Die Entwicklung der Verneinung Von Georg Schräder (Hannover) Das kleine Gedicht »Nasommermorgen« von Christian Flemes am Schluß des Auf satzes über die hannoversche Sprache in der Julinummer des vorigen Jahrganges der »Fachmitteilungen« hat Aufsehen erregt, und zwar wegen einer Eigentümlich keit. An die Schriftleitung sind verschiedene Anfragen gerichtet, ob das »nein« in dem Gedicht als Verneinung richtig ist, oder ob es »kein« heißen müsse. Heute wird fast allgemein in Deutschland »kein« für die Verneinung gebraucht, »nein« ist ungewöhnlich. Wie es scheint, ist es auf Südhannover beschränkt. In der Stadt Hannover wird fast allgemein »kein« gebraucht; aber mancher Hamster, der in der Kriegs- und Nachkriegszeit aus der hannoverschen Hauptstadt aufs Land ging, um dort etwas zu kaufen, hat wohl die Erfahrung gemacht, daß die Bauersfrau zu ihm sagte: »Ne, wi hewt sülbst neinen Speck mehr.« Der Gebrauch von »nein« ist zum mindesten deshalb beachtlich, weil die eng lische Sprache auch »no« für die Verneinung hat. Besteht nun ein Zusammenhang zwischen beiden Wortformen, da beide germanischen Sprachen angehören, oder ist das Zufall? Um dies zu entscheiden, müssen wir die altern Formen einmal an- sehen. Dann gewinnen wir auch ein Bild von der Entwicklung dieses Wortes. Dabei fällt auf, daß die Verneinung früher überhaupt weniger gebraucht wurde als heute. Woher das kommt, sei dahingestellt, es soll hier nur festgestellt werden. Das Mittelhochdeutsche hat nur »kein« neben »nicht« und »nie« für nicht und nie. So heißt es im Parzival: »Wer roufet mich dä nie kein här gewuohs, inne an miner hant?« Anders ist es in der mittelniederdeutschen Sprache, die durch ganz Nord deutschland reichte. Um 1500 findet man hier überall die Form »nein«; sie hatte also eine weite Verbreitung. Johan Oldecop aus Hildesheim, der ein weitgereister Mann war, und dessen Chronik von außerordentlichem Werte sowohl für die Re- formationsgeschichte und die Geschichte der Hildesheimer Stiftsfehde als auch für die sprachgeschichtliche Forschung ist, schrieb in seiner Chronik von 1570: »dar se nein recht to hadden«. Und in dem Liede vom Henneke Knecht aus dem 15. Jahr hundert, das vielleicht aus Hamburg stammt, heißt es in der 2. und 8. Strophe: Henneke sprak en trotzich wort: Henneke swor enen duren et: »Ik wil neinen buren deinen vort, Solk arbeit wil ik haten; Ik wil mek gewen up de see, Des hebbik groter baten!« »Nen kaskeren kerel ik nich wet To allen donde unde sake; Ik bin in minem mode so vri Recht as en wilde drake!« Aber auch aus andern Städten sind uns Zeugnisse dafür überliefert. Aus den Wismarer Zollbestimmungen von 1328: »Welik schippman sin seghel windet in dat krütze er, denne he thollet heft, de schal dat betheren und anders nen man.« Und an andrer Stelle: »Vortmer alle Düdische sciplüde, sint se nene börghere tho der Wismere, schölen gheven vor de last beeres ses penninge.« In der Helmstedter Krämer-Ordnung von 1489: »Neine twen wercken schullen kumpanie hebben in twen kramen, sunder in einem krame mögen se dat wol dohn.« In der Magdeburger Schöppenchronik: »Se spreken, se musten ndne vruwen roren, dar umme heit men de vruwen van on gan.« Auch im Lübecker Totentanz von 1463, an dessen Stelle heute in der Lübecker Marienkirche leider hochdeutsche Verse stehen, die weit schweifig und verwässert gegenüber den kernigen niederdeutschen Versen erschei nen, heißt es: »Hir is nene blivende stat.« Man sieht schon aus diesen wenigen Beispielen, daß der Gebrauch des »nein« durch ganz Niedersachsen ging. Ein fest geschlossenes Gebiet ergibt sich, innerhalb dessen es im Gebrauch war; es gehört eben mit zur mittelniederdeutschen Sprache.