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Das Schiff
- Bandzählung
- 1930
- Erscheinungsdatum
- 1930
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-27.1930
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-193000009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19300000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19300000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Bemerkung
- Ohne Heft 2
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 3, März
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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iQ Das schläfert mein sittliches Empfinden ni in hohem Maße ein. Um der Anklage zu na entgehen, die mir mein Gewissen machen 53 könnte, habe ich mich bereit erklärt, vier sT Tage in der Werkstatt zu schlafen. Darauf ivr werde ich wieder in meine Baracke zurück- a3 kehren. Die Werkstatt hat die angenehme 13 Eigenschaft, mir den Geist dicht zu um- faa schatten. Die fieberhafte Bewegung der lA Arbeiter, das Toben der Maschinen, der lig giftige Rauch aus den Gießtöpfen und das IS Blei, das sich im Gehirn niederschlägt, lav versetzen mich in einen Zustand vollstän- |ib diger Denkunfähigkeit, tfal Ich schlafe mit sieben Genossen in einem EÜ Raume, wo schmutzigeLappenaufbe wahrt 3w werden. Die Rotationspresse ließ mich in tab der ersten Nacht nicht ein Auge zutun; ich tßd hatte den Eindruck, als drehten sich die :W Walzen auf meinem Kopfe. Augenblicklich töri höre ich das Ticken der Linotypema- rfog schinen. Es sticht mir in die Ohren, als 3ixJ triebe man mir langsam einen Bohrer hin- nia ein. Ich erhebe mich halb betäubt. Die tuX Zunge klebt am Gaumen; ich habe einen itid bitteren Geschmack im Munde: Anti- om mon. Es ist zwischen den Zähnen einge- inb drungen und sinkt nun abwärts, bis es ans laH Herz kommt. Da durchnagt es die feinen ieH Häutchen, mästet sich an meinem Leid . .. tfal Ich warte auf den Schlaf, um denken zu nö3 können; wachend kann ich nicht denken, i ni In meinen Träumen besucht mich Luise. ai2 Sie tritt an mich heran und rüttelt mich ilari heftig. Wenn ich ihr antworte, klingt es, eLe als läge ich in einem Abgrunde: eJ« »Laß mich doch schlafen, Schwester!« ai2 Sie schüttelt mich noch einmal. uVI« »Nur noch ein ganz kleines Weilchen! ... dal Ich bin so müde!« Aber sie läßt nicht nach, : aid bis ich aufwache. In die Dunkelheit hinein gfifl frage ich: »Was willst du, Luise?« »LI« »Lieber Bruder, ich kann nicht allein in liab der Baracke schlafen ... Idi fürchte mich ... ieW Warum läßt du mich allein? Was hab’ ich ! iib dir getan?« iV/« »Wir haben gesündigt...« aO« »Gesündigt?« uG« »Du bist schuld ... Idi wollte nicht...« aVT« »Warum bin ich schuld? Warum sagst du tim mir das? Ich hab’ dich doch so lieb! Was icieI kann ich dafür, daß ich ein Herz voll Liebe »dfiri habe?« uG« »Du bist schuld ...« A tfal Ich klammre mich an dies Wort und spreche bau und wiederhole es halb wachend, halb im ältfa2 Schlaf, ohne zu wissen, was es bedeutet. heM Manchmal drehe ich mich heftig um und »gfifl. frage Luise: »Warum läufst du mir nach?« aW« »Weil ich dich lieb habe . . .« Ich wälze tfaim mich hin und her und wecke meine Ge reon nossen auf, die neben mir auf dem Fuß- abod boden liegen. Als sie eines Morgens auf- rbfiw wachten, hörte ich, wie einer zu seinem adaH Nebenmann sagte: »Es kommt mir so vor« fib — — dabei sah er zu mir hinüber —, »als hätte b tab der da ein Verbrechen begangen.« tiW Wir legen uns ungefähr um drei Uhr giom morgens nieder und stehen um sieben r tdlJ Uhr wieder auf. Dann ist es hier noch ttfasld Nacht. Draußen versucht die Sonne, die äJtfatb dichten Winterwolken zu durchbrechen.— Als ich am letzten Tage die Augen öffnete, erlebte ich etwas Seltsames. In der Richtung auf die Straße hinaus hockt eine Reihe Maschinensetzer nebeneinander, den Kopf über das Tastbrett gebeugt, die Augen auf das Manuskiipt gerichtet. Plötzlich er löschen die Lampen, und die Druckerei liegt im Dunkeln. Da hebt ein Chor müder Stimmen an, nach Licht zu rufen: »Licht!... Licht!... Licht!« Als wieder Licht wurde, stand Luise im Türrahmen. Sie war betrübt und aufgeregt und sah schlecht aus. Sie fiel mir um den Hals. Ich befreite mich schnell aus ihrer Umarmung; denn ich scheute mich davor, daß es meine Genossen sähen. Dann sagte ich ihr, heute sei der letzte Tag, daß ich hierbleiben müsse; nun würde ich wieder in der Baracke schlafen. Sie wollte lachen; es wurde aber eine traurige Miene daraus. Sie drückte mir in nervöser Erregung die Hand und bat: ». . . aber, bitte, belüg mich nicht...« »Nein . . . nein .. . geh, geh .. . rasch ...« »Ich kann nicht allein leben ... Ich muß dir ein Geheimnis anvertrauen ...« »Du kannst es mir später sagen ...« Sie schwankte, ob sie gehen sollte, drehte sich bei jedem Schritt um und blieb hin und wieder stehen, als wollte sie zurück kehren. Als sie hinaus war, fragte mich der Be triebsleiter: »Wer ist das bucklige Mäd chen?« »Meine Schwester«, antwortete ich. Um seinen Mund stand ein gemeines Lachen. Ich wollte nicht mehr denken, setzte mich an meine Maschine und fing an zu arbeiten. Seitdem sind viele Tage verstrichen. Das Geheimnis, das mir Luise anvertrauen wollte, war damals nur eine Vermutung. Heut ist es eine Gewißheit. Mich reut, was ich getan habe. Luise erwartet ein Kind ... Als sie es mir sagte, war sie von einer hysterischen Freude erfüllt; ich aber ver goß bittere Tränen. Nach ihren liebevollen Überlegungen muß der Knabe, den sie erwartet, »blond, stark und klug« sein wie ich, überhaupt mein Ebenbild. Sie ist so uneigennützig, daß er nichts von ihr selber haben soll; sie will sich damit begnügen, ihn aufzuziehen und ihm dieBrust zu reichen — die wohl keine Nahrung enthalten wird. All ihr Denken und Reden dreht sich um ihren Sohn. Eines Nachts weckte sie mich, um mir zu erzählen, daß ihr der Kleine einen Fußtritt versetzt habe: sie trieb den Scherz so weit, ihm dafür mit ernsterMiene Vorhaltungen zu machen. Der Stolz, der Luise wegen ihrer bevor stehenden Mutterschaft erfüllt, ist so groß, daß sie nicht bemerkt, wie sehr sie selbst darunter leidet. Sie hat heftige Kopf schmerzen und ist gelb, grauenhaft gelb. Beim Gehen bückt sie sich, als trüge sie eine Last Steine im Leib, und alle ihre Muskeln sind schlaff, kraftlos ... Anstatt zu klagen lächelt Luise. Sie ist glücklich, und ihre Seele ist von einem ungesunden Optimismus erhellt. Sie schleicht fröhlich durch das Zimmer, utn es auszufegen, und kniet begeistert hin, um Teller zu waschen. Nachts wartet sie auf mich, kocht mir Tee und fängt sofort an, von dem Kinde zu reden. Sie ist mir dankbar dafür, daß ich sie zur Mutter ge macht habe. Bei Tage legt sie die Nadel nicht aus der Hand. Sie näht mit großem Eifer Lätzchen und Windeln und hat einen Koffer male risch zur Wiege hergerichtet. Eines Tages überraschte ich sie, wie sie durchs Zimmer kroch. Sie gestand mir, daß sie sich nicht mehr auf den Füßen halten könne. Es schmerzt mich, wenn ich sie in solchem Zustande sehe! Bringt sie Essen, so schiebt sie sich langsam und mühevoll an meinen Füßen vorüber. Nach jedem Schritt macht sie eine Pause und stößt einen leisen Schrei aus. Er hallt von den kahlen Wänden wider. Wenn ich sie so sehe, verstumme und erblasse ich, die Haare fallen mir in die Stirn; Arme und Beine werden kraftlos, und mich überkommt eine tiefe Nieder geschlagenheit. Dann höre ich immer eine Stimme; sie sagt: »Was hast du getan, mein Sohn?« * Als ich eines Nachts nach Hause kam, fand ich Luise in den letzten Zügen. Be reits vor mehreren Stunden hatte die Ge burt begonnen; damit warein ungeheurer Blutverlust verbunden. Luises halbge schlossene Augen waren bereits gläsern und ausdruckslos; aber ihren Mund um spielte ein fürsorgliches Lächeln. Ihr mar morblasses Antlitz war totenstarr; aber die Arme starb nicht, ehe sie mir nicht selbst das Geschehen mitgeteilt hatte. Als ich mich an ihr Bett lehnte, murmelte sie mit dem Aufgebot ihrer letzten Kräfte und mit schwindender Stimme: »Da ist er, lieber Bruder... sorg für ihn!« Ich schlug die Decken zurück. Da lag ein entsetzliches Wesen. Der Kopf glich dem eines merkwürdigen Hundes und war so platt, daß er beinahe bis zur Unsichtbarkeit in dem Krater eines dreimal gewinkelten Buckels verschwand. Der Leib war mit langen Haaren bedeckt. Das Wesen hatte keineArme, und seine Beine waren grauen hafte Stümpfe. Ich deckte es wieder zu und sank wie vernichtet in einen Stuhl. So überraschte mich der Tag. Das Kind krümmte sich unter den Decken wie ein Wurm und fiepte leise. Mich überlief es eiskalt. Nie wieder stand mir so kalter Schweiß auf der Stirn wie damals; nie wieder schmerzten die Gedanken so sehr. Luise starb, ohne noch ein Wort der Klage von sich gegeben zu haben, und das Kind er stickte in einem Blutmeer. Seitdem kann ich nichtschlafen; ich wandre herum wie ein Wahnsinniger. Wenn ich an dem Bahnbogen vorüberkomme, bleibe ich stehen und grüble. Ich gehe in die Druckerei und verlasse sie wieder. Immer verfolgt mich eine Stimme: »Was hast du getan, mein Sohn?«
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