3)as Schilf Beiblatt der Typographifchen Mitteilungen / Heft 3 / März IQ28 Schriftleitung: Ernft Preczang / Berlin SW 6/ / Dreibund ftraße g MsmpHgpen neuzeitlicher Staatsauffassimg A. Der konservativ-machtpolitifche Typus Es gibt trotz aller Verfchiedenartigkeit von Völ kern und Zeiten in der mehrtaufendjährigen Entwicklung menfchlicher Gemeinvvefen doch drei Hauptformen möglicher Auffaffung von Aufgabe und Wesen des Staates, die zwar in der gefchichtlichen Wirklichkeit wie in der wiffen- fchaftlichen Theorie feiten völlig rein zutage getreten sind, fondern fich vielfach miteinander verbunden,ineinander Verfehlungen haben,aber doch deutlich voneinander zu unterfcheiden find. Wir können fie kurz als 1. die konfervativ-rnachtpolitifche, 2. die liberal-individualiftifche, 3. die [ozialiftifch-kommuniflifche bezeichnen und wollen nun mit der erftgenann ten beginnen*. Als fich vor w T enig mehr als hundert Jahren das moderne Parteiwefen in den verfchiedenen Staaten Europas bis in die kleinften der zahl reichen deutfehen Länder auszubreiten begann, da unterfchied man — die Namen follen zuerft in dem neuparlamentarifchen Spanien der erften Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufgekommen fein — meift einfach nur Konfervative und Li berale. Konfervativ nannte man die Anhänger des Alten,Beftehenden,das fie zu»konfervieren«, das ift bewahren fuchten, daher waren fie in der Regel auch in der Regierung; die Liberalen bil deten demgegenüber die Oppofition, die neue Ideen auf ihrem Programm hatte. Theoretifdi genommen aber, und darauf kommt es uns in erfter Linie an, bedeutet diefe Unterfcheidung nichts Grundlegendes. Die Hauptfache ift, was es zu »konfervieren« gilt: zum Beifpiel die heu tige deutfehe Republik oder das wilhelminifche Kaifertum. Desgleichen macht der äußerlich noch weit ftärker ins Auge fallende Gegenfatz zwi- fchen Monarchie und Republik keinen grundfätz- lichen Unterfchied mehr aus; beide können, wie Beifpiele zeigen, »konfervativ« oder »liberal«, politifch rückwärts oder vorwärts gerichtet fein. Weit grundlegender erfdieint uns ein anderer Typus, der fich theoretifch fchon mit dem Anfang derNeuzeit herausarbeitet: derjenigederMacht- politik. Machtpolitik ift keineswegs dasfelbe wie Defpotismus oder Tyrannei. Nicht Nero, Dfchin- gis-Khan oder irgendein blutgieriger Negerfürft bilden ihren wahren Ausdruck, fondern welt- gefchichtliche Gehalten, wie Perikies, Julius Cäfar, Karl der Große, Oliver Cromwell, Lud wig XIV., Friedridi II., Napoleon, Bismarck. Ihr erfter unverfälfehter Theoretiker aber ift der Florentiner Machiavelli. Niccolo Machiavelli (1469 bis 1527) ift politifch nur aus feiner Zeit heraus zu begreifen. Er war felbft nur der neben geordnete Staatsfekretär der kleinen Stadtrepu blik Florenz, mit Neapel, dem Kirchenftaat, Mailand und Venedig eines der fünf Mittel- ftaaten des gänzlich zerfplitterten damaligen Italiens, die allefamt in dem Wettfpiele von Bündniffen oder Feindfchaften miteinander und mit den großen auswärtigen Mächten (Frank reich, dem deutfehen Kaifer, Spanien) um den größeren Einfluß ringen. Da wird die Politik gleichfam zum kunftvollen Brettfpiel um die nackte Macht, bei dem ein jeder Spieler den Gegner durch größere Gewandtheit zu über trumpfen ftrebt. Kein Verftändnis für irgend welche Moral, die völlig in die Sphäre des Pri vatlebens gedrängt wird; noch weniger für das die Staaten und deren Beherrfcher bloß fchwach machende Chriftentum. Der Fürft (»II principe«, 1516 gefchrieben) muß die Eigenfchaften des Löwen und des Fuchfes in fich vereinigen, ift an * Eine genauere und lebendige Schilderung habe ich in meinem Buche »Von Machiavelli bis Lenin. Neuzeitliche Staats- und Gefellfchaftstheorien« (mit 8 Bildniffen, Quelle & Meyer, Leipzig, 1926, 287 Seiten) gegeben.