DAS SCHIFF BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN / H E FT 6 / J U N I 19 2 8 SCHRIFTLEITUNG: E R N S T P R E C Z A N G. BERLIN SW 61. DREIBUNDSTRASSE 9 DIE DREI HAUPTTYPEN NEUZEITLICHER STAATSAUFFASSUNG B. DER LI B ER A L- IN D IVI DU ALI STI SCH E TYPUS Der Fortfehritt von der mittelalterlichen Gebun denheit zur Befreiung des Individuums, den Renaiffance, Reformation und Humanismus neben den neuen Erfindungen und Entdeckun gen um die Wende des 16. Jahrhunderts auf dem künftlerifchen, religiöfen, philofophifchen und wirtfchaftlichen Gebiete bezeichnen, tritt auf politifchem Felde langfamer zutage. Immer hin ruft der Abfolutismus der Monarchien von dem letzten Viertel des Jahrhunderts an in den »Ständen« eine liberale Oppofition (Entgegen- ftellung) hervor. Zuerft in den zwifchen 1573 und 1599 veröffentlichten leidenfchaftlichen Flug- fchriften der fogenannten >Monarchomachen<, das ift Monarchenbekämpfer, die es feit der Vertreibung der altrömifchen Könige 510 v. Chr. bis zu den Fürftenabfindern von 1926 von jeher gegeben hat. Solche Schriften erfcheinen in Frankreich,Schott land und Spanien und richten Geh,mit religiöfen Angriffen untermifcht, gegen das ihr Bekenntnis (Hugenotten, Presbyterianer) bedrückende Kö nigtum, in Spanien gegen ungläubige oder ty- rannifch regierende Herrfcher überhaupt, die von den Ständen abgefetzt, ja im Notfälle ge tötet werden dürfen: während die lutherifchen Theologen Deutfchlands das Recht der zu ihren Gunften waltenden evangelifchen Landesfür- ften verteidigen. Bei diefer Gelegenheit ent wickelt der unter dem Namen des altrömifchen Königsftürzers Junius Brutus fchreibende Fran- zofe Hubert Languet 1579 zum erftenmal den Gedanken eines urfprünglich zwifchenHerrfeher und Volk gefchloffenen Vertrages. Jean Bodin fordert demgegenüber in feinem Buche »Vom Staate« (1577) die Souveränität einer an die Ge- fetze Gottes und der Natur gebundenen Wahl oder Erbmonarchie, welche die Rechte der Kor porationen, Gemeinden und Stände zu achten und die perfönliche Freiheit fowie das Privat eigentum derBürgerunverletztzu bewahren hat. Freimütiger als er verlangt der Rechtsprofeffor in Herborn, dann Syndikus der Stadt Emden, Johannes Althaus in feiner »Politica« (1603) die Oberherrlichkeit desVolkes, das freilich bei ihm noch durch die damaligen Stände: Städte, Ritter, Geiftliche und (zum erftenmal) Bauern,vertreten wird, und prägt dabei das Wort von der »Volks majorität«! Er baut den Staat auf von unten nach oben in Familie, Berufsgenoffenfchaft, Ge meinde, Provinz, Gefamtftaat. Noch radikaler geht in feinem Kampf gegen die Macht des Kö nigtums für die Freiheit desVolkes und nament lich der Preffe (Hauptfchriften 1644—1652) der englifche Republikaner John Milton, der Dichter des »Verlorenen Paradiefes«, vor; er ift auch gegen alle Ungleichheit in Schule, Kirche und Familie und fclion damals für öffentliche Schulen unter Aufficht des Staates eingetreten. Das Natur- und Völkerrecht wurde zuerft 1625 begründet von dem Holländer Hugo Grotius, der den Staat als »die vollkommeneVereinigung freier Menfchen« aus dem Gefelligkeitstrieb her leitet und als moralifchen Organismus recht fertigt, den Krieg nur, falls offenbares göttliches oder natürliches Recht verletzt ift, der auch dann nur nach den Grundfätzen der Menfchlichkeit zu führen ift. Für die befte Politik erklärt er Treue und Redlichkeit. Seine Jugendfchrift über das »freie Meer« (1609) vertritt den Freihandel. Grotius hat nachhaltig auf die deutfehen Natur rechtler und Philofophen PufendorfiThomafius, Leibniz und Chriftian Wolff (um 1660 bis 1750) gewirkt. Baruch Spinoza verbindet mit einem gemäßigten, der holländifchenVerfaffung feiner Zeit verwandten Liberalismus fchon einzelne fehr moderne Gedanken, wie zum erftenmal volle Gleichberechtigung jedes religiöfen oder wiffenfchaftlichen Bekenntniffes, außerdem all gemeine Wehrpflicht (Miliz) und eine fall ftaats- fozialiftifche Bodenreform. Gleichfalls Holland entflammt der früh nach England ausgewan- derte Arzt Bernard de Mandeuille, der in feiner