DAS SCHIFF BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN SCHRIFTLEITUNG: ERNST PRECZANG, BERLIN SW61, DREIBUNDSTRASSE 9 NUMMER 7 JULI 1926 DR. ARMIN T.WEGNER / CHARLOTTENBURG ASIEN DER SCHLAFENDE TIGER Ein neues Zeitalter der menfchlichen Raffen ift angebrochen. Aßen nimmt die Fäden feiner ge- fchichtlichen Vollendung auf. Auch die Politiker des Weftens, die eine friedliche Entwicklung Europaserüreben,werden erkennen miiffen, daß ihr Kampf vergeblich fein muß, wenn fie ihn nicht in engfter Fühlung mit den Ländern des Oltens führen. Der Orient mit feinen großen künft- lerifchen und wirtfchaftlichen Werten bietet den ftärkften Anreiz für die kapitaliftifche Habgier dar. Die Mehrzahl der Kriege in den letzten Jahr hunderten find Handelskriege oder Kolonial kriege gewefen, die ihre nicht weniger graufame Fortfetzung in einem verbrecherifchen Handel fanden. Die ganze Welt fpaltetefich in zweiKlaf- femdiebefitzlofenunddiebefitzendenVölker.Ein gefchloffener Ring von reich gewordenen Welt unternehmern des Weftens zwingt die immer mehr verarmenden und entartenden Mafien des Orients, raftlos für fie zu arbeiten, während fie fich gleichzeitig der unerfchöpflichen Menfchen- behälter diefer Länder bedienen zur Aushebung farbigerTruppen. Dennoch geftatten die Völker desWeftens den auswandernden Gliedern diefer Raffen, aufdiefiemit einem durch nichts gerecht fertigten Hochmut wie auf halbe Tiere herab- fehen, nicht, fich in den von ihnen beherrfchten Ländern anzufiedeln. Die Härte und Ungerech tigkeit diefes Gegenfatzes tritt um fo deutlicher hervor, als wir einen großen Teil unfrer eigenen Kultur diefen Ländern verdanken, die überwie gende Mehrzahl der Menfchen in Aßen wohnt und im Grunde genommen ganz Europa vor dem mächtigen Bufen diefes Erdteils nicht mehr als eine zierliche Infel bedeutet. Auf diefe jahrhundertelange Tyrannei des Weftens trat eine natürliche Rückwirkung ein. Sie begann mit dem Aufftieg Japans, das fich über Nacht alle jene Mittel der Zivilifation zu eigen machte, mit denen wir felbft es bedrohten. Ihm folgte in immer erneuten Aufftänden und Revolutionen der ftündlich wachfende Selbftän- digkeitskampf Arabiens, Indiens und Chinas. Eine panaßaUfche Bewegung hat eingefetzt, um die unterdrückten Völker Afiens zufammenzu- fchließen und auf friedliche oder gewaltfame Art den Ring zu fprengen, den das felbftfüchtige Europaum denErdball fpannte.In diefemRingen hat Japan die Führung, erfüllt von dem ftreng- ften kapitaliftifchen und militariftifchen Geifte, den es von Europa übernommen hat. Das Ende diefer Entwicklung fleht deutlich vor uns: ein bewaffneter Aufftand des gefamten Oftens, zu dem der Wettbewerb Amerikas und Japans in den Ländern des Stillen Ozeans nur den befchei- denen Auftakt bildet. Amerika und Japan als Vorpoften in jenem größeren Kampf: Europa— Afien. Möglich auch, daß Japan, »das Deutfch- land des Oftens«, das namentlich in China er- oberungsfüchtige Pläne verfolgt, ein ähnliches Schickfal wie das mittlere Europa erleidet und durch die Überfpannung feiner kriegerifchen Fähigkeiten unterliegt. Wahrfcheinlicher: daß Europa, da der Afiate dem Afiaten näher fleht und ihn leichter begreift, fich trotz aller zuweilen fehrfchwerwiegendenGegenfätzeimOften einer gefchloffenen Front gegenüber fieht. Was kann Europa tun, um diefe fall unabwend bare Entwicklung zu einem unblutigen Ende zu führen? 1. Europa muß den Grundfatz »Afien den Afiaten« als eine berechtigte Forderung an erkennen. 2. Afiaten müffen in den von Euro päern bewohnten oder beherrfchten Ländern die gleichen Rechte wie Europäer in Afien genießen. 3. Alle Verfuche müffen eingeftellt werden, frem den Kapitalismus und Handel den öftlichen Völ kern aufzuzwingen. 4. Europa muß durdi den Beginn feiner Selbftabrüftung beweifen, daß Afien zu feiner Befreiung die Mittel unfres Mili tarismus nicht mehr nötig hat. 47