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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.04.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-04-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920428021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892042802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892042802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-04
- Tag1892-04-28
- Monat1892-04
- Jahr1892
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21, so. l»tü- 0»<t r. o «50 >-«50 x >roo»m >r^>r , «.75 > «- «7» 102,— 1«— «— 10150 »« — 10555 1«— 53,— 127 »O 10150 10850 «1.50 »850 8850 110,75 IIS.— 83.75 107.25 148.- 181^0 1«— 3550 «50 145.— 58.— 50.— SO — SOS.- 124.— 100,— 221.— 1«— ISS,— «50 42.— 40.— wo.— 24.— 24.25 SS,— SO,— «— 0.00 0.05 0.— »50 s.io ».70 03.30 35.30 OSLO 10,80 »150 »3.50 11.— 10,SO »7,00 0.30 «50 050 50 85 75 82 >i, 51 20 25 50 50 »0 so »1 so k- » '1. 7 »1. »1. 71. >m.> e»r- li." i»l- >r«, -1», 1» »v- I»r 4» r». »1t k. Abo»«e«e»tSpreiS t, dm Haiptexpeditto, «5« de» t» Stadt bezirk »ad de» Vororte» errichteten >«4- oabestelleo obgeholt: »irrteliShrlich ^14^0; bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» Ü5L Durch di« Post bezog«» für Deutschland und Oesterreich: vierleliährltch 2» . Direct» täglich» Dreuzdaudjeoduag t»A Ausland: »»»atltch -äl 2.—. Die Morgeu-Autgab« «jchetnt täglich '/,7Uhr, di« Abeud-Autgab« Wochentag« b Uhr. Ledicti», »» Lrvedttio»: z»h»»»e»»«I« 8. Die Erveditio» ist Wochentag» »»»nterbroche» »»ssmt »0» früh 8 dt« «de»d« 7 Uhr. /Male«: vtt» Mg»»'« T«rtim. (Alfrr» G«d«>. Uuioersitättftrah« ». Laut» LSI»«. Katharinen str. 1«, Part. n»d >«,ig«platz 7. Abend-Ausgabe. MMer.Tagrblaü Ailzeiger. VW« str Politik, Localgeschichte, Handels- «ud GeschSftsverkehr. Jnserttoa-prei- Die bgespaltme Petltzeile SO PU Reklamen unter dem Redactio»«strich <4 DO walten) 50^, o»r den Famtliranachrichw» id gespalten) «üsg. , Größere Schriften lau» unserem Prrt«- verzeichaiß. Tabellarischer und Ztsserusatz »ach höherem Tarif. Grtr».veil«ge« kgefalzy, »«» »ti« dm Morqea - Ausgabe, ohne Postbesördern»> 2« 60.—, mit Postbesörder»»» 2« TU—. Äaaahmeschlaß fSr 2«serate: Abend-Ausgabe: vormittag« 1V Uhr. Margeu»Au«gabe: Nachmittag« «lllhr, von», uud Festtag« früh » Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je et»« halb« Stund« früher. Inserate stad stet« a» dt« GiDedtttck» z» richte». Druck und Verlag von L. Pol» t» LekpztD 216. Donnerstag den 28. April 1892. 86. Jahrgang Die Gerichtsverhandlung gegen Navachol brachte zwar keine direct nrurn Gesichtspunkte für dir Würdigung der anarchistischen UmsturzthLtigkeit bei, aber sie bekräftigt w unwiderleglicher Weise da« Urtbeil, welche« alle sittlich zurechnungsfähigen Menschen auf Grund der seit herigen Thaten teuer nichtswürdigen Gesellschaft sich über den Anarchismus gebildet haben. Die Niederträchtigkeit anarchistischer Frevel bat ihres Gleichen nur in dem EymsuiuS, den Ravachol und seine Spießgesellen an Gerichtsstelle zur Schau trugen. Ravachol betrachtet sich nicht als einen Menschen, der sich einer Anzahl todeSwürdiger Verbrechen gegen Staat und Gesellschaft zu Schulden kommen ließ, sondern als einen Märtyrer seiner Sache, d. h. der Sache des Dynamits und de- Meuchelmordes. Die Vernichtung alles Bestehenden, aller im Laufe einer tausendjährigen Cultur gesicherten sittlichen und materiellen Errungenschaften erscheint den modernen Anarchisten al« ein so erhabenes Beginnen, daß sie sich unbedenklich die Maxime zu eigen machen, wonach der Zweck die Mittel heiligt, und demgemäß keinen Anstand nehmen, über ungezählte Trümmerhaufen und über Leichen Unschuldiger binwegzuschreiten, wenn nur ibr fana tischer Haß gegen Alles, wa- Ordnung, Autorität, Besitz heißt, befriedigt wird. Diesem fressenden moralischen Krebsschaden gegenüber ist da« kleinmüthige Gebabren der Geschworenen im Procefse Ravachol tief zu beklagen, und wir wollen nur hoffen, daß die nachstehenden Meldungen, wonach die französische Negie rung sich endlich zu größerer Energie gegen die anarchistischen Schandthaten emporrassen will, sich bestätigen mögen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß Ravachol demnächst wegen de« Mordes, den er schon vor seinem Pariser Dynamit- verbrechcn beging, zum Tode verurtheilt werden wird. Das Erstaunliche an dem Urtheil des Pariser Schwurgericht- ist, daß der nichtswürdige Geselle nickt sofort rin TodeSurtheil erhielt. Dies war, obgleich die beiden Anklagen nicht ver einigt worden, gesetzlich doch nicht unmöglich, wie der Antrag de« Staatsanwalt« ergiebt. Auf alle Fälle ist es unerhört, daß die Geschworenen ihm »mildernde Um stände" zubilligtcn. Dir Bestrafung aller Verbrechen, welche durch Sprengstoffe begangen werden, mit dem Tode, ist be kanntlich von der französischen Regierung bei der Kammer beantragt, aber dieser Gesetztentwurf ist noch uicht genehmigt. Wir nun auch dir rechtliche Lage der Sache sein mochte: die Zuhörer b«i der Verhandlung haben das Verbiet der Ge schworenen mit Zischen al« Feigheit gebrandmarkt, uud di« Pariser Presse urtheilt ebenso; nicht minder wird da« Ver halten de« Gerichtspräsidenten mißbilligt, der dem Banditen, welchen er vor sich batte, erlaubte, sich als politische» Helden auszuspielen: vrrmuthlich haben die zitternden Geschworenen aus dieser Farce den Vorwand entnommen, »mildernde Um stände" anzuerkennen. Angesicht« solcher Vorgänge versiebt man immer besser die französische SchreckenSzeit des vorigen Jahrhundert«: e« ist die Feigheit der Vielen, welche den TerroriSmuS der Wenigen mächtig werden läßt. Wir glauben, daß sowobl in einem englischen, al« in einem deutschen Ge richtShof Ravachol anders wäre behandelt worden. Um das Uebel an der Wurzel anzusassen, müßten sich die französische Regierung und die um sie geschaarlen leitenden Elasten der Nation zu operativen Eingriffen verstehen, wenn auch dadurch eiu gute« Theil von .Freiheiten" und »Fort schritten" in Mitleidenschaft gezogen würde, welche den Stolz der Republikaner auSmachtn, müßten sie brechen mit einer Menge durch die Routine geheiligter burraukratischrr und administrativer Gepflogenheiten, welche zur sittlichen Ent- iiervong der Nation ganz wesentlich beigrtragen haben. Heute stehen die Sache» so, daß vielleicht der einzige Mensch in ganz Pari«, der sich mit sich selber zufrieden fühlt, der Berthridigcr des Anarchisten Ravachol ist, wahrend allen Uebrigen bei dem Ge danken an dir Rache der Spießgesellen Ravachol » sehr unbehaglich in Muthe wird. Charakteristisch ist die Stellungnahme unserer Socealdemokrati« zu den neuesten Pariser Vorgängen. Sie macht dafür die Behörden zwar nicht direct, aber doch indirect verantwortlich, als seien auS der von ihnen gesäcten Saat deS Lockspitzellhums die neuesten Dynamitfrevcl hervorgegangcn. Das ist ein Koiiiödieuspiel, welches nur noch den;cmgeii täuschen dürfte, der durchaus getäuscht sein will. Die Thal- sache, daßSocialdemokratic undÄnarchiSuiuS zwei auf demselben Baume gewachsene, nur verschiedenen Entwickelungsstadien angckörige Früchte sind, wird durch das krampfhafte Bestreben, den Behörden die Verantwortung in die Schuhe zu schieden, nur in vesto helleres Licht gerückt. Mag man sich auf soeialdemokratischcr Seite sträube», so sehr man will, das böse Gewissen steht den Verleugnern de« Anarchismus so deutlich aus der Stirn ausgeprägt, daß selbst dem arglosesten Beobachter die Schuppen von den Augen fallen müssen. Wir lasten nun die rittgegangenen neuesten Nachrichten über den Stand der Dinge folge»: Parts, 27. Avril. Die Verhandlung gegen Ravachol dauerte bi« halb vier Uhr Morgens. Um 3 Uqr 15 Minuten verkündeten di» Geichworene» ibre» Wahlspruch; sie erkannten Ra vachol schuldig, die Thnamitanschiäge ausgejührt zu haben, ver. neunen icvoch Lie Frage nach der von Ravachol selbst auSLruckiich zugegeben«» Absicht der Lödtung von Mcniche» und bewilligten ihm mildernde Umstande. Denjeibe» Wahrspruch gaben sie über Snno», genannt BiScuit ab. Cbaumarti», Jasbeala und Maricttc Sau bere erklärten sie für nichischuldig. Darauf vcruitheilte der Ge- richtShos Ravachol und Simon zu lebeuslängticher Zwangs- arbe>t und ordnete die sofortige Enllaffung der drei Freigesprochencn an. Bei der Verkündigung des Unheils sagte Ravachol gleich- mülhig: „Ich begrüße meine Berunheilung mit dem Ruse: „LS leb» die Anarchie^" Simon schwenkte die Arme und schrie a»S Leibeskräften: „ES lebe die sociale Revolution! Hoch die Anarchiel" Al« dt» Geschworene» mit geduckten Kopsen und scheuen Seitenblicken au« dem Saale schlichen, nesen ihnen die meist auS Zeiluiiasienlen und Rechtsanwälten bestehenden Zuhörer spöttisch „Bravol" nach. AuS der Verhandlung ist noch Folgendes nachzulragcn: Der Richter Benoit und der Staatsanwalt Bulot, die als Zeugen vernommen wurden, waren merkwürdig aufgeregt und konnten kaum einige zitternde Worte au» der von Angst zusammen- geschnürten Kehle herauSbringen; ihre Aussage biiev großentheil« unverstanden. Diese Haltung machte im Saale den peinlichsten Eindruck. Ravachol « Bertheidiger, Lagaffe, schloß seine Rede mit dem AttSruse: „Ravachol verlangt, daß Si» ihn zum Tode vcr- urtheiien; ich aber fühle mich verpflichtet, Ihnen zu sagen, daß da» Jitteresse der Gesellschaft von Ihnen erfordert, nicht unerbittlich zu sein. Sie können atS FrtedenSstister wirken; sie haben da eine schöne Rolle zu spielen". Bon 10 Uhr Abends bis Mitternacht strömte etwa« Volk vox dem Gerichtspaiast zuiainmen. doch konnte die Polizei die Ordnung mit leichter Müh« aufrecht erhalten. Um '/,3 Uhr Morgen« fuhr Justizminster Ricard vor, begab sich aber wieder nach Hause, ai- er hörte, daß die Verhandlung noch soridauere. Während einer Ruhepauie wurde das Gerücht im Saale verbreilet, man habe eben ein Ministerium und ein Polizei- commissariat in di« Lust gesprengt. Heute srüh geht das Gerücht, e» sei wirklich am Fenster eines BerdrauchSsteuelainls eine Bonibc mit abgebrannter Lunte gesunden worden. Ter Schluß der Ver- Handlung erfolgte so spät, daß die Blätter noch keine auSsührlichen Artikel bringen können; doch stellen sie bereits in kurzen entrüsteten Worten fest, daß di« Geschworenen nicht denMuthge- habt haben, ihre Schuldigkeit zu thun, uud sie weisen auch auf die seltsame Flauheit hin, mit der der Gerichts- Vorsitzende die Berhandiung lettele. Sie finden, er habe-Ravachol mit einer zärtlichen Rücksicht behaudelt, di« man Ver- brrchern gegenüber sonst nie anzuwendr» pflege. — Brr» geht es fortgesetzt gut. Da« erst», wa» er gestern, imeder zur Besinnung gelangt, verlangte, waren di« Zeitungen, damit er sehe, wa« sic über ihn sagen. Er hatte 1800 Franc« in Silber i» einen Sack gebunden in der Lasse, ai» die Bombe loSgiug; er bot, daß man da« Geld suche. ES ist aber bi« aus «inen einzigen Kranke», der im Schutt gefunden wurde, spurlos verschwunden. Ministerpräsident Loubrt besuchte gestern Bery uud versicherie ihn der Theilnahme der Regierung. „Motin" eröffnet« heuteeine Sammlung für Berq. Das Blatt verlangt vom Publicum hunderttausend Franke» sür ihn. Frau Very ist noch immer stumm. Bon den Thäter» hat di« Polizei keine Spur, doch verhaftete sie gestern auf« Gerathewohl wettere drei Personen, angeblich Anarchisten. Die reactionairen Blätter schüren die Panik nach Kräfte», indem sie Märchen von einer Massenslucht der Pariser erfinden; aber noch erbärmlicher sind die radicalen Zei- tungen, weiche der Negierung Kraftlosigkeit vorwecsen, nachdem sie sie noch vorgestern wegen Tyrannei, Willkür und Beraewaliigung der Freiheit n. f. w. wüihend angegriffen hatten. (Boss. Zig.) Paris, 28 April. (Telegramm.) Nach einer Berathung mit dem Ministerpräsidenten Loubet Unterzeichnete der Geiierai-SlaaiS- anwolt 260 Haftbefehle gegen Anarchisten. Pari«, 28. April. (Telegramm.) Der „Figaro" theili aus einer Unterredung mit dem Ministerprästdente» Lv » de t mit, derselbe habe sich dahin ausgeiprochen, jetzt ernte man die Frucht der seit einigen Jahren aeduldelcu uneingcjchrüuklea Freiheit der Rede und der Feder. Diesem Mißbrauche »volle er enlgegenireten und er sei entschlossen, den Kamps iortznietze». La« sei das einzige Mittel, dem Anarchismus ein Ende zu machen. Für den 1. Mai besorge er nichts; Frankreich werde an diesem Tage sicherlich da« ruhigste Land Europas sein. Im Uebrigen seien alle Borsichtsmaßrraei» getroffen, um Lie Personen, denen Drohbriese zugegangen sind, zu beschützen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. April. Die «Nationalliberale Correspondenz" bringt heute folgende bedeutsame Meldung: „Eine große Militairvorlage ist, wie on« zuverlässig bestätigt wird, für dir nächste ReichtagSsessivn in Lor- bereilung. lieber de» Inhalt läßt sich augenblicklich bei de» »och schwebenden Erwägungen Näheres noch nicht sage». Im Zusammen hang Lainit scheine» auch die Gerüchle über de» bevorstehende» Rücktritt de» KriegSininistcrS v. Kaltenborn zu stehen. Die osficiöse» Zurückweisunge» dieser Gerüchle mögen sür den Augen- bick ihre Nichtigkeit haben, nach unseren Informationen aber schwer- iich für lang« Dauer." Mit den Gerüchte» über den bevorstehenden Rücktritt des preußischen KriegSlninister« beschäftigt sich auch die «Post", in der wir lesen: „Trotz aller osficiösen Dementis erhalten sich in der Press« die Gerüchle über Bcianderililgen im Ministerium, Ipecicll den Rücktritt de» Äricgsiiiinisterö, General« von Kaltenborn-Siachau, gestützt aus den Einwand, daß sich die erwähnten Dementi« doch nur aus die Zeit de» Rücktritts des Ministers beziehen könnten. Run wird es un« allerdings als Thatlache bezeichnet, daß seine Gesundheit erschüttert ist und daß er sich zu ichonen gezwungen ist. Unter diesen Umständen liegt denn wohl die Frag« nahe, ob er sich tm Herbste den Debatten des Reichstag» und den damit verbundenen Mühen und Aufregungen auSirtzen kann, namentlich wenn es daraus ankoinmc» sollte, dem Neichsiage gegenüber neue Vorlagen zu ver treten. Vielleicht wäre das Gerücht dcS Rücktritt« ichon zu einer Thatlache geworden ohne die Schwierigkeit, einen entsprechenden Nachfolger sür ihn zu finden. Aligrnbiickiich indessen, d. h. etwa bi« zni» Herbst, ist dies« Frage wohl al« vertagt zu betrachten." Politische Bedeutung erkält der eventuelle Rücktritt dcS Generals von Kaltrichoru-Stachau lediglich durch seinen Zusammenhang mit der «großen Militairvorlage", sür die man an maßgebender Stelle, wie cS scheint, einen preußi schen Vertreter wünscht, der nicht gezwungen ist, sich zu schone». Schon bierauö wird man schließe» können, daß die Vorlage einer schneidigen Vertretung und Vertbeidigung be dürfen wird, auch wenn über die Einzelheiten die Erwägungen und Verhandlungen noch schweben. Daß, so lange diese Er wägunge» und Verhandlungen noch sortdauern, an eine Ver öffentlichung der Grundzüge der Vorlage nicht zu denken ist, liegt auf der Hand. Unverständlich aber wird eS aller Welt erscheinen, dag, während eine so wichtige und zweifellos an das deutsche Volk neue erbebliche Forderungen stellende Vor lage in Vorbereitung begriffen ist, «imposante" Pläne zur Umgestaltung der Berliner Schloßsreiheit ernstbast erwogen werden. Je bestimmter jene Vorlage in Aussicht gestellt wird, um so verstimmender muß die Erörterung dieser Pläne aus die weitesten Kreise wirken. Wie unsere Socialdemokraten das Attentat auf den Decan von PoiiiuSki sructificirt haben, so suchen sie a»ch die neue» Anarchistcu-Attentate in Paris fruchtbringend sür sich und ibre Sache zu machen. Der «Vorwärts" bringt über diese Greueltbalen unter der Spitzmarke: «Keine Polizei mache — aber" einen Artikel von wohlgezäblten 2llZeilen. Davon sind 4 Zeilen der lakonisch-cupheinistischen Notiz ge widmet, daß das Restaurant Very mit Dynamit in dir Luft gesprengt worden ist, wobei verschiedene Personen „Ver letzungen" erbieltcn; 2 Zeilen unterrichten den Leser davon, daß der „Vorwärts" i» diesem Falle nicht an bestellte Arbeit glaubt; der Nest dient dazu, trotz diese« Glauben» auch dieses Attentat indirect der Pariser Polizei im Be- sonkcrci» und der internationalen, seit 1848 da« roth« Gespenst systematisch züchtenden Rcaction im Allgemeinen in die Schnbe zu schieben! E« steht da« auf derselben Höhr wie die Unterstellung, die der .Vorwärts" sich am 24. d. M. leistete, indem er in nicht mehr zweideutiger Weise den Fürste» Bismarck als denjenigen bezeichnete, der «den Plan der Schloßbaulotterie und andere dem Publicum überau« unsympathische Pläne ausgeheckt oder angeregt" hätte. Leider scheint seit de», Falleulassen de« SocialistengesetzcS jede Hand habe zum Einschreiten gegen solche unerhört» Lrrhrtzuog zu sehlrn. In drr Schweiz bat die Socialdemokratie eine nicht unbedeutende Niederlage erlitten, indem e« ihr nicht einmal gelang, 30 000 Unterschriften zusammenzubringen, welche »öthig Ware», »m das Schweizer Au«lieserung«gcsetz einer allgemeinen Volksabstimmung zu unterziehen. Der Berner „Bund" meint, die anarchistischen Schrcckeu-thaten hatten di« RefcrendittnSbewegnng merklich beeinflußt. Es mag diese« zugegeben werden, aber die Hauptursache der social- dcmokratlschcn Niederlage liegt doch tiefer. Da« Schweizer Volk will sich eben nicht durch eine Hand voll socialdemokratischcr Schreier bestimme» lassen, allen anarchistischen, socialistischen und nihilistischen Verbrecher» der Well eine Zufluchtsstätte aus Schweizer Boden zu ge währen. ES will sein HauSrccht, welches längere Zeit auf gehoben erschien, wieder energisch gebrauche» können und nicht den Vorwurf aus sich laden, daß die Schweiz das Asyl aller jener Leute ist, die ihre Verbreche» mit den» Mantel der Politik zu verhüllen streben. Daß die anarchistischen Ver brechen der jüngsten Zeit da» Schweizer Volk in diesem Vorsatz bestärkt haben, ist ohne allen Zweifel richtig, conseqneat und erfreulich. WeckelSdorf ist gegenwärtig in Oesterreich in Aller Munde, rS sigurirt in de» Spalten aller dortigen Zeitungen und rust leidenschastliche Erörterungen hervor. Wa« ist WeckelSdorf? E« ist nichts Anderes, als ein kleiner, un bedeutender Marktflecken in Nordböhmen. Seine plötzliche Berühmtheit rührt daher, weil eine Verordnung in der amtlichen «Wiener Zeitung" erschien, womit mehrere deutsche Gemeinden ,m Koniggrätzer Krei« auS ihrem di-bcrizen GerichtSrcrbande auSgeschiedcn und ein neue« deutsches Bezirksgericht mit dem Sitze in WeckelSdorf errichtet wird. Die Regierung nimmt also die nationale Abgrenzung der Bezirke, trotzdem daß die Altczechen und Feudalen dem Ausgleich untreu geworden sind, aus adminisira» tivem Wege vor. Die Errichtung eine- deutschen Bezirks gerichts in Böhmen hat aber den czcchiscken Löwen auf da« Grimmigste gereizt, in jung- und aUczrchischcn Blättern und Versammlungen läßt er sein Brüllen vernehmen und im Ab geordnetenhause zu Wien weist er dem Urheber jener Frevrlthat wider da« staatsrechtliche Evangelium,dem Iustizministrr Grafen Schöndorn, drohend die Zähne. Aber er ist nicht viel mehr als ein SommernachlStraum-Löwe, und sein Zorn schreckt Niemanden. Mit Ach und Krach haben dir Jungczechen die nothwcndigen vierzig Stimmen zusammengebracht, um den Antrag ausVersryung de» Grafen Schönbora in de» Anklagezustand überhaupt einreichrn zu können, einen An trag, dem nicht» bevorsteht, als «eine schöne Leich'", wie man in Wien sagt, bei der die Gregr und Baschuty etliche dröhnende, aber unschädliche Redesalven abfeuern werden. Ueber die bereits gemeldete, vor Kurzem stattgefundene Zusammenkunft zwischen dem russischen Botschafter Ne^ lidow in Konstantinopel uud dem bulgarischen Agenten Dimitrow verlauten neuerdings von russischer Seite sol-eade Feeeilleton. LL1 Moderne Junggesellen. Noma» von v. LS. Zell. (Schluß.) Nachdruck »er«»««». Er nickt« trüb, bot ihr den Arm und führte sie an eine durch einen Fettvorsprung geschützte Stelle, wo der scharfe Nord wind weniger empfindlich blie« und sich von einer roh ge zimmerten Bank «in herrlicher Blick auf da« Meer bot. Meine Klanse, sagte er mit leisem Anflug von Scherz. Selten verirrt sich der Kuß eine« Fremden zu dieser Stelle und «irgend« ans der ganzen Insel tönt doch da« Wellrn- rauschen in so wunderbaren Melodie» herauf, wie gerade hier. Hören Sie nur. Sir lauschte eine Dell« selbstvergessen. Traumbast schön I sagte sie dann. Und daß wir un« hier gefunden, ist auch wie ein Traum Vielleicht waren wir beide doch sür einander bestimmt, Friedrich, und wenn die Verbält- nisse un« gestattet, eine Hrirath rinzugrhrn, wäre wohl Alle« besser gewesen, att r« heute ist — für un« beide. Rein, sagte er, täusche» wir un« darüber nicht, Melanie. Wa« un« zusammenführtr, war stürmende Leidenschaft, ein köstlicher Rausch, wie er mit gleichen Wonneschauern den Mensche» vielleicht »ur einmal während de« ganzen Leben« beschirdrn. Aber Liebe, di« Alle« tragende, Alle« gewährende und Alle« verzeihend« Liebe war e« nicht. Keinem von un« beiden ist, auch im seligsten Taumel jener Leidenschaft, der Gedanke gekommen, ihn un« immer zu erhalten, etwa« von unseren Neigungen und Grundsätzen zu opfern. Sie hätten nun und nimmer darum Ihren Ansprüchen an glänzende« Leben, da« ich Ihnen nicht zu bieten vermochte, entsagt — ich nicht mrinrm Freiheitsdrang« und drr damaligen ver- göttrrung de« Junggrsrllrnthum«. Aber wenn die Liebe, die wahre, «chte Liebe kommt, Melanie, dann fallen Theorien und Grundsätze uud all« selbstsüchtige» Regungen ab, wie rin zersetzte« Gewand, da« Seelenled«, wandelt sich, ohne daß wir einen langen LäuterungSproceß durchzumachen haben, mit Einem Schlage, was vorher Opfer erschien, ist Woblthat, Labsal geworden und die ganze bisherige Welt versinkt, um nur einem Gefühl Raum zu lassen — der Seligkeit über den Besitz d«S geliebten Wesens. Friedrich! ries Melanie erschüttert, um dann leise hinzu- zufüaen: So können Sie lieben? Ja, sagte er bitter, so kann ich lieben. Und ich Tbor wußte das selber nicht, erkannte rS erst, als eS zu spät und ich mit meurem wahnwitzigen Spintisiren mein Gluck zerstört hatte. Aber Cornclie ist edel und gut, enlgeanete Melanie. Sic kann irren und schwanken, aber nicht im Unrecht beharren. Sie ist eben ein Weib, murmelte er düster. Frauen aber sind unberechenbar — wer wüßte das besser att Sie, Melanie? Und nun erzählen Sie mir, wie Sie bergckommcii und was UeberwältiaendrS in Ihr Leben getreten, denn daß Bedeut same» geschehen, lese ich von Ihrem Gesicht. Und sie hüllte sich, fröstelnd vor dem kalten Abendwind, dichter io ihren Mantel und erzählte — nicht umständlich und im ohne Sch Zusammenhai ärfe, ohne Sp ang, sondern in kurzen Andcutunacn, cpott und obne Anklage — ruhig, müde, wie ein Sterbender da« Facit seine-LebenS, eine-verfehlten, ver tändelten Leben« zieht, um den Andern zu überzeugen, daß er eia Recht habe, Ruhe und Schlaf zu wünschen — für immer. Und Runaber hörte und schaute sie an, erst ver wundert, dann forschend, zuletzt besorgt, und al« sie geendet, fragte er hastig: Und wa« nun, Melanie? Wa« gedenken Sie zu thun? Zu thun? Nicht«, mein Freund. Wa» bliebe mir denn noch zu thun? Franzi zu versorgen, sagte er ernst und dringlich. Franzi — ja. Sie haben recht. Wenn ich r« nur im Stande sein werde. . . Seien Sie nicht feig, Melanie. E« wird sich eia Ausweg au« all dem Elend finden lassen. Bin ich denn nicht mehr Ihr Freund? Uud ich habe ja jetzt keine Pflichten weiter, att für meine Freunde zu sorgen. Sir werden wieder welche übernehmen — aber gleichviel, ich w«is« Ihr» Hilf« für mich nutz Franzi uicht zurück und nehme Sie beim Wort. Aber es ist spät geworden — sehen Sie die Sternenpracht über dem unendlichen Meer, weit, weit, bis dort hinten, wo Himmel uud Wasser sich bcrübren — ein unvergeßlicher Anblick und — ein unvergeßlicher Abend, Friedrich! Er reichte ibr den Arm, um sie heimzngeleiten. Werden Sie nicht sentimental, Melanie, sagte er fast schroff, in dem Bemühen, sie aus fröhlichere Gedanken zu bringen. Naturen wie Sie können daö nickt vertragen, und morgen sprccken wir weiter von alledem. Sie werden einem Narren wie Bürglin nickt die Ehre anikun, seine Ebarakler- losigkeit ernst zu nebmen, und überlassen wir rubig seiner Elsa die Strafe — mir abnt, sie wird das gründlich be sorgen. Aber da ist Ihr Hotel — wann sehen wir nn» wieder? Ich gedenke nämlich, Ihnen zu Liebe mein KlauSner- llnim bei den Fischersleuten auszugrben und mich wieder unter Menschen zu mischen. Da» ist recht. Also morgen Vormittag auf der Düne — ich bade täglich, auch bei stürmischem Wetter. Wir können dann im Pavillon zusammen frühstücken, ganz wie in alter Zeit. Wie in alter Zeit — als ob nickt eine Welt dazwischen läge! sagte er schmerzlich. Ein fester Händedruck, wie zwischen zwei LeidenSgenossen, dann schieden sie. Die See ging hoch am nächsten Vormittag, denn der Wind hatte sich gewandt uud ein scharfer Nordost blie» darüber hin. Die Ueberfahrt zur Düne nahm beute noch einmal so viel Zeit in Anspruch und viele der Badegäste standen davon ab, überhaupt binüberzusabren. War doch an solchen Tagen dir Rückkehr schwierig, ja gefährlich, und oft war e« vorgetommen, daß man im Pavillon auf der Düne Tag uud Nacht hatte zubringea müssen, bi« drr Wind wieder umlprang. Rungher fragte denn auch erst im Hotel an, ob Frau von Ratbenow übrrbaupt zum Baden grfakrea, und folgte nach der Düne, att e« brjabt wurde. Drüben suchte er einen er höhten Punct in drr Näh« de« Pavillon«, von wo au« dir aanze Nein« Sandbank zu übersehen war, lagerte sich im «and« und schaute träumerisch dem wild bewegte« Spiel der Wogen zu, da« seine Springwellen oft bi« hinauf zu dieser Stelle schleuderte. Drüben in, Damenbad standen nur wenige Badckarrcn i» der Fluth, obgleich drr Badecommiffar bekannt gegeben batte, daß keinerlei Gefahr vorhanden sei. Und man nabm eS damit auf Helgoland sehr gewissenhaft. Dank der Vorsicht der Badecommissioo war seit einem Jahrzehnt keia UnglückSfall vorgckommen. Rungher vertiefte sich in seine Träumereien, die ja immer nur eine» Inhalt halten: sein Weib, Eornelie. Durste er den Briese» glauben, die sie ihm au« Remmrlin'S Kranken stube geschrieben, die so innig und rührend um Verzeihung baten und so zukunftSsreudig von einem Glück sprachen, da« um so größer für sie beide sein werde, att e« durch Kämpfe und Opfer von beide» Seiten erkauft worden sei? Sie sprach darin von der hohe» Mission eine«, jeden Menschen, Barmherzigkeit zu üben und den Nächsten in schwerer Zeit nicht zu verlassen — von ihrer Liebe zu ihm, dem Gatten, sprach sic nicht, aber rö webte eia Hauch von Innigkeit und Gesüblsticfc zwischen den Zeilen, der ihn selig erschauern ließ. Und bald selbstvergessen zog er diese Briefe, welche ihn stet« begleitete», hervor und vertiefte sich zum ungezählten Male in ihren Inhalt, unbekümmert um das Menschengetrirbe um sich her und auch de- Sonnenschein» nicht achtend, der blen dend die weiße» Blätter beleuchtete und die Buchstaben vor den Augen des Lesenden tanzen und flimmern ließ. Die Menschen, die um ihn her im Dünensand« gelagert waren, sprachen davon, daß man sich hier Wohl bi« zum Abend werde einricktea müssen, da dir Rückfahrt bei diese» Wellengänge mindesten» zwei Stunden in Anspruch nehme und nicht ganz ungefährlich sei. Rungher hörte da« Alle« kaum — wa« verschlug eS ihm, ob er hier oder drüben auf der Insel den Tag verträumtes Hatte er doch noch immer zu grübeln und zu sinnen an drr großen Frage, ob er Eornelie, die ihn um eine« Fremden willen rücksicht-lo« ver lassen, wieder aufuebmrn dürfe in sein Hau« — da« Herz sagte stürmisch Ja, sein Verstand und der verleßte Maane«- stolz sprach schneidend: Nein. Und dann siel wieder zu Gunsten Eornelien« in die Waage, daß er selber aefrevelt durch seine Theorien von drr freien Lö«barkrit drr Ehr und seine» Weid« damit sozusagen di« Berechtigung zu ihre« Handel» >7.
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