DAS SCHIFF BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN • MAI 1980 • HEFT 5 SCHRIFTLEITUNG: ERNST PRECZANG, BERLIN SW 61, DREIBUNDSTRASSE 9 Alle Lastträger, alle Beladenen... Um midi ist der Lärm der Motoren — wollte ich sprechen, niemand würde es verstehn. Ich stehe schweigend, meine Hand zittert am Rad von der Bewegung (würde sie es loslassen, ohne den Hebel herunterzuziehen, Gefahr: Explosion). Dies ist der Augenblick, in dem ich Menschen sehe, beladen mit Lasten wie ich, die sich den Schweiß abwischen, ehe er in die Augen läuft, ehe er brennt. Das Salz der Tränen rinnt über das Gesicht. Gruß allen Lastträgern und Beladenen! In aller Welt, wo es auch sei, Gruß allen aus dem Leunawerk, wie ich euch grüßen würde in Rummelsburg, bei Siemens, Creusot oder an der Ruhr! Und einen Augenblick spürt die Hand, die euch über die Stirn fährt! Ich bin mit dir gegangen den Weg am Hoangho, den Weg der Seilzieher, den schmalen Pfad der Felsen, und ich habe das Lied laut mitgesungen, daß keiner ermüdet. Als das Seil der Dschunke sich verfing an den Felsen, stürzten zwei ab; ohne Laut versanken sie, und es blieben zwei Rationen übrig in der großen Tonne voll Reis. Zwei fielen herab wie eine Flocke Schnee. Als wir ausgeruht waren, gingen wir weiter den Jahrtausendweg. Ich habe euch gesehn, die lange Reihe am Seil, und es schnitt in die Schulter ein bei den Neuen. Gruß den Seilziehem am Hoangho. Der Dampfer kam, und die Schwarzen trugen die Lasten. Die Kisten schleppten sie auf dem Rücken. Dieser alte Neger ist aber müde, er ist zu alt, um lange tätig zu sein. Aber wenn er nicht mehr kann, wird er verhungern müssen, jeder wird sagen: Junge gibt’s genug. Alter Neger im weißen Haar, hier setze dich, ich will dir den lumpigen Dollar verdienen, und du sollst ein wenig auf diesen Seilen sitzen, dich ausruhen und dir den Schweiß abwischen, und deine zitternde Hand lege auf das Holz. In welchem Lande es sei, alle, die Balken tragen und Steine, um Häuser zu baun, in denen sie nicht wohnen, Eisen, um Brücken zu errichten, Maschinenteile, daß die Motoren singen, oder Nahrung zu entfernten Hütten im Schnee, für einige Wochen Brot und Butter — Gruß euch! Die über vereiste Gebirge Lasten tragen, Instrumente der Expedition, die im Schneesturm einen Wall aus den Kisten bauen, die in Asien oder wo immer die Rücken beugen, die ausruhen möchten und weitertragen müssen die Last — deren Sprache ich nicht verstehe. — Der Gruß ist mir fremd, die Laute sind un verständlich. Aber das Herz spricht die Sprache der Welt. Seht her unter den Lasten! Es leuchtet euch an! Und ihr in den Werken, von Rauch und Flammen überweht, eure Arbeit ist mir bekannt, und ich weiß, eure Last ist schwer. Der seine Last trägt in einem Werk der Welt, spricht diesen Gruß, ungewiß, ob er hindringt überall, wo Menschen seufzen, doch voller Hoffnung, er würde gehört werden. Da ich sehe, wie euch die Tränen des Schweißes kommen, da ich höre, wie ihr im Herzen ruhen möchtet — wie sollte es nicht sein, daß ihr meinen Gruß hört, ausgesprochen an der Maschine, bestimmt für alle Beladenen der Welt! Walter Bauer