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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.01.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920127028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892012702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892012702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-01
- Tag1892-01-27
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AboimemenlApreiA I» der Hauptexpedition oder deu im Stadt« kKk ,»d den Vororten errichteten Aus- «^kstelle» abgeholt: viert»I,ährlich^!4/<>, b«t zwetmaüaer täglicher IufteUung in« Ha»« » üchO. Durch die Pos» bezogen für Dratschland und Lesterreich: viertel,ndrlich . Direct» täglich» tkreu-bandjendung in» AnAland: inonatlich 9.—. LieMoegen-?lu«qob« erscheint täglich '/,7 Uhr, die Ldend-Lu-gade Wochentag« b Uhr. Uedittlion und Ervedition: )atzannr«gafie 8. Lir<kN»edition ist Wochentag« ununterbrochen gMnet «an früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: vtt» Sartim. iAIsr«» Hahn). Universrtütsslratze 1, Laut» Lüsche, -atharinenstr. 14, Part, und Köaig«platz 7. Abend-Ausgabe. dLtr IllgMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. JiisertionsPretS Die 6gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demNedaction-strich <4ge- spalten) vor den FamiUeanachrichteil (6 gespalten) Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zisfrrnsah nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesSrderung M-—, mit Postbesorderung ^l> 70.-. ^nnahmelchluß für Inserate: Abend-Bn-gade: Vormittags lO Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh 9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Inserate sind stet« an die ErPebtttan zu richten. Druck und Verlag von E. P olz tn Leipzig ^48. Mittwoch» den 27. Januar 1892. 8li. Jahrgang Leipzig, 27. Januar. * Der Kaiser und der König von Württemberg trafen gestern, wie bereits in einem Thcil der Auflage der Rorgennummer gemeldet, um 2 Ubr 35 Minuten mit dem gesammten militairischen Gefolge in Potsdam ein und be gaben sich im offenen Wagen nach der Easerne des Leib- Garde-Husaren-Rcgimentö. Vor dieser war das ganze Re giment in Parade aufgestellt. Die Majestäten und taö Gefolge schritten die Front des Regiments ab und wohnten daraus einem Schulreiten der Osficiere bei. Gegen 3 Uhr wurde das erste Garde-Regiment zu Fuß alarmirt und eben falls in Parademarsch vorgcfübrt. Um 5 Uhr begaben sich die Majestäten zum Diner in die festlich geschmückte Ossicicr- Speiseanstalt des Leib-Gardc-Husarc» Regiment«. Auf das ron dem Comniandeur ans de» König von Württemberg ausgebrachte Hoch antwortete letzterer mit einem Toast aus da- Regiment. * In parlamentarischen Kreisen wird es allseitig als zutreffend angenommen, daß wegen der Meinungsverschieden heit über das VolkSschulgesctz ein Entlassungs gesuch deS Finanzministers Miguel eingereicht worden ist. Auch in der Eonferen; mit dem Kaiser bei dem Grafen Zedlitz am vergangenen Sonnabend soll der Finanzminister, wie unS zuverlässig berichtet wird, seinen ernsten Bedenken gegen den vorliegenden Entwurf nochmals Ausdruck gegeben baven. Ob das Entlassungsgesuch cndgiltig zurückgewiescn oder die Entscheidung nur verschoben ist, bis sich das Schicksal des Gesetzentwurfs vollständiger übersehen läßt, darüber lauten die Angaben verschieden. Allgemein bemerkt wurde, daß, von einer kurzen Anwesendest des Minister präsidenten Graf Eaprivi (in der gestrigen Sitzung) ab gesehen, der Eultuöministcr gestern und heute bei den Be rathnngen im Abgcordnetenhause am Ministertische vollständig allein gelaffen wurde bei einem Gegenstand von solcher Tragweite für unser ganzes politisches Leben. Wir stehen allem Anschein nach vor einer sehr folgenschweren Krisis, wenn wirklich das Gesetz nach den wesentlichsten principiellen Bestimmungen des Entwurfs zu Stande kommen sollte. * Zu der Nachricht von der Einreichung des Ent lassungsgesuches seitens des StaatsministerS Or. Miguel bemerkt die „Nat.-Ztg": Seit der Einbringung des BolkSschulgesetzeniwurfes war in der Presse viel die Rede davon, daß Mitglieder de« Staalsminislerium« in diesem »gegen de» Entwurf gestimmt"; es wurden abwechselnd vier oder fünf Namen genannt, in erster Reihe immer der des stnanzministers vr. Miguel, und dann wieder bestritte», daß die Angaben zutreffend seien. Wir haben un« an diesen Erörterungen nicht bethstligt, weil sie Len Sachverhalt nach unseren Informationen überhaupt unrichtig darslellten, auch abgesehen von de» Personenfragen Es ist im StaatSministerium gegen wichtige Bestimmungen des Entwurfs, insbesondere von dem Minister Miguel, Widerspruch er- bobeu worden, aber eine „Abstimmung" nach Mehrheit und Minder deit über den Entwurf als Ganzes hat nicht slattgesunden Die Einbringung der Vorlage im Landtag ist gleichwohl im StaatSministerium nicht ohne Folgen geblieben, wie aufmerksame Leser des Sitzungsberichtes des Abgeordnetenhauses vom Donnerstag, dem ersten Tag der Äatsdebatte, bemerke» konnten; der Finanz- ininister Miguel sagte in seiner erste» Rede, nachdem er aus geführt hatte, daß die llebernahme dauernder Staatsausgabe» an die Eifeobahn-Ueberschüsse schwer zu corrigiren sei: „Ich würde allerdings, wenn ich dazu noch Gelegenheit habe, gern mit dem Minister für öffentliche Arbeiten mich darüber ins Benehmen setzen, Erwägungen anzusteüen, was in dieser Beziehung noch u geschehen hat." Tie Worte, „wenn ich dazu noch Gclegen- »eit habe", bezogen sich offenbar aus rin am Tage zuvor von dein Finanzniinister eingereichles Enilassuiigsgesuch, welches der Kaiser nach seiner Rückkehr an» Kiel vorsand, »der alsbald ablchnte. von einer gewissermaßen die Eiiljcheidung bis »ach den Co»»»issiv»S- berathuuge» ausjchiebendcn Antwort des Kaisens ist »nS »ichlS bekannt geworden; »ns wurde lediglich berichtet, das; das Entlassungs- gesuch abgelebnt worden. Falls ei» Gesetz aus der Grundlage der von allen Liberale» und de» Freiconi'ervativen verworfene» Vor- schlage zu Stande kommt, werden wir allerdings vor einer politische» Krisis stehen, in der es sich um mehr als um das Berbleiben eines Ministers im Ainte handeln dürste. * Die freiconservative „Post" schreibt: Entgegen der vielfach vertretenen Annahme, unö aber keineswegs ganz unerwartet, hat die conservative Fractio» sich in ihrer roßen Mehrheit für alle principiellen Puncle des VolkS- chnlgesetzentwurfS entschieden. Selbst in Bezug auf den Privatunterricht hat der Standpunct der .„Krcuzzcitung" über den der „Eonscrvativcn Eorrcspoiidcnz" gesiegt. Dadurch wird die Lage wenigstens in den nächsten parlaincularischen Stadien wesentlich vereinfacht. Es werden bestenfalls nur kleine Aenderungeu des Entwurfes zu erreiche» sein und derselbe wird im Abgeorkuetenhause durch eine klcrikal couservalioe Mehrheit angenouiinen werden. Wird der Entwurf dann m dieser Form Gesetz, so ist die Eoueciitration auf der einen Seite nach der „Kreuzzeitung", aus der anderen nach der Seite des entschiedenen Liberalismus besiegelt. Das, was Graf Eaprivi vor Allein verhüten zu müssen erklärte, wird somit mit einem Schlage durch die Aclion der Regierung selbst erreicht werden, wenn das BolkSschulgesctz in einer allein vom klerikal-conservativen Standpnnctc annehmbaren Form zu Stande kommt. Ob diese Rückkcbr zu schroffe» Gegensätzen innerhalb der staatSerbaltcnden Parteien in einer Zeit, welche vielmehr auf die Sammlung der skaatserhaltcn- den Kräfte hinweist, vom Slandpuncte der allgemeinen Politik sich gerade sebr empfiehlt, erscheint mindestens fraglich. Bom Standpnnctc der Reichspolitik wird cS wenigstens sicher als mißlich zn bezeichnen sein, wenn durch das Volks schulgesctz die Parteien, mit deren Hilfe das Reich mit gegründet ist, aus diesem Grunde von der Regierung setvst in eine Oppositionsstellung gedrängt werde». Es kommt hinzu, daß aus der schwarzen Gegenwart noth- wenvig eine rothe Zukunft erwachsen muß. Die Dcmolratie, einschließlich der Socialdemokralic, hat ohnebin zur Zeit gute Ehanccn. Ein klerikal-conscrvat.veS BolkSschnl- gesetz müßte dieselben noch sehr erheblich verbessern. Die Aussicht aus dieses andere Extrem, welches naturgemäß daS zunächst ans Ruder konimendc ablosen wird, sollte noch jetzt zn sehr ernsten Erwägungen auch im Schovße der Regierung Anlaß geben." * Die „Nordd. Allgem. Ztg." erklärt, die Angaben der „Köln. Ztg." über das Entlassungsgesuch Miguel's würden von zuständiger Seite als „in wesentlichen Puncten irrig" bezeichnet. Es kann sich bei diesem halben scheinbaren Dcmenli nur um einen Streit über die Form handeln, in der Miguel die Entlassung nachgesucht oder in Aussicht gestellt hat. * Die städtische Schuldeputation in Berlin hat sich in außerordentlicher Sitzung am Montag mit dem Vol lö sch ulHcsctzentwurf beschäftigt. Stadtschulrath Bertram hielt einen einleitenden Vortrag, in welchem er zu dem Schluß kam, daß, wenn dieser Entwurf Gesetz werde, unser hochent wickeltes Schulwesen in Berlin den größten Schaden erleiden der der werde. Der finstere Geist in dein Entwürfe zeige sich in übertriebenen Betonung des consessionellcn Principö, in Verdrängung der Selbstverwaltung auf einem Gebiete, wo dieselbe überaus fruchtbar gewesen sei »nd segensreich gewirkt habe, in der Zurücksetzung der Schultechniler, an deren stelle jetzt der RegierungSvräsitent trete. Der Entwurf werde»! vielen Puncten für Berti» überhaupt unauSsührbar sein. Bei der Erörterung zeigte sich in der Bcurthcilung deS Entwurfs eine allscitige Ucbercinstimmung unter den Mitgliedern der Schuldeputation. * Die „Berliner Politischen Nachrichten" schreiben: Be kanntlich hatte daS preußische Abgeordnetenhaus in der vorigen Session den Beschluß gefaßt, die StaatSregiernng auf;» fordern, ihre Bemühungen für den Erlaß eines Reichs gesctzeS cintrctcn zu lassen, durch welches eine einheitllchc Reaelnng dcö Staats- und PrivatlottericwcsenS »n Reich und innerhalb der Einzelstaalen angebahnt werten sollte. Eine rcichSgcseyliche Regelung dieser Angelegen heit ist jedoch, wie das Staatsministerium nuiinicbr dem Hause mitgctbeilt hat, seitens deö Reichskanzler für nicht thnnlich erklärt Worten. — Dagegen hat^ der Beschluß des Abgeordnetenhauses, durch welche» der Regie rung Petitionen verschiedener InnunHSverbände, betreffend die Regelung der Gefän gnißarbcit, überwiesen wurden, insofern Berücksichtigung finden können, als die Bestrebungen, eine Beeinträchtigung des freien Gewerbes durch die Ge sängnißarbcil tdnnlichst zn verhüten, fortgesetzt Worten sind. Insbesondere ist darauf Bedacht genommen worden, die Arbcit der Gefangenen für den eigenen Bedarf der Anstalten mehr nutz bar zu mache», sowie Lieferungen für Reichs- und andere Staats behörden zu erhalten. Namentlich im Geschäftsverkehr mit den Eiscnbabnvcrwaltungen sind erfreuliche Ergebnisse erzielt, nnd auch die Bestellungen von Militairbebördc» haben zugenommen. Vor dem Beginn der diesmaligen preußischen LandtagSsessivn war auch mehrfach die Meldung verbreitet worden, eS würde wiederum ein Gesetzentwurf, betreffend die Verlegung der La „des-Buß und Beilage cingebracht werden. Das Abgeordnetenhaus batte in der vorigen Session der Staats regierung anbcimgestcllt, einen gemeinsamen Buß- und Bettag auf einen Tag gegen Schluß des Kirchenjahres, womöglich in der vorletzten Woche auf eine» Mittwoch zu verlegen. Hierüber sind, wie daS Staatsininisternn» mitgetheilt hat, die Verhandlungen noch im Gange. * Bezüglich der Wirkung der gegenwärtigen deutschen Politik ans die Nationalpoien schreiben die „Hamburger Nachrichten" inspirirt: Die polnische Presse rechne bereits auf ein mögliches Eintreffen solcher Verhältnisse, in denen die Polen in die Lage kämen, für oder gegen Deutschland Partei zu nehmen; man scheine geneigt zu sein, darüber ein Lici tation-versabren cinzuleitcn. StabtewSki'S Kritik der Bismarck scheu Herrschaft treffe die ganze Regierung Wilhelm'« I. Im Munde der Nationalpolen gewinne sie Bedeutung durch die erzielte scheinbare Zustimmung und Billigung der jetzigen ReichSregierling. * Im höchsten Grade bezeichnend für den Geist, der gegenwärtig das Cent rum durchdringt, ist die Rede, welche der Abgeordnete Lieber anläßlich einer „Katboliken-Ver- sammlung" in Freiburg i. B gehalten bat. Die SiegeS- gewißhcit paarte sich in Lieber's Ausführungen mit der Heranssordernng, die an alle anderen Parteien erging. Daß insbesondere die nationalliberale Partei zum Zielpunet der elbft. Herr Lieber war so ehrlich, offen zu bekennen, daß der UltramontaniSmuö im größten deutschen Bundesstaate an Einfluß gewonnen habe und er führt diese für daü deutsche Volk wenig erfreuliche Thatsachc auf den Umstand zurück, daß cö dem „Kaiser gelungen, sich endlich von BiSmarck, seinem unheilvollen Vormunde", zu „befreien"; deshalb müßten die EentrumSanhänger durch Unterstützung der jetzigen RcichSregierung dafür sorgen, daß der Kaiser nicht in die Lage gebracht werde, den früheren Reichskanzler je wieder znrückzuberuscn. — Da die Versammlung zur Förderung des angeblich gegen die socialbcmokratische» Bestrebungen gerichtete» „VotkSvercinS" einbernfen war, v mußte Herr Lieber sich auch mit der Soeialdemokratic befassen; er that das, indem er vor Allem den Liberalismus als den Vater der Socialdemokratie bezeichnet«: und auf die „republikanischen" Gesinnungen der Liberalen hinwies, bis er sich schließlich zum Kernsatze verflieg: „wenn schon liberal, dann lieber gleich „socialdemokratisch". Er wandte sich gegen die die staatliche Autorität nntcrgradcnde Kampscswcise der Socialdemokratie und verschmähte cö dennoch nicht, im gleichen Atbemzuge Zusagen, daß die kleinstaatlichc» Minister präsidenten bald werden nachpseifen müssen", waö Gras Eaprivijetzt bereits zuGunsten der Eenlrnmöbestrcbungen sage, und daß man in Baden in die Zwangslage versetzt würde, „daö in Berlin bereits bell brennende Licht im eigenen Hause anzustecken". Uebcrhaupt behandelte Herr Lieber die badischen Verhältnisse so leichthin, als ob deren cndgiltige Gestaltung nur noch von dem Willen der Erntrallcilung der preußischen Ultramontancn abhängig wäre. Waö Herr Lieber sachlich vorbrachte, ging nicht über das Niveau einer seichten Dar stclliing der socialdemokratischen Bestrebungen hinaus und war wobl nicht geeignet, die Mehrzahl der Anwesenden vor einer- Infection durch diese „Pcstseuchc" zu bewahren; Kampf gegen den Liberalismus, Kampf gegen die badische Regierung war die Losung. * Die socialdemokratische Grundlage des vor etlichen Tagen verhandelten Bnerer Mord procesfes ist bereits durch die Anklageschrift und daü Plaidot-er des StaatSanwaltS, wie durch die Aussagen der Zeugen bi» reichend klar gelegt worden. Nachträglich wird eine be zeichnende Aeußcrung des Rädelsführers der verbrecherischen Unthaten, des Bergmanns Peter Nick, bekannt, welche zeigt, in wie unglaublichem Maße die Gemüthcr dieser Leute durch socialdemokratische Ideen verwildert nnd verderbt waren. Als dem Nick daS ans 15 Jahre Zuchthaus kantende Urthcil verkündet worden war, erwiderte er ans die Frage, ob er ein Rechtsmittel gegen das Erkciintniß cinlegcn wolle, mit gleichmüthigem Grinsen: „Daö ist nicht nvthig, i» längstens sechs Jahren haben wir doch das Re g im ent nnd dann werden mich meine Kameraden im Triumph aus dem Zuchtdanse holen." Gicht cö Wohl deut lichere Beweise für die Gcmciiigcfäbrlichkeit der socialdemo kratischcn Agitation, als derartige Ausbrüche tincs wahn witzigen Verbrecher Fanatismus? * Die zweite badische Kammer genehmigte mit 32 gegen 28 Stimmen den Gesetzentwurf, betreffend die Errichtung eines vierten Ministeriums. Dafür stimmten die Liberalen und Eonservativcn, dagegen das Ecntrum, die Freisinnigen nnd Socialistc». * Das österreichische Herrenhaus nahm das Gesetz über die Entschädigung unschuldig Vcrurtbciltcr an. — Das Abgeordnetenhaus setzte die Berathung über die Reform der Feuillrtsn. Villa Loheugriu. Humoreske von Mariane Sell. N-chden« «erden». I. Reiscvorbereitungen. „4 Koffer, 3 Reisekörbe, I Bettsack, 2 Kisten und 9 Stück Handgepäck — ist das nickt etwas viel, Lieschen? Wenn die Hunnen so viel Bagage gehabt hätten, als sie in Europa —" weiter kam Herr Werner nicht, denn seine Frau unterbrach ihn hastig. „DaS nennst Du viel? Für vier Personen, die mindestens auf zwei Monate in die Sommerfrische reisen wollen? Ich finde eS ungeheuer wenig und fürchte nur, wir werden mancherlei vermissen! WaS übrigens die Hunnen betrifft, von denen Du neuer dings so viel Wesens machst, häßliche, ungebildete Menschen, bis zur Zeit der Sündfluth gelebt baden, so können ihre häus lichen Einrichtungen für eine deutsche Hausfrau der Jetztzeit nicht maßgebend sein! Sie haben vermnthlich keine Regen schirme gehabt, aber Tu würdest Dich sehr wundern, wenn wir die zu Hause kaffen wollten", und während sie ein Packet Sonnen- und Regenschirme mit einem Lcder- riemen umschnürte, warf sie ihrem Gatten einen Blick zu — so vorwurfsvoll, wie eS ihre freundlichen blauen Augen nur zu Wege brachten. Siegfried Werner trat natürlich sofort den Rückzug an. „Ach Lieschen, ich meinte ja nur so! Es kommt auch gar nicht- auf die Zahl der Koffer nnd Kisten an, wir brauchen sie ja doch nicht selbst zu schleppe», daS besorgt die Locomotive für unS! Aber wegen der Hunnen bist Tu doch im Irrtbum, gar so lange ist es nicht her, daß sie in Europa ringcbrochcn sind. Eö war im Jahre 375, n. Ehr., als sie unter Balamir'S Anführung den Don überschritten — ich kann Dir'S schwarz aus weiß zeigen!" „Mit Deinen ewigen Hunnen! Mich intercssiren sie gar nicht! Ich will froh sein» wenn Dein neuer Roman: „Attila, der Hminenkönig" fertig sein wird! Du sprichst sogar im Schlaf von Attila und einer Honoris!" „Das war die kaiserliche Braut, die ihm der Kaiser Balentinian wider ihren Willen vorenlhielt — aber Lieschen, rege Dick nur ja nicht wegen der Hunnen ans! Du hast sonst morgen Deine Migräne und eS wäre entsetzlich, wenn wir unsere Abreise verschieben müßten!" und der Gatte ver ließ schleunigst daS Zimmer, um nicht in die Versuchung zn louuueu, abermals von de« Huuoeu anzufaugen, während ich seine Frau von Neuem mit den Reisevorbereitungen be- "'tigte. Wie hübsch und behaglich war'S sonst bei Werner'S und wie öde und unwirthlich sah's jetzt in ihrer Wohnung aus. Gardinenlose Fenster, aufgerollte Teppiche, Lampen, Spiegel und Bilder mit weißen Tüchern verhängt, alles Bewegliche weggepackt und alle Räume erfüllt von einem widerwärtigen Geruch nach Naphthalin und Kampher. „DaS muß sein!" sagte Frau Werner, als ihr Gatte seinen Absckcu aussprach, „sonst fressen die Motten unsere guten Polstcrmöbcl!" Werner'S waren seit ihrer Hochzeitsreise nicht wieder gemeinsam aus Reifen gegangen. Den Gatten hatte wohl hin nnd wieder die Reiselust erfaßt, aber dann nahm er das Ränzchen aus den Rücken und wanderte fröhlich, allein oder mit einem gleichgesinnten Freund, über Berg und Thal, während seine Frau am liebsten daheim blieb' — da War'S nach ihrer Meinung am besten. Liesen Sommer sollte cs zum ersten Male anders werden. Als der lange Winter und die Influenza vorüber, da hatte Frau Werner ihrem Gatten eines Tages erklärt: man müsse unbedingt etwas für die Gesundheit lhun! „Ich bin angegriffen, Du bist angegriffen!" Als sie in der Eonjugation des Zeitwortes: angegriffen sein bis zu: „sie sind angegriffen" gelangte, da war bei ihm jeder Widerspruch verstummt. Wenn „sie" — das heißt die sechsjährige ThuSnelde und der fünfjährige Hcrrinann, meist Tbusel und Männe genannt — angegriffen waren, dann mußte selbstverständlich etwas Ernst liches geschehen, denn seine Kinder gingen ihm über Alles, für die brachte er ja jedes Opfer. damit „Wir wollen auf's Land gehen, mindestens zwei Monate, lit sie sich recht gründlich erboten", entgegnetc er seiner Fra». „Ich wollte zwar gern bi« zum Herbst mit dem Attila fertig werden, aber schließlich kann ich ja überall arbeiten." Eifrig studirtcn von da an Werner'S die Zeitungen und lasen die Anlündigungen der Luftcurorte und Somnicrsrischcn gewissenhaft durch, aber wer die Wahl hat, der hat auch die Oual. Da kam ihnen ein Freund zu Hilfe. „Für Euch paßt am Bcflcn Lärchenthal; gute Lust, Wasser und Wald giebt'S überall, aber Lärchenthal hat noch besondere Vorzüge. Dort pflegen stets eine Menge Künstler ihre Ferien zu verbringen, um sich von den Anstrengungen zu erholen, die ibncn die Wintersaison gebracht hat. Man macht aus diese Weise sehr interessante Bekanntschaften und überdies, während man sich in anderen Sommerfrischen bei Regenwetter zu Tode langweilt, giebt'S im EurhauS zu Lärchenthal reizende Eoneerte und Aufführungen." DaS klang so verlockend, daß Herr Werner bereits am nächsten Tage »ach Lärchenthal reiste, um eine Wohnung zu mietbcn. Der Ort hatte in der That eine höchst malerische Lage in einem breiten sonnigen Thal, da« an zwei Seiten von be waldeten Bergen begrenzt war. Den Mittelpnnct nabi» daS EurhauS ein, ein großer stattlicher Bau mit zwei Seiten flügeln inmitten gutgcpflegter Parkanlagen, und ringsum gruppirlen sich wie die Mchlein um die Henne Sommerhäuser und Villen, mit kleinen Vorgärtchen, Lauben, Veranden und Balconcn. Noch lag Schnee auf den Bergen, »och reckten die alten Linden und Buchen im Parke ihre kahlen Acste in die Luft, noch waren die braunen glänzenden Knospen der Kastanien fest geschlossen, aber daß cS hier im Sommer entzückend sein mußte, sah man deutlich. „Wittwe Katzwedel" batte der Freund empfohlen, und zn ihr lenkte folglich Werner zuerst seine Schritte. Eine ältliche Dame mit spitzer Nase und einem kohlschwarzen falschen Scheitel, unter dem die grauen Haare verrälherisck hervor sahen. empfing ihn mit übergroßer Höflichkeit und führte ihn ini Hause herum. „Früher hieß mein HauS: der Lärchenbaum, aber seitdem Richard Wagner unter seinem Dache gewohnt, habe ich cs: Villa Lohengrin genannt. „Richard Wagner hat bei Ihnen gewohnt? DaS ist ja sehr interessant!" unterbrach Herr Werner die redselige Frau. Diese nickte mit stolzer Miene und öffnete eins der Fremden zimmer. .Hier!" Weiler sagte sie vorläufig nichts, und überließ eS ihrem Gast, sich selbst umrusehen. ES war ein Zimmer, daS sich sonst durch nichts Außergewöhnliches von de» andern Räumen unterschied. Sopha, Schrank. Tische, Stühle. „Ick habe eine Menge Andenken und Reliquien von dem großen Dian» gesammelt", fuhr Frau Katzwedel fort, „wenn ich sie verkaufe» wollte, wäre ich eine reiche Frau und brauchte mich nicht mehr mit dem Vermicthen zu plage», aber nein, so lange ich lebe, trenne ich mich nicht von den Schätzen, ich zeige sie am liebste» gar nicht! Nur da« hier, das läßt sich nicht verbergen", und sie schritt zum Fenster und deutete aus eine Scheibe, die durch seines Gitterwerk vor der Berührung geschützt war. „Sehen Sie, mein Herr, hier hat Richard Wagner mit seinem Brillantring seinen Namenszug eingearaben l" Richtig, da stand U „Und hier!" Frau Katzwedel schlug die Tischdecke zurück — an der Tischkantr war cbensall« dasselbe Monogramm cin- geschnitten. Kopfschüttelnd betrachtete Herr Werner Beides. Merk würdig, daß ein so großer Geist Vergnügen daran gefunden batte, wie ein Schulknabe sich zu verewigen! Männel würde baß riesige« Vergnügen machen, aber Richard Wagner? Jetzt öffnete Frau Katzwedel die Tbür dcS allgemeinen Salonö und zeigte stumm auf ein Bild des berülunien Ton dichters, das mit einem Lorbccrlraiiz umwunden war. „Von Ihm!" sagte sie bedeutungsvoll, mit gerührter Stimme, „und hier an diesem Flügel hat er gesessen und gespielt und gesungen: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!" Ack, das vergesse ich mein Lebtag nicht, daö war der schönste Augenblick meine« Dasein«! Sie sind gewiß ebenfalls Künstler, mein Herr", fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, „Sänger, oder spiele» Sie vielleicht Eello? Ick schwärme für dieses Instrument, cs llingt so melancholisch!" Herr Werner war tief beschämt über seine Talcntlosig- kcit, die ihn in den Augen dieser Frau offenbar herab- sctzcn mußte. „Nein, ich bin leider gar nicht musikalisch, meine Frau eben so wenig; unser Männel hat eine Trompete »nd eine Trommel, ich glaube aber kaum, daß Ibncn seine Verträge besondere Freude machen würden." „O bitte, ich liebe die Musik in jeder Gestalt nnd lind liche Musik klingt oft ungemein ergreifend. Aber ein Künstler müssen Sie dock sein! Vielleicht ein Maler?" „Ich bin Schriftsteller — mein Name ist Siegfried Werner." „Werner? Sind Sie der Verfasser von Königin Libussa?" „Allerdings! Mein Erstlingswerk, noch ziemlich unreif; jä heste Besseres zu leisten!" Aber Frau Katzwedel war ganz außer sich vor Freude. Eine» Schriftsteller batte sic sich schon lange gewünscht! Obre Nachbarin machte sich fortwährend mit ibrcm LogiS- Herrn breit, der in seiner Jugend Liebeslieder gedichtet batte Du liebe Zeit, daS war schon lange der, er batte ganz graue Haare, aber da« war hier ein junger, hübscher Man» von 33 Jahren, mit braunen Augen, lockigem Haar und einem zierlichen Schnurrbärtchcn! Wenn sic sein Lob ein wenig ausposaunte, konnte er die berühmteste Person in dieser Sommcrsaison werden! „Und schon verbeirathet? O wie schade, Herr Werner! Die jungen Damen werden das sebr bedauern!" Werner lachte herzlich. „Schon seit sieben Iabrcn, aber ich bin nicht so eitel, mir cinzubltecn, daß Jemand Verlangen nach meiner Hand tragen sollte." „O, wer weiß!" schmeichelte Frau Katzwedel. „Aber Eines müssen Sic mir versprechen, Herr Werner! Sie sehen den leeren Platz an der W>:md, meinem Richard Wagner gegenüber. Ich babe noch Niemanden gesunden, den ich dieses Platzes für würdig befunden — aber wenn Sic Ibr Bild stiften wollten , der Lorbeerkranz ist natürlich mein» Sache!" — —
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