Charlotte Berend-Corinth Lieber und verehrter Herr Professor Eberhard Hanfstaengl! Zu Ihrem 7 5. Geburtstage fliegen meine herzlichsten Glückwünsche über den Ozean. In Zwischenräumen von Jahrzehnten hatte ich die Freude, Sie häufig wiederzusehen. Wann immer es war, Sie schienen unverändert jung zu bleiben. Das war noch vor zwei Jahren der Fall, als ich Sie anläßlich der großen Corinth-Gedächtnis-Ausstellung in Wolfsburg wiedersah. 1958. Wir feierten gleichzeitig das Erscheinen meines Oeuvre-Kataloges von Corinths Gemälden, dessen großartige Ausstattung Ihr Werk gewesen war. Ich bin überzeugt davon, daß Sie auch an Ihrem 75. Geburtstag ebenso jung aussehen werden wie damals, als Sie uns im Jahre 1924 am Walchensee in unserem lieben Häusel in Urfeld besuch ten. Sie blieben einen ganzen Tag bei uns. Wir waren in vorzüglicher harmonischer Stimmung. Doch Ihr Besuch ging über das persönliche Behagen hinaus. Nämlich einige Tage vorher, am 21. Juli, war der 66. Geburtstag von Corinth gewesen. Die kleine Tochter Mine hatte für den Vater einen bunten Blumenstrauß gepflückt. Der blaue Rit tersporn inspirierte Corinth. Er stellte den Krug mit den Blumen vors Fenster auf einen Tisch mit einer rotkarierten Bauerndecke und malte ein schönes Bild. Und dieses Bild, kaum der Palette entsprungen, erregte Sie, und Sie wollten es unbedingt fürs Museum haben. So flackerte zwischen der bei Tische so fröhlich geführten Unterhaltung heimlich Ihre Unruhe auf, wie Sie des Bildes habhaft werden könnten, denn Corinth zeigte sich sehr wenig geneigt, sich so schnell von dem Bilde zu trennen. Eines seiner Argumente, daß das Gemälde ja klitschnaß, also nicht transportfähig wäre, beschwichtigten Sie kurz: »Oh, ich nehme es in die Hand und laufe damit den Berg herunter.« Kurzum - Sie siegten, und das ist wohl eine Ihrer Haupteigenschaften!!