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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.03.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920301029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892030102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892030102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-03
- Tag1892-03-01
- Monat1892-03
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Tabellarischer und Zifserasatz nach höherem Larij. Eptra-vrilaGk» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesördrrung so.—, mit Posidtsörderuug ^l 70.—. Aunahmeschluß fiir 3«serate: Abend-Lu-gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag« früh S Uhr. Vel den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. 2nser«tt sind stet« an die Urtzebttt«» zu richte«. Druck und Verlag von L. Polz t» Leipzig Ul. Dienstag den 1. März 1892. 88. Jahrgang Vas neue französische Ministerium. ID Pari«, 28. Februar. Sechs Tage dauerte es. bi« die Welt erschaffen wurde: ein sranzösischrs Ministerium zu bilden, muß aber doch noch schwieriger sein — man brauchte zehn Tage dazu! Und nu», wo es endlich da ist, nach unzähligen Irrungen und Wirrungen, da kann man nickt einmal sagen: „Und siehe, es ist gut so!" Nein, gut ist es nicht, da« neue Ministerium Loubet, darüber herrschen schon heute» am Tage der officiellen Bekanntmachung, kaum noch Meinungsverschiedenheiten, und nicht minder ist man einig, daß seine RrgierungSzeit nur von kurzer Dauer sein wird; wäre es doch schon beinahe vor seiner eigent lichen Geburt an innerer Entkräftung verschieden, denn gestern Nachmittag und Abend stand seine noch nicht einmal ganz fertige Existenz auf dem Puncte, elendiglick zertrümmert zu werden! Aber diese erste Krisis ist glücklich überwunden wohl nur aus Rücksicht darauf, daß die ohnehin bereits er bitterte Stimmung im Lande über die Unsicherheit in den höchsten Regierungskreisen nicht noch mehr Nahrung erhalten solle, und das neue Ministerium fiel nicht schon beim ersten Stolpern oder wurde wenigstens, da eS vor Schreck aus einander zu brechen drohte, schnell wieder zusammengekittet, so daß e« sich heute vollzählig dem erstaunten Frankreich präsenti.rn konnte. Za, dem erstaunten Frankreich, welche« am allerwenigsten an Herrn Loubet al« Eabinelspräsiventen gedacht. Wer ist dieser Herr Loubet, dessen Namen man kaum innerbalb der blau-weiß-rothen Grcnzpfähle, geschweige außerhalb derselben, bisher vernommen? — Herr Loubet, gegenwärtig sünsund- vierzig Jahre alt, war bisher Präsident der Finanzcommission; wie so viele andere Politiker aus der Advvcatenlausbahn hervorgcgangen, wurde er 1876 mit großer Stimnicn- ruehrheit in die Kammer und später in den Senat gewählt und bekleidete vom Januar 1887 bis April 1888 den Posten eines Ministers der öffentlichen Arbeiten im Cabinet Tirard. Stets zu den gemäßigten Republikanern haltend, wird er als ein durchaus lauterer, gerader Charakter geschil dert, von ruhigem, liebenswürdigem Wesen, ein tüchtiger Beamter, der m seinem Ministerium ein gutes Andenken hinterlaffen, übrigen« intim befreundet mit Carnot und Ferry ist. Große Entschlossenheit und mannhafte« Auftreten scheinen ihm allerdings nicht gegeben zu sein, und da« sind doch gerade die Eigenschaften, über die rin französischer Minister präsident, der so häufig scharfe Kämpfe mit der Kammer im Ganzen und deren unbotmäßigen Elementen im Einzelnen zu bestehen hat, in erster Linie verfügen muß. Bon dem bisherigen Cabinet Freycinet nahm der neue Cbef in den gleichen Eigenschaften, die sie bisher inne gebabt, folgende Minister herüber: Freycinet (für den Krieg), Ribot (auswärtige Angelegenheiten), Rouvier (Finanzen), Bourgroi« (öffcntliches Unterrichtswesen) und Roche (Handel). Neu ein getreten in daS Cabinet sind: Cavaignac (Marine), Develle (Ackerbau), Bictte (öffentliche Arbeiten) und Ricard (Insti; und CultuS). Bon ihnen ist nicht viel zu berichten, sie gehören sämmtlich der gemäßigten republikanischen Partei an und waren bisher in Hohen Staatsstellungen — zwei von ihnen, Develle und Biettt, früher bereits als Minister tbätig. Da« Portefuille de« Innern bat sich der Ministerpräsident Loubet für sich bewahrt, e« ist da« wichtigste, aber auch gefährlichste, und jedenfalls fehlt e« seinem neuen Inhaber an Selbstvertrauen nicht, wenn er glaubt, die Nachfolgerschaft eine« ConstanS übernehmen zu können. Oder war diese Wabl keine freiwillige, war fir ibm auferzwungen worden, unter der Bedingung, daß er i»r in diesem Falle zum CabinetSpräsidenten erwählt würde?! Wir sind versucht, die« anzuncbmen, davon jedoch weiter unten. Das neue Cabinet wird ohne Frage zunächst auf den Bahnen des alten weiter wandern und sich als Stütze der ge mäßigten Republikaner bediene», da durch die neuen Minister- crncnnungen keinerlei Concessioncn den anderen Parteien, wenigstens nicht in direkter Weise, gemacht wurden. In diese», Sinne bat sich auch scheu Loubet zu seinen Freunden ausgesprochen und dabei erwähnt, daß für ihn da- Concordat die Richtschnur bedeutet in den Verbindungen der Kirche mit dem Staate und daß er in ibm die Waffe erblicke, mit welcher sich die Regierung gegen die Uebertzriffe der Kirche vcriheidigen könne. DaS ist theoretisch recht schön gesagt, aber — in der Praxis wird sich diese Frage wesentlich anders anSnebmcn, und wir werden bald aenng von neuen ernsten religiösen Streitigkeiten in der Kammer zu hören bekommen. DaS wird aber nicht die einzige Schwierigkeit sein, die sich in Kurzem dem neuen Cabinet entgegenstellen wird, eine zweite, nicht minder gewichtige, >>t die mehr und mehr an Ausdehnung ge winnende Unzufriedenheit mit den neuen Zöllen (erst gestern wieder fand eine Versammlung niedrerer hunderter Handelstreibender hiersclbst statt, um gegen jene Tarife Stellung zu nehmen), eine dritte die socialistischen und anarchistischen Kundgebungen, die für den >. Mai geplant werden. Nur eine feste, entschiedene, zielbewußte Regierung wird au« diesen Kämpfen siegreich hervorgehen könne», und eine derartig nöldige Festigkeit und Entschlosscnbeit traut man de», neuen Eabinet nicht zu. „E- ist ei» Ministerium der Feigheit, der Schlaffheit", rufen heute die radicalrn Blätter an«, und: „Es ist -in Carnevals-Ministerium!" spottete öffentlich gestern in der Kammer Deroulete. Ein langes Leben wird daher daß Cabinet Loubet nicht führen, und sein vorauSsichlich kurzes Dasein wird ihm noch dazu gehörig ver gällt werden! Warum wurde eS denn aber überhaupt gebildet, diesr- unglückliche Loubet'scke Cabinet? Eine schwierige Frage, auf welche dir Coulissen der Kammer und des Palais Elyföe die richtige Antwort rrthrilen können! Da« Einfachste wäre g« wesen — und dir« wollte auch der Präsident der Rspublit —, daß sofort nach der Krisi« Freycinet da« neue Cabinet ge bildet hätte, er tbat da« nicht, denn in diesem Falle hätte er ConstanS (falls er nicht sein Spiel gar zu offen hätte zeigen wollen) mir hinüber nehmen müssen, was er nicht wollte, denn Freycinet ist ein Gegner des bisherigen Minister» des Innern, er ist ibm zu groß! Daber die Verwickelungen, daher die Ablehnungen Riboi'S und Rouvier'S und Bourgeois, da» Cabinet zusammenzuseyen, welches sie nur mit ConstanS bilden wollten, daher endlich d,e Zuhilfenahme de» unbetheiligten Herrn Loubet, der daS Ministerium de- Innern selbst übernahm. Es war der einzige Ausweg, aber ein Ausweg, der die Regierung auf eine falsche Bahn geführt. Sie hat sich schwach und undankbar erwiesen, indem sie ConstanS fallen ließ, diesen Mann, dem sie so Biele- verdankt, der, indem er rücksichtslos gegen Boulanger vorgina, sein Vaterland vor abenteuerlichen Gefahren bewahrte, sie hat auf Gehässigkeiten und Verleum dungen gehört, deren Verworfenheit längst erkannt worden ist, und sie hat damit indirect eineVerbrugung gegen den in den letzten Zügen liegenden BoulangiömuS gemacht, der daraus gehörige» Capital schlagen wird! Man spnch ^ - der Beeinflussungen, die von um E»'- Name Mokrcnhc,,.' ^gewinuen. .»an fluß auf die innere Politik ü",,l>eich r >' ^ ^.strmnz berichtet vo» diesen und lenen I" ^ Triumph hat iiiil den, ^"binet boudet a>le^ « Republik hat, Leipzig, 1. März. namentlich auf der Walerftat.on aus >-k,ärvo. * Dem gestrigen parlamentarischen Diner beim preußischen. Ä.uäminister wohnten t-r r»e.chska.,zl-r d.e sowie die Mitglieder der Volks,chulcommissto» bei. Der C.7.u-Lisr-r »».erhielt sich längere Z-.t m.t dem Ab- geordneten Nickert. . * Von einer Seite, die gut unterrichtet zu sk'" g aub'. aebt der Köln Htg." folgende Darstellung zu, die wir als Ustraz zu d n Deutungen der Kaiserrede w.-dergeb-n- Auch beüw noch steh, die Red- d-S Kaiser« auf dem brandenburgischcn ProvinziaUandtage i»i Mittelpunctc aller PoMffchen ilnterhaUung. Mehrfach und au» zuverlässiger Quelle wird uns bestätigt, daß der Kaiser sein Bef rem den darüber ausgesprochen bat. da« inan vielseitig d,e Kede dah.n verstanden hat, als habe er sich gegen die Gegner de« Volks schulgeseye« ausgesprochen oder gar diese zur Auswanderung ausgesorrert. Nick'« habe ihm ,-rner gelegen, zumal, er e« enischieten ablehnte, so lange, wie Gesetzentwurf >n de Commission noch in Vorberathung sich befinde und noch nicht abgeschlossene Gestalt angenommen habe, öffentlich Stellung zum Entwurf oder den Beschlüssen zu nehmen. Die Mittheilungen, die u»S in dieser Hinsicht »„gegangen sind, lauten so eingehend und bestimmt, daß wir an ihrer Richtigkeit nicht zweifeln können. Der Kaiser wollte sich nicht gegen die sachgemäße Lersechtung politischer Grund- sätzr und 'Gegensätze auSsprechen oder gar die Verfassung« mäßig gewährleistete Rede- und Preßfreiheit beeinträchtigen Dieser Tbeil der Rede soll seine Spitze ausschließlich gegen daS fortgesetzte Nörgeln und Mäkeln richten, sich alfo nicht auf die politische Thätigkrit erstrecken. Der Kaiser sagte wörtlich: „Es ist ja leider jetzt Sitte geworden, an Allein, was seiten- der Regierung geschieht, hcrumzunörgeln und berumzumäkeln. Unter den nichtigsten Vorwänden wird den Leuten ihre Rübe gestört und ihre Freude am Dasein und am Leben und Gedeihen unsere« gesammten großen deutschen Vater landes vergällt." Dieser Vorwurf soll sichnicht auf die berechtigte Gegnerschaft zu einer Reihe vonRegierungSmaßnahnien erstrecken, die für verfehlt erkannt werden, sondern weit mehr auf die vielfach nicht blo« in Deutschland und nicht blo« auf politischem, sondern noch mehr auf künstlerischem und literarischem Gebiete verbreitete Unsitte, die kleinen und kleinlichen Seiten jede« Neuen mehr zu beleuchten und zu kritisiren, als daS Ganze niit seinen Zielen und Gesammtersolaen in« Auge zu soffen. Cs ist in vielen Schichten unserer Bevölkerung der Glaube verbreitet, daß der Geist des Pessimismus neuerdings die Oberhand gewonnen bade, daß die Freude am Ver neinen. am Nörgeln und Mäkeln größer ist, al« der Genuß und die Freude am positiven Schassen. „DaS heilige Lacken" von Ernst v. Wildenbruck, das diesen Kampf zwischen modernem Pessimismus und Optimismus in allego rischer Form darstellt, wurzelt auf dieser Ueberzengung. Der Kaiser dal sich für diese« Etück besonder« interessirt, er hat im kleinsten Kreise am 15. d«. der Generalprobe und mit den» gesammten Hose a», 16. der ersten Ausführung i», königlichen Schauspielhaus- beigewohnt, er hat dem Dichter seine Uebereinstimmuna mit der der Dichtung zu Grunde liegenden Gesanimtanjchauung bekannt, und so ist e« nicht »mwabrschcinlich, daß er auch bei seiner Rede am 24. diese» Kampf gegen den modernen Pessimismus in erster Linie auf gegriffen und gemeint hat. Es wird )a in dieser Hinsicht nicht leicht möglich sein, die wirkliche Absicht de« Kaster« urkund lich seslzusicUc», doch bat obige Erklärung jedenfalls Wahr scheinlichkeit sür sich." Eine wichtige Frage läßt, so bemerkt die „Köln. Zlg.", auch diesen DeulungSverfuch unbeantwortet, die Frage, welchen CurS der Kaiser denn als den richtigen bezeichnet habe, der weitergestcuert werden soll. Wenn es wahr ist, daß der Kaiser die Männer, welche die Schnlvorlage befehde», am liebsten anSzcichnen möchte, so gehört der Fedlitz'sche Entwurf nicht zu diesem CurS. Will man nun de» Pessimismus wirksam bekämpfen, so wäre es am besten, diese unglückselige Vorlage schleunigst zu Falle zu bringen. -Pessi mismus ist allerdings wohl nicht der zutreffende Ausdruck für da« mächtige Ausbäumen de« deutschen Volksbewußtsein« gegen diesen Entwurf. Viel angemessener als Pessimismus wäre für den vorliegenden Fall dir Bezeichnung Ideali-niu«. Wir er blicken in dieser tiefgehenden Bewegung, an deren gewaltigem Ernst« der schale «Spott geschmackloier und directionSloser Reactionairc unwirksam adgleitet, eher die frischt Bethätiguizg deS zukunftsichern SelbstbewußlscinS de« liberalen Bürger thum«. Da« liberale Bürgrrthum weiß sebr wohl, daß es kein verfassungsmäßige« Recht hat, nicht majorisirt zu werden, aber eS weiß auch, daß eS die Kraft hat» die praktischen Wirkungen eine« VerrathS am Cartel, einer Vergewaltigung zu beseitigen und die Parteien zu dccimiren, die sich an den kulturellen und nationalen Interessen versündigen. Wir werden siegen, weil wir an unsere Sache glauben, weil wir fühlen, daß in unserm Lager Deutschland iit. Die Agitation gegen das Muckertbnm darf sich allerdings nicht durch die Aussicht einschläsern lassen, daß ein Machtwort de- Kaisers schon alle« Unbeil abwenden werde. Nur wenn die Ent scheidung de« Kaiser« neben der krastvollcn Regung freien BürgersinnS einhergeht, werten wir sagen können, daß die Nachtgrspenster der Reaction aus die Dauer beschworen sind; denn nur dann haben wir r« wirklich verdient, vor einer ultramontan-pietistischrn Zwingkerrschast dewabrt zu bleiben. * Dem BunVeSrat h ist bekanntlich ein Uebereinkommen zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten von Amerika über den gegenseitigen Schutz der Urheberrechte vorgelegt worden. Durch da« seit dem l. Juli v. I. in Kraft getretene neue nordamerikanische Urhrberrecht-gesetz ist die Möglichkeit gegeben, fremden Ur Hebern sür ihre literarischen und künstlerischen Erzeugnisse unter bestimmten Voraussetzungen Schutz zu gewähre». -i-s 1«1 FeiiiHet-n. Die Dennhar-tsbrü-er. Socialer Roman von A. Lütetsburg. rr»a»,»a »«rt«trn. (Fortsetzung.) Da stand er neben ihm. Seine feste Arbeitshand legte sich auf dir Schulter de« Bruder«. Dieser zuckte unter der unwarteten Berührung nervös zusammen. Aufblickend ver finsterte sich seine Miene. „Hans, ich habe Dich hier seit sechs Uhr erwartet", kam e« zitternd von Jakob'« Lippen. „Warum? Wa« willst Du von mir?" lautete dir kurze, schroffe Entgegnung. Jakob biß sich ans die Unterlippe, er war bleich geworden. Die Stimme de« Bruder« hatte einen schweren, lallenden Klang, ohne Zweifel in Folge unmäßigen Genüsse« geistiger Getränke. „Ich muß mit Dir sprechen. Jemand, den Du sehr lieb hast, ist schwer erkrankt." Linen flüchtigen Augenblick blitzte r« in seinen Lugen auf, dann umzuckte ein spöttische« Lächeln seinen Mund. „Du irrst, ich habe Niemanden lieb, wie ich Alle» rin Fremder bin", gab er leise zurück. In den wenigen Worten hatte rin schneidend«« Weh gelegen. „Kordel Nachmann ist todtkrank. Wer mag wissen, wie kurze Zeit ihr noch zum Leben vergönnt ist." Han« Brenner war zusammengezuckt, seine bleichen Wangen erschienen dem Bruder noch bleicher. Dennoch sagte Han«: ,,Wa« kümmert mich Kordel Rachmann?" „Sie war eine Genossin unserer traurigen Kindheit, Han«, und ich glaubt, sie würde Dich noch gern einmal vor ihrem Ende sehen." „Sie macht sich nicht« au« mir", kam r« schroff zurück. „Täuscht Dich da nicht der Schein?" „Sie verlangt nur nach Dir." „Du täuschest Dich. Kordel bat keinerlei Wünsche mehr für ihre Zukunft. Han«, bitte, geh' einige Augenhlicke mit mir! Willst Du e« nicht weioetwegrn, so thue e« um einer sehr Unglücklichen willen!" „Ich sehr, mein lieber Brenner, Sie sind momentan sebr in Anspruch genommen", sagte jetzt plötzlich der Herr, welcher mit ibm an einem Tisch« aesrssen. „Ich ged« nach Hause. Wo treffen wir uns morgen?" „wie all« Taar" lantetr di« Antwort. Der Herr lüftete seinen Hut und ging. Jakob ließ sich neben seinem Bruder nieder. „Geh' mit mir, Han«! Kordel hat Dich wirklich gern gebabt und oft nach Dir verlangt. Ich glaube nicht, daß da« arme Ding e« noch lange machen wird, sie leidet sehr. Deine früheren Bermutbungen sind ganz gewiß falsch ge wesen. Sie hat un« Beide al« ihre SchxksalSgenoffrn gern gehabt; ich war nur öfter mit ihr zusammen, dadurch waren wir un- näher gekommen. Darf ich Dich heim geleiten, Han«?" „Heim geleiten?" Ja, wohin denn? Han« wurde roth Seit Mittag batte er kein Unterkommen mehr. Dir Wirthin würde ihn nickt wieder ausnehmen, denn sie hatte ibm gesagt, daß sie keinen unpünkt liche» Zabler gebrauchen könne. Er sah den Bruder unsicher an. Derselbe konnte ibm in der unangenebmen Lage, in welcher er sich befand, sehr wohl beistehen. Dieser Gedanke aber trieb ibm die Schamrötbe in die Wangen, al- er in Jakob'« ehrliche, treue, blaue Augen blickte; und wenn ihm ein Ausweg geblieben wäre, er würde nicht den betreten haben, der sich ihm jetzt bot. „Kannst Du mich die Nacht beherbergen?" fragte er mit unsicherer Stimme. „Warum nicht? Ich bin zwar nur einfach eingerichtet »nd —" ,Faß doch da« — ich werde mit Dir gehen." Jakob war förmlich wie in einem Traum, al- er wenige Minuten später an de« Bruder- Seite die Straße entlang sitzritt. Die kühle Nachtluft indessen umfächelte wohlthuend feine heiße Stirn und brachte ibn zum vollen Bewußtsein dessen, wa« er so ganz unerwartet bei Han« erreicht. Nicht« desto weniger konnte er sich banger Besorgnisse über den Au-gang nicht erwehren. Schweigend schritten Beide nebeneinander dahin. E« war ei» weiter Weg bi- zu Jakob « Wohnung, und den Brüdern dünkte er noch länger, al- er in Wirklichkeit war. „Kann ich einige Tage bei Dir wohnen?" fragte Han«, nicht weit vom Ziele entfernt. „Warum nicht?" gab Jakob zurück „Du kannst frei über meine Wohnung verfügen. Den Tag hindurch bin ich in der Fabrik." Er wollte noch eine Frage bmzusügen. unterdrückte sie aber. Die größte Vorsicht war geboten, wenn er auf «inen Erfolg rechnen wollte. Zu Haus« angelangt, überwie« Jakob dem Bruder sein Schlafzimmer, er selbst legte sich auf da« Svpha. An Schlaf war kür ihn doch nicht zu denken, die Ergebnisse de« brutigen Ta^e« würden ibn nicht einen Augenblick zur Ruhe kommen lassen. Eine einzige beseligende Hoffnung war in ibm lebendig geworden — vielleicht gelang e« ihm, den Bruder zu retten Han« schaute sich in dem einfachen Schlafzimmer um, da« einen äußerst angenehmen Eindruck machte. E« war die Umgebung eine« Manne-, dem e« weder an Geschmack, noch den notbwendigen Geldmitteln fehlte. Alle« war solid, dauerhaft und elegant. Han« batte sich die Wohnung seine« Bruder«, der in seinen Augen nur ein Fabrikschlosser war, ander« gedacht. Zweifellos hatte er «inen hübschen, regel mäßigen Verdienst, vielleicht machte er sogar Ersparnisse. Was brauchte wohl ein Mensch wie dieser zu seinem Lebens unterhalt ? Gegen Tagesanbruch sank Han- Brenner in einen tiefen traninlosen Schlaf, au« welchem er erst spät erwachte. Jakob würde „och gern rin paar Worte mit dem Bruder gewechselt haben, hatte ihn aber nicht wecken mögen und war gegangen, nachdem er einen Zettel, durch welche» er Han« bat, ihn um 12 Uhr zu erwarten, auf den Kaffcetisch gelegt batte. Hans Brenner hatte sich seit langer Zeit nicht so wohl und behaglich gefühlt als an diesem Morgen in der Wohnung seine« Bruder«. Die Wirthin war angewiesen, ilm mit alle», Nothwentigen zu versehen, und er ließ sich da« Frühstück ganz besonder» gut bei dem Gedanken schniecken, daß ohne seinen Bruder sein Hunger an diesen. Morgen verinuthlich ungestillt geblieben wäre — er befand sich in der Thal in einer äußerst aussichtslosen Lage, au« welcher ihn auch Niemand befreit haben würde, wie er bestimmt wußte. Jakob Brenners Wohnzimmer ließ in seiner ganzen Anordnung mcht minder Eleganz und Wohlhabenheit ver kennen als sein Schlaf,immer. Es war dunkel gehalten, ohu« «wen düsteren Eindruck zu machen. Helle Vorhänge arstattrten der Sonne freien Einzug Die stilvoll geschnitzten Möbel hatten einen rothbraunen Stofsüberzug. der Schreib- ti,ch am Fenster, welcher mit Zeichnungen aller Art bedeckt war, gehört« ersichtlich einem vielbeschäftigte» Manne wahrend dar Topha wohl kaum einige Male Benutzung gesunden hatte. * " Han- Brenner brauchte einige Zeit, ehe er mit der Be- sichtigung und dem Durch,toben, de« Zimmer« fertig wurde Sein Gesicht batte inzwischen einen finsteren Au«druck an- genommen. d,e den schlaffen, müden Zügen etwa« lln- angenehme« verlieb. Er warf sich endlZ, aus da« Sopha nieder und überließ sich wenig angenehmen Betrachtungen Wir oft batte er mit leisem Spott an den Bruder aedackt der in harter Arbeit einem bestimmtem »Ziele rustrebte und al« »um »usseber oder Inspector irgend einer Fabrik wäbrend er, von den Reichen und Vornehmen der Welt umschn,»!^,.«« »kreisen ein gern gesehener Gast war, dessen Anwesenheit b? jeder Festlichkeit noch besonder« bervorgchoben wurde. Und wie hatte er eS erreicht? Spielend, vom Glück be günstigt. Keinerlei Arbeit, keinerlei Anstrengungen waren von ibm gemacht worden, er hätte selbst nickt sagen können, wie Alle« so gekommen war, al« er fick plötzlich auf einer Höbe sah, die ihn schwinvcln machte. Wie lächerlich waren doch Jakob'S Aeußerungen über den Fluch der Erbsünde ge wesen! Er hatte nicht« arthan, ihn zu beseitigen, und wer würde ihm wohl einen Vorwurf daran« machen, daß sein Vater eines Tage« — selbst wenn eS der Fall gewesen wäre — einen Mordversuch gemacht? Dergleichen Gedanken hatten ihn, wenn nicht oft, doch bi« weilen beschäftigt. Und in der Tbat, die Welt fragte nicht viel nach der Vergangenheit eine« Manne«, der bereit« in jungen Jahren so viel erreicht. Nie hatten Zufall oder Bosheit die Frage nach seiner Herkunft aufgeworfen, wie da« bei Jakob so oft der Fall gewesen war; so wußte er auch nickt« von den harten Kämpfe», die der Bruder zu bestrben gehabt batte. Im Hause war eS still, ringsum herrschte der tiefste Frieden. Nur bisweilen fuhr ein Wagen durch die abgelegene Straße, in welcher Jakob wohnte. Niemand kam, Hans Brei,»er in seinen Betrachtungen zu stören. Das wilde, un gestümc Klopsen seines Herzens glaubte er jedoch z» hören, Ee heinilichc Stimme regte sich in ihm — e« war die Stimme des erwachenden Gewissen-. Und doch fühlte er sich ruhig, sicher. Niemand wusste seinen Aufenthaltsort, weder di« keifende HauSwirthin, noch seine Gläubiger, dir Zahlung für diese« oder jene« verlangte» unv sich nicht mehr auf den Verkauf de« nächsten Bilde«, das niemals vollendet wurde, vertrösten lassen wollten. Es war ein seltsames Gefühl von Sicherheit, das ihm seit Monaten ganz fremd geworden war und einen grellen Contrast zu der Unrubc bildete, die ihn aus seiner Behausung fort in irgend ein öffentliche« Local getrieben batte. Und diese- Gefühl der Sicherheit konnte Jakob immer haben. Etwa« wie Neid regte sich in seinem Herzen, und sein Blut stieg jäh in di« schmalen bleichen Wangen. Er schämte fick», baßer dem verspotteten Bruder etwas neidete. Und doch! Die gut erging e« diesem im Vergleich zi, ihm! Er dachte weiter »nd weiter — viele Stunden, aber es waren fruchtlose Gedanken, ohne Zweck und Ziel. Wenn er in einem Augenblick das Verlangen nach einer Umkehr von eine», Wege, der erbarmungslos in den Abgrund führen mußte, beiß in sich aufsteigrn füblte, so dünkte die« ihn »n nächsten eine Unmöglichkeit. Er sollte Jakob sagen, wie eS mit ibm bestellt war, ihn einen vollen Blick in sein jammervolle« Leben Wersen lassen?! Nein, nein — eher untergeben! Jakob würde ibm keinen Vorwurf machen, er wußte e«, aber dem Bruder so fiel erniedriat qegenüder zu steben. nachdem »r
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