NUMMER l JANUAR 1926 VA LT IN HARTIG / LEIPZIG DIE KULTURAUFGABE DER ARBEITERSCHAFT In kurzen Worten gefagt heißt ße: eine Gefell- fchaft zu errichten, die aus dem Geift der Arbeiter- fchaft gewachfen ift. So weit, fo gut. Fragt Geh allerdings, ift das möglich, und was befagt das »aus dem Geifte der Arbeiterfchaft«. Überblicken wir den Lauf der Gefchichte, fo tritt uns mehr als eine Gefellfchaftsordnung ent gegen, die ein ganz beftimmtes Gepräge trug, die aus dem Geift ihrer Träger gewaebfen war; z.B. die klerikal-feudale des frühen Mittelalters, die bourgeoife des 19.Jahrhunderts. In ihnen läßt Geh ein geftaltendes, jede Äußerungsform der be treffenden Gefellfchaft mitbeftimmendes, über all nachzuweifendes Prinzip zeigen. Dort die autoritäre Gebundenheit, hier der kämpferifche Individualismus. Damit foll nicht gefagt fein, daß ein folches Prinzip eine aus Geb felbft wir kende Kraft darftellt. Mit einem folchen Prinzip will man nur die Tatfache ausdrücken, daß die zahllofen Äußerungen des gefamten Lebens der Gefellfchaft einer folchen Epoche etwasGemein- fames haben, das Prinzip ift für unfer geiftiges Aufnehmen nur der zufammenfaffende Hilfs begriff. Nun ift aus der wirtfchaftlichen Welt feiner individualiftifchen Epoche eine Bevölke- rungsfchicht herangewachfen, die fo zahlreich ift, daß Ge den größten Teil des gefamten Volkes umfaßt. Ihre Zahl und die Wucht ihrer Lebens- bedürfniffe wurden groß genug, um diefe Be- völkerungsfchidit in den Mittelpunkt der Sorge ftaatlichen Seins zu Hellen, die foziale Frage wurde allmählich zu dem wichtigften Probleme der beftehenden Gefellfchaftsordnung, die Geh durch die Bedeutung der neuen Klaffe geradezu — und mit Recht — in ihrem Beftand bedroht fah. Diefe Bedeutfamkeit im wirtfchaftlichen Leben des Volkes muß Geh felbftverftändlich auch im geiftigen Leben derNationen ausprägen. Die Frage ift nun, gefchieht das nur von der Seite des feither Beftehenden oder entwickelt die neue Schicht eigne kulturgeftaltende Kraft. Das letzte wird nur möglich, wenn diefe neue Schicht in Geh fo eigenartig und einheitlich ift, daß Ge von der alten Gefellfchaft als irgendwie gegenfätzlich zu ihr empfunden werden kann. Mit andern Worten, wenn ein neues Kultur prinzip in Erfcheinung tritt. Das ift tatfächlich der Fall. Und diefes Prinzip heißt Gemeinfchaft. Damit foll freilich nicht ge fagt fein, als ob die Gemeinfchaft als kultur bauender Faktor früher nicht behänden habe. Im Gegenteil. Sie ift die Grundvorausfetzung und Tatfache alles menfchlichen kulturellen Seins. In der Spannung Individualismus—Ge meinfchaft fpielt Geh das Leben der Gefellfchaft ftändig ab. Wir benennen die Epochen nur danach, welcher der beiden Pole der gerade ftärkere ift. Und fo gehen wir nach einer Zeit der ftarken Ausprägung des hemmungslofen In dividualismus deffen Zähmung entgegen durch die fchärfere Hervorkehrung feines Gegenfatzes. Diefe Aufgabe fällt im befondern der Arbeiter fchaft zu. Die beftehendeindividualiftifcheKulturiftkeine des Arbeiters. Der Ge Geh aneignet, hört auf, Arbeiter zu fein. Er wird irgendwie vielleicht Intellektueller, im bellen Fall, empftndet feine Berufsarbeit als Lall, die er fo rafch wie möglich abzufchütteln fucht. Die Aneignung jener Kultur erfordert fchon fo viel Zeit, daß ein Arbeiter, ganz abgefehen von den für ihn unerfchwing- lichen Koften, nicht dazu kommt. Nun kann ganz gewiß eine folche Kultur kein Ziel der Arbeiterfchaft fein. Sie bedeutet wefentlich eine