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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.01.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-01-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189201022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18920102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18920102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-01
- Tag1892-01-02
- Monat1892-01
- Jahr1892
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.01.1892
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A»ormeme«t-Yrei» t» d« Hauptrxpeditton oder den im Stadt, bezirk und den Vororten errichteten -lu»- aabestellen abzeholt: vierteljährlich./14^0, oei »wetmallaer täglicher Zustellung in« Hau« Ü.S0. Durch di« Post bezogen für Deutschland und Lesterreich: vierte l,Lbrl ich >l S—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in« Ausland: monatlich S —. Die Morgen-Au-gabe erscheint täglich'/,? Uhr, di« >bend-Au«gabe Wochentag- S Uhr. Redaktion und Lroedition : 2sha««e»,,fie 8. Di«Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filiale»: Ltta Air««'« Sorti«. (Alfrrtz Hatz«). UniversitätSstraße 1, Laut« Lösche. latharinenstr. 14, Part, und KönIgSplatz 7. Abend-Ausgabe. ttWMMMaü Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Jnsertlon-prei» Die 8 gespaltene Peützeile 80 Pkg. Reklamen unter dem Redacrion«strich (4ge» ipaltrn! SO-H. vor den sfalnillennachrichtr» lögespalten) 40^. Grohere Tchrtsie» laut unserem Prre«. verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-vrtlagrn (gesalztj, nur mit der Margen-Ausgabe. ohne Postbesörderuvg 00—, mit Postbefürderung 70.—. Änualimklchlub für Inserate: Sbend-Au-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag- früh 9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Inserate sind stet- an die Gtzpetzitta» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^3. Sonnabend den 2. Januar 1892. 88. Jahrgang Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 3. Januar 1892, Bormittags nur bis 9 Uhr geöffnet. IhXi)6<1ltl<m <1<»8 I.eip/.ieor 'Paeeklntte». Leipzig, 2. Januar. * Eine der „Politischen Correspondenz" au- Berlin zugehende Milthcilung bezeichnet jene Darstellungen fran zösischer Blätter, welchen zufolge Prinz Al brecht von Preußen anläßlich seine- jüngst auf der Rückreise au« Lissabon erfolgten Besuche- beim spanischen Hose mit der Aufgabe betraut gewesen wäre, Spanien für den Anschluß an den Dreibund, sowie an den mitteleuropäischen Zoll- verband zu gewinnen, als völlig au- der Luft gegriffen. Es müsse Jedem, dem da- Vorgehen bei internationalen Aclionen der bezeichnten Art nicht unbekannt ist, «inleuchten, daß die deutsche Reichsregierung, fall« sie die ihr zugeschriebenc Ab sicht thatsächlich in- Auge gefaßt hätte, die Durchführung derselben ihrer ständigen diplomatischen Vertretung in Madrid zugewiesen haben würde. ES lasse sich übrigen- ausdrücklich versichern, daß Prinz Albrecht, der sich bekanntlich als Vcr- treler de- Kaiser- Wilhelm II. zu dem Leichenbegängnisse de- Kaiser- Dom Pedro II. nach Lissabon begeben batte und bei der Rückreise sich als Gast de- spanischen Hose- in Madrid aufhielt, schlechterdings keinerlei politische Mission daselbst zu erfüllen hatte. * AuS Ratzcburg wird vom 3l. Decembcr geschrieben: Wie schon angekündigi, bat Fürst Bismarck einer Sitzung des Kreistage- hier beigewohnt. Nachdem der Vorsitzende dem Fürsten die KreiStagSabgeordnetcn vorgestellt hatte, hielt der Fürst folgende Ansprache: „Zwanzig Iabre habe ich in ihrer Mitte geweilt, ohne daß e« mir möglich gewesen ist, meinen Pflichten und Rechten als Lauendurger zu leben. Nachdem ich jedoch von meinen anderen Geschäften entbunden worden bin, ist es mir eine Gcnugthuung und Freude, an Ihren Beralhungcn Theil zu nehmen. Ich bitte Sie, mich in diesem Kreise als einen der Ihren zu betrachten und mir mit Vertrauen entgegenzukommen." Der Landrath dankte für das Interesse, welche- der Fürst vielfach den lanenburgischc» Angelegenheiten entaegengebrachl habe. Fürst Bismarck dankte in längerer Rede: Er wies darauf hi». wie er mit dem Herzogthum Lauenburg zuerst al« preußischer Minister in Berukrung getreten sei. Seine durch die Verhältnisse ge botenen Eingriffe in alte Gewohnheiten und Interessen bade man vielleicht nicht immer angenehm empfunden. Sie seien aber zum Woble des Lande- geschehen. Landwirtbsckaft »nd Handwerk bade stets seine Fürsorge empfunden. -Heute trete er als gleichberechtigter Mitarbeiter für da- Wohl de- Kreise- in die Versammlung. Als solcher bitte er von der Vergangenheit abzuschen und ihm da- Vertrauen entgegen zu dringen, da- man jedem guten Nachbar, der die gleichen Interessen habe, entgegen trüge, auch wenn er nicht Minister sei. Der Fürst griff während der Sitzung mehrere I Male in die Debatte ein. Er sah äußerst wohl und srisch 1 aus. Nach der Sitzung fand ein Mahl im RathSkeller statt. Erblandmarschall v. Bülow brachte ein Hoch auf den Fürsten aus. Der Fürst erwiderte daraus: „Es sind etwas mehr als 25 Jahre, als ich mit Sr. Majestät, dem bochscligen König Wilhelm I.. m diesem selben Saale zusammen war Seit jener Zeit hat sich Vieles geändert. Manche- nicht in erwünschter Weise, aber daö Meiste doch »um Guten. Wenn der lauenburgische Bauernstand die Ver hältnisse von damals mit denen von jetzt vergleicht, so muß er. wenn er unparteiisch urtbeilen will, Sr. Majestät Kaiser Wilhelm I. von Herze» dankbar sein. Ich bin dann niedrere Jahre lauenburgischer Minister gewesen. In meinen schlaf losen Nächten frage ich mich ost, ob ich das Amt, das ich zu meinen anderen Acmtcrn übernabm, weil keine anecrc geeignete Kraft da war, auch immer zu Gunsten LauenburgS verwaltet habe Ich bitte Sic, mir mit Vertrauen entgegen zu kommen Ich bade gedacht, daß ich nur im Sommer bei Ihnen in meinem Fnedricbsrub weilen würde. Die Verhältnisse baden cs anders mit sich gebracht. Ich bin jetzt bei Ihnen gleimo aäsoriptu»- Heute bade ick hier zum ersten Male so zu sagen Besitz ergriffen, indem ich von meinem Rechte als lauen- burgischer Großgrundbesitzer Gebrauch gemacht habe. Ich freue mich der Einigkeit, von der ich heute bei Ihre» Ver handlungen Zeuge gewesen di». Ta- möge so bleiben zum Wobl des Kreise« DaS uralle Herzogtbui» Lauenburg möge blühen und gedeihen! DaS Herzoglhum Sachsen-Laucn- burg lebe hoch!" * DaS alte Jahr hat an einem seiner letzten Tage eine- der angesekensten und beliebtesten Mitglieder des diplomatischen Corps in Berlin, den außerordentlichen Gesandten und bevoll mächtigten Minister Portugals, Marquis de Pcnasiel, au- dem Leben scheiden sehe». Seit länger als einem Iabr- zebnt am Berliner Hose accrctitirt und mit den dortigen Gesellschaftskreisen auf da- Engste verbunden, erfreute sich der Dabi»geschiedene i» uiigewöbnlichcin Maße der Achtung und Verehrung aller Nähcrstebcndeu und wußte sich die Herzen derselben durch die Urbanität seine- Wesens und die Milde und Freundlichkeit seiner UmgangSsormc» zu gewinnen. Mit großer Vorliebe geselligen Verkehr pflegend und an den Veranstaltungen desselben Freude findend, öffnete Marquis de Pcnafiel mit seltener Gastfreiheit seinen zahlreiche» Freunden und Verehrern sei» HauS. Dasselbe war, mit Ausnahme der Sommermonate, allsonntäglich der BercinigungSpunct der diplomatischen und der Hofgcsellschaft.Aind bot namentlich den jüngeren Mitglieder» der fremden Missionen willkommene Gelegenheit, miteinander naher bekannt zu werden. Die Liebenswürdigkeit, mit welcher der Heimgegangene, unterstützt von seiner Familie, dabei seinen Gälten die Honneurs machte, war allgemein anerkannt. Schmerzlich wird die Lücke, die der Tod des allbcliebten und verehrten Diplomaten, der sich stet« der auSzeichnendsten Huld des Herrscherhauses zu er freuen batte, in den ihm persönlich näher gestandenen Kreisen empfunden werden, welche noch bis vor wenigen Tagen auf die glückliche Ueberwinduug der Krankbeit und die Erhaltung dcS Lebens sicher gehofft hatten. Der Verewigte hat ein Alter von 71 Jahren erreicht. * Der „Krcuzzeitung" zufolge beabsichtigt die preußische Regierung für Kirchenbantcn eine gemeinsame obere Behörde zu bilde», um so die Vorarbeiten zu ccnlralisiren und Zeitverlusten vorzubcugen. Die llnlerhandluiigcn über diese Frage sind schon seit längerer Zeit unter den be- thciligte» Ressort- im Gange. * Eine recht interessante Illustration de- dermaligen Verhaltens der sreisinnigen Partei gegenüber der Regierung liefert ein Vorgang in der letzten Sitzung der Berliner Stadtveror diietcn-Vcrsaiiimlung Herr Langcrban« stellte in derselben de» dringlichen Antrag, a» den Reichstag eine Petition zu richten, daß die in Straßen Berlins ausgest eil tenMilit airwach Posten eine andere Instruction bezüglich des Gebrauchs der Schußwaffe erhalte». Wie bekannt, bat in einer Nacht während der Feiertage ein Militairpostcu i» einer der belebteren Straße» Berlin- ui» eims scbr geringfügigen Grunde- willen von seinem Grwebr Gebrauch gemacht. Ist dies auch glücklicherweise ob»e Erfolg geschehen, so ist doch in der ganzen Berliner Bevölkerung die Aufregung natürlich nicht gering über die bloße Möglichkeit, daß in solcher Weise jeder Zeit in den Straße» der Hanpt- stadl daS Leben ganz Unschuldiger der schwersten Grsabr anS gesetzt ist. Die Sache, welche übrigen- nicht ausschließlich Berlin, sondern alle Garnisonslädte berührt, ist sicherlich wichtig genug, ui» im Reichstage zur Sprache gebracht zu werden, falls nicht etwa eine enllprechcntc Acnderung der fraglichen Instruction schon vorder a»S eigener Initiative der zuständigen Behörden in Angriff genominen wird. Die Compctenz des Reichstage-, an dc» Anordnuugc» aus dem Gebiete des MilitairweseuS. einerlei, ob sic aus Grund gesetz licher Bestimmung oder lediglich an- teui Ermessen der Ver waltung getroffen werden, Kritik zu übe», kann nickt in Ab rede gestellt werden, und zweifellos werden sehr viele Leute geneigt sein, die in Rede stehende Anregung de- Herrn LaiigerhaiiS für verdienstlicher zu halten, al« manche der von freisinniger Seite im Reichstage so ost heraus- beschworenen Debatten über Evldatenmißbaiidlunz. Aber siebe da, kein Geringerer als Herr Virrtow batte gegen die Absenkung der Petition seine- FractionScollege» Laiigerhan- an den Reichstag die schwersten Bedenken. Er riclb viel mehr, sich direct a» den Reichskanzler zu wenden, weil er „den Vorwurf abgewendet wissen möchte, als hätte die Ver sammlung nicht Alle- gctha», um die Angelegenheit möglichst in Gutem zu ordnen". Wie würde man ehedem in der freisinnigen Presse über „unmännliche Vertrauensseligkeit" gespottet haben, wenn etwa von nationalliberaler Seite ein veravtiger Rath zur Germcidung der parlamentarischen Er örterung von Militairsragen gegeben wäre! Heute ist daS ander-: die ganz überwiegend freisinnige Vcrsamuilling folgte dem Virchow'scken Ratbe und wandte sich vertrauensvoll an den Reichskanzler, statt an den Reichstag. * Daß ei» preußischer activcr Officicr, noch dazu ein Seconkclicutenant, Mitglied einer parlamentarischen Körperschaft, unk zwar einer »ichtpreußischcn wird, ist gewiß »och nicht dagewescn. Ein Lieutenant dcS Leib-Garde-Husaren- RcgiineiltS, Josef Gras v. MontgelaS, bat vor einigen Tage» die Berechtigung crlangt, einen SiH in der bayerischen Kammer der RcickSräibe cinncbinen zu können. Ihm siebt die erbliche Mitgliedschaft in der bayerischen ersten Kammer zu, und da er soeben da« 21. LebcuSjabr zurückgelegt und damit das Aller erreicht bat, welches zum Eintritt in tieKamiiicr der Reichörälbc erforderlich ist, so ist seiner Einsübrnng nichts im Wege, zumal da die bayerische Gesetzgebung eine Bestim mung, daß die Mitglieder dcS RcichSrathS ihren ständigen Wohnsitz in Bayern haben müssen, nicht kennt. Nach der bayerischen Verfassung erhalten die RcichSräthe, wenn sie großjährig geworden, zunächst übrigen- nur den „Zutritt" in die erste Kammer, eine „entscheidende Stimme" kommt ihnen erst „mit dem 25. Lebensjahre" zu, nur die Prinzen de« königlichen Hauses, welche uiit Vollendung de- l8. Lebens jahrcS großjährig werde», habe» die cnljckcidcndc Stimme schon »ii'l dem 21. Lebensjahre. * Für die Freiheit des Religionsunterrichts citirt die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" im Zusammenhang mit den auf der Tagesordnung stehenden BolkSschulsragen ein Erkennlniß dcS Oberverwaltung-geeicht-, welches in dem Satze gipfelt: „Ein Unterricht in der Religion ist ein be griffsmäßig unerläßlicher und deshalb selbstverständlicher Be- jiantlbcil der gcmeinsammcn Religion-Übung, und insoweit er die- ist, bildet seine Regelung nicht einen Theil der staat- licken Ordnung dcS UnIcrrichtSwcsenS. sondern in den Be- zicbuugcn des Staate- zu den religiösen Ucberzeugungen seiner Ilnlerlbancn einen Tbeil der inneren Ordnung der Kirchen oder sonstigen RcligivnSgcsellschasten Als Beslandtbeil der Religioiisnbung unterliegt der Religionsunterricht nicht dem Art. 20—22 der Verfassung und der nach Art. 1l2 daselbst ausrechlerhallenen CabinetSorbrc von >8.1 j, sondern lediglich der Vorschrift deS Art. 12 der Verfassung, der „die Freiheit dcS religiösen Bekenntnisses", die Vereinigung zu RcligionS- gesellschaflen und der gemeinsamen häusliche» und ösfcnllichen RcligionSübnng gewährleistet." * Die „Hamburger Nachrichten" führen in einem Neu- iahrSartikel in Betreff der inneren deutschen Politik Folgende- auS: Mit Beunruhigung erfüllt un- die Thaisache, daß die neue Richtung, welche die Politik eingeschlagcn hat, in so hohem Maße den Beifall derienigen Elemente hat, welche früher die heftigsten . Gegner de« Reiches waren: Mtramontane, Weisen, Polen und Socialdemokralen. Wir täuschen uns nicht über die wahr« Beschaffenheit der Gründe de« Entgegenkommens und der Zustimmung von dieser Seite, fürchten aber die unerbittliche Logik der Thatsachen, welche darin bestehen könnte, daß die Negierung, wen» sie eine» Tage- die Fessel dieser verdächtigen Gefolgschaft ahstreife» möchte, es nicht kann ohne schweren Eonflict. Die Vorgänge in Pose» führen eine beredte Sprache und bei den Verhandlungen über da» neue Volksschulgesetz im preußischen Abgeordnetenhause dürfte es sich zeige», daß die Unterstützung de- Centrum- und seiner Anhängsel nur dann ohne Gefahr acceptirt werden kann, wenn die Negierung stark genug ist, unter allen Umständen Herr der Situation zu bleiben. Da- Präjudiz, da- durch die vorjährige Sprrrgeldervorlage gegeben ist, wirkt nicht sehr beruhigend. Wie wenig sonst die innere Lage al« eine sichere und gefestigte gilt, davon mag ei« Blatt Zeugnis; ablegen, daS nicht in dem Ruse steht, de» alten Cur- zu begünstigen. Die „Bossische Zeitung" schreibt über da- abgelaufene Jahr: „Trug die auswärtige Lage das Merkmal der Unsicherheit und Unklarheit, so ist es auch in der inneren Politik in Deutschland noch nicht vollständig zur Klarheit gekommen. Man redet von „altem CurS" und von „neuem Cur-", aber man iveiß nicht sicher, welchen Cur- wir überhaupt haben, und ob nicht heute rechts und morgen link- lavirt wird." Und in Bezug aus die auswärtige Politik sagt da genannte Blatt in demselben Artikel: Wen» wir trotz der ungünstigen Wendungen im Jahre 1891 heute nicht ohne .Hoffnung in die Zukunst blicken, so geschieht eS vor Allem, weil wir den Mann noch am Leben und voller körper licher wie geistiger Frische unter uns wissen, der das Deutich« Reich nicht nur geschaffen, sonder» der cS auch verstanden hat, dieses Reich durch Jahrzehnte inmitten aller Feinde in Macht und Wohlstand zu erhalte». Wenn ein Blatt wie die „Not- Ztg." findet, daß das Jahr 1891 politisch in seinem Verlause durchweg durch die Nachwirkungen de- Rücktritts deS Fürsten BlSmarck Feirilletsi,. Das geflügelte Rad. Ij Roman von Hermann Heinrich INa»»»» »eri-ote». Auf der Brücke, welche in Berlin über den Rangirbahnhos der Anballer Bahn führt und da- Tempelhofcr Feld mit dem Terrain der Caserne de- Eisenbahn-Bataillons ver bindet, stand ein Mann von hoher und kräftiger Gestalt. Da- Hobe Brrttergeländer der Brücke, da- jedem Menschen von gewöhnlicher Größe den Ausblick aus den darunterlikgenden Babnhos verwehrt, war für ihn kein Hinberniß. Fast bi» zur halben Brust überragte er da» Geländer und schaute suchenden AugeS in die Tiefe. Von unten ertönte da« Aechzcn und Stöhnen der rangirenden Züge. Die durchfahrenden Locoinvtivcn trieben den schwarzen Dampf durch alle Ritzen und Fugen der Brücke und bullten den Zuschauer zeitweise in dichte Wolken ein. Es war an einem Sonntage gegen Abend. Tie Sonne war bereit» zwischen der Eisenbahncasernc und dem ferner liegenden Schöncberg hinabgcsunken und nach der Hitze de« IulitagcS machte sich die angenehme Kühle de- nahenden Abends geilend. DaS Tempelhoscr Feld war belebt von Menschen. Junge Leute trieben im Tricotanzuge in den Farben ihres Club- muntere Spiele, Kinder und Erwachsene sahen dem anregenden Treiben zu und mischte» ihre lauten Zurufe in da- fröhliche Jauchzen der Spieler, lieber die Brücke -eilten Soldaten von der nahen Caserne in ihren glänzenden Sonntag-uniformen einzeln oder in größeren Trupp» den Vergnügung-localen zu. deren Tanzmusik lockend auS der Ferne herüberklang. Gustav Rollmann stammte auS Pommern. Von seinen armen Eltern batte er nickt- geerbt als die riesige Gestalt und eine unermüdliche Arbeitslust, ein C«P»al, da« hinreichtc, ihn zu ernähren Nach dreijährigen! Dienst bei den Garde- kürassieren war r« ihm geglückt, eine Anstellung al» Schmied — er halt« da- Handwerk gelernt — in der Ccntral-Werkstättr der Anhalt« Bahn zu erhalten. Dann batte er sich mit einem Mädchen verheirathet, da- ebenso arm, gesund und fleißig als er selbst war, und in Arbeit und Zufriedenheit waren ihm di« Jahre dahingegangen In der Werkstatt« wurden iym dir schwersten Arbeiten zuertheilt. Er galt al« der Stärkste, und e- war ihm eine Ehrenpflicht, die aus seine Kraft gesetzten Erwartungen bei jeder Gelegenheit zu erfüllen Zu Hause war er »in ebenso zärtlicher als glücklicher Galle und Bat», und wenn er an dem Tische saß. de» sein« Trude ihm gedeckt hatte, wenn er mit Karlchrn, seinem einzigen Kind«, spielte oder mit Weib und Kind de« Sonntag« durch de» Grunewald streifte, dann regte sich kein Wunsch weiter in seiner Brust. Der Gedanke, daß cS außer seinem Glücke »och ein schönere-, höhere- Glück in der Welt geben konnte, war ihm fremd. Mitte» in der Hauptstadt de- Deutschen Reiche», wo Glanz und Reichthum der Welt so leicht die Augen der Mensche» blenden und wilde Begierden in ibrcr Brust ent sacken^ batte er für da- Jagen nach Gütern und Ebren kein Verständniß. Er war glücklich, denn er war zufrieden. Und dennoch war sein Glück noch einer Erweiterung fähig. Eines Sonntags erschien in seiner Wohnung ein junger Soldat voni Eisilibabnrkgimcnt Mittelgroß und breit schultrig stand er in der sauberen, kleidsamen Uniform vor Gustav und reichte ihm wie einem alte» Bekannten freundlich die Haut. Einen Augenblick sab Gustav forschend in das gutmütbig lächelnde Gesicht dcS jungen ManncS: dann ries er erfreut: „LantSmann! Schütze-Robert! Willkommen in Berlin'" Robert war dcS Nachbars Sobn aus Gustavs Heimath. Als dieser vor etwa zehn Iabrcn die Hcimath verlasse» hatte, war Robert noch ei» Knabe gewesen, und jetzt stand er als ei» kräftiger, schmucker Soldat vor dem freudig erstaunte» Landsmann. Die freundliche Ausnahme tbal Robert wobl. Er kam auf Gustav's Einladung wieder und wieder, und bald war der junge Eisenbahner durch ein inniges Freundschastüband mit der Familie Gustav's verknüpft. Als seine Milstairzeit »in war, fühlte er keine Sehnsucht »ach den Tagclölmerdiensten der Hcimath. Er erhielt durch Gustav s Vermittelung eine Anstellung als Arbeiter aus dem Anhalt» Bahnhöfe und ging zu seinem Freunde in Kost und Schlafstelle Er gehörte nun zur Familie, und Gustav fühlte eine leere Stelle in seinem Herzen, wenn der um sechs Iabre jüngere Freund nickt da war und wenn er sich mit ihm nicht in der plattdeutschen hrimatblichen Mundart unter halte» konnte Und Robert war eS, den seine Augen suchte», als er heute über da- hohe Geländer der Brücke hinabsab Während Trudchen mit Karl dem Ballspiel der bunten und schnell füßigen Tricotmänn» in der Ferne zusab, war Gustav zur Brücke gegangen, um den jungen Freund zu selien und iym womöglich einen Gruß hinabzuwinkeu. Lange sab er ,n da« Getriebe der hin- »nd hersabreiiden Wagen, ohne Robert entdecken zu können. Er ging aus der Brücke ein Weilchen auf und ab, machte dann einen Umweg über da- Tempelhoser Feld, wo er sich über zeugte, laß Fra» und Kind noch aus demselben Playe stänke», und kelnte zur Brücke zurück An dem niedrigen Geländer, da- sich von der Brücke nach der Seite hinzieht, »at»n er Ausstellung, und nun auf einmal sah er Rodert aus dem nächsten Schienenstrang» In blauer Blouse und mit geschwärztem Gesicht staub Robert da Er war mit d«r Kuppelung der Wagen beschäftigt. Zwischen den Puffern eines Wagens siebend, hielt er die Kuppelung in der Hand, »i» sie dem ansahrenden Wagen anzuhängen. Mit Auf merksamkeit sahen seine Augen in die Ferne. Da rasselte rer Wagen, von ein» Maschine gestoßen, bera». Enger und enger wurde der Raum zwischen den vier Puffer». Aber »och che sich dieselben berührten, batte Robert mit sicherer Hand die Oese der -Kuppelung in de» Haken de- ansahren- den Wagens gehängt und somit die Verbindung bergesiellt. -krachend prallten die Puffer zusammen, um ebenso schnell wieder aliScinanderzusahren Ei» Äcchzen und Krachen ging durch die ganze Wagcnrcibe, die »ach dein heftigen Stoße sich eine Weile ln» und berbewegte Aber schon batte Robert seine» Platz ver lasse». Bei de», heftigen Znsainmenstoße der beiden Wagen halte er sich schnell gebückt und, mit der Behendigkeit einer Katze unter den Puffern bindurchkriechend, sicheren Boden gewonnen Jetzt richtete er sich aus. Zufällig begegnete» seine Augen dem Blicke de» Freundes aus der Hohe des Dammes. Flüchtig winkte er einen Gruß hinaus, de»» ver weilen durste er nicht. Schnell eilte er weiter, ui» die Kuppelung noch so oft zu vollziehen, als neue Wagen dem Zuge angcsügt werden sollten Gustav batte den Vorgang mit größter Spannung und mit Herzklopfen beobachtet Schon ost hatte er der Arbeit der Kuppler flüchtig zugeseben, ohne etwa- Besonderes dabei zu denken Jetzt aber, al« er ben Freund zwischen de» Puffern und den sich bin und her schiebenden Wage» sab, siel ihm aus einmai ein, daß diese Arbeit eigentlich höchst gefährlich sei. Ein unvorhergesehener Zufall, ei» Versehen des Kupplers, ein im Wege liegende- Steinchc» konnte de» Arbeiter zu Fall bringen, und dann — dann gingen die Räder der Wagen zermalmend über ihn hinweg. Ein Schauer übcrlies Gustav bei dem Gedanken, daß man seinen Freund vielleicht einmal vcrstümmest, todt zu ihm »iS Hau« bringen tonnte. Und da siel ihm ein, daß llnalückSfäUe dieser Art schon wiederholt vorgekommen waren. Man hatte dar über nicht viel gesprochen und weiter kein Aufheben- davon gemacht. E« halte Jeder mit sich und seiner Arbeit zu >b»n, und welche TheUnabme sollte man auch mit dem Sckicksaj eines wildfremden Menschen haben. „Wer war eS?" — „Der und Ter" — „Der arme Kerl!" DaS war der Nekro log, der dem Vcninglücktrn hin und wieder gehalten wurde. Er wurde nach Hause gebracht und von den Seinigrn be graben, und in der nächsten Stunde schon war sein Pjatz von einem neuen Arbeiter besetzt. Andere Gedanken waren eS, die Gustav jetzt bewegten. Er fühlte, daß eS ihn, sehr nahe gehen würde, wenn Rodert ihm aus solche entsetzliche Weise entrissen werden sollte. Er war beunruhigt von der beständigen LedtnSzesabr, in welcher der Freund schwebte, und er nahm sich vor. sür «ine andere Beschäftigung Sorge zu tragen. Noch sah er mit bangem Herzen dem Rangircn der Züge zu. Hin und wieder erschien Robert- breite, kräftige Gestalt zwischen den Schienensträngen, um schnell wieder inmitten der Wagen- reihen zu verschwinden. Endlich verlor ibn Gustav ganz auS den Auge». Gustav wandte sich ab. DaS Rumoren der Züge war ihm plötzlich eine unglückverbeißcnde Musik ge worden, die sein Herz mit banger Ahnung ersülllc Ein vorübersausendcr Personenzug hüllte ihn ans einige Augen blicke in schwarzen Dampf. Schnell wandte er sich dem Felde zu. Aufatbinend sah er den blauen -Himmel über sieb, hörte er bas srendigc Rufen der Spieler, sah er da- bunte Bilk der sonntäglich gekleideten Spaziergänger. Die alle wußten nicht- von der Lebensgefahr ikrer arme» schiiiiitzigen Mit menschen da unten aus den Schienen Die Sonne war inzwischen lliitergegangc» Es dunkelte, und die Menschen, welche bis jetzt da- weite Feld belebt hatten, gingen nach Hause Trudchen kam mit Karl ihrem Manne entgegen. Mit freudigem Jauchzen streckte der Kleine seine Arme zum Vater empor, der id» aushob, ibn küssend an sich drückte und nach Hause trug. Karlchcn plauderte lebhaft und erzählte dem Vater von den bunten Männern auf bei» Felke, wie sie die Bälle mit den Füßen emporgeschlagrn und mit den Händen aufgefangcn bätten. Einem kleinen Junge» sei ein Ball an die Brust geflogen und er sei sekr erschrocken gewesen und habe laut geschrieen. Der Vater, der sonst so gern mit dem munteren Knaben scherzte, schwieg beute In sich gelehrt, ging er an der Seite Trudchen - über da- Feld, der Brücke zu. Hier erhob der Kleine ei» erneute- Jauchzen Tic Lichter auf dem Babnbofc waren angezündet und be leuchtete» in der Nähe und der Ferne »nt weißem und rolbcm Scheine da- Dabnbosöterraiii. Ganz weit hinten erbob sich stolz und »lajestälisch mit mächtigem Bogen die EinsabrtSballe de- Anballer BalinhoseS, deren hohe Bogen senster durch da- bläuliche, elektrische Licht hell erleuchtet waren DaS Ganze glich eine» großartigen Illumination »nd ersreutc durch seinen reichen Glanz nicht allein die Auge» de» Kinde», sonder» auch da-Herz de-Erwachsenen. „Die Lichter, die Lichter!" ries Karlchen „Großartig!" sagte Trudchen wiederholt „Nicht wahr, Gustav?" „Ja, großartig!" wiederbolle Gustav mechanisch, indem er tbeilnabmloS in da» Lichtermeer hinauSstarrkc Seine Gedanken waren mit anderen Dingen beschäftigt Cie gingen weiter, an der Caserne vorbei, au» dercn Fenstern rauchende Soldaten schauten »nd die Töne einer Harmonika berauSklangen, läng- der Mauer des Matthäikirchboses den Berg d>»ab und durch die nur znin Tbe>l bebaute» neuen Straße» in die breite uud prächtige Bülowstraßc hinein. Ein großes Hau« mit reich verzierter Front nabm sie aus Sie gingen Uber den Hof, stiegen vier Treppen im Hintergebäude rmpvr und traten in ihr einsache«,
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