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Das Schiff
- Bandzählung
- 1925
- Erscheinungsdatum
- 1925
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-22.1925
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192500004
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19250000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19250000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 1, Januar
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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WIE SOLLEN WIR EIN KUNSTWERK BETRACHTEN? VON JOHN SCHIKOWSKI (BERUN) rei Alaßftäbe find es, die das große Publikum unfrer Tage bei Betrachtung und Bewertung von Kunftwerken anzulegen pflegt: den des finnlichen Reizes / der von dem Werk ausgeht, den des verftandes» mäßigen Inhalts, der in dem'OVerk verkörpert ift, und den der Naturwahrheit, die in dem Werk erreicht ift. Alan höre,was die Befucher eines Alufeums oder einer Kunftaus» ftellung vor den Bildern urteilen. Der eine bleibt vor einem Gemälde ftehen, das einen fchönen weiblichen Akt dar= ftellt. Er freut fich über den fchönen Akt. Aber nicht etwa über die Kunft des Alalers, die den Akt in Linien und Farben geftaltet hat, fondern über den Gegenftand felbft, über das fchöne Aiädchen, das da auf dem Bilde er= fcheint. Das ift eine reine finnliche Freude, die mit der Freude am Kunftwerk nichts zu tun hat. Ein andrer fühlt fich durch ein amüfantes Genrebild gefeffelt, das irgendeine ulkige Szene wiedergibt, vielleicht Defreggers bekannten »Salontiroler«. Er freut fich über den unter» haltenden Vorgang, der auf der Leinwand dargeftellt ift, nicht aber über die — in diefem Fall übrigens nicht fehr beträchtliche — Kunft des Alalers, die diefen Vor» gang zu einem malerifchen Kunftwerk geftaltet hat, bei dem der Aufbau der Gruppen, die Abtönung der Far» ben und die Verteilung von Hell und Dunkel ufw. in Betracht kommen. Das ift eine rein verftandesmäßige Freude, das ift lediglich das Verftändnis für eine luftige oder geiftreiche Pointe, das mit dem Genuß der Alalerei abfolut nichts zu tun hat. Das höchfte vonKunfturteilen, was der Normalmenfch in Alufeen und Ausheilungen Zu produzieren pflegt, bezieht fich aber auf die fogenannte »Naturwahrheit« eines Werkes. Alan freut fich dar» über, wie »täufchend« - das ift der beliebte Ausdruck — etwa auf einem Stilleben ein Blumenkohlkopf oder eine Weintraube oder ein roter Hummer gemalt ift. Und man ift fehr ftolz auf fein Kunftverftändnis, wenn man auf dem Gemälde eines alten Aleifters einen verrenkten Arm oder einen verzeichneten Fuß entdeckt; das fieht vielleicht nach Kennerfchaft aus, ift es aber in der Regel ganz und gar nicht. Denn in einem Kunftwerk ift die getreue Wiedergabe des äußeren Naturbildes niemals das letjtc Ziel, niemals Selbftzweck, fondern immer nur Alittel zum Zweck. Das Ziel, der Zweck jedes Kunft= Werkes ift, ein beftimmtes Gefühl, das den Künftler beim Schaffen erfüllte, im Befchauer wachzurufen. Der Be» fchauer, in dem diefes Gefühl, das der Künftler ausge= drückt hat, nicht lebendig geworden ift, der hat das Kunftwerk nicht erlebt, auch wenn er taufendmal im= ftande ift, zu konftatieren, daß ein paar Einzelheiten darauf fehr naturgetreu und andre »verzeichnet« find. Aber es kommt nun noch etwas V/eiteres hinzu. Es gibt Kunftftile - und fie haben lange Jahrhunderte die Kunft= entwicklung beherrfcht - bei denen die V/iedergabe eines äußeren Naturbildes eine minimale Rolle fpielt, bei denen die Naturnachahmung auch als Alittel zum Zweck nur fehr wenig in Betracht kommt. Die Kunftftile der alten orientalifchen Völker und die Kunftftile des gefamten europätfchen Alittelalters - frühchriftliche, byz&ntinifche, romanifche, gotifche Kunft — gehören dazu. Die Kunft diefer Zeiten und Völker will nicht durch irgendein dar» geftelltes Naturbild, fondern überwiegend und faft aus» fchließlich durch die reinen Kunftmittel direkt wirken. Bei der Plaftik wirkt fie durch den Ausdruck der reinen Form, bei der Alalerei durch den direkten Ausdruck der Linien und Farben. Alan wird mich vielleicht beffer ver= ftehen, wenn ich das an einem Beifpiel erläutere. Auf einer byzantinifchen Alofaik, einem romanifchen oder gotifchen Freskogemälde foll die Umrißlinie einer menfch» liehen Geftalt oder eines Baumes nicht eigentlich einen Alenfchen oder einen Baum charakterifieren, fondern fie foll vor allem als rhythmifch bewegte Linie wirken. Und ebenfo foll das Grün der Baumkrone in erfter Linie nicht einen Baum bezeichnen, fondern es foll lediglich dem Befchauer die Stimmung vermitteln, die die grüne Farbe erzeugt. Diefe Kunft geht davon aus, daß jede Linie und jede Farbe ihre eigne Sprache fpricht. Daß eine gerade Linie auf uns anders wirkt als eine gebogene, eine Zickzacklinie anders als eine Wellenlinie, eine Senk» rechte anders als eine V/agrcchte. Daß Rot auf den Be» fchauer erregend, Blau oder Grün beruhigend, Violett verwirrend wirkt ufw. Aus dem rhythmifchen Aufbau der Linien und aus dem rhythmifchen Zufammen» oder Gegeneinanderklingen der Farben ergeben fich nun Wirkungen, die in jedem Fall eintreten, auch wenn die Linien und die Farben gar nichts Gegenftändliches be= deuten, weder einen Alenfchen, noch eine L&ndfchaft, noch fonft irgend etwas darftellen. Und diefe Wirkungen find das, was die Kunft der antiken orientalifchen Völker und was die mittelalterliche Kunft in erfter Linie an» ftrebt. Bei den Werken diefer Kunftftile kommt eine größere oder geringere Naturwahrheit überhaupt nicht in Betracht. Der romanifche Plaftiker wird niemals Be» denken tragen, die Formen eines menfchlichen Körpers radikal umzugeftalten, feinen Ausdruck zu verzerren und feine Glieder zu verrenken, wenn der rhythmifche Organismus, nach dem er die reinen plaftifchen Formen anordnet und aufbaut, das verlangt. Und der gotifche Alalergibt unbedenklich himmelblaue Bäume und meer= grüne Haare - nicht weil er die Bäume, wie der moderne Freilichtmaler, in den Lichtreflexen der Natur himmeL blau oder die Haare meergrün fchimmern fah - fondern weil der Farbenrhythmus des Gemäldes gerade an diefer Stelle die Farben Himmelblau oder Aleergrün verlangte.
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