BEILAGE ZU NR. 12 DER »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12, III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76/77, III Dezember I9 2 4 * Sechzehnter Jahrgang * Nummer 12 Die trennbar zusammengesetzten Zeitwörter Nach altem Herkommen werden diese Zeitwörter in der Nennform und in den zusammengesetzten Zeitformen zusammengeschrieben, in den einfachen Zeit formen dagegen so auseinandergestellt, daß das Bestimmungswort dem Grund wort folgt: anreden, ich hahe ihn angeredet, ich werde ihn anreden; doch: ich rede dich an, ich redete dich an. Ich frage mich vergeblich, auf Grund welcher unumstößlichen, einwandfreien Regel die gleichen Wörter so verschieden behandelt werden. Die Hauptregel: das Wort wird getrennt, wenn das Bestimmungswort, also die erste Hälfte des Wortes, betont wird, kann ich nicht gelten lassen, weil schon durch die verschiedene Be tonung der gleichen zusammengesetzten Wörter deren verschiedene Bedeutung klar wird. Ich möchte dies an einer Reihe von Beispielen erläutern. Man schreibt in der Nennform zusammen: unter halten und unterhalten. Man spricht also auch: ihr müßt die Gesellschaft unterhalten, ihr müßt das Gefäß unterhalten. Aber man sagt: ich unterhalte die Gesellschaft, ich halte das Gefäß unter. Warum? Man könnte genau so gut sagen: ich unterhalte das Gefäß. Ebenso: du unterbreitest einen Teppich, du unterbreitest ein Bittgesuch; er umschreibt die Arbeit ins reine, er um schreibt eine Redensart; sie wiederholt das liegengebliebene Buch, sie wiederholt den Satz. Es liegt wirklich kein Bedenken darin, die Sätze so zu sprechen. Man sagt doch auch: wir wollen das Buch wiederholen, ebenso wie: wir wollen den Satz wieder holen. Wenn schon durch die verschiedene Betonung der Sinn klar wird, braucht man doch nicht durch Auseinanderschreiben die Verschiedenheit noch einmal besonders hervorzuheben. Die Verwechslungsmöglichkeit ist bei den einfachen Redeformen nicht größer als bei den zusammengesetzten und bei der Nennform. Wer sagt: »Ja, beim Schreiben lassen sich die Wörter doch nicht betonen, wenn man sie nicht unterstreichen will«, der müßte logischerweise diese Wörter in allen Zeitformen auseinanderstellen. Der Hauptgrund für die verschiedenartige Behandlung liegt eben im Sprach gebrauch. Was ist denn nun eigentlich der Sprachgebrauch? Er ist doch lediglich eine Sprachgewohnheit: die alte leidige Angewohnheit der meisten Menschen, so zu sprechen und zu schreiben, wie sie es von Kindheit an gewohnt sind. So fort schrittlich auch in politischer und wirtschaftlicher Beziehung die Menschen sind: auf dem Gebiet der Sprache sind sie konservativ, kleben am Althergebrachten und entgegenstemmen sich jeder Neuerung. Ich bin kein Neuerer um jeden Preis und ablehne jede zwecklose Neuschaffung von Wörtern. Aber ich bin ein An hänger des Vereinfachen unsrer deutschen Sprache. Der deutsche Satzbau ist viel zu verwickelt und umständlich. Unser Ziel muß darauf gerichtet sein, unsre Mutter sprache so leicht verständlich wie möglich zu machen. Wir dürfen uns vom Sprach gebrauch nicht meistern lassen, sondern wir müssen den Sprachgebrauch meistern. 45