sphäre", hatte heute Nach mittag der Doctor Busse gesagt. „Und so haben auch wir i» unsere«» neunzehnte» Jahrhundert unsere EngetS- erscheinungen!" Da polterte etwas im dritten Zimmer. Pseisend kam da- „Herzschnuckige Tatzelschatzel" heim und warf beim Ein tritt einen Stuhl uni. Frau Carola fuhr hart aus, ihre Hände vo» sich gestreckt und geballt, die Augen in dem zuriickgeworsene» Haupt schwarzblau, stahlschimmernd ans die Thür geheslet. .KlitMktu, msmlUi, r'si peur!" flüsterte neben ihr da- seine Stlmmchen auS dem Bett. Bo» dem Geräusch war Fedora erwacht. „Still, mein Herz!" Sie strich der Kleinen mit der Hand über Stirn und Augen herunter und gehorsam schwieg daS Kind. Nun stand sie und lauschte, bi- Herr Benzheimer zur Ruhe gegangen. Er hatte leise noch einmal an ihrer Thüre ge klinkt. sie aber verschlossen gefunden. Dan» kniete sie neben dem kleinen Bett uiedrr und um schlang Belt und Kind mit beiden Armen. „X'uvLis saut peur!" fuhr die Kleine in dem Baby- sranzösiscb fort, das sie mit Vera und Olga Boulatoff zu sprechen pflegte. „Der große chinesische Räuber war da, um Dick zu stellte», Maina!" Der große chinesische Räuber war der stete Schrecke» von Vera. Olga und Fedora, sobald ei dunkel geworden. „Er wollte Dick mit sortnehmen und Bebe sollte Dick »ie wieder sehen!" „Du würdest ja mit Deinem Papa geblieben sein!" sagte Frau Carola mit zuckender Lippe. „Aber ich will Dich behalten! BbbL will mit seiner kleinen Mama sein!" Nun hatte sie die Augen wieder aus. Sic wäre» voll berzigcr Zärtlichkeit und verstohlener Angst. Die Mutter halte sich emporgerichtek und blickte forschend hinein. E- war ein geben»« Sinn in des Kindes Wort und Blick, der nicht von diesem selbst herstammte. W-lcher geheimnißvolle Ziljall legte diese» Ansdruck ans die kleine H»»ge, in den bittenden Blick? „ Ciue Mcnsckcnsccte, unschuldig und rein genug, ibm zur Wohnung zu dienen — indem cS a»S ibre- KörperS Angeu uns anschant, ans ihre- Körper- Znnge seine Worte legt " so war des Doctors Rede gegangen. „Nicht wahr, »icine süße Mama. Du läßt Bebö nickt allein?" flüsterte da- Knid, die iu ikiem Gesicht laS, mit einem reizenden Lächeln schmeichelnder Ieberrekung. Warum es so bat. wußte cs wohl selbst nicht ganz genau, da e» immer noch bald im Scklas besangen war. Ter betroffenen Mutter aber war seltsam zu Mntb. säst als trete ihr hier i» der stillen Nacht, an einen, W »depuncte ibreS Lebens, wirklich ei» geheime» Walten bedeutungsvoll nahe Zum zweiten Male suhlte sie sich wie leise von c>»eiu Hauche auS cm« »»irdischen, heiligere» Sphäre angewcht. I» einer wunderliche» Stiinniung, während sie virleS Neue in ihr sich regen sühlle, blickle sie in da- klare, »»schulvig« Auge, da» groß zu ihr ausgeschlagen war — warme Ouellcn sprangen da in ihrem Herzen aus — weicher und wricher wurde» ihre «regten, gespannten Züge; und wie sich ihr nun plötzlich auch die beide» kleine,» Arme eiitgegenstreckte», da riß sie mit eineni Male das Kind auS dein Bettchen, preßte eS leideiifchastlich fest an sich und küßte eS wieder und wieder: „Nein, »ein, nein! Nie wird Deine Mama Dich verlassen mein — mein — Engel!" Sie fand kein anderes Wort. Und dies paßte auch wohl. Walther vo» Horn Montreux abgcreist. ist am nächsten Tage allein vo» Die Polizeitaren und die Preise der üleingewerbe. ,n Vortrag des Regierungs-Assessors vo» Robrschcidt der Versammlung des Vereins snr Lori»l»oI>t>I in Frankfurt a. M. Ehe der Vortragende aus de» jetzigen Einfluß der laxen und andeier polizeilich r Beeinflussungen aus die Preise der Kleingewerbe einging, gab derselbe ein Bild der Zustände während der Zeit de- junsizwauges. Er legte dar, wie die Obngkeii durch verschiedene Mittel, z. B. durch die Aussicht über die Güte der va» dc» Peo- duceitten beuutzlen Rohstoffe, ja durch die directe Vorichreibung der selben, durch die Suspension des Zunsizwanges aus Mrssen »nd Märkten rc. die Einzelueu vor dem Truck der geschlossenen Junungen zu schützen »ersuchte, ohne hierdurch ihre» Zweck genügend z» er reiche». Sic sah sich vielmehr in uiauchen Fällen zur Oesfuung der Zünste, sonst zur Borschreibuug von Taxen veranlasst. Di je, welche enliveder Waarcn. vd,r Lohntaxe» waren, wurde» späteidin so allgemein, daß sie alle Gewerbe unisaßlen. Man hielt sie init Recht nach Lage der Verhältnisse für unenlbehrlich und sür den einzigen Schutz des Publicums. Sie erfreute» sich einer allgemeinen Sym pathie, vor alle» Dinge» aber wulden die Taxen sür die Lebens, mittel wichtig, La hier am dringendsten das Bedürsniß war, dir Preise nicht über ein gewisses Maximum steigen zu lasse». Wie beliebt die Taxen in Deutschland waren, beweist eine Taxe, welche zeigt, daß die Behörden sich nicht nur um das körperliche, sonder» auch um das geistige Wohl kümmerten, nämlich die sogenannte „Frankfurter Taxe", welche wenig bekannt ist und noch Kirch hofs und Schnrniann (Geschichte des dcullche» Buchhandels. Organi sation und Rechtsgewohuheiten des deutschen Buchhandels) vom Rnsange des l7. Jahrhunderts bis 1671 bestand. Danach existirte eine obrigkeitliche Preisbestimmung der Bücherz» Franksurl o/M. intens des RathS oder der kaiserliche» Buchercoinmüsion. Hierdurch sollte wohl das öffentliche Jnlereffe gegenüber einer durch die Mcßprivi- legie» drohenden Bertheuerung der geistig.« Nahrung gewahrt werde». Auch später kommt in de» Privilegien der Dresdner Buchhandlungen aus den Jahren 16öl — 172K die Androhung einer Büche, taxatton vor sür den Fall, daß das Publicum mit den Preisen übertheuert werden sollie. Dies bezieht sich jedoch aus de» Sortimentsbetricb, während die „Frankfurter Tax" die Ansätze der Verleger zu regeln beabsichtigte. DaS Privi« Icgienwesc» hatte zu diesen Maßnahmen geführt, und als ma» später im Anfang dieses Jahrhunderts gegen de» Nachdruck Vorgehen tvollie, hicil man viclsach ähnliche Sichcrungsmittel sür erforderlich. Wenigstens beiürwortete der Bcrg'iche Enttvurs eines Auloren- g sctz s, der tfflü der Bundesversammlung vorgelegt wurde, noch die Taxe. Nach Verbot de- Nachdrucks schien eben dos Publicum lenie Gewähr gegen künstliche Ailsbauschnnge» der Büchcrpreise zu habe«, und deshalb schlugen nach dem Wiener Eongreß Lilcratur- zeilunge» vor, den Rechtsschutz davon abhängig z» machen, daß der Verleger den gedruckien Bogen nicht über einen Groschen verknuse, denjenigen aber, welcher diesen Satz »berschittle, olle» Nachsnickern preiSzugcbcn. Im Ucbrige» war es, wo eine Büchcrtaxe nicht bestand, allgemein üblich, bei Bewilligung von Privilegien an sremde deutsche Verleger einen billigen Preis varzuichreiben. Hielt der betr. Verleger einen solchen nicht ein, so wiirten Nach- druckprivilcgien gegen ihn erlheilt. Im klebrigen criolgle am Schluß d-- 18. Jahrhunderts ei» ll m - schwung in der W.rlhschä;>ung der Taxen. Bereits Schmal; fuhrt in seinem Handbuch dcr Staalswissenschast aus.? wie schwer es sei, einen nalürl chen Preis sür Waarc oder Leistung zu bItimmen. Der Brodprci- z. B. länge doch von dem Prodiictionsprei- ob» dieser aber könne gar nicht sestgesetz! werden; denn wie wolle nia> den Werth der Arbeit des Bäckers, die LohnauSgabe, die Verzinsung des Eapitals, sonstige baarc Auslagen sür Salz, Feuerung u. s. w. angeben So werde thalsächlich der Brodprci- nicht hiernach, son dern nach dem Marktpreis des Getreide- berechnet. D»S ober sei nur ein Factor. Zudem hätten d.e Bäcker es in der Hand, durch Schrinkäuse u. s. w den Marktpreis in die Höhe zu treiben Man sand ,etzl. daß die Taxen meist ohne Resultat geblieben selcn.
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