Wir sehen uns einer Wüste von modernen Aufführungen gegenüber, aus der sich sehr vereinzelt die Oase einer klassischen Operettenaufführung erhebt. Zwei Ur sachen sind hierfür anzuführen: Einmal die völlige Abkehr der modernen Libretti vom eigentlichen Sinn, nämlich der witzigen Satire, der zeit- und gesellschafts kritischen Persiflage im Stile einer musikalischen Komödie, zum anderen völlig schablonenmäßige Erstarrung des Operettenensembles in festgelegte und in den einzelnen Werken kaum voneinander zu unterscheidende Typen. Dabei unter zieht man sich weder vom Libretto noch von der Inszenierung her der Mühe, sich von den gängigsten Typen zu lösen und diesen durch originelle Versionen ein neues Gesicht zu geben. Für die Schöpfer solcher Operetten gilt die einfache Regel: Beuge dich dem Geschmack des Publikums, und du hast Aussicht auf Erfolg. Die Tatsache, daß man sich seit Jahren krampfhaft, jedoch ohne sichtbaren Erfolg um eine neue, künstlerische Operette bemüht, beweist, wie schwer es ist, diese Bestrebung zu verwirklichen, zumal wir, die wir um die Erneuerung der Operette ringen, das Gros des Publikums keinesfalls auf unserer Seite haben. Nur eine begeisternde Aktualität (bei der auch das selbstkritische Moment in humoriger Form zu seinem Recht kommen muß) und eine zündende Persiflage im Libretto werden es vermögen, der ach so beliebten „Weltfluchttendenz“ der Operette von heute den Rang streitig zu machen. Daß diese Forderung nach dem neuen Libretto mit der nach einer den obenangeführten Punkten entsprechenden Musik Hand in Hand geht, ist eine Selbstverständlichkeit. Unerläßlich scheint mir ferner die grundsätzliche Neubildung des Operettenensembles, das sich fortan nicht mehr aus agierenden Sängern und witzelnden Routiniers, sondern aus gesangsbegabten Schauspielern zusammensetzen wird, die bei gesanglich besonders schwierigen Partien durch Opernkräfte ergänzt werden können. Der Weg der Operette zum „Morgen" kann also keinesfalls vom „Heute" aus gehen. Er muß vielmehr am „Gestern" anknüpfen, dabei freilich aus den Fehlern des „Heute" lernen, um desto sicherer die vom „Gestern" vorgeschriebene Rich tung in ein hoffnungsvolles „Morgen" der Operette einschlagen zu können. Peter Borkowski Spielleiter der Operette