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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.01.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920111029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892011102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892011102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-01
- Tag1892-01-11
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Auch soll noch die Einladung an andere Bundesstaaten geplant werden, welche ebenfalls einen regeren Handelsverkehr ausweisen. Die Delegieren der betreffenden Staaten werten in Berlin zusammenlretcn, um die Grund- züze für eine Enquete sestzustellcn. Rächten: auf diese Weise die Sache zur RcichSsachc auch osficicll gemacht worden ist, während blSber die Regelung de« BörscnwesenS in der Hauptsache der Eoinpclenz der Einrelstaalen zusland. eine Thalsache, die für Handel und Berlcbr oft höchst störend wirkte, ist ein NcichSbeamter für die Lciiung in Aussicht ge nommen worden, und zwar, wie verlautet, rer Präsident der Reichsbank, vr. Koch, * Zu morgen, DienSlag, bereiten sich die Redner der deulschireisinnigen unb der socialdcmokralischen Partei auf große Festreden in dem a» diesem Tage seine Sitzungen wieder ausiiebmendcn Reichstage vor. Bei Gelegenheit des Etats des Reichstages, der an erster Stelle auf der Tagesordnung steht, wollen die Herren von Neuem ihren Beschwerten Aus druck geben, daß sic noch iinnicr keine Diäten beziehen-, und :um hundertsten Male sollen wir wieder die abgedroschene Leier kören, daß der Reichstag uni deswillen so häufig nicht beschluß fähig sei, weil die armen Abgeordneten keine Diäten erhalten. Biellcicht erklären dann die Herren endlich einmal die merkwürdige Thatsache, warum so manche ihrer Fraclionsgenossen, obwohl sie in Berlin wohnen und in besten BermögenSverhältnissen leben, so überaus selten an de» Berathnngcn des Reichstages Ihtilnebmcii, während umgekehrt ibr Führer, obwohl er als LandtagSabgcordneter Diäten erhält, im preußischen Ab- gcordnelenhause durch Abwesenheit zu glänze» pflegt. Noch gespannter aber wird man daraus sein können, wie die Herren cS zu rechtfertigen versuchen werden, daß sie nach außen hin die strengste Sparsamkeit im Reichsbau-Halt predigen und sogar die Summe von 40 000 -4 für dieFcststcllung de« deutschen GrenzwallcS ablchnen, dagegen diesen schönen Grundsatz sofort über vcn Haufen werfen, wenn cS sich um die Ausstattung der Erwählten des allgemeinen und gleichen Stimmrechts mit Diäten bandelt. Im vorigen Jahre hätte die Summe von zwei Millionen Mark nicht genügt, wenn den Rcichütagsabgeordneten hätten Diäten bezahlt werden müssen. Bei der jüngsten ersten Lesung des NeichShauShaltSentwurfS erfreute Herr Rickcrt seine andächtigen Zuhörer durch die boinbastische Vcr- sicherung, seine Partei werte nicht die nützlichen, sondern lediglich die nolhwendigen und unaufschiebbaren Auslagen be willigen. Er ries damals mit dem ihm so schön anstehenden Brutttone der Ucberzcugung: „Eö wäre ein schreiender Ucbel- stand und würde weile Mißstimmung Hervorrufen in großen Kreisen, wenn, während große Kreise im Bolle sich quälen und darben, der Staat »nt vollen Händen Ausgaben macht, auch wenn sie an sich nützlich sind." Die Hauptsache ist übrigens, daß die verbündeten Regierungen, wie die Antrag steller sehr wohl wissen, »ach wie vor Gegner der Diäten sind, so daß also der DienSlag wiederum in die Tage der zwecklosen und nutzlose» Redeschlachten ohne jeden politischen Werth wird gezählt werden müssen. * DaS Gerücht über Unruhen in Deut sch-Ost afrika, welches diesmal über Rom seinen Weg gcnoninik» batte, scheint n»bcgrundet zu sein. Im deutschen Auswärtigen Amte weiß man wenigstens nichts vcn irgend welchen Unruhen. Gouverneur v. Sode» hat dcpcschirt, daß an der Küste Alle- ruhig sei und auch frühere Telegramme von ihm haben von irgend einer aufständischen Bewegung nichts enthalten. * Biel mehr als der Tod des Khedive und die marok kanische Frage bildet die DiSciplinaruntcrsuchung gegen den Grafen Limburg-Stirum in Berti» das Tagesgespräch, Bcrwcg sei bemerkt, daß nach gutem Ver nehmen die Instruction, nach der die Beamten de« Aus wärtigen Amte« zur Veröffentlichung von Artikeln und sonstigen schrinstcllcrischen Arbeiten bie Genehmigung des Leiters cinzubolen haben, zur Beurlheilung dcS vorliegenden Falles von ganz nebensächlicher Bctcntung ist, Gras Liinburg hätte seine potiliichen Ansichten irgendwie veröffentlichen könne», ohne baß er deshalb, d. h, lediglich wegen der Veröffentlichung, ein Verfahre» wegen Ueberschreitung der Dienstinstruction zu gewärtigen brauchte. Der Fall stellt sich vielmehr formell wegen de« Inhalts dcS veröffentlichten Zeitungsartikels als ei» Dienstvergehen im Sinne dcS DiSeiplinaracseyeS von 1852 dar, weil in den Stellen über die Beziehungen der Handelsverträge zur auswärtigen Politik, wo von einem Drausgeltc für die Befestigung dcS Dreibundes und rcn Minderung des Gefühls der politischen Stärke Deutschlands die Rede war, eine für einen Beamten pflichtwidrige Herab setzung der Politik seines Vorgesetzten, dcS preußischen Minister präsidenten und Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, erblickt wird. Die formelle Berechtigung zum Einschrcilen gegen den Grafen Limburg wird denn auch von keiner Seile be stritten. Dagegen wird allerdings fast allseitig die Maßregel als politisch bedenklich bezeichnet. Der Abg. Graf Limburg ist persönlich bei allen Parteien des Abgeordnetenhauses woblgclitten und eS wird ihm auch an Zeichen der Theil- nähme aus allen Parteien nicht fehlen. Man verweist namciillich darauf, daß er bei verschiedenen Gelegenheiten mit seiner vermittelnden Thäligkeit der Regierung gute Dienste geleistet habe, und daß die gegen ihn angewandte Maßregel die ohnehin verstimmte conservative Partei schwer verletze» werde. Im freisinnigen Lager sucht man den Fall gegen daS passive Wahlrecht der Beamten auSznnutzen. Zweifellos hätte Gras Limburg Stirum Dasselbe, was er schriftlich verlautbarte, ciiiwaiidSfrei mündlich im Parlament, weil unter dem Schutze ver Redefreiheit, äußern können. * Von einer in diesen Tagen zu Schornsheim in Rheinheffeii stattgebabtcn Wählerversammlung ist dem Abg. I)r. Bamberger wegen seiner Haltung in der Angelegen heit der Handelsverträge ein Mißtrauensvotum ertheilt worden. * DaS Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, Kiepert, ist gestern gestorben. * Tic ..Hamburgische Börsenhalle" erklärt auf Grund von Erkundigungen bei einer der bedeutendsten deutschen Firmen, die Factoreien in Weidab besitzen, die Mitlbcilungen dcS „TcmpS" über Menschenhandel in Weidab beruhten ans irrthümlicher Darstellung der Verhältnisse. Es habe sich nur um da« Engagement von Arbeitern gehandelt, die ans bestimnile Zeit beim Eiscnbahnbau im Eongo- 'taal lhälig sein sollten Aehnliche Engagements seien ckon immer auch für Plantage» nach anderen Plätzen getroffen. Sic erfolgten auch bei den Krvoncgern, Bevlenlen und Accraleulen zu Planlagcnzwcckcn und Eoenbabnhaulen im Eongostaal, Alles Weitere beruhe auf Entstellung. Ter Hamburger Dampfer „Gertrud Woermann" habe sich zu der im „TenipS" angegebenen Zeit auf der Heimreise befunden. Am 2. Dcccinbcr habe er Accra verlasse» und sei am 26, Deccmbcr in Hamburg angekomme». Er könne also nicht einige Tage vor dem 9, Deccmbcr von Weidah mit Sclavcn »ach dem Eongostaate gefahren sein. * Der engere Ausschuß der badischen national- liberalen Partei wird am ll. d, M, Vormittags, in Karlruhc zu einer Sitzung zusammcnlrelen. Die Versamm lung der Tclcgirlcn und Vertrauensmänner, der auch die Abgeordneten der »ationallibcralcn Partei beiwohnen werden, ist nunmehr sür den 20. Januar festgesetzt. * Die Nachrichten über den Rücktritt des österreichischen Handels Ministers werden aufrecht erhallen; derselbe dcmissionirt gegen Ostern nach Erledigung der Stadt- bahnvorlagc. " AuS Rom wird gemeldet: Die Beharrlichkeit, mit der Blowitz ans seiner Nachricht von dem Besuch des öster reichischen Kaisers in Rom besteht, macht hier keinen Eindruck, Die Richtigkeit der Nachricht wird von nnlcr- richlclen Stellen entschieden bestritten, inan glaubt dort, daß »ur, falls ctwaS Wahre« daran sei, cS sich um einen Versuch- ballv» deö ValicanS handeln könnte. Eine Versöbnung aus der Basis politischer Eoncessioncn sei ausgeschlossen und kcuie Regierung dürste cS wagen, einer fremde» Regierung eine Einmischung in diese Frage zu gestatten * Wie man au« Rom meldet, hat es sich bei dem kürz lich sianalisirlcn Meinungsaustausch zwischen England und dem Vatikan über die Regelung der katholischen Hierarchie in Afrika um daS bereits einmal abgelchnte und nun erneuerte Verlangen Englands gehandelt, daß die katholischen Bistbiimer in den afrikanischen Eolonicn Englands dem ErzbiSthum von Malta nnlerstcllt werden sollen. Der Valican sei jedoch auS seiner ablehnenden Haltung gegenüber diesem Wunsche auch diesmal nicht herauSgetrelcn, * Mitglieder des deutschen Reichstags und de- italienischen Unterhauses verständigten )>ch mit den österreichischen Deutsch-Liberalen wegen einer gleich artigen Begründung deS Antrags aus Errichtung »tter- nattonaler Schiedsgerichte bei zollpolitischcn Streitfragen. * Der Vorsitzende dcS englischen HandelSamteS, Sir Michael HickS-Beach, hat unlängst in Bristol auf einem ihm zu Ehren von dem dortigen conservative» Arbeiterverein veranstalteten Tiner ein Bild einiger Reformen entworfen, mit welchem sich das Parlament nach seinem Wiederrusainmc»- triltc beschäftigen sollte. Es handle sich zunächst um zwei Fragen: Auswanderungen der ländlichen Bevölkerung »ach den Städten und die Abnahme des englischen Ausfuhrhandels. Gegen die crstere hält HickS-Beach eS sür angebracht, die Löhne aus dem Lande zu erhöben, im zweiten Falle ist er der Meinung, daß der Rückgang im englischen Außenhandel nur eine vorübergehende Schwankung bedeute und bereit- sein Heilmittel in Gestalt der kürzlich zwischen Deutschland und anderen Ländern deSFestlandeS abgeschlossenen Handels verträge gesunden habe. Sache deS Parlament« sei cS, die Lage der arbeitenden Elasten, soweit dies nur möglich, zu bester». Gegen bie Altersversicherungen bat HickS-Beach leinen principielle» Einwand. Mit der Ausführung des Plane« seien jedoch große Schwierigkeiten verbunden. Wcr olle die Pension erhallen'? Solle sie Jedermann erhalten'? Ein Vorschlag, Jedermann nach seinem 65. Lebensjahre eine Wochcnpcnsion von 5. Shilling zu gewähre», würde verkehrt ein. Irgendwo müsse die Grenze gezogen werden. Am besten wäre eS. wenn eine bcstimnttc Behörde die Frage enlschcidcn und bestimme» würde, wer aus die Pension Anspruch hätte. * DaS amtliche englische Blatt veröffentlicht die Meldung, wonach der Botschafter Fort zum Botschaftcr iuKon- lantinopel ernannt wird. * Nach einer Meldung deS „Przeglond" aus Moskau sind dort in letzter Heit 240 Personen, darunter l l Beamte, K Ossiciere, 4 Lehrer, 22 Studenten und 8 Frauen wegen nihilistischer Uinlricbc verhaftet worden, waS in der Be völkerung große Beunruhigung bervorgcruscu bade. In sechs anderen russischen Stätten sind Gehointruckereie» mit vor- räthigcn Stoßen von rcvolulionaircn Proclamationcn ent deckt worden. * Nack einer ans Sk. Petersburg zugchcnden Meldung wird als weiterer Schrill zur Russisicrrung der Dorp ater Universität die Umgestaltung der dortigen theologischen Facnllät in eine Akademie und die Verlegung derselben nach St, Petersburg oder in eine andere Stadl dcS Reiches ge plant, — Wie man de« Ferneren dorther berichlei, liegen Anzeichen dafür vor, baß seitens der maßgebenden Kreise auch die Russisicirung de« Polytechnikums in Riga inS Auge gefaßt wird. * Zahlreiche deutsche Eolonistrn aus dem Gouverne ment Samara passircn Dünaburg aus der Reise nach Nordamerika. Wegen der in Samara herrschende» HungcrSnolb und der üble» Behandlung durch die russischen Behörde» sollen angeblich alle Deutschen diese« Gouvernement« zur Auswanderung entschlossen sein, * Eine aus Sofia von compelenter Seile zu- gcbcndc Meldung, bezeichnet gleichfalls alle Nachrichten über angebliche Unordnungen und Altentatc in Bul garien als jeder Begründung vollständig entbehrend. Es herrsche im Gegcnlbcil im ganzen Lande vollste Rübe, und die strengeren, zur Anfrechtbaltung der Sicherheit getroffenen Maßregeln seien blo« eine Folge der cingelauscnen Berichte, wonach seiten« der in Serbien weilende» bulgarischen Emigranten ein Attentat gegen den Prinzen Ferdinand im Schilde geführt werde. * Die Anarckistenpntsche in Spanien <XereS) konnten sür Den, welcher die stark in da« anarchistische Fahr wasser in diesen! Lanke binübergekenke iccialistische Bewegung verfolgt hat, überraschend nichl komme», Tie Bewegung ist erst neueren Datums, jedoch wird die Organisatton als eine sehr gute bezeichnet, daS Haupt der spanischen Partei ist Iglesiaö, und der Hauptsitz der spanischen Socialdemvkralie, dürfte Barcelona sein. Ein Deutscher, welcher sich angeblich in Spanien ausliicll, um Land und Leute kennen zu lerne», bat dem „Vorwärts " geschrieben: „Es ist mir wirklich eine Freude, wie in diesem zurückgebliebenen Lande bie Arbeiterklasse ganz von kosmopolitischem Geiste erfüllt ist." Dieser etwa« frag würdige Deutsche, der von den spanischen Socialistcn geradezu mit EnlhusiaSmuö ausgenommen wurde, hat auch wiederholciil- lich Unterredungen mit Iglcsia« gehabt nnb sich von demselben Feuilleton. Das geflügelte Rad. 7j Roman von Hermann Heinrich. Nachdruck »ertöten. (Fortsetzung.) Am nächsten Sonntag kam Dürtcn's Mann in angetrun kenem Zustande. Sein Gesicht war von Branntwein und Zorn gerölbet. Mit den heftigsten Sckimpsworlcn zog er über Anna her und drohte, ihr alle Glieder zu zerbrechen, wenn sie eS wagen sollte, etwas zu beanspruchen, wa« ihr nicht zukommc. Besonders befürchtete er, die Alten könnten ein Testament zu Gunsten Anna'S aussctzcn. An diesem Tage war mit dem Manne in verständiger Weise nickt zu reden. Bei nächster Gelegenheit aber machte ihm Anna klar, daß sie scbr thörickt sein müßte, eine angenehme und einträgliche Elclle in Berlin aufzugcbcn, um dieses alte Gerümpel in ibren Besitz zu bringen. Er innßle sich überzeuge», daß ihm knie Benachtheiligung durch Anna nickt drohe. Ja aber, was wollte sic dann eigentlich? Denn daß sie etwas im Schilde führte, war klar. Die Frauen des Dorfes gingen über diese wichtige Frage zu Ratbe und kamen zu dem Schluß, Anna wolle sich hier einen neuen Bräutigam suchen. Sie habe c- nun einmal auf einen Pommern abgesehen. Infolge dessen wurden der Stadtjungser verschiedene An träge gemacht, die sie aber ein für alle Mal zurückwies. Die Bauern mußten erkennen, daß sie sich nicht verstellte. Sie wollte wirklich nickt heiralhcn, und die Stadljungfer blieb tlii ungelöstes Rätbscl. Der Winter ging dahin, und der Frühling kam. Anna balle sich an die allen Leutchen so gewöhnt, daß sie dieselben wie ihre eigenen Ellern lieble und verehrte. Es war. als ob der liebe Gott ikr sür den Verlust der eigenen Eltern, der sie in zartester Jugend betroffen halte, einen Ersatz hätte geben wollen. Mit besonderer Zärtlichkeit hing die Mutier an ikr. Sie sprach eS nie aus, aber in dem Blicke ihrer Augen, in den einfachen Worten: „Min Töckliug, min leiv Töchling" kam cS zun, Ausdruck. waS die Tiefen ihre« HerzenS verbaracn. Die schmerzhafte Krankheit der Alten sührte nicht zum Tode. Tie Schmerzen ließen allmälig nach, uns als die Maiensonne Felder und Garten bcschien, da konnte sie bereits auf den Krücken bie sonnigen Plätzchen besuchen Der Zeitpunct schien nicht fern, wo sie wieder ganz herzeslellt sein würde und die Hilfe Anna s entbehren konnlc. Anna ging mit sich zu Rathc. waS sie dann machen sollte. Sr« hätte einfach wieder nach Berlin zurückkehren und ihre frühere Stellung cinnehinen können. Frau von Breidenbach hatte sic wiederholt mit Geldmitteln unterstützt und ihr ge schrieben, baß sie sich auf Anna'S Rückkehr herzlich freue. Aber Anna fühlte, daß sie für die Welt und die Welt für sie verloren sei. Der plötzliche Verlust ihre- Bräutigam-, die schrecklichen Umstände, unter denen er um- Leben ge kommen war, hatten einen tiefen und bleibenden Eindruck auf sie gemacht. Sie konnte den Schmerz nicht überwinden, nicht mehr lachen und scherzen mit den Fröhlichen. Die tiefste Einsamkeit, die vollkommenste Abgeschlossenheit von dem lauten Treiben der Welt wäre ihr daS Liebste gewesen. Ihr wundes Herz sehnte sich danach. Diese Sehnsucht hatte sie auch, ohne daß sie sich klar darüber geworden war, mit den Ellern Robert'- nach Pelzig gejübrt. Aber cS war nicht eine tobte, tbatenlose Einsamkeit, nach welcher sic verlangte. Nein, sic wollte arbeiten vom frühen Morgen bis zum späten Abend, unablässig arbeiten und nutzbringend für sich und Andere, wie sie cS hier in Pelzig gethan hatte. Die Arbeit allein konnte ihre Wunden keile». Eines Tage- sah Anna an der Seite dcS Pastor« eine Frauengestalt in schwarzen Kleidern und mit weißem Häubchen vorübergcbcn. E« war eine kleine, unscheinbare und schwächliche Gestalt; WaS Anna aber an ihr ausfiel, war der ungemein friedvolle und glückliche Ausdruck des bereits faltigen Gesichts. Die muß sehr glücklich sein, dachte Anna in ihrem Herze». Sie erfuhr, daß bie Dame Diakonissin sei und sich zur Erholung einige Tage bei dem Pastor, ihrem Verwandle», aufhalte Diakonissin, Krankenpflegerin; Da- war Anna wie ein Fingerzeig von oben. Sie ging in« Pastorbau- und wurde von der Schwester Minna, nach der sie fragte, freundlich ausgenommen. Mit kurzen Worten erzählte sie der Schwester, was ihr Herz be wegte, und bat um ibren Ralh. Schwester Minna - Gesicht glanzte wie verklärt. „DaS kommt vom Herrn", sagte sie, .wer wollte eS Ihnen wehren?" Und nun erzählte sie von ihrer eigenen Berufung, von der schweren Arbeit drr Krankenpflege unb von dem Segen, der darauf ruhe. Anna hörte entzückt zu. .WaS muß ich Ibun?" fragte sie „Ich kebre in einigen Tagen nach Stettin zurück", ent legnere Schwester Minna „Dann will ich mit der Oberin sprechen und Ihnen schreiben Sie müssen rin schriftliche- Gesuch einreichen und nach einem aedruckien Fragebogen einen Lebenslauf schreiben. Darauf erfolgt für gewöhnlich die Auf nahme." „Ein Bedenken habe ich noch", sagte Anna. „Sie sind eine gebildete Dame, ich bin ein einfache- Mädchen. Werde ich zu gebrauchen sein?"' Schwester Minna erfaßte ihre Hand und sagt« herzlich: „Die Frage ist nur für die Welt von Wichtigkeit. Dort aber giebt eS nickt Gebildete und Ungebildete, sondern nur Kinder Gotte-." Einige Wochen darauf langte in Berlin die Nachricht an, daß Anna als Probeschwester in die Diakonissen-Anftalt Bethanien in Stettin cingetrelcn sei. Der Brief, welcher von der feierlichen Einführung erzählte, athmcle seliges Glück. „Mir war zu Mulde", schrieb Anna, „als ob ick auf eine Stunde die ewige Herrlichkeit schaute und die Stimmen drr Seligen hörte. Freut euch mit mir, denn ich habe mein Glück, meine Rübe wiedergesunden!" Trudchen schlug die Hände über dem Kops zusammen und sagte: „Wer hätte da« gedacht?" Frau von Breidenbach aber dachte an die Behauptung deS DoctorS Kemnitz, daß man nicht Künstler oder Erfinder zu sein brauche, um durch die Arbeit erhoben und geadelt zu werden. Gustav Rollmann batte sür seine Erfindung daS Patent beantragt und auch erhalten. Er batte dazu, um die Kosten zu decke», trotz de« heftigsten Widerspruchs von Seiten seiner Frau die hundert Mark auS der Sparcasse geholt und ziemlich verbraucht, und jetzt war er bemüht, durch zweckmäßige Ver wendung dcS Patent- seiner Erfindung Anerkennung und sich selbst eine Einnahme zu verschaffen. WaS er aber auch immer Ihat, der Erfolg blieb auS. Die ganze Angelegenheit verlief gewissermaßen programm mäßig. nämlich so, wie Libaucr cS vorau-aesagt hatte Gustav wandte sich zunächst an den Eisenvahnministcr. Dieser verwies ibn zur Prüfung seiner Erfindung an die Bahndirectionen, und von den Directionen erhielt Gustav einen abschlägigen Bescheid „Für eine Selbstkuppelung haben wir keine Verwendung", hieß e«. Anstalt sich dadurch zurück schrecken zu lassen, fühlte sich Gustav nur noch mehr an- grseuert. „Mir fehlen nur die Verbindungen", sagte er. „Ich werde mir einen Capilalistcn suchen und mil diesem daS Geschäft zusammen machen." Er annoncirle in den gelcsensten Zeitungen Berlins und halte dasür eine bedeutende Summe zu bezahlen. Der Erfolg war gleich Null, denn wenn auch einme Agenten kamen und die Erfindung besichliglen, so wollte sich doch kein Eapitalist herbeilassen, sein Geld zu einem so unsicheren Geschäft berzugeben Um manche traurige Er fahrung reicher, »m eine bedeulende Summe ärmer, von aller Welt verlassen, stand Gustav schließlich mit seiner Er findung allein. Er ertrug diese« Schicksal still und ergeben, denn bereits fing e« in seinem Kopfe wieder an zu arbeiten. Eine neue Idee verdrängte die alte, so daß er anfing, aus seine Kuppe lung mit einer gewissen Geringschätzung berabzuseben. Eine» Tage« brachte er einen schweren, ui Leinwand eingehüllten Gegenstand nach Hause. „WaS ist daS?" fragte Trudchen mißtrauisch. „Sich es selbst!" entgegnete Gustav. Und er enthüllte einen schweren eisernen Gegenstand. „Dies ist die bisherige Patentkuppelung", erklärte er, „wie sie an allen Wagen angebracht ist. Ick habe sie gelaust, weil unter den Bedingungen in der Zeitschrift deutscher Eisen bahn-Ingenieure gesagt ist, daß die bisherige Kuppelung bei behalten werden müsse." Trudchen erschrak und die Thräncn traten ihr vor Aergcr in die Augen. „Gustav, spukt denn die unglückselige Idee immer noch in Deinem Kopfe? Du hast Wohl »och nicht Geld genug wcggeworfcn? Du wirst uns wohl noch an den Bettelstab bringen!" „Davon kann gar nicht die Rede sein", entgegnete Gustav sicher. „Du redest wie ein alte« Weib, ich aber weiß ganz genau, WaS ich will." Trudcken'S ohnehin nicht schöne, etwas Harle Gesicht» zügc nahmen einen fast häßlichen Ausdruck an. „Mann, Mann!" kreischte sic wüthend, „daö kannst Du vor Gott und den Menschen nicht verantworten Unser Sparkassenbuch ist bin. Wofür hast Du diese Kuppelung gekauft, wer bai Dir daS Geld dazu gegeben? Gestehe cS! Dn hast c« geborgt oder Dir den Lohn vorauSbezahlcn lasten! Du bist ein Barbar, Du Tiger Du!" Dann ergriff sie Karlche» mit beiden Händen, hob da« Kind hoch empor, daß cS vor Angst schrie, und fuhr aufgeregt fort: „Sieb Dir das Kind an! Hast Du gar kein Herz im Leide? Willst Du un« in Lumpen gehen und verhungern lassen? Du Rabenvater, unmenschlicher!" Bleich und zitternd war Gustav zurückgcwichen. „Aber Trudchen, Kind, beruhige Dich dock, ich bitte Dich! Ihr sollt ja nicht hungern und in Lumpen geben, gewiß nickt." „DaS müssen wir aber, wenn Du sortsährst, mit unser» paar Groschen so zu wirthsckastcn! Straßenkehrer und Ritzenschicber wirst Du noch werden müssen, und ick kann nur gleich die seine Wäsche lernen, daß ich auch ei» paar Psennige verdiene. Scheiden werde ick mich von Dir lassen, dann brauch' ick mich wenigstens über einen solchen Hans narren nicht mcbr zu ärgern. Wenn ein Mann seine Frau nicht mehr ernähren kann, taS ist ei» SchcidungSgrund. Warle nur! Mit Fingern sollen alle Leute aus Dich weisen und sagen: Der bal Frau und Kind in« Grab gebracht." „Aber Trudchen, ick will ja gern Alles thun, waS Du ver ständiger Weise nur von mir verlangen kannst!" „Dann sollst D» sofort die ganze skuppelei rinstrllen und dieses verfluchte Ding" — sie warf die mitgcbrachlr Patent Kuppelung dabei in die Ecke, daß es donnerte — „sollst Du sosort wieder zurücklragcn und Dir da» Geld wieder geben lassen!" ,DaS kann ich nicht!"
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