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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188811153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18881115
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18881115
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- LDP: Zeitungen
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- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-11
- Tag1888-11-15
- Monat1888-11
- Jahr1888
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- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1888
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Erste Leilage M Leipziger Tageblatt mb Anzeiger. 32V. Donnerstag den 15. November 1888. 82. Jahrgang. Unter Len Spitzbuben von London. Bon FilipMoreno. Aaittrus «erbelea. ES stiebt in London, nach oberflächlicher Schätzung, un gefähr zwanziglausend Diebe von Profession, die jahrein jahr aus in ihrem Berufe regelmäßig und „gewissenhaft', wie jeder andere .Handwerker', thäiig sind. Bon dieser statt lichen Anzahl ist mehr als die Hälfte der Polizei persönlich, oder wenigstens von Anleben, bekannt. Die Beamten der öffentlichen Sicherheit wißen in den meisten Fällen auch ganz genau, in welcher „Branche' die Leute „arbeiten". Sie sehen dieselben „aus Arbeit geben", sie sehen sie auch nach voll brachtem Tagewerk zurnckkebren, aber sie laßen sie unbehelligt, rS sei denn, daß sie dieselben aus einem Ttebstahl oder Dicb- stahlsversuch ertappten. Hunderte von Spitzbuben halten sich täglich in den zahl reiche» Babnhösen, unterirdische» wie überirdischen, aus, um hier ihre Beule zu crlauern. Die Polizei kennt jeden einzelnen von ihnen; sie weiß, daß eS denselben nie einfällt, sich nach ehrlichem Erwerbe umzuseben, sie weiß, daß jeder der Kerle bereits wiederholt wegen Diebstahls bestraft worden ist, und daß dieselben bei ihrem Hcrumlungern hier aus de» Menschen» gefüllten Bahnhöfen nicht- andere- als neue Diebstähle beab sichtigen, und dennoch läßt man sie ungehindert gewähre». Die überaus zahlreichen BahnhosSLicbstähle würden sich ans ein Geringe? rcduciren lasten, wenn die Policeinen die Bc- sugniß hätten, jedes dieser Subjecte über de» Zweck seiner Anwesenheit zu inguiriren und bei mangelhaftem Ausweise zu verhaften oder doch sortzuweisen. Der arme, beimatblose Bagdant, der ohne Subsistenzmittel gesunde» wird, muß obne Gnade inS Gesängniß wandern. Ter lungernde Dieb aber, der sich seinen Lebensunterhalt erst stehlen w ll und muß. bleibt unbelästigt. Warum? Weil er einen feste» Wohnsitz hat. Die Polizei kennt die Straße und daS HauS. Ivo er Unterschlupf, oft auch eine recht behagliche Wohnung hat. Der Londoner Spitzbube ist seßhafte» EharallerS. Er hat herausgefunden, daß der häufige AusenthaltSwechsel ihm nichts Hilst, daß man ikn so wie so in Ruhe läßt, b>S man auS dringenden Verdacht'aründen seiner bedarf, und so überläßt er sich aus gut Glück cem Zufall. Der gewöhnliche Londoner Spitzbube ist im Allgemeinen ein harmlose-, zahmes Individuum. Wenn er sich am Morgen ansmacht. um seinem Tagewerk nacbzugchen, dann vertröstet er sein Weib und seine Kleinen aus eine baldige Heimkehr und verspricht ihnen auch wohl, etwas Gutes zum Abcndbrod m.lzubringen; und wenn daS Glück ihm hold ist, dann hält er auch Wort. Er „arbeitet" die ganze Woche, vom Montag lvZ zum Sonnabend. Am Sonnabend Abend aber gönnt er 'ich ein paar Feierstunde»; „Luturclux nigliG ist selbst sür den Londoner Dieb kein lehrer Wahn. Zn den abgelegenen Straßen und Gasten der Eny. etwa in der Gegend von White chapel, gicbt cs Gaslwirthschasten und Bicrhäuser genug, wo man ihn stets willkommen heißt, so lange er noch einen S'rpence in der Tasche hat. Eine solche DieboSspeluiikc befindet sich in der Onion Street (Zwicbelstraße), einer engen, schmutzigen Gasse, die zwischen Wbitechapcl und Eommercial Road liegt. Sie trägt den Namen: „Ido tbreo lerrots" (Die drei Frettchen). Wenn Jemand mich am Sonnabend, den 11. August d. I., in Klein'- Hotel am FinSbury Square — meinem Londoner Absteigequartier — ausgesucht balle, so wäre ikm der achsel- ,uckende Bescheid geworden, daß man mich unter den Spitz buben in Onion Sireet suche» müsse, in den berüchtigte» „Drei Frettchen". Aber auch in diesen gastlichen Hallen hätte inan mich kaum gesunden, wenn man nicht durch Len dunstigen, schmierigen „Zapsraum" (tap-rocnn, Schcnkzimmcr) nnv durch das übrige HauS bis in die aus dem Hose gelegene Skiltlc- Allcy (Kegelbahn) gegangen wäre, woselbst au den Sonnabend- Abenden sich eine auSerwählte Gesellschaft zusammen ;n sinken pflegt. Tie Nachbarn der „Drei Frettchen" mögen sich schon oft den Kops darüber zerbrochen haben, wie d.e'se Gaslwirlhschast ihren Charakter als solche überhaupt aufrecht erhalten kann, da man niemals einen der bekannten Braucrwagen vor der selben batten sieht. Die „Drei Frettchen" aber erhalten ihr Bier im Dunkel des Abends; es wirb auf ordinaircii Karren berangesahren und in einer Weise behandelt, deren ein ehrlich Gebräu sich schämen müßte. Die Tbürpsosten und die Wände in der Nähe derselben stnv in Schulterhöhe ganz schwarz und blank; dort lehnen den Tag über unablässig die müßigen Strolche o»S der Um gegend, ganz eiacnthümliche Wichte, die nie eine» Penny ver dienen uns doch so seit und gedunsen auSsebe», wie Geflügel. daS im Keller gemästet worden ist. Die Kleidung Verse.de» ist schäbig und schmierig und sitzt den Korten aus dem Leibe nicht wie Zeug, da« man an- und auSzieheu kann, sonder» wie das Fell aus dem Hunde sitzt, und zwar aus einem räudigen Hunde, dessen AeußereS außerdem seine Gewohnbcil verrälh, auf Kehrichthaufen oder in Müllgrube» zu schlafen. Trotz alledem aber sieht der „Landlord" zWirlh) der „Drei Frettchen" keineswegs auS wie einer, der schlechte Ge schäfte macht. Eine respektable Erscheinung ist er allerdings kaum zu nennen; in seinem schmutzigen rvlbweißen Hemd (er trägt im Hause niemals weder Weste noch Rock), mit dem stoppeligen Barl, der unsauberen Kalkpseise, de» bcrabbä»- genden Hosenträgern und den nievergelreteuen Hausschuhen niachtc er auf mich sogar einen recht verlotterten Eindruck. Allein, er trägt am kleinen Finger seiner linken Hand eine» Diamantring. für den er, wie er sich rühmt, wiederholt ein Gebot von zwanzig Pfund erhalten haben will, war er aber vbgelehnt bat, und außerdem ist er jederzeit in der Lage, de» nach der Stunde fragenden Gästen die genaue Ehronomeler- zeit ans Grund einer kostbaren goldenen Ankeruhr zu sagen, die er an einer stählernen Kelle innerhalb de« HosengurtcS trägt. Dazu beherbergt er in seinem Schlafzimmer einige Hunde, die ihm Kenner mit Vergnügen für zehn Pfund daS Stück abkaufen würden, und seine intimere» Bekannten wißen. daß. wenn sie einmal etivaS besonderes Gute- ergattern, der Wirlh der „Drei Frettchen" slctS ihr Abnehmer sein wird, cS ei, was eS auch sei. Die HauplverkchrSzcit in dieser Spelunke sind die Stunden vom Aiizüiitcn der Laternen biS nm zwölf Nbr Nachis, be sonder- a» de» Sonnabend-Ab »den- Als feststehende Regel aber darf disS nicht gellen, dafür sind die Enikünslc der Gäste zu iiiibeslimmt. Zuweilen geben d c Geschäfte so schlecht, daß während der ganze» Woche sauin elwaS anderes als die billigste Sorte Ale an der Tonbank verlangt wird. Ander« ist'-, wenn eö Unruhen n»d Aufruhr in der Stadt giebl Wen» eine große Massenversammlung aus dem Trasalgar-Square ober aiidcrSwo in Aujsicbt steht, kann läßt sich der Wirlb, der eine» praklischc», weilschauendc» Blick hat, ganz gern herbei, seinen schäbigen Kunden schon ein paar Tage vorher einen Credit für besseres. Ale und Cigarren zu eröffnen und. ivenn's nicht anders ist, auch diesem oder jenem der Nolh- leidenksten eine halbe Krone (21, ^l) baar Geld vorzuichießen. Die Massenversammlung wird abgehalten: die Volksredner erzäblen de» Arbkilkrbalaillonen. daß «ine gleichmäßigere Der- thcilung der Glück-guter ans Elten unabweisbar »olbweiitig sei, und die Spitzbuben, die sich cbensall? zablreich eingesunken haben, übersetze» diese Theorien inS Praktische und kommen mit guter B-nle heim. Die Schelme, vo» denen hier die Rete ist, sind Diebe unterster Art, die von den feineren und tbalkräsligeren Gauner» nur mit Verachtung behandelt werden. Den an jenem Abend in den „Drei Frettchen" zu fröhlichem Zeitvertreib und ge selligem Trunk Versammelten sah man zwar keinerlei N-cder- getrücklheit an. andererseits aber sand ich auch vo» jener wüst.», verwegenen und zu allen Teufeleien ausgelegtc» Lust g- klil, wie sie, > ach de» Nomanschilderungen, bei Räubergelagen üblich sei» soll, keine Spur. Meine Sp tzbuben waren an diesem Abend durchaus ehrliche Leute; keiner versuchte, de- Nachbars Tasche» auszuräume» und ebenso wenig siel cS Jemanden ein, den M-bozr (Topsjungen, Kellner) zu betrüge», der die Aufwartung der Gesellschaft balle. Ter Letztere war allerdings auch ein vierschrötiger junger Kerl mit einem St er- genick und wahren Sacklrägerschultcrn, so daß cS sehr unklug gewesen wäre, ihn zu reizen. ES wurden, nach englischer Eilte, auS der Mitte der Gesellschaft sehr bald einige Lieder zum Besten gegeben, ein fache, senlimentale Dinger, die auch i» jedem JiinglingS- verein a», Platze gewesen wären. Auch an mich, de» Gast, erging die höfliche Aufforderung ,,tc> odlixa", der ich mich jedoch, einige Hciserkeii vorschützend, entzog. Wir halten taö Vergnüge» und tcu Genuß, einen ältlichen Herr», besten Haar höchst charakteristisch ganz kurz geschoren war, daS Lied „Ovar 1'ntlwr cowo käme* mit Empsindung und Gefühl vor- lragen zu hören, und ei» Anderer ernlcte lauten Beifall mit ,.klare wo in in)' littlo liech*. Zwischen den Gesängen bewegte sich die Unterhaltung der Anwesenden zumeist aus dem Gebiet, welche- ihnen von BerusS- wegen am nächsten lag. Ick erlangte auS derselben die Ge wißheit. daß so ziemlich die Hälsle der versammelte» jovialen Gesellschaft an der Erstürmung der Geschäslsläden belheiligt gewesen war, die vor kurzer Zeit erst, im Anschluß an die aufrührerische» Soenen aus dem Trasalgar»Square, die gute Stadt London in Angst und Schrecken gesetzt halte. Und dabei konnic ick mich der Gedanken- nicht erwehren, daß nicht nur die Polizeimackt der Metropole, sondern auch jene auk- geplünderlcn Geschäftsleute sich eigentlich schämen müßten, daß die Raub- und Dicbsgclüste einer Nolle so elender, jämmer licher Wickle eine so onsgedehntc Besriedigung batte» finden können. Wcnil'S »och Kerle von dem typischen Ränberlchlage gewesen wären, wilde, verwegene Geselle» von rücksichtslosem Mulb und gewaltiger Körperkrast; daß aber solch ein erbärm liches Gesindel, von den, kaum sechs einem normalen Manne gegenüber Stand gehalten batten, am Hellen Tage und in Flnitenschnßnälie voll soldatciigcsüllten Kaserne» in die Läden der vornehmste» Straßen cinbreche» und daselbst nach Herzens lust raube» konnte, und »ichl nur einmal, sondern wiederholt, das gehört zu den Vorkommnissen, die nur in England denkbar und erklärlich sind. Seit jenen Ereignissen Ware» jetzt aber Monate vergangen und mau konnte datier ganz ungenirt und ohne Furcht darüber reden; man tbat die- auch, nm so mebr, als daS allgemeine Interesse an dieser Sache von Neuem durch den Umstand erweckt wurde, daß sich ei» Herr in der Gesellschaft befand, der soeben erst von einer mchrnionallichcn „Abmesenbcil" zurückgekehrt war, welche „Abmcsenheit" uns eine silberne Tbcekanne znrückznsühreu war. die sich zufällig i» seinem Besitz bcsnnden halte, und über deren Herkunft er nichiS Anderes auSzusaqcn gewußt, als daß ein unbekannter Mann ibm dieselbe, niit der Bille, sie für ihn zn versetzen, cinge- händigt hatte, als er eines Tages harmlos und nichts Schlim mes ahnend, in Piccadilly spazieren gegangen war. DieS gab die Veranlassung zu einer ganzen Reihe von Miklbeiliingen und Gescbichlche», die der übrigen Gesellschaft sicherlich schon bekannt genug, dem Znrückgekedrtcil aber noch gänzlich »cu waren; wenigstens lauschte er denselben mit sicht lichem Ergötzen. Einer auS der würdigen Tafelrunde erzählte, wie er an jenen» denkwürdigen Tage mit eigene» Angen gesehen habe, daß man ein großes silberne- Service so lange mit den Füßen zusanimenstampsle. bis jedes Slück so wenig Raum eingenommen, daß daS Ganze in zwei Rocktaschen gebvracn werde» konnte. E'N Anderer schilderte ei» Mirakel m Gestalt eine- Gold regens; man batte nämlich einen Korb voll goldener Ringe in die Lust geschleudert, so daß dieselben ans die Kopse der Menge herabsielcn, wo das Gedränge am kichlestcu war. Die Geschichte jedoch, die dem entlassenen Sträfling den größte» Spaß verursachte, betras eine» Busenfreund desselben, der sich gegenwärtig leider im Holloway-Gesängniß befand. Dieser Ehrenmann, der mit dem Namen „Billn" bezeichnet wurde, hatte eifrig bei dem Zertrümmern der Spiegelich ibcn und dem Zerreißen der Diahlnetz: vor dem Schaufenster eiiirS GolvarbeiterS und Uhrmacher- mit Hand angelegt und dabei eine Messiiigstange erwischt, aus welcher »lindeste»- zwanzig kostbare goldene Uhren ausgereibt waren. Billy aber hakte keine, oder doch wenigstens nur unzulängliche Taschen, da sein Anzug a»S weiter Nichts als einem zerlumpten wollenen Hemke und einem Paar ebenso beschaffener Unaussprechlichen bestand. Als er sich nun im Besitz der reichen Beule sah, gericth er »n ersten Moment in Verlegenheit, wo er die -Lckatze unterbringen sollte; dann aber besann er sich und verfiel aus de» geistreichen Ausweg, da« Ende LcS Messing- stabeö i» den Busen seine« Woltbemde- zu schieben und kann die Ulnen abzustrcisen, wie inan Johannisbeeren vom Stengel streift; er mußte sich dabei aus seinen Hojengurt verlaßen, daß der zusammcnbielt, b,S er die Beute »> Sicherheit bringe» konnte. Ein Milbrucer und PlünrcrungSgenoste, neidisch ans Billy'S Glück, rief „Halb Part. Kamerad!", woraus Billy sich davoninackte und Fersengelv gab, seine rasselnde» und klirrenden Schätze an sich drückend und verfolgt von einem halben Dutzend joblendcr Kerle. Einer dieser Letzteren zog dicht hinter Billy daS Messer und schnitt dem Aermsten den Hosengurl entzwei; die befreiten Chronometer schlüpften ihm nun an den Beinen hinnnier, sielen aus die Straße nnv wurden vou den jubelnden Verfolgern ansgesamiiielk. Von all' Le» zwanzig Uhren blieb idm mir eine, die in den Slicsel'chast gcralhen war, den einzigen, den er ausweise» konnte, denn am anderen Fuße trug er einen »ietergelrelene» Schuh. Ich sühllc mich nicht veranlaßt, in dieser Grscstschast per- önlich Frage zu stellen und will h.cr nur noch ansühren. daß ich vor meinem Weggange zufällig vernabm, wie der Wirtb der „Drei Frettchen" von den Stanimgästcn „Nick" genannt wurde, also den Vornamen NikolaS süürte. Von der kleine» Capelle, welche an der Ecke von Onion Street und Wlntechap-l Road liegt, schlug cS els Ukr. als ich in die letztgenannte breite Straße cinbog. Whitechapel Road ist eine der Hanpischlagadcrii ceS Ostens von London, sie führt in ihre» Berlängerungc», M>le End Road und Vow Road, zur Stadl hinaus »ach Dlralsord. Ich wendete mich links, um HouttbLdilch, Bischvssgate und dann Hensonsircct zu erreichen und so nach dein Fiuöbury-Sqnare zu gelangen. ES gicbt allerdings kürzere Wege vo» Whitechapel nach Heiison- strect, etwa Coinmercial Street oder, »och näher, Gcutsto» Street, allein diese düsteren Schluchten sehen in so später Stunde nicht ciiiladend aus. In den zahllosen Querstraßen, Nebenstraßen, Höfen, Durchgänge» und Sackgasten von Whitechapel nach Commetcial Road Hansen nur Elend und Verkommenheit und die Schwester dieser Beide», da» Verbrechen. Gculstv» Street ist der Ort, wo ckacle tlio Kipper (der Schlitze») vor einigen Wochen seine Unlhaten an den Slraßendirnen begann, dieselbe enge Gaste, an deren Ecke ich an jenem Abend zögernd stand, ungewiß, ob ich sie als abkürzenten Richlsteig benutzen sollte. Ich kam a»S schlimmer Gesellschaft, allein die die, oder vier langsam im Dunkel der feuchten, übelriechenden Gaste uinherstreiseiiden Gestatten, und das hohläugige, lcichenhasle Weibergesicht. daS mich aus dem niedrigen Fenster dicht an der Ecke angrinste, bewogen mich, de» Umweg über Hounvsditch zu wähle». Weit und breit war kein Policeman zu sehen. Ter einzige Wächter der Sicherheit, den ich an jenem Abend getrosten, schleuderte auf dem hell erleucblelen Trottoir de? Finsdury- Square aus und ab. Der Schlupfwinkel de« Lasters, der Verbrechen und des Elends wurden von jeher von der Polizei nur dann betrete», wenn dort Jemand zu suchen war. Nach den gräßlichen Mordthate», die „der Schlitzcr' aiiS- geübk, wurde» Whitechapel unk zugleich auch dir übrigen verrufenen Gegenden Londons mit Policeinen uud DeleclioeS überschwemmt. Den Mörder aber bat inan b,S heute nicht entdeckt. An rein Cbarakicr jener Stadttheile wird durch die vorübergehende Uebcrwacbung nichts geändert. Tie Spitzbuben und die Dirnen geben nach wie vor «»gebindert ihren« Ge werbe nach, an dem sie nur gehindert w'rdcn dürsen, wenn man sie iu flagranti bei einer Gesetzwidrigkeit ertappt Dem Elend, da« in den Kellerhvblcn und „Lodgingü" des OstcndS durch Hunger und Seuchen vorkommt und dennoch nicht auS- stirbt, sondern, sortzengend, immer vo» Neuem sich gebiert, reicht daS Milliarden reiche Westend nicht einen Penny; die Büßpredigten der Heilsarmee, d-c mit fliegenden Fahnen und klingenden TainbonriiiS auch durch diese Gassen zieht, verhallen wirkungslos »iid fügen zu dem Elend höchstens noch Grimm lind Vcrzwe slung, und so bleibt Alles beim Allen. PaupcriSmuS und Verbrechen gehören mit unerbittlicher Logik zu den nalurnolhwendigen Attributen der Millionen städte, „so lange nicht den Vau der Welt Philosophie znsainnicnhält", und die Gescllschast kann immer noch froh sc:n, daß neben jener Kategorie von zahmen Verbrechern, wie wir sie in den Stammgäste» der „Drei Frettchen" kennen gelernt habe», die blutige» Scheusale vom Schlage Jack's, teS Schützers, noch so selten Vorkommen. Geffeulliüie vortrkiae über die wichtigsten kirchlichen und socialen Fragen. Z Leipzig, 14. November. Ter dritte Bortrog, welchen Herr Vr. Wigand im Saale des „Buchhändlerhauses" hielt, war durch eine zahlreichere Tbcilnakme auSgez-ichn'i alS die voran- gegangenen. Nach einem Rückblick aus den 2. Vortrag ging er zu dkl» Gegenstand dcS 3. Vortrag« über Tie Frage: Wer ist IesuS Christus? deren richtige Beaiiiwortniig sür deu Einzelnen wie für die ganze Well von HSchsier Wichtigkeit ist, beantwortete er all»: Christus ist wahrhn'tiger Mensch und wahrhasliger Gott! und legte dann dar, welche Folgen ans der Leugnung dieser Grind- w. h> heit des Clnistenihunis hervorgrhcn. Christas ist tcr Mittel, purct der Weltgeschichte und der Licbesratli'chlust Gottes; aus ihn ist Alles bei der Schövjuiig und vor der Schüpsung eingerichtet. Die Erde ichilderle der Redner als geistigen Mntelpunct deS Weltalls, als daS Bethlehem unter den Gestirnen. In Christo erschien die wahie Erkeiinlniß Goiteö. L.beii und 2eligkeN, durch ihn ist Alles, c: ist der Eckstein, aus Len der Glaube gebaut ist und on dem der Unglaube zerschellen wird. Tie pcrlöuliche Wiederkunft Christi be- zeichnete der Redner als die Miilernachisstmide der Weltg-schichle. aber auch als die Vollendung des Rathschlustes GolteS und aus Grund der biblische» Leine als das Ende de-r weithistorlschen Kamples zwischen Glaube und Unglaube. Die Anjlchte» von GörreS und Richard Rothe vo» einer allmäligen Weliverttärung wurde zuiück- gewlescn als schristwldrig, und wurde zugleich aus daS Ende der Unzeit und dcS jüdischen Haushaltes, welche auch mit Gericht und Errettung endeten, als Vorbilder hingedeulct. Die Wiederkunft Christi erklärt der Redner nach der Schrift nicht als ein einzelnes Ereiginß, sondern als eine Kette vou Ereignissen, und geh: dann über zur Begründung der Auserslehung der Tobten. Daß Christus wirklich anserstanden ist, wird als historische unzweiselha'te Tyatiache hingeslellt und dann die Be deutung dieser Ause,stehu»g snr den Einzelnen wie für die ganze Kirche au-iühtltch nachgcwiesen, wobei zugleich die Versuche sic zn leugnen, zn verneinen, al» UowistenlchaN »nd geraden» uennöa- lich bezeichnet werden. Noch w e die Auferstehung Christi die Auf erstehung der Menschen, insonderheit der Kirche verbürgt, seiner die biblische Lehre von der Auferstehung dcS Leibe». von der Ber. Wandlung und Entrückung der Lebenden bei Christi Wiederkanit (die durch Vorbilder aus der Natur und der heiligen Geschichle erläutert wird), die? Alles eatwickeüe der Vortragende eingehend. Zuletzt wies er nach, daß die Wiederkunst Christi als das eigentliche Ziel der kcbratlgen Hoffnung deS Christen von alle» Aposteln ausgesprochen wird und auch in späterer Zeit während des Verfalls der Kirche bei einigen Cffaubensceugen (Terlullla», Frenke» Bengel) einen klaren Ausdruck gesunden bat. „Wenn auch", so ungefähr schloß der Borirag, „niemand Tag und Lluude der Wiederkunft Christi weiß und jede Art Mensch, licher Zeitbercchnnng eiitictüeden zurückgewieien werden muß. so müssen wir doch ans Gruud der Signatur unserer Zeit im Lichte des Wortes Gottes dieselbe alS nahe bevorstehend erkennen und als G-a-nsiand unlerer Hoffnung und Anbruch höchster Seligkeit bc> grüßen." Ohne aus eine Beurttzcilung dieser mit warmem Herze» vvrgelragenen Gedanke» einzugehen — wir überlassen dies dem Hörer und Leser — bemerken wir nur noch, daß der nächste Vor- trag von der großen Trübsal, welche die Schritt alS unausbleibliche Folge der Verirrungen und Nölhe nnierer Zeit voruussagt, und von dem Reiche Christi selbst handeln wird. vermischtes. ----- Berlin, 13. November. Se. kaiscrl. Hoheit der Großfürst-Thronfolger von Rußland lras in Be gleitung deS Fiügel-Adjulaiilen Grafen Lchuwalew beut« srüb auS Petersburg hier ei» und wurde bei seiner Ankunft von kein russische» Botschafter Grafen Schuwalow und sämmtlichen Mitgliedern der hiesigen russischen Botschaft empfangen. Der Großsürst-Tbronsolger verwcillc nur kurze Zeit aus dem hic- sigrn Bahnhöfe und s-tzte dann seine Reise »ach Kopenhagen fort, uni dort, in Vertretung Sr. Majestät des Kaisers Alexander III vo» Rußland, an ber Feier de« RegicrungS- JubiläumS Sr. Majestät de« Königs von Dänemark tlieilzu- nchmen und bcm Könige die Glückwünsche der russischen Kaiscrfamiüe zn iibcrl'ringen. --- Ein Ceniitü vou Berliner Damen — so erzählt das Berliner „Frcmbcnhtalt" — beschloß vor Kurzem, ^in Ehrengeschenk sür die Kaiserin Augusia Victoria anserligen zn lasten. Nach langer Beralhung siel die Wahl der Dame» aus eine Schürze. Dieselbe wurte aus weißer Seide, mit kostbaren Spitzen verziert, gefertigt; in Nolen- lnoSpen sind gleich einer Guirlande die Namen der fünf kaiserlichen Söhne eingestickl. Die Hobe Frau empfing die Dcpnlakion vor einige» Tagen; sie war selir enlzücki über den Geschmack und sagte: „Die Wahl, die Sie getroffen, ehrt mich ungeniein; sie beweist mir daS Vertrauen, das Sie in mich setzen, de»» dir Schürze war von jcbcr daS Symbol der echten deutsche» Hausfrau.' Tie Kaiserin legte die Schürze sofort an und sagte heiter: .Mein Mann wünscht immer, daß ick Vabcim eine Schürze trage; so wird daS Geschenk auch zugleich ihm groß« Freude machen.' ---- Kassel, 12. November. Zu dem Brandunglück i» Hünseld wird heule eine Aussehen erregende (schon tele phonisch erwähnte) Nachricht von dort gemeldet. Der in Hünseld stalionirle Gendarm Steindamm sollte gestern Nachmittag verhaftet werden und zwar, wie cS beißt, weil er dringend verdächtig war, daS große Brandunglück durch Fahr lässigkeit verursacht zu haben. Der Gendarmerie-Wachtmeister auS Fulda war bereit? aus dem Wege, um die Verhaslung vorznncbmen, alS Steindamm sich mittelst einer Pistole er schoß. Die Kugel drang in de» Kops »nv führte den sofortigen Ted herbei. Sleindannn hinterläßt Frau und Kinder, die nicht das Geringste davon wußten, daß ibr Familienhaupl abgesührt werde» sollte. Die Clcindamm'schc Wohnung be fand sich in ber Nähe deS „Gasthause» zur Krone", in dessen Nebengebäude ber große Brand vom 29. Oclober ouSbrach. Man vermut bet, der Erschossene habe die Entstehung des FruerS durch Fahrlässigkeit verursacht und nun von Gewissens bissen gepeinigt oder nuS Furcht vor Strafe Hand an sich selbst gelegt. Andererseits beißt eö auch wieder, wie wir noch nachträglich hinzusügen wollen, der Gendarm Steindamm habe nicht wegen Verdachte- der Brandstiftung, sondern wegen eine- tnideren Vergeben« (Dienstwidrigkciten u. s. w.) verhaftet werden sollen. Nähere- wird die Untersuchung sicherlich zu Tage fördern. Literalur. Hausherr und Hanssrau. Bo» 0r. Karl Freiherrn von Rechen berg. Kastei, Theodor Fischer. Lieferung 3 und 4. — Diese« aus etwa 12 Lieiernngen bei echnele„Hc>llshaIluiigSbuct," soll eine» umlassenden Rrthgeber für daS HauS bilden und zwar soll eS vor zugsweise auch die Bedürfnisse des kleineren und uiittlelen bmger- nct.cn Haushalt» beruchiLügen. Das dritte Hcst bildet einen aus- südrlichen Nachweis aus dem Gebiele des Post- und Telegrapdm- tveseitS, das vierte dagegen bebandelt in allgemein verständlicher Weise ie Ern^rung deS Menschen. >V. Von Iwnto üb betiinlen sie!» unsere Oesebültrnüuine >vie<Iei' 27 immAi8eke 81i'«88e 27 (Leks äer MlerstrasZe) im Neubau. LpeeiülAesebrjft km UnLpf« unrk eo»smsnron.
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