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Das Schiff
- Bandzählung
- 1927
- Erscheinungsdatum
- 1927
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 4. 6055-24.1927
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512045739-192700006
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512045739-19270000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512045739-19270000
- Sammlungen
- Gebrauchsgraphik
- LDP: SLUB
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Ausgabebezeichnung
- 10, Oktober
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Titel
- Das Schiff
- Autor
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FREMDE KLÄNGE Ein milder Sommerabend ilrich mit weichen Fittichen über das kleine, verfteckte Dorf. Um hohe Linden und Ulmen tollten inlautloferjagd dieFledermäufe.Imtiefften Schatten,umfangen undumwifpertvondenNachtgefängen des Gefträuchs, lagen die vereinzelten Höfe. Nur aus wenigen Fenftern fiel noch rotes, ruhiges Lampenlicht. Still war es im Dorfe, doch mit dem Haudi der Nacht kam ein fremder Klang. Die Droffeln hielten inne in ihrem Lied, wenn der laue Wind diefen Klang verftärkt herübertrug. Klirr! fprang ein leifes Geräufch durch den Abendfrieden. Aus dem niedrigen Fenfter einer Kate turnte eine kleine, gewandte Geftalt.Rudi Wipp war das, des Kätners Einziger. Wie ein Wiefel fchlich er durch den Gemüfegarten nach der Straße. Mit bloßem Kopf, hemdärmelig und barfuß kam er an, lief fchnell eine Strecke auf dem Weg entlang. Im Schutze des Spritzenhäuschens verfchnaufte er ein wenig und fetzte, immer noch recht behutfam, mit einem Blick nach dem elterlichen Haufe hinüber, die Holzpan toffeln auf die Erde. Fort lief er dann, mit vorgebeugtem Oberkörper. Die Pantoffeln klapperten vergnügt auf den rauhen Steinen,die kurzen/weißen Hemdärmel fchwenkten durch das Dunkel. Auf einer Weide vor dem Dorfe gab eine Arena ihre Vorllellung. Hoch bis an die Alle einer großen Eiche ragten die Gerüfte. Weißes Gaslicht flackerte und warf feinen Schein in die blanken Blätter. Volltönig quoll die Orgelmufik in die Sommernacht hinein. Rudi Wipp achtete nicht mehr auf den Weg. In feinen Augen fland das bunte Bild der Arena. Als er die Menfchen fah, die den Platz umgaben, wunderte er fich, daß es fo viele waren. Da war ja kaum hindurchzukommen. Aber Rudi Wipp war gefchmeidig.Die Knüffe eines Bauem- fohnes und das Quarken eines griesgrämigen Tagelöhners nahm er fich nicht fehr zu Herzen. Er kam hindurch. Auf die erfte Bank fetzte er fich. Da war noch viel Platz, nur die Kinder des Gutsbefitzers faßen dort mit einem Fräulein. Rudi Wipps Augen wurden groß. Weit auf fperrte er den Mund, und fein brauner Kopf folgte den Bewegungen des fchaukelnden Trapezes. Nachher kam da ein Kerl angefprungen, der fiel gleich auf die Nafe. Überhaupt: folchen Kerl hatte Rudi noch nicht gefehen. Ein breites Maul hatte der, einen hohen fpitzen Hut und — das war ja zum Lachen — ein rotes und ein weißes Hofenbein. Sehr dumm mußte der Kerl fein, denn jeden Augenblick bekam er eine Ohrfeige, daß er dreimal koppheiller fchoß. Rudi Wipp lachte, daß ihm Tränen über die Backen liefen. Da fland ein blaffes, fchlankes Mädchen vor ihm, das in der Hand einen Teller hielt. Rudi erfchrak heftig, fah das Mädchen groß an. »Du mußt noch bezahlen — fünfzig Pfennig«, fagte eine feine, zarte Stimme. Der Junge fah nichts mehr als den weißen Teller, in dem ein paar Geldflücke lagen. Immer größer wurde der Teller und fing zuletzt an, fich zu drehen. Rudi wußte nicht, was er fagen follte. Da hörte er wieder die Stimme. Ungeduld lag darin: »Wenn du kein Geld hall, mußt du hier Weggehen.« Hinter ihm lachte jemand. Die Kinder des Gutsbefitzers, die neben ihm faßen, beugten fich vor, um ihn beffer fehen zu können. Da ließ Rudi Wipp den Kopf hängen. »Ich hab’ ganz gewiß kein Geld«, fagte er leife. Unwillig fah das Mädchen den Jungen an. Dann ging es zögernd fort. Es hatte ein fleifchfarbenes Trikot an, um die Hüften eine blaue Kraufe. Schwarzes, langes Haar fiel aufgelöft in den Nacken. Feine Glieder, ebenmäßige Formen zeigten leichtes Spiel der Muskeln. Rudi vergaß zu atmen. Dem Mädchen fah er nach. Die Orgel dröhnte. Über den Köpfen der Zufchauer balancierte ein Seiltänzer mit der Stange. Rudi fah das, aber feine Gedanken blieben bei dem Mädchen. Immer noch hörte er den fremden Klang der Stimme. Etwas hätte er dem Mädchen fagen mögen. Am liebflen wäre er nach Haufe gegangen, aber das mochte er der Leute wegen nicht. So blieb er bis zum Schluß. Dann aber drängte er fich fchnell durch die auseinander- ftrömende Menge, zog die Pantoffeln aus und hufchte auf der dunklen Dorfflraße dahin. Einmal blieb er flehen. Ihm war, als fpiele die Orgel immer noch. Aber es war flill; nur einige leife Schritte hörte er in der Ferne und dunkle Stimmen. Durch den Garten fchlich er wieder. Sein Fuß fließ gegen einen Apfel, der vorzeitig abgefallen war. Er nahm ihn auf. Und ein Gedanke kam dem Jungen. Rafch hob er alle auf, die er fand. Alle Tafchen flopfte er voll. Einen aß er in feiner Freude. Aber er ging nicht ins Haus. Schnell lief er den Weg zurück. Glücklich lächelte er vor fich hin. Doch das Lächeln fchwand, als er die Arena liegen fah. Herzklopfen bekam er. Die Arena lag im Dunkel. Nur bei dem Wohnwagen brannte noch eine kleine Flamme, und aus dem Fenfter kam ein fchwacher Strahl. Hinter dem Strauchwerk, ganz nahe, fland Rudi. Zittern fchüttelte ihn. Der Nachtwind wehte fo kühl. Einen Mann erblickte er; der fprach mit einem Hunde. Das Mädchen fah er nicht Und als der Mann im Wagen verfchwunden war und der Hund fich verkrochen hatte,fchlich Rudi traurig davon. Lange, lange lag er noch mit offenen Augen in der Kammer. Die Mädchengeftalt fpielte lieblich durch feine Träume. Als Rudi aufftehen follte, war er noch fehr müde. Seine Mutter wunderte fich ein wenig, ließ ihn aber liegen. Und fo fchlief er bis in den halben Vormittag hinein. »Was hall du, Junge?« fagte die Mutter und beobachtete ihn von der Seite. Beforgt war der Blick. — »Ich? Nichts!« Sachte fchlich er hinaus, lungerte im Garten zwifchen den Stachelbeerfträuchern herum. Und als Mutter fich hinten im Stall bei dem Vieh zu fchaffen machte, warf er aus feinem Verdeck einen Knüppel gegen , den leuchtenden Auguftapfelbaum. Dumpf praffelten die Früchte auf die Erde, gefchwind raffte er fie in einen Beutel, und hufch! war Rudi Wipp wieder verfchwunden. Nicht auf der Dorfflraße ging er. Nein, weit über die Felder lief er, im großen Bogen um das Dorf herum, und als er keine Menfchen in der Umgebung mehr fah, lief er, als gäbe es irgendwo ein großes Feuer zu fehen. Nur durch den Wald mußte er noch. Aufatmend lugte er durch das Gebüfch. hinter dem er in der Nacht geftanden hatte. Und da erfchrak Rudi, daß der Beutel feinen Händen entfiel und ein paar Apfel ins Gras kollerten. Die Arena war weg. Tiefe Wagenfpuren führten von dem Platz über die Weide nadi der Landftraße. Unbeweglich fland Rudi Wipp. Seine Augen fuchten den Platz, auf dem er gefeffen hatte, verfolgten den Weg, den das Mädchen gegangen war. Die fremde Stimme hörte er wieder. Dann fah er die prächtigen, rotbäckigen Äpfel. Weinen mußte er. Und lange ftrich er noch in der Feldmark umher. Paul Behlau, Altona
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