NUMMER 8 • AUGUST 1927 DAS SCHIF BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN SCHRIFTLEITUNG: ERNST PRECZANG, BERLIN SW 61, DREIBUNDSTRASSE NR. 9 Die Enlwicklung der Sprache Eine Höherbildung des Denkens ift unmöglich ohne die Entwicklung der Sprache. Zwar befitzen fchon die meiften höher organifierten Tiere eine Gebärden-, Mienen- und Augenfprache, und auch durch Töne verfchiedener Art verliehen fie lieh, wie wir das ja auch bei unferen Stummen und kleinen Kindern fehen, uns verlländlich zu machen. Allein die Fähigkeit, feine Gefühle, Begierden und vor allem Gedanken durch ganz beftimmte Laute, Wörter und Wortverbin dungen (Sätze) zu äußern und zugleich höher zu entwickeln, d. h. die Sprache im engeren Sinne, befitzt nur der Menfch. Ihre Entwicklung lieht, wie wir dies ebenfalls wieder am bellen bei unfern Kindern beobachten können, im engllen Zufammenhang mit der jenigen feiner feelifchen Eigenfchaften. Ähnlich müffen wir uns auch die Entftehung der Sprache in der Urzeit denken. In den erften Sprachlauten find Fühlen, Begehren und Vorllellen, wie das ja auch in Wirklichkeit ill, noch ganz eng mit einander verbunden, kaum voneinander zu trennen. Der Laut bildet nach diefer frühellen Stufe des menfchlichen Lebens — beimeinzelnen wie bei ganzen Stämmen — noch den unmittel- baren Ausdruck der Empfindung, z.B.derFreude, des Schmerzes oder des Abfcheus. Sobald dann der Menfch im Lauf der Zeit dazu gelangt, auch feine Sinneswahrnehmungen, zuerll die des Gehörs, durch die Sprache auszudrücken, fo er folgt ihre Wiedergabe natürlicherweife meill durch eine ähnliche K/anpbildung. Man denke an die fogenannte Kinderfprache, z. B. Wau-wau für Hund, Muh-muh für Kuh, Puff-puff für Eifen- bahn u. ä., oder auch an die der Naturvölker. Indem nun der Sprechende fich dem Hörenden auf folche Weife verlländlich zu machen wußte, und zwar bei der Wiederkehr des nämlichen Anlaffes durch den nämlichen Laut, war der Anfang einer Sprache, eben als Verüändigungs- mittel, gegeben. Der anfängliche Warn-, Lock oder Schreckensruf, den auch die Tiere kennen und üben, entwickelte lieh aus einem bloßen Ausdruck des Gefühls zu einem folchen des Gedankens. Er wurde zur Bezeichnung des ihn hervorrufenden Ereigniffes. So entlland die erlte, noch ganz aus unverbundenen Lauten, dann Wörtern bellehende Erzählung. Die ältellen Bellandteile aller Sprachen, die in der Regel einfilbigen, jedem Sprachforfcher be kannten und von jedem guten Lehrer den Schülern erklärten fogenannten Sprach wurzeln — aus denen noch heute der Chinefe ganz mechanifch feineWörter undNamen zufammen- fetzt,z.B.Kuo-min-tang—findhöchllwahrfchein- lich zuerll teils aus Ausrufen verfchiedenller Art, teils aus nachahmenden Klangbildern ent- llanden, die der Menfch mit feinen immer feiner entwickelten Sprach- und Hörorganen immer reicher und mannigfaltiger auszubilden ver mochte. Natürliche Vorausfetzung für den Ge brauch war dabei unmittelbar einleuchtende Verlländlichkeit und leichte Nachahmbarkeit. Urfprünglich bedeutet ein Wort nur die be- llimmte Einzelwahrnehmung, mit der es ver knüpft wurde; dann fand es auf einen weiteren Kreis verwandter Wahrnehmungen Anwen dung; wie z. B. das kleine Kind jeden Mann Papa, fpäter Onkel nennt. Zuerll haben alle Wörter jedenfalls eine [innlich-anfchauliche Bedeutung gehabt, eine mit den Sinnen wahr nehmbare Sache oder Handlung (z. B. einen Schlag, das Schlagen) bezeichnet, bis fie dann, im Zufammenhang mit der allmählichen Aus bildung desV erllandes einzelner Menfchen oder ganzer Völker, von diefen finnlich wahrnehm baren Handlungen und Dingen »abgezogen« (abllrahiert), auf einen »abllrakten«, geilligen