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Das Schiff
- Bandzählung
- 1926
- Erscheinungsdatum
- 1926
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-23.1926
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192600005
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19260000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19260000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 1, Januar
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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wir fahen das enge Tal: verftiimmelte Kindheit, und der Taufende Wald hieß: Not. Aber fchon leuchteten uns fchöne Steine: Laffet uns hoffen! Das Schickfal warf mich in Genua auf ein Meines Küftenfchiff und brachte mich meinen Kame raden, einem jungen Bildhauer namens Jonas und einem jungen Wiener Anflreicher namens Scheffel, näher. Scheffel fuhr als Schübling auf diefem Dampfer. In Nizza war er wegen Vaga- bondage aufgegriffen und wurde jetzt über Ge nua, Neapel und Brindifi in feine Heimat abge- fchoben. Er war jung wie wir, achtzehn Jahre alt. Sein Mund war verbittert. Nadi allen Him melsrichtungen wirbelte fein fchwarzes Haar. Seine Hände waren die richtigen Arbeiterhände, grob und groß, nidit viel anders als Werkzeug in der Fabrik. Der Sturm hob und fenkte unfer kleines Schiff. Es tanzte auf den nachtgrünen Fluten auf und ab. Wir konnten nicht fchlafen, {fanden am Heck des Dampfers und waren ergriffen und begeiftert von der braufenden Wüfle des Meeres, der fchäumenden Gewalt der fich brechenden Wogen und vom Sturm, der gewaltige Berge auf türmte und in heulende Täler ftürzte. Lange blieben wir flumm, dodi endlich bradi Scheffel das Schweigen. »Auf und ab,« feufzte er, »auf und ab, fo wie das Meer ifl audi unfer Leben. Wir werden hin und her gefchleudert, und doch gibt es Menfchen, die haben das fefte Land erreicht, wohnen und leben gut und Gelier, inmitten blühender Gärten. Ich denke an Nizza. Die Riviera ift ein einziger blü hender Garten. Für uns verbotenes Land. Mit Hunden werden nachts die Palmengärten und Olivenhaine nach den fogenannten Vagabunden abgefudit. Midi haben Ge fo gefunden. Wenn dich die Polizei in den Händen hat, bift du ver loren. Dann ift es aus. Sie machen kurzen Prozeß. Vier Wodien faß idi im Gefängnis. Dann wurde ich abgefchoben.« »Was willft du tun?« fragte ich, »an der Grenze werden Ge didi wieder greifen und ins Arbeits haus flecken.« »Weiß ich, weiß ich,« antwortete Scheffel, »aber in BrindiG baue idi ab, verblühe, madie midi unGditbar. Arbeitshaus, das ift beinahe wie ein Galgen. Mein Lehrer hat mir immer prophezeit,« fetzte er verbittert hinzu, »daß idi einmal am Galgen enden würde«. »Tröffe dich mit mir,« ladite Jonas hell auf, »auch ich foll ja im Zuchthaus enden. Die Lehrer Gnd fchlechtePropheten,meinLieber: erzähle,warum du unbedingt an den Galgen foilft.« »Das ift bald erzählt,« fagte der Sdiübling und machte ein verächtliches GeGcht. »Wir waren arm, deshalb der Galgen. Als ich das letzte Jahr die Schule befuchte, wurde eine Statiftik ange legt. Wenn fchon Elend fein muß, dann wenig- ftens behördlich geordnetes, mein Sohn. Haupt frage: Was ift dein Vater? Nun, diefe Frage war die Schlinge, in die ich meinen Kinderkopf legte. Die Väter meiner Kameraden waren Gärtner, Bauern, Schutzleute, kleine Beamte. Nur mein Vater war nichts. Er war ein arbeitslofer, lungen kranker Steinmetz, dem der feine Sandftaub die Bruft zerfreffen hatte. ,Wo arbeitet dein Vater?' fragte mich der Lehrer. ,Mein Vater ift krank,' fagte ich, ,aber er fucht Arbeit'. ,Dein Vater fucht Arbeit?' fragte der Lehrer, der midi nicht liebte,, womit fucht dein Vater Arbeit? Mit dem Opernglas oder mit dem Schubkarren?' Die Kinder laditen herzlos. ,Mit feiner zerfreßnen Lunge, Herr Lehrer,' fagte idi, das Herz voller Scham und Wut.« »Und dann wünfchte er dich an den Galgen?« fragte Jonas. »Da wünfchte er mir den Galgen,« wiederholte Scheffel. »Seht,« fuhr er dann fort, »fo ift das Leben. Immer ein heulendes Auf und Ab. Selten grüßt uns das rettende Land. Als idi aus der Schule kam, ftarb der Vater. Da lief ich davon, türmte bis an die Riviera, und nun haben Ge midi gefaßt. Nun gut, wir haben eine dicke, geduldige Haut, aber in einem hatte der dumme Lehrer trotzdem recht: Schubkarren und Opernglas! Da fdiiebt der Arme und Kranke wie auf einem Karren fein Elend durch die Stadt, die zerfreßne Lunge, die kranke Bruft, die vielen Enttäufchun- gen feines Lebens, das kleine Bündel Hoffnung, den großen Packen Verzicht. Dagegen fleht der reidie Mann, der Satte und Gefunde, der Mann am Gehern Land. Er hat alles, der Sichre, der Lächelnde, und w'as feinem Raubtierblick den noch entgehen follte, er findet es trotzdem, denn er beGtzt die fchärfften Gläfer der Welt: viel Zeit und viel Geld.« Der Hafen von Genua war fdion lange verfun- ken und mit ihm die ftrahlenden Lichter von den Bergen und das weiße, wachfame Feuer des Leuchtturms. Der Himmel war fchwarzer, zer fetzter Purpur, Sturm heulte, fdirie und pftff aus taufend grellen Mäulern, und zu feiner verrück ten Symphonie tanzte unfer Schiff über das Meer, beflieg zitternd die dunMen Wafferberge und ftürzte angftvoll in die abgründigen Täler. Für Sekunden blitzte das Feuer eines neuen Leucht-
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