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Das Schiff
- Bandzählung
- 1928
- Erscheinungsdatum
- 1928
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-25.1928
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192800007
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19280000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19280000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 3, März
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
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3$eim &risemr Der Barbiergefelle knüpft die Serviette um den Hals des Kunden, den er rafieren foll, beginnt dann einzufeifen und zu plaudern: »Nichts Schlimmeres gibt’s für ’nen Menfchen, Herr Kommerzialrat, als feinesgleichen bedienen zu muffen. Haben Sie Dienftboten?« Der Herr verträgt offenbar keine Fragen. Schließt die Augen, will fein Gelicht, aber nicht feinen Geifl preis geben. Der Gehilfe ergreift das Rafiermeffer, packt den Kunden am Ohr, und deffen Zorn legt fich ebenfo rafch, wie er aufbraufen wollte. Denn der Herr Kommerzialrat fieht den Blick des Menfchen, der ein Meffer gegen feine Kehle zückt. »Rühren Sie fich nicht, ich könnte Sie fchneiden. Was würde man dann fagen? Der Herr Kommerzialrat war fchuld daran, würde man fagen, er hat einen Nervenanfall gehabt.Sind Sie verrückt? Ich nicht.Faftwär’ich’s geworden, in meiner früheren Stellung als Kammerdiener. Herr! Rühren Sie fich nicht und hören Sie auf meinen Rat: wenn Sie das Schickfal je zwingt, einen Beruf zu ergreifen — werden Sie nicht Bedienter! Sie haben Diener, und fie nennen Sie Herr. Sie haben Arbeiter, und fie nennen Sie Chef. Hier aber find Sie nur Kunde, und wenn ich überhaupt das Wort an Sie richte, gefchieht es nur, weil es ein alter Brauch in meinem Gewerbe ift. Verliert fich auch allmählich — wegen der illuftrierten Zeitfchriften. Welche Politik ziehen Sie vor? Die royaliftifche von Herrn Leon Daudet, die fozialiftifche von Herrn Cadiin, die agrarifche des beredten Kikero, Abgeordneten der Provinz Calnados, oder die des Ruffen Liketerin, Riketetin?« Das kommerzialrätliche Geficht hat jetzt die gleiche Farbe wie der daraufliegende Seifenfchaum. Das Rafiermeffer kitzelt den würdigen Mann an der Schlagader. Er weiß: wenn er fich dem Wahnfinnigen nidit fügt, ift er verloren. Mit verzerrtem Munde lächelt er dem Gehilfen zu. Der erwidert feine Höflichkeit, indem er ihm die Zungenfpitze zeigt, und fpricht munter weiter: »Ekelhaft, wenn ein Menfch die Zimmer aufräumen und dann bei Tifch bedienen muß: diefelben Hände, die das Nachtgefchirr ausleeren, reichen die Speifen. Na — jetzt bin idi Frifeur und denke über andere Dinge nach. Zum Beifpiel: Warum feift man die Haare ein, ehe man fie abrafiert? Man könnte fie ebenfogut einölen. Da liegen Sie vor mir, wie ein Stück Eifen auf der Drehbank des Mechanikers: ich fette Sie ein, ehe ich midi mit meinem Werkzeug an Sie mache — damit das Schneiden weniger weh tut, verliehen Sie? Ich könnte, ftatt Seifenwaffer, Öl anwenden — wie in der Mechanik. Aber ich würde dann vielleicht Ihren Rock fleckig machen, der aus fdiönem, reinwollenem Tudi ift. Ich habe immer, in jedem Berufe, viel nachgedacht. Ich bin kein Arbeiter, nicht mehr ein Bedienter, und wir mögen es auch nicht, wenn man uns Frifeurgehilfen nennt. Wir findHaarkünftler.Jetzt habe ich meinen wöchentlichen Ruhetag, den man mir in meiner früheren Stellung ver weigerte. Es ift mir nicht fo gut gegangen wie dem lieben Gott. Der durfte am fiebenten Tage ausruhen, ohne es recht verdient zu haben. Denn er hat mangelhafte Arbeit geleiftet und hat dazu mehr Zeit gebraucht, als man denkt. Sehen Sie, bei meinem früheren Herrn waren oft Gelehrte zu Tifch gebeten (fie nahmen von jeder Speife zweimal), 18 (Einzig berechtigte deutfche Übertragung von Anna Nußbaum, Wien) und da hab’ ich fagen hören, daß jeder Tag der Genefis fiebentaufend Jahre ausmacht. Gott arbeitete fechs Tage lang, alfo zweiundvierzigtaufend Jahre, und ruhte fieben taufend Jahre aus, was als ein Vorläufer des Gefetzes vom 13. Juli 1906 angefehen werden kann, das hier an- gefchlagen ift: die wöchentliche Arbeitspaufe muß eine Dauer von vierundzwanzig aufeinanderfolgenden Stunden haben. Ich verlange die Ruhe eines Tages der Genefis: fiebentaufend Jahre. Mein Beruf geftattet mir nachzudenken, was nicht jeder mann möglich ift. Der Reiche hat Zeit, Geld auszugeben, aber feiten Muße nachzudenken. Haben Sie fchon mal über die Elektrizität nachgedacht? Nicht? Sehn Sie. Aber ich. Alfo: es gibt wilde Elektrizität, den Blitz, und die ge zähmte, die am Zähler angezeichnet wird: fünfunddreißig Centimes das Hektowatt. Das erftaunlichfte in der ge zähmten Elektrizität ift keineswegs, daß ein Feuerfunke in einen Draht übergeht, fondern: Sie drücken auf einen Knopf, und fofort erfcheint ein Bedienter. Ein Menfch, der einen andern Menfchen faubert, ihm Effen und Trinken reicht . . . Soll ich Ihnen mein Herz eröffnen, Herr Kommerzialrat? Am bellen, meine ich, wird es für Sie fein, wenn ich Ihnen mitteile, was wir Haarkünftler von den Kunden denken. Es kommt Ihnen nie zu Bewußtfein, daß in dem Kopfe des Menfchen, der Ihnen die Schuhe putzt, das Effen bringt oder die Haare fchneidet, auch Ideen vorhanden fein könnten. Ich bin, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, genötigt, meine Finger auf Ihr Geficht zu legen. Ihnen den Kopf zu wafchen. Dies ift widerwärtig und fchimpflich: Das Trinkgeld, und fei es noch fo groß, gibt mir meine Menfchenwürde nicht zurück. Jedesmal, wenn ich mit dem Rafieren fertig bin, fühle ich mich erniedrigt. Sie könnten mir meine Ehre nur wiedergeben, wenn ich Ihnen, fobald Sie diefen Stuhl verlalfen, einen Tritt in den Hintern verletzen dürfte. Ich hab’ hier fchon Verlaufte gehabt, Herr Kommerzialrat, und raffiniert Saubere, wie Sie, die fich niemals zufriedengeben. Wenn ich den Kopf von fo einem Schwein von Kunden in der Hand halte, frag’ ich mich zuerft, was für eine Krankheit er hat, dann, was er denkt. Ich wünfchte, man könnte Ideen photo graphieren. Die Pfychiater werden fchon noch fo weit kommen. Man kann fehr gut ausfehen, einen gekräufelten Schnurrbart und ein krankes Gehirn haben . . . Welches Haarwaffer wünfchen Sie, Herr Kommerzialrat? Petroleum, Eau de Quinine? Wenn Sie mal falfche Haare brauchen, denken Sie an mich. Ich werde Ihnen was Hübfches machen lallen, aus Ihren eigenen Haaren, wenn möglich, follte es noch welche auf Ihrem Kopfe geben. Mit Hilfe unferer kunftvollen Arbeit verfchönern wir fogar einen fo abfcheulichen Schädel, wie der Ihrige ift. Sie pflegen ihn fchlecht, Herr Kommerzialrat, fehr fchlecht. Sie bleiben Ihrem Frifeur nicht treu. Wie unrecht von Ihnen! Man foll niemals die Hand wedifeln, damit man immer denfelben Schnitt hat. Wenn Sie wiederkommen, fragen Sie nur nach mir. Ich heiße Ludwig, wie die Könige von Frankreich: LudwigIX., der ein Heiliger war; Ludwig XI., ein Lump; Ludwig XIV., ein elender Verfchwender; Ludwig XV., ein Zuhälter; Ludwig XVI., eine Memme, und Ludwig XVII. nicht mal das... — Ein wenig Puder? Sie bluten... Ka—ff—faü Einmal Rafieren!« Pierre Hamp (Paris)
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