DAS S C HIF BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN SCHRIFTLEITUNG: ERNST PRECZANG, BERLIN SW61, DREIBUNDSTRASSE 9 ————I^1 ■■■■■■■■■■■■—— ™'" NUMMER 8 AUGUST 1926 WILLY MÖBUS / BERLIN DIE ENTSEELUNG DER ARBEIT Es fcheint, daß die Idee der Freiheit fo alt ift, als Menfchen denken können. Aber Freiheit ift leider etwas, was noch niemand fo recht zu erklären vermochte. Der begeifterte Techniker, der eine neue Mafdiine fchuf, die mit einem Schlage die Arbeit zahlreicher Menfchen fpielend tat, träumte von der Befreiung vom Joch der Arbeit. Arbeiter aber zerfchlugen feine Mafchine: lie fürchteten den eifernen Wettbewerber! Und als diefer lieh ftärker erwies, als fie glauben konnten, weil er einer fchöpferifchen Idee fein Dafein verdankte, und weil die Madit des Geldes ihn ftützte, da haßten lie ihn mehr noch als zuvor mit ftillem Ingrimm, denn er zwang ihnen fein Tempo auf, veränderte ihre Lebensgewohn heiten und riß fie aus alten, vertrauten Geleifen heraus. Der begeifterte, fchaffensfreudigeTech- niker aber hatte der Mafdiine etwas von feiner Seele eingehaucht, feinem Geilt war die Idee entfprungen; welche Freude mochte er emp funden haben, als die Mafchine »ging«, als fie leiftete, was er von ihr erhoffte. Er hatte hier im wahrften Sinne »befeelte« Arbeit vollbracht. Wenn man heute von der »Entfeelung« der Arbeit fpricht, fo denkt man fogleich an Taylor und Ford oder auch an Normung und Typung, vielleicht auch an die Pfydiotechnik. Man lieht ungezählte Taufende in jagender Haft gleich förmige Bewegungen machen, beobachtet von kalten Augen, die die Bruchteile der Sekunden auf der Stoppuhr zählen, um feftzufteilen, ob die letzte Höchftleiftung nicht doch noch zu über bieten fei. Man fieht die Herren der Betriebe an ihren Schreibtifchen fitzen, wie fie mit kühler Überlegung aus den Sekundengewinnen Gold gewinne herausrechnen, die es ihnen ermög lichen, die Dividenden zu erhöhen, den Aktien wert zu fteigern, die Werke zu vergrößern und ihren Machtbereich zu erweitern. Man fühlt, wie der einzelne für diefe Großen im Reiche der Wirtfchaft zu einem wefen- und feelenlofen Nichts einfehrumpft, wenn fie ihren ehrgeizigen Plänen nachjagen, die zu Konflikten oder auch zu ungeheuren Zufammenballungen führen, die die Welt wiederum in Atem halten oder den Diplomaten Arbeit fchaffen, die leider nur zu oft von den »Politikern mit den andern Mitteln«, den Militärs, fortgefetzt wurde. Wenn dann diefe gewaltige Entwicklung, die in unfrer Über- legungbei der Stoppuhr begann, foweitgediehen war, dann wurden die vom Sekundenteufel ge hetzten namenlofen Maffen wieder in Reih und Glied geftellt, bewaffnet und wie feelenlofe Wefen in den Tod getrieben. Vielleicht aber er griffen auch viele von ihnen nur zu gern den Beruf eines Soldaten, weil fie hofften, von der Einförmigkeit der Fabrik erlöft zu werden, viel leicht glaubten fie, durch das große neue Erleb nis ihr feelifches Gleichgewicht wiederzufinden, denn immer noch fchlummert in den Hirnen der Menfdien die Romantik vergangener Tage: »Im Felde, da ift der Mann noch was wert«; aber eines Tages miiffen fie erkennen, daß fie lieh auch darin geirrt hatten . . . »Ja, in der guten alten Zeit!« fagen dann oft die Enttäufchten. Sie denken die Gedanken Eichen dorffs und anderer noch einmal, die ihnen die Schule vermittelt hatte, nachdem Eichendorff und feine Epoche fchon lange der Vergangenheit angehörten. Da ift der fröhliche Handwerks- burfche, der hinauszieht in die Weit und munter fein Lied im Wettftreit mit der Lerche fingt: »Wem Gott will rechte Gunft erweifen«, oder: »Wer recht in Freuden wandern will« und wie diefe gemütvollen Lieder alle heißen. Ja, in der guten alten Zeit, in der derMenfch noch etwas galt, wo Handwerkerftolz und Gerechtigkeit herrfchten, wo es noch keine Mafchinen gab, und wo ftatt des fchrillen Pfeifens der Loko motive das Pofthorn luftig klang. Die gute alte 53