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Das Schiff
- Bandzählung
- 1930
- Erscheinungsdatum
- 1930
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-27.1930
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-193000009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19300000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19300000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Bemerkung
- Ohne Heft 2
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 3, März
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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Elias Casfelnuovo: Im Finstern (Schluß aus Heftl) Luise ist nun mit meinen Lebensgewohn heiten vertraut, und ich gewöhne mich dar an, ihren Buckel ohne Grauen zu sehen. Luise aber hat die Furcht verloren, die ihr zuerst die Zunge lähmte. Jetzt denkt und spricht sie laut und ungezwungen und äußert eigene Ansichten. Unsere Beziehungen werden von Tag zu Tag festerund herzlicher. Will ich einmal besonders lieb zu ihr sein, so fasse ich sie mit einer Iland beim Kinn. Dann reckt sie den Hals wie ein Reiher, der im Rücken eine tödliche Wunde hat, und lächelt in leiser, geheimer Freude. Ihr Mund, der immer zu klagen scheint, harrt der Labung ungekannter Küsse, und ihre schwarzen Haare wehen mir entgegen, wie Schling gewächse das Gitterwerk einer Umzäu nung suchen und darauf warten, in der ersten Umarmung des Frühlings aufzu blühen. Ich erzähle Luise alles, was mich bedrückt, und das Mitleid, das ich früher mit ihr gehabt habe, empfindet sie jetzt für mich. * Eines Abends vergaß Luise, die Matratze auf den Fußboden zu legen; als ich heim kam, hatte ich kein Lager. Ich weckte sie und machte ihr liebevolle Vorhaltungen. Da sagte sie mit der größten Natürlichkeit: »Leg dich doch zu mir ... Es ist Platz für uns beide . . . Genier dich nicht . . .« Ich schämte mich vor mir selber, daß ich mich angesichts eines so unschuldigen Vorschlags genierte, und legte mich schwei gend nieder. Als ich die Decken zurück schlug, lag sie nackt vor mir. Vor diesem mißgestalteten Körper lief mir ein Schauer über den Leib, und ich löschte sofort das Licht. Luise warf sich mit nervösen Bewegun gen hin und her. Mir schien es, als ob sie seufze oder schluchze, aber ich war so müde, daß ich alsbald einschlief. Bald fuhr ich wieder aui; denn meine Ge fährtin stieß midi an; ob es bewußt oder unbewußt geschah, war mir nicht klar. »Was iehltdir? Kannst du nicht schlafen?« »Nein . . . ich kann nicht . . .« »Soll ich die Matratze auf die Erde legen?« Luise flüsterte mir mit flehender Stimme ins Ohr: »Nein, Bruder, tu es nicht . . .« »Warum?« Sie schloß mir mit ihrer Hand die Lippen: »Nein . . . Idi will nicht . . .« Am nächsten Tage war sie zärtlicher als je, und ihr Lächeln war weicher und hin gebender. Ihre Stimme klang leiser, sym pathischer. Sie bradite mir das Frühstück ans Bett, was sie bisher nodi nie getan hatte. »Magst du das gern?« Als ich jasagte, beeilte sie sich fortzufahren: »Dann madi’ ich’s morgen auch so ... ich bringe dir den Kaffee immer ans Bett. Ja?« Als ich midi erhob, sah sie mich sehn süchtig und mit der entsagungsvollen Miene einer unverstandenen Frau an. Ich begann etwas zu lesen, und sie be wegte sich um meinen Tisch herum. Dann umarmte sie mich von rückwärts, neigte ihren Kopf an den meinen und fragte: »Hast du midi lieb?« Ich drehte mich nicht um. So konnte ein Kind fragen. Mir fiel ein, daß Luise eine arme Waise war, die niemals jemand ge- liebkost hatte; diesem Umstande mußte man solche Ausbrüche kindlicher Zärt lichkeit zugute halten. Trotz meinerZurückhaltung bedrängte sie mich so sehr, daß ich mich endlich doch um wenden mußte. Da sah ich zwei strahlende, liebevolle Augen, ein flehendes Lippen paar und eine samtene Haut, die die Er regung lebhaft gerötet hatte. Alles Blut ihres Körpers strömte jetzt in ihr Antlitz und lieh ihm leuchtende Farben. Immer wieder schloß mich Luise in die Arme; dann begann sie krampfhaft zu schluchzen. Ich begriff ihre Wünsche und schwieg. Durdi meinen Kopf wogten finstere Ge danken. Ich erblickte im Geist idiotisdie Kinder, qualvoll leidende Wesen, früh ge altert, mit sehr großen Köpfen und krum men, schwachen Beinen. »Warum redest du nicht?« fragte sie. »Was soll ich sagen, Schwester?« »Adi ja, ich weiß, ich bin häßlich, bucklig, abscheulidt... aber ich bin gut. Du könntest mir ein Wort sagen . . .« »Nein . . . deshalb nicht . . . Nur. . . nach her . . .« »Was: nadiher?« ». . . .würdest du noch viel unglücklicher sein, Schwester.« * Wenn Luise schlief, drehte sie mir ge wöhnlich den Rücken zu. In der folgenden Nacht war sie unerträglich. Sie warf sich von einer Seite auf die andere, stöhnte und drängte midi in ihrem Taumel so weit an die beitkante, daß ich dreimal nadicin- ander aufwachte. »Was ist dir?« fragte ich. Sie wußte offenbar nicht, was sie antworten sollte, küßte mich auf die Stirn und lehnte ihren heißen Kopf an meinen Hals. Ich streichelte ihr Haar, und in dieser selt samen Lage schliefen wir ein. Am andern Tage war Luise schweigsam, undurchdringlich . . . Sie wanderte ohne Anlaß hin und her, seulzte und sah mich nicht einmal an, als ich das Haus verließ. Meinen gewohnten Gruß beantwortete sie mit einem eigentümlichen Ausdruck ihres Gesichts, den ich mir nicht erklären konnte. Als ich wieder heim kam, traf ich sie nicht mehr an. Sie war fort. • Beunruhigt und niedergeschlagen ging ich auf die Straße. Ich konnte nicht zugeben, daß sie mich um einer Empfindung willen verließe, die, wäre Luise gesund, die na türliche Aufgipfelung unserer Beziehungen sein würde. Ich suchte die Plätze auf, an denen sich Luise früher aufzuhalten pflegte, und unter dem zweiten Bogen am Bahnhof Once fand idi sie denn auch, zusammen gekauert, wie in der ersten Nadrt. Ich weckte sie auf. Sie erhob sich und richtete sich empor, so hoch wie nie. Ihre Augen funkelten in dem nächtlichen Halbdunkel wie die einer Katze, die in einem finstern Keller eingesperrt ist. »Tropf!« schalt sie auf mich ein. »Was willst du?« »Warum bist du gegangen?« »Weil du ein Tropf bist!« Sie klapperte mit den kleinen Pantoffeln auf den Pflastersteinen und wiederholte immer wieder: »Tropf! — Tropf!« Ich beschränkte mich darauf, den Sturm von Scheltworten ruhig über mich ergehen zu lassen; endlich faßte ich sie am Arm und sagte: »Komm!« »Laß mich los! Du böser Mensch! Ich geh’ nicht mit! Nein! Ich hasse dich!« Ich legte den Arm um ihre Hüfte, nahm ihr Gesidit in meine Hand und fragte: »Warum denn, Luise?« Ich glaube, es war das erstemal, daß ich sie bei ihrem Namen rief. Und Luise war nun so bewegt, daß sie alles zurücknahm, was sie gesagt hatte, und mich mit Tränen in den Augen um Verzeihung bat. Ich sagte ihr, daß es zwischen uns keine an deren Beziehungen geben dürfte, als die bis jetzt bestanden hätten; aber sie hörte nicht auf mich, sondern schlang die feinen Finger um meinen Hals, sah mir tief in die Augen und flüsterte: »Ich hab’ dich lieb!« Dann preßte sie sich an mich und stammelte: »Du ... Schlimmer.. .Warum bist du so schlecht zu mir? Ich hab’ dich doch so lieb!« Völlig ausgesöhnt machten wir uns auf den Heimweg. Luise hing an meinem Arm wie eine kokette Braut. Ihr nervöser Schritt gewann für Augenblicke eine un- gekannte Eleganz. Unterwegs sagte mir die Kleine, um sich zu rechtfertigen: »Weißt du, weshalb ich davonging? . . . Ich will dir’s sagen: ich glaubte, du hättest mich nicht lieb. Ich war töricht, nicht wahr?« Ich gab keine Antwort. Ich konnte nicht antworten. Luise fuhr fort: »Heut nacht schlafen wir zusammen, aber nicht so wie sonst. Nein... ich kann so nicht schlafen... Wenn du wüßtest, lieber Bruder, wie ich leide . . .« Der flehende Ton rührte mich. Wir kamen zu Hause an und legten uns wie gewöhnlich nieder. Luise zitterte; ihr Leib lag in krampfhaften Zuckungen; sie hüllte mich in ein Netz aus Küssen und Umarmungen. Ich küßte mit wahrer Leidenschaft ihren Mund, und in einer Wallung unendlichen Mitleids nahm ich sie hin ... In meinen kräftigen Armen wand sich dieser hagere, mißgestaltete Körper in Angst und Nöten. Luise stieß einige schrille Klagelaute aus und weinte vor Schmerz und Freude. Als sie sich wieder beruhigt hatte, flüsterte sie mir ins Ohr: »Dank . . . Dank . . .!« * Seitdem ich Luise besessen habe, ist mein Bewußtsein wie betäubt. Meine Arbeit läßt mich nicht klar erkennen, was ich getan habe; denn man hat wegen einer bald herauskommenden Sondernummer einer Zeitung meine Arbeitszeit verlängert
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