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Das Schiff
- Bandzählung
- 1927
- Erscheinungsdatum
- 1927
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-24.1927
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192700006
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19270000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19270000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 3, März
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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Mag der Tote auch gar nicht mehr unter der Erde fchlum- mern. Denn es herrfcht auf diefem Friedhof ein eigentüm licher Brauch, den wir Menfchen mit weltlichen Nerven kaum begreifen. Wir entfetzen uns, wenn wir diefem Fried hofsbrauche zum erllenmal begegnen, und können nicht verlieben, wie Verwalter der Totenheiligkeit es fo eilig haben können, den Frieden der befiegten Gebeine zu Hören. Der Tote, für deffen Ruhellatt nicht ein befonderer Ehren platz auf alle Ewigkeit gefchenkt oder erkauft wurde, darf nämlich nur drei Jahre unter der Erde bleiben. Während diefer Zeit haben die Maden und Fliegen das Werk ihrer gefpenltifchen Säuberung vollendet. An den Menfchen- gebeinen ilt kein Säftlein, nichts Verwesbares und Ver gängliches mehr geblieben. Kahl und kalt und den Jahr taufenden noch gewachfen, liegt das Skelett in der Grube, aber man läßt es dort nicht länger als die vorgefchriebenen drei Jahre. Dann gräbt man es aus, und in einer fchmalen Kille wirdzufammengefchüttet, was einllmals die W ohnung einer unllerblichen Seele gewefen ill. Aus der fchauerlichen Tiefe wird das Gebein zum fchönen Tageslicht wieder emporgefchaufelt, doch die neue Wohnung der Knochen iß keineswegs prunkvoll oder koflbar. Eine einfache Kiße > nicht einmal ordentlich genagelt, muß ausreichen. Diefe Kißen werden alle aufeinandergefpeichert, als wenn Waren in einem Krämerladen aufzubewahren feien. Findet man keine Knochenkiße, die aus neuen Brettern beßeht, fo be gnügt man üch fchon mit einer fchmutzigen, deren Stempel und Signatur noch erzählen, daß es fich um eine ehemalige portugielifcheSardinenbüchfenkiße oderum einenKannen- verfchlag von der Standard-Oil-Company des Herrn Rockefeiler handelt. Neben das ehemalige Schiffslade zeichen iß nun mit groben Buchßaben der Name des heutigen Kißenbewohners aufgepinfelt. Wollte der Leid tragende ihm befonders wohl, fo klebte er noch eine Photographie des Entfchlafenen auf die Holzwand. Aber auch eine billige, engelgefchmückte Anfichtskarte, erßan- den auf der Trödlerßraße, muß häufig zum Schmucke herhalten. Nun werden die Kißen nicht etwa verborgen. Sie ßehen in mächtigen Stapeln am Weg. Nicht alle find ordentlich verfchloffen. Durch den breiten Holzfpalt oder den fchlecht paffenden Deckel dringen die Knochen hervor. Hätte ein Dieb des Graufigen Luß, er könnte ungeßört eine ganze Tracht heimtragen. Gleich am Anfang des Friedhofes fleht eine Art Schuppen. In die Hauptwand iß eine Gedenktafel eingefügt, die beragt, daß hier im Jahre 1840 im tragifchen Knofpenalter von erß drei Monaten Graf Alexander Johann Baptiß Clemens Gabriel Max Waldkirch, Sohn des königlich bayerifchen Kammerherrn Clemens von Waldkirch und feiner Gemahlin Mathilde, beerdigt wurde. Im Schuppen, der wohl einß die Grabkapelle des Knäbleins war, iß von dem Gedächtnis an den deutfchen Jüngling keine Spur mehr zu finden. Doch alles iß angefüllt mit kleinen Säcken, unter deren dünnem Gewebe fich fehr deutlich abzeichnet, was fie bergen: auch hier Menfchenknochen, für die der Erdboden keinen Platz mehr bietet. Zerbröckelt, zer brochen, zerknackt und zerkracht fchnell und ohne Scheu hundertfaches Gebein. Was das Bündel eines Mannes aus macht, iß nicht umfangreicher als das Bündel einer Matrone. Sittliche Größe un d körperliches Maß, nichts mehr beßand, alles wurde gleichgemacht von den gleichen, gar nicht un frommen Menfchen, die da glauben, daß des Menfchen Seele unßerblich iß und eine Auferßehung kommen wird am jüngßen Tage. Dr. Mas Hochdorf (Berlin) DAS SCHICKSALEINES PROMETHIDEN An einem ßürmifchen Oktobertag des Jahres 1819 trat ein Mann von etwa fünfzig Jahren aus einem Haufe in der Schwarzfpaniergaffe in Wien und wandte feine Schritte dem Schottentor zu. Er trug einen weiten dunklen Mantel, derbe Schuhe und auf dem mächtigen Haupte einen nie drigen zerbeulten Zylinderhut. Sein breites, derbknochiges Gefleht war von düßerer Melancholie und einer trotzigen Herbheit, die menfehenfeheue Verfchloffenheit oder tiefen feelifchen Kummer, vielleicht beides, ahnen ließ. In der Rechten hielt er einen wuchtigen Knotenßock, und ob gleich er ziemlich rafch dahinfehritt, war fein Gang etwas unficher und fchwerfällig wie bei einem, der nach langem Krankenlager zum erßenmal wieder ins Freie kommt. Als er durchs Schottentor nach dem freien Glacis ge kommen war, drang der Nordweß ungeßüm auf ihn ein, er mußte den Hut feßhalten und fich den tobenden Winden entgegenflemmen, fo daß er nur mühfam vorwärtskam. Zuweilen blieb er ßehen, wie um dem gewaltigen Konzert der Lüfte zu laufchen, und tat dann einen tiefen, atem ringenden Seufzer. An folchen Tagen pflegte er feine Spaziergänge weiter als fonß auszudehnen, denn er liebte das Pfeifen und Heulen des Sturmwinds, der wie mächtige Orgeltöne ihn umbrauße. Heute befonders hatte der Klang gewaltige alle Regißer gezogen, rüttelte wild an den Zweigen der Bäume und trieb die welkenden Blätter in Wirbeln vor fich her. Zerfetzte Rauchfahnen und fchwan- weiße Wolken jagten am Himmel wie ein Heer auf- gefchreckter flüchtender Träume. Wieder blieb der Mann ßehen, um Atem zu fchöpfen und zu horchen. Aber die gewaltige Symphonie berührte fein Ohr wie ganz feines, fernes, verwehtes Läuten, wohl ge ahnt, doch kaum gehört. Kopffchüttelnd fchritt er die Währinger Straße entlang, während fein Blick über die niedrigen Häuschen der Vorßadt Alfergrund hinweg fich den Bergen des Wiener Waldes zuwandte. Bald hatte der Einfame Döbling erreicht, wo er auf freier Höhe fein Lieblingsplätzchen wußte. Auf der Bank unter einer mächtigen gilbenden Linde ließ er fich nieder und fchaute träumenden Auges hinüber nach den Tälern und Hügeln Grinzings und Sieverings mit ihren Rebenhängen, wo die Winzer eifrig mit derWeinlefe befchäftigt waren. Ringsum lagen die früchtefch weren Gärten im Abendfehein, und aus fernen Heurigenfchenken klangen lußige Weifen. Den Einfamen aber lockten fie umfonß, er fah unverwandt in herbßklare Fernen. Der Sturm war allmählich müde geworden, nachdem er den Himmel blankgefegt und die dürren Blätter von den Bäumen gezerrt hatte, um fie dem Spiele feiner fanfteren Gefchwißer zu überlaffen. Die Berge fchienen ganz nahe gerückt, und auf den blaubraunen Höhen des Kahlen- gebirges und des Leopoldsberges ruhte das warme Gold der fcheidendenSonne, während an ihremFuße dasSilber- band der Donau auf blitzte. Lange faß der Mann, ganz in feine träumerifchen Ge danken eingefponnen, bisdieNacht ausdenTälern empor kroch und die weißen Nebel durch die Gärten woben. In 23
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