BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN / SCHRIFTLEITUNG: ERNST PRECZANG, BERLIN NUMMER n / NOVEMBER 1927 Ernst Heinrich üclirenzel, Dresden: DER £WI(iE \ IL Aus den Fenftern der ägyptifchen Staatseifen bahn fah ich durch die hitzeflimmernde Luft auf das flache, fandige Land, auf die gefpenftigen Arme der Ziehbrunnen, auf einzelne Palmen, die —wieauseinerRadierungoderauseinemTraum erwacht zu fein fchienen, auf laftentragende Kamele, auf die Fellachen in ihrer primitiven Tracht — mit offnen Augen zwar,doch mit denen eines Menfchen,demBilderdesOrients wohlver traut waren von manchem fernen Weg unterm Kreuze des Südens. Da bannte aber ein Neues, nodi nicht Gefchautes,magifdi den Blick: Segel zogen über das Grün von Feldern hin, hockende Geftalten glitten über die Erde — unbeweglich und doch fortbewegt, lautlos dabei, ohne das Knarren eines Wagenrades, erfdiütterungsfrei wie etwas Körperlofes. Ich ftand im Zuge auf und fah in langer Fahrt nidits als das gleiche, unwirklidi fcheinende Bild, bis fidi endlidi der Bahndamm ein wenig hob und midi nun von meinem erhöhten Standpunkt aus fehen ließ, daß zwifdien den Feldern flache Barken durdi englle Kanäle glitten, durch einige der aber taufend Wafferadern des Nils, die das Land durdiziehen, aus Wtifte Blüte und Frudit zau bernd. Da war mir, als hätte ich nidit auf ein neues Stück Erde gefchaut, fondern in ein Wunder. Vom 146 Meter hohen Plateau der Cheops pyramide blickte ich über Kairo hin, die leuch tende Stadt, über die Sphinx zu meinen Füßen, den Riefenkomplex der Mamelukengräber,über die zeitenalte Wüfte, von der Sandhofen auf wirbelten, fern und ferner, bis in den ungewiffen Dämmer hin, in dem fich noch die Pyramiden von Sakkarah Albergrau abzeichneten. Gezirah lag drunten mit der unwahrfcheinlichen Pracht der Palmengärten, das fließende Meer des Nils, und über einem Bild, an dem Jahrtaufende ge- fchaffen haben,flogeinlilbernerVogel des Heute: ein englifcher Bagdadflieger. Da umraufchte es mich wieder wie ein Wehen des Wunders. Und diefen gleichen Eindruck wirkt die phan- taftifche Kahnfahrt durdi die Säulenalleen der Tempel zu Philäe,fchenktderbeängftigendgran- diofe Blick vom Nildamm zu Affuan auf diefe Waffer, die - durch hundert Tore donnernd - ein halb natürliches, halb künftlichesMeer erfüllen, das den Segen feiner Fruditbarkeit über zehn taufend Felder gießt in einem großartigenSyftem von Adern. Wunder: die Sphinxallee, Wunder: das Tal der Könige, Wunder: die Ausficht auf diefen Strom von Khartum aus, wo die zwei Brüder des afri- kanifchen Hochgebirges, der Bahr el Afrak (der Blaue Nil) und der Bahr el Apiad (der Weiße Nil) zufammenftrömen und dann in gemein- famem Bett, dem Auge Achtbar noch weithin als zwei getrennte Ströme nebeneinanderfließen: mäßig fchnell der eine, der bläulich gefärbt iff von der dunklen Lavaerde feiner abeffinifchen Heimatberge,wildreißend der andre und milchig fchimmernd vom Schlamme weißlicher, feiner Tonerde. Wunder iff es, den »Sudd« zu fehen, die kilo meterweiten Seen kaum fließenden Waffers, das überwuchert und durchfllzt iff von Myriaden grüner Pflanzen, durch welche die Schiffahrt Ach buchftäblich Gaffen fchlagen muß. Und es mutet wie einWunder an, am Ende derTrockenperiode in den flehenden fauligen Seen und Tümpeln desAtbara, des gewaltigen Nebenflußes des Nils, jenen reißenden Bergftrom wiederzuerkennen, der nadi dem Ausbruch der Tropenregen von den nördlichen und weltlichen Plateaus Athio- piens aus in Heilem Gefälle w ie eine rafende #