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Das Schiff
- Bandzählung
- 1926
- Erscheinungsdatum
- 1926
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-23.1926
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192600005
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19260000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19260000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 2, Februar
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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Lippen, die ein wenig offen Händen, wand Geh das unermüdliche Lächeln wie eine Eidechfe. Es fdiien zu wedifeln und blieb doch immer dasfelbe, eine geheimnisvolle Rune, die Geh in die Züge gegraben hatte. Ridiard Lemm preßte fein GeGcht mehr an die Glasfcheibe. »WahnGnnige Farbe«, flüfterte er noch einmal, und dann lachte er fpitz auf. »Die gibt es ja gar nicht.« Nun war es der Freund, der ihn fortzog. »Es ift zwei Minuten vor acht. Wir kommen zu fpät.« Die Knaben jagten in wildem Wettlauf in das Portal der Schule hinein. Dann preßte die Sdiul- bank Richard Lemus lange Geftalt wie ein Schraubftock zufammen, fchien feine ausein anderfließenden Gedanken zufammendrücken zu wollen. Und doch war er den ganzen Vor mittag zerflreut und unruhig im Unterricht, als quälte ihn etwas Unbeflimmtes, das er noch löfen mußte, genau fo rätfelhaftund peinigend wie die Vorflellung der mathematifchen Un endlichkeit. Auf dem Heimweg drehte die Puppe hinter der Glasfcheibe ihm fchon von weitem den Kopf entgegen. Für ihn fpitzten Geh diefe Lippen, für ihn entblößten Geh diefe Schultern, deren ge heimnisvolle Linien — »Waren es nicht Ellip- fen?« dachte Richard — im Schleierfloff zerran nen. Schließlich lohte das rote Haar vor den Augen des Knaben. Rot fchlug der Rauch auf der Eifenbahnbrücke ihm in die Augen, und als er am Mittagstifch in fein Glas Harrte, fah er im Wafferglanz die gefpenflifche Geflalt auf und nieder tauchen. »Richard! Was träumH du denn?« rief fein Va ter ihn an, der Geh ermüdet und mißmutig in feinen Stuhl zurücklegte. »Erzähle, was heute in der Schule vorging.« »Heute ? Gar nichts«, fagte Richard, der haHig zu effen begann. »Kannfl du dieZähne nicht auseinanderbringen ? Du biG fprechfaul und unerzogen!« Herr Lemm Hieß heftig feinen Teller zurück. »Vielleicht fühlt er Geh nicht wohl«, unterbrach ihn Richards Mutter und legte dem Knaben die Hand auf die Wange. Er fchob Ge fogleich fort wie eine peinliche LaH. »Mir iH gut. In der Schule gefchieht eben nichts, jeden Tag nur dasfelbe.« Als der Knabe das Zimmer verlaffen hatte, fagte Frau Lemm mit ihrer leichten flimmern den Stimme zu ihrem Mann: »Wir müffenNachGcht mitihmhaben. Er kommt in die Entwicklungsjahre.« Herr Lemm fah feine Frau mit überlegenem halbem Lächeln an: »Du hafl vollkommen recht. Aber wir helfen ihm am beHen, wenn wir ihn anhalten, Geh zu- fämmenzuraffen.« Ein öder Nadimittag breitet Geh für Ridiard aus mit aufgefchlagenen Sdiulbüchern auf dem tintenbefleckten Tifch, mit Dampfmafchinen, die zwifchen feelenlofen Zähnen immer diefelbe Zeit zermahlen, mit den bunten Tupfen lofer Briefmarken zwifdien den Heften; unendlich lang und zäh ifl diefer Nachmittag, und dann kommt die Nacht mit ihrer quälenden Finfler- nis, in die er einfährt wie ein Bergmann in den Schacht. Die unendliche Linie der Mathematik und die rätfelhafte Linie der Frauenfchultern, die Gdi auf der fdiwarzen Tafel der Wand fei nem Bett gegenüber aufzeichnen, bleiben Ge- heimniffe, in die man vergeblich hineinflarrt. Da wird die Tür durchGchtig, in einem Streifen Licht gleitet die Mutter an fein Bett. Sie will feine beiden Hände fanft zwifchen ihre Hand nehmen; aber die rauhen jungen Hände Gnd zu groß geworden. So faßt Ge fpielend zwei Finger, ihre Hand ifl eine kleine Wiege, die des Sohnes Finger hin und her fchaukeln. »Kind, was bedrückt dich? Vor mir darffl du keine Geheimniffe haben.« Der Knabe wirft Geh heftig herum; in einem wohligen Gefühl des Behütetfeins bohrt er die Nafe in die Kiffen, wie er es als kleines Kind getan hat. »Nein, nein. Mir fehlt nichts. Warum fragfl du fo komifch?« »Gar nichts? Wirklich?« Aber während Ridiard die Wärme der Mutter fühlt, die ihn näher an Geh zieht, fpürter plötz lich das Weiche, Fremde, Unheimliche dicht an feinem Kinn. Er erfchrickt und reißt Geh los. »Ich bin müde. Gute Nadit, Mama.« Und Frau Lemm, ratlos, betäubt von diefem Unbekannten, das Geh zwifchen ihr und dem eignen Kinde aufrichtet, hufcht ohne Laut aus dem Zimmer. Richard iH allein, und aus dem Dunkel brechen aufs neue die Liditbilder feiner wirren Träume hervor. Am kommenden Morgen war die Klingel des Weckers, den er felbH auf fechs gehellt hatte, herrliches Geläute, das ihn hochriß. In wilder Eile warf er die Kleider über und verließ eine ViertelHunde früher als fonH das Haus. Über die Eifenbahnbrüdce jagte er, ohne Geh aufzuhalten,
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