BEILAGE ZU NR. 2 DER »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12, III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76/77, III Februar 1924 * Sechzehnter Jahrgang * Nummer 2 Steht das Satzhaupt stets im Werfall? Eine Kritik an der Grammatik. Die Sprache sprach: Wer bist du Dreister? Er sprach: Dein Lehrer und dein Meister. Die Sprache dacht’ in ihrem Sinn: Bin ich nicht selbst die Meisterin? (Friedrich Rückert.) Wenn von grammatischen Regeln gesprochen wird, so dürfen wir vor allem eine sehr wichtige Tatsache nicht vergessen: Zuerst war die lebendige Sprache da; die Sprache hatte schon einen hohen Grad der Ausdrucksfähigkeit erreicht, als man sie in die Zwangsjacke von allerhand Regeln zu pressen suchte. Da diese Regeln meist von dem Lateinischen, noch dazu oft rein schematisch, übernommen wurden, paßten sie in vielen Fällen nicht für das besondere Eigenleben unsrer Sprache, die eine andre Entwicklung durchgemacht hatte. So ist es erklärlich, daß der Regel zuliebe unsrer Sprache öfters Gewalt angetan werden mußte. Nicht selten aber kehrte sich die Sprache auch nicht an die ihr geschmiedeten Regeln; ihre natürliche Kraft behauptete sich trotz alledem. Manchmal schlug sie auch eine ihrer ganzen Art und Anlage mehr zusagende Richtung ein, zum nicht geringen Entsetzen aller »Sprachmeister«. Da die vermeintlichen Abweichungen ihren festen Grund in der jeder lebendigen Sprache innewohnenden eigenen Triebkraft hatten, war hier die Sprache mächtiger als der Regelschmied. Die »Merker« mußten die »Ausnahme von der Regel« wohl oder übel gelten lassen, da sie jedermann so und nicht anders als dem Geist der Sprache gemäß empfand. In der Neuhochdeutschen Grammatik von Bauer-Duden steht der Satz: »Das Subjekt ist das Wort, von welchem der Gedanke seinen Ausgang nimmt; daher steht es unabhängig im Satze, immer im Nominativ, auf die Frage ,Wer?‘ oder ,Was?‘, ohne eine Veränderung zu erleiden.« Der durch Schrägschrift gekennzeichnete Teil dieses Satzes ist bei Bauer-Duden gesperrt, und so oder ähnlich kann man’s in den meisten grammatischen Lehrbüchern lesen. Jedem von uns ist wohl diese Regel auch schon in der Schule eingeprägt worden; tauchten einmal Bedenken gegen die Unumstößlichkeit der Regel auf, dann wurden sie, wie üblich, mit dem Hinweis darauf beschwichtigt, daß natürlich jede Regel ihre Ausnahmen habe, die Regel selbst sei jedoch unanfechtbar. Das hat jedoch manche nachdenklichen Leute nicht gehindert, sich ihren eigenen Vers über verschiedene der heute gültigen grammatischen Regeln zu machen, und in der Tat bieten einige dieser Regeln eine breite Angriffsfläche dar. Wenn auch zugegeben werden muß, daß wir ohneSprach- regeln heute nicht mehr auskommen können, so muß demgegenüber doch betont werden, daß eine dem wirklichen Sprachleben mehr gerecht werdende Abänderung