STÄNDIGE BEILAGE ZU DEN »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN. Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12, III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76/77, III September 1926 * Achtzehnter Jahrgang * Nummer y Bekanntlich Eine Plauderei von Max Sahlmann, Dresden Fast mit keinem Wort wird wohl in so weitgehendem Maße Mißbrauch ge trieben wie mit dem Wort »bekanntlich«. Auf Schritt und Tritt begegnen wir ihm vor allem in den Zeitungen, wo die Schriftleitungen geradezu Unfug mit der An wendung treiben. Du lieber Himmel, was den Lesern nicht alles bekannt sein soll! Man bekommt ordentlich Respekt vor der eigenen Gelehrsamkeit, von der man allerdings bis dahin gar nichts wußte. Aber da die Schriftleitung den geistigen Horizont ihrer Leser so außerordentlich hoch einschätzt, fühlt sich jeder »bekannt lich« angenehm gekitzelt, daß man ihn nicht zu den Ganz-oder Halbidioten rechnet. Und das ist ja auch der Zweck der Sache. Wir haben es hier mit einer Massen suggestion zu tun. Man versucht den Menschen einzureden, daß ihnen etwas be kannt sei, von dem sie in Wirklichkeit keine blasse Ahnung haben. »Bekanntlich« (!) fühlt man sich immer sehr geschmeichelt, wenn ein vermeint lich Klügerer,vor dem manimmer so etwas wie Respekt hat, eine so hohe Meinung von einem besitzt, daß er ohne weiteres die Kenntnis irgendeiner Sache voraussetzt. Man »fühlt sich«. Man wird stolz auf seine eigenen, ach, in den meistenFällen »bekannt lich« gar nicht vorhandenen Kenntnisse. Das ist doch wohl allen bekannt? Nicht? Nehmen wir einmal heute abend die Zeitung zur Hand, die große Vermittlerin der Sprache eines Volkes mit ebendiesem Volke selbst. Magisch wird unser Blick von einem Satz angezogen, der da lautet: »Der englische Forscher Mitchel-Hedges, der bekanntlich die Trümmer der alten Mayastadt Lubaantum aufdeckte« usw. Maya — Maya? geht es uns durch den Sinn, was ist denn das? Keine Ahnung. Und wenn man sein Gehirn auch noch so krampfhaft arbeiten läßt, der Forscher ist uns ebenfalls gänzlich unbekannt. Aber zum Teufel, die Schriftleitung setzt es doch ohne weiteres als »bekannt« voraus! Und setzt weiter voraus, daß es den Lesern bekannt ist, daß dieser bekannte Forscher die ebenfalls aller Welt be kannte Trümmerstadt Lubaantum aufgedeckt hat. Hand aufs Herz, verehrte Schriftleitung, ist Ihnen dies alles bekannt? Ich habe Sie nämlich stark im Ver dacht, daß Ihre Wissenschaft auch nicht weit her ist. Aber immer »so tun«, damit kommt man »bekanntlich« am weitesten im Leben, nicht wahr? Doch lesen wir weiter. Aha! Da— ein vierfacher Raubmörder festgenommen. Fett und groß steht es da. Indem ich mich noch so freue, daß unsre Hermandad dieses Scheusal erwischt hat, werden meine Blicke schon wieder durch das Wort »bekannt lich« festgehalten. Frech und gespreizt steht es da.»DerMörder, der polnischerNatio- nalität ist, hat bekanntlich im Frühjahr vorigen Jahres die aus vier Köpfen bestehende Familie des Gutsbesitzers R. ermordet.« Ist das wirklich allbekannt? Dann — zum Kuckuck! — bin ich eben wieder der einzige, dem diese grausige Tat unbekannt ist. Leicht gereizt versuche ich weiterzulesen. Ich gerate auf die Handelsseite. Da ich nicht zu den Börsenjobbern gehöre, entlockt mir die Lektüre nur einleichtes Gähnen.