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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920524027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892052402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892052402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-05
- Tag1892-05-24
- Monat1892-05
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Tabellarischer und Zifferntay nach höherem Tarif. »itra-vcilanrn (gefalzt), nur mit der Morgen.Auogale, ohne PostbefSrderung M.—, mit Pustbesörderung 70.—. ^unahmkschluß für Inserate: Lbend-An?gabe: Bormittag» 10 Uhr. Marge n-Au-gabe: Nachmittag« 4Uhr. Sonn- und Festtag« früh 9 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund» früher. Inserate sind stet« an die EzDrtzttk«» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^?2A. Dienstag den 24. Mai 1892 86. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. Mai. Da« hvrrlich verlaufene Eisenacher Parteifest der National/liberalen hat seine Krönung durch da« beim AbschiedScoanmerS cingctroffene Telegramm deö Kaisers gefunden, das in warmen, herzlichen Worten den Tank des Monarchen für die huldigende Begrüßung der Festgcnossen ausspricht. Die kaiserliche Kundgebung fand einen mächtigen Widerhall in der Festversammlnng und der Abgeordnete Or. Hamanachcr war der getreue Dolmetsch der Empfindungen, als er das Telegramm des Kaisers das bedeutsamste Ereigniß des FestaS nannte Es ist noch nicht lange her, daß man dem Kaiser die Absicht unterschob, über die „bestehenden Parteien, die sich überlebt", mittelst einer persönlichen Politik hinweg ^u schreiten, und noch jüngeren Alters ist der Versuch, gewisse tadelnde Worte des Kaisers als vor zugsweise Legen die Nationalliberalen und ibre Hal tung gegemübcr einer Regierungsvorlage gerichtet hin- zuslellcn. Dvc letztere Auffassung ist durch die Tbatsachen glänzend widrrlrg« worden und das Telegramm de- Kaisers an eine Versammlung, die sich als nichts Anderes denn eine PaNeivcrsaniitrlung gab. beweist, daß der Kaiser weit davon entfernt ist, Parteigebilden, die für die glorreichste Periode Deutschlands und seines Hauses bedeutungsvoll geworden sinh, Bcrständ»iß und Interesse zu versagen. DaS ist die eine hochpolitische Bedeutung des Eisenacher Feste?; eine Bedeutung, die' weit mehr als eine parteipolitische ist. Für die Partei selbst stellte sich die hocherfreuliche Thatsache heraus, daß die Folgen jener großen Umänderung, die durch den Rücktritt des Fürsten BiSnrarck hcrbeigesührt worde» waren, in den national- liberalen Kreisen vollständig überwunden sind. Konüte man noch im vorigen Jahre auf dem Berliner Parteitage eine Nachwirkung jener Veränderungen verspüren, und war eS nicht ganz leicht, verschiedene Stimmungen und Ansichten zwischen dem Norden und dem Süden zu versöhnen, so ist inzwischen das vollste und herzlichste Einvernehmen nach jeder Richtung hin ein- gctrcten. Die Vertreter aus dem Süden und dem Norden, aus dem Osten und dem Westen des Reiches wetteiferten in der freudigen Eonstatirung dieser Thatsache, die auch in dem Verkehr zwischen den festlichen Veranstaltungen überzeugend hervortrat. Dir nationalliberale Partei steht seit dem Eisenacher Feste einiger und geschlossener da als jemals. Das wird besonders in den Landtagen der Einzelstaaten hervortreten, aus denen sich zahlreiche Vertreter eingefunden hatten, die Ge legenheit suchten und fanden, des vollsten Einvernehmens nicht nur mit ihren einflußreichsten Wählern, sondern auch mit ihren College» in den einzelstaatlichcn VertretunaSkörper- schastrn sich zu versichern. Leider mußte von einem Dresdner Redner constatirt werden, daß die nationalliberalen säch sischen Landtagsabgeordneten am wenigsten das Bedürfnis; zu einem solchen Austausch empfunden haben Wir sind indeß der Ueberzeugung, daß sie nicht gefehlt haben würden, wenn sie einer Verständigung und Anregung bedurft hätten und nicht vielmehr von vornherein überzeugt gewesen wären, daß sie mit ihrer Wählerschaft in derselben vollen Uebercinstim- w.una sich befinden, wie mit ihren College» auS allen Theilen des Reiches. Die Angelegenheit des Tnrnfe-steS in Nancy und der damit verknüpften Reise dcS Präsidenten Carnot scheint in Paris immer mehr Beunruhigung hervorzurufen. Nach einer vorliegenden Privatbepesche der „Magbeb. Ztg " berietb gestern der französische Ministcrrath über die zu ergreifenden Maßregeln. Die Regierung erhielt Mittheilung, daß die Nancyer Bonlangistcn unter Führung des Deputirlen Gabriel die Anwesenheit Carnot'S zu antideutschen Kundgebungen be nutzen wollen. Mehrere Blätter batten die Nancyer Reise des Präsidenten für unpassend, da sich leicht ein unangenehmer Zwischensall ereignen könne. Der „GauloiS" behauptet, Carnot habe die Einladung der Nancyer Studenten angenomme», ohne die Minister zu befrage». Inzwischen tritt aber in Kreise», die mit der Regierung Fühlung baden, das Bedürfniß hervor, möglichst abrnwiegeln. So schreibt der Senator Rane im „Paris": „Carnot und die anderen Redner werden in Nancy nicht ein Wort sprechen, das nicht gesagt werden dürste. Carnot wird reden als erster Beamter der Nation, welche den Krieg nicht fürchtet, aber den Frieden will. Tie Studenten von Nancy wissen wohl, daß sie zu nakc an der Grenze sind und daß die geringste Unbesonnenheit ihrerseits zwar nicht den Frieden gefährde», aber von den Elsaß-Lothringer» be zahlt werde» müßte." llnt ein ossiciöscS Telegramm, das gestern von Paris versenket wurde, tautet: Ja hiesige» officiellen ü reist n wird de» Artikeln der deutsche» Blauer über die Festlichkeiten in Nancy keine politische Tragweite bcigemcsstn. Man bcrust sich darauf, daß die Neqic- rung alle Maßregeln getroffen habe, um den dortigen Fest-» einen ruhigen Verlauf zu sichern, wie er der Würde Frankreichs entspreche Die Thcilnahine de« Präsidenten Carnot genüge schon an und für sich, die Darstellung, als ob mit der Festlichkeit eine Provokation Deutschlands beabsichtigt sei. zu widerlegen. Die Beunruhigung, die sich in der deutschen Presse kundgebe, sei daher ohne Grund — Auch die republikanischen Zeitungen versichern, daß die Feste in Nancy nur einen patriotische», keinen vrovocato- rischen Charakter hätten. Der Durham-Streik gewinnt, je länger er dauert, desto mehr de» Charakter eines äußersten ConflictS zwischen Arbeiter» und Arbeitgebern. Unternommen wurde er seitens der crsteren in der ringestandcnen Absicht, die Kohlciigruben- besitzer mürbe zu machen, indem man sie durch Lahmlegung des Grubenbetriebes zwingen wollte, sich auf Gnade und Un- gnade der launenhafte» Willkür ihres Personals zu unter werfen. Vergebens wiesen die Arbeitgeber und alle besonnenere» Staats- und VolkSwirthschaftSpolitikcr auf das Thörichle und Frevelhafte eines Beginnens bi», welches, in souvcrainer Miß achtung der geschäftliche» Conjunctur, für die Arbeiter nur Rechte und Vortheile verlangte, sammtliche Pflichten und Nachtbeilr aber auf die Arbeitgeber abzuwälzr» sich vermaß. Nicht umsonst sieben die Durbamer Bergleute in dem wenig schmeichelhafte» Ruf, die unvernünftigste und eigensinnigste Gesellschaft in ganz England zu sein. Ehe sie von ihrer An- niaßlichkcit mir da« Geringste aufgeben, ziehen sie eS vor, sich selber und Hnnderttauscnde von Arbeitern, deren Verdienst chancen von dem flotten Betriebe der Durhamer Kohlenwerke bedingt werden, ins Elend zu stürzen. Inzwischen gehen die Mittel des Streikfonds ihrer Erschöpfung entgegen. DaS neueste Ultimatum der Grubenbesitzer aber lautet nickt mehr auf 7>/jprocciitige sondern ld^proccntigc Lohnreductio», d. h. schon beinahe aus den doppelten Betrag der erstmaligen Nor- mirung, nicht um die Streikenden zu vergewaltigen, sondern weil in der Thal infolge des Streikes die Verhältnisse der Gruben nicht mehr zu ofscriren gestatten. Und alle Wahr scheinlichkeit spricht dafür, daß bei noch längerer Tauer deS Streiks die Bedingungen der Arbeitgeber eine noch weiter- aehcndc Verschärfung erfahren, entsprechend den ganz enormen Verlusten, welche der kopflose AuSstand bereits mit sich ge bracht hat. Jüngst hat ein höherer russischer Beamter, Herr Iermolow, unter dem Titel „Die Mißernte und die Volks uolb in Rußland" eine Schrift hcranSgeaebcn, in welcher aus die Ursacken der Mißernte im vorigen Iabr und aus die „betrübende Wirklichkeit" tiefer und sackgemäßer ein- gegange» ist, al? dies seither ron russischer Seile gesckehc» war. Mit aller Offenheit sprickt der Verfasser e? aus, daß Rußland bei der herrschenden allgemeine» Ra»bwirtbschasl der schlimmsten Zukunft enigegengebe, daß ein großer Tbeil de? Reichs in Folge irralionellcr Cultur immer mebr vo» der Hitze und der Dürre mittelasiatischen Steppengebiete? bedrobl werde. So beißt c? z. B. von dem Nayc» der Schwarzcrde, daß „die gegenwärtige Lage des Rayon? so ernst und so furchtbar sei, daß sie die ernsteste Ausiüerksamkeil der Regierung und der Wissenschaft und der Lankwirtbr selbst, für welche die weitere Entwickelung eine Frage um Leben und Tod ist, auf sick lenken muß. Tie Ursachen dieser sich immer trostloser gestaltenden Lage liegen ;u»> Haupubcil in der erbarmungslosen Entwaldung tcS euro päischen Rußland?. Die Folge ist, daß viele Flüsse und Bäckc ganz verstechen und daß man an manchen Stellen, wo »och vor 25 Jahren ei» wasserreicher Fluß war, jetzt kaum noch die Spur desselben sinket. Verschwunden ist z. B. die Wor?k!a, ei» Zufluß de? Dniepr, um die einst schöne Weiden lagen, große Wälder Tie alte O.uelle deS Dniepr ist versteckt und der immer wasserärmer werdende Fluß nimmt jetzt seinen Ursprung zwei Werst unterhalb seiner ekenialigen O.uelle, auö einem Sumpf. Immer mebr versandet der Doncz. Fast gänzlich verschwunte» ist der Biljng imGouverncmct Woronesb, einst berühmt durch seine» Wasserreickthnm und seine fruchtbaren Ufer. Mit Leichtigkeit könnte man noch eine Menge Beispiele derselbe» Kategorie anfübrcn. Zwar besitzt Rußland gegenwärtig ein Gesetz über den Schutz der Wälder, aber c? ist erst gekommen, nachdem die Gutsbesitzer schon fünfzehn Jahre früher ihre Wälder a»?gcrotler batten!" Mil Recht hält der Verfasser allen phrasenhaften Versicherungen über die unermeßlichen Rcichthümcr Rußlands und über die große Kraft de? russischen Volks die Behauptung entgegen: „Kein Rcichthum, keine Macht tcS russischen Volks wird im Stande sei», jene schweren Prüfungen zu ertrage», welche Rußland jetzt durchlebt, wenn sie sich periodisch wiederholen. Und wir können uns nicht verhehle», daß wir gegen die Wiederholung solcher Plagen durch nichts ge schützt sind und daß sie mehr al- wahrscheinlich ist, so lange die Thätigkeil des Mensche» nicht aus die Verbesserung der natürlichen Bedingungen des Landes gerichtet ist, sondern, wie gegenwärtig, auf deren Verschlimmerung auf dem Wege der »»vernünftigsten Ausbeutung und Ausräubung der natürlichen Reichlhümer Rußlands." Eine weitere Ursache der Volksnotb liegt in dem russischen Steuer- und Finanz systcm mit seiner rücksichtslosen Slcucreintreibuiig, bei welcher dem Bauer das letzte Pferd »»d die letzte Kuh abgcpsändcl werden kann. Schließlich saßt der Verfasser der Schrift seine Darlegungen in dem «atz zusammen, daß die Reform des ganzen russische» StaatswefcnS die einzige Grundlage ist, aus welcher in wirthschastlicker Beziehung eine Besserung und Neuordnung erfolgen kann. Wie schon telegraphisch gemeldet, sind die Ausschüsse des Senats der Vereinigten Staaten von Nord amerika an der Arbeit, ein neues EinwanderungS- gesctz zu schassen. Da dieses Gesetz auch für Deutschland ein gewichtiges Interesse haben dürste, so theilen wir die hauptsächlichen Acndcrnngen, um welche eS sich bandelt, nach stehend mit: die Capitaine von Dampfern und Segelschiffen, welche Einwanderer nach den Vereinigten Staaten bringen, sollen den Einwanderungs-Superintendenten oder Inspector deS betreffenden LandnngShafenS eine Liste sämmtlicher auf dem Schiffe befindliches Einwanderer mit genauen Personalangaben einrcicheii. Diese Lifte soll vo» dem Consul oder Consularagrnten deS AbfahrlShafenS beglaubigt sein. Ferner soll eine beglaubigte Aussage de« SckiffSarzte? bestiegen, worin dieser erklärt, daß er vor Abfahrt dcS Dampfers die Passagiere auf ihren körperliche» und geistigen Zustand Unter sucht habe, und die Dampfer Gesellschaft muß ccnstatiren, daß ihrer Ueberzeugung nach kein Pauper oder sonstiger Einwanderer, der nach amerikanischem Gesetz nicht landen darf, sich unter de» Passagieren befindet. Tic Untersuchung der Einwanderer soll nicht von ConsulatS wegen geschehen, sonder» die Dampfer Gesellschaften habe» das selbst zu besorge». Trifft ein Schiff in Nordamerika ein, ohne die obenerwähnte beglaubigte Namenliste mitzusübren, so ist die betreffende Gesellschaft gehalten, zehn Dollars Geldbuße für jede» mitgebrachteii Cinwanderer zu zahlen, cbe diese zur Landung zngclaffc» werden. Eine andere Bestimmung gebt dahin. daß die arbiträre Gewalt, welche zur Zeit in Händen der EinwanderiuigS Superinten denten oder Inspektoren liegt, einer Behörde, bestehend auö drei Commissärcn, üdenrage» werden soll Diese Bestimmung ist geplant, um der Willkür der EinwankcrungSbeamlcn Ein halt zu thnn. Dieses Estiwandcrcrgesctz wird, wie schon ge sagt, von größtem Interesse für uns sei», zumal mit Rück sickt ans die bevorstehende deutsche Auswanderungs-Gesetz gebung, wclcke cbensalls den Transportgesellschaften einen ent scheidenden Einsluß zuerkcnnt. Deutsches Neich. Berlin, 25. Mai. Der großartige Eindruck, welche» die begeisterte Feier der nationalliberalen Partei in Eisenach auch in den Kreisen der nicht zur Partei Gehörigen bervorgehrackt bat, ist Herrn Enge» Richter unangenehm unk unbequem und er kann seinen Aerger nicht verhehlen. In seiner gewöhnlichen Art übersieht er wieder alle großen GesichtSpunctc und versucht in Kleinigkeiten groß zu sein und an dem Jubelfeste berumzumäkeln. Dabei ist er nickt blöde, die Verdienste und die großen Leistungen der nationalliberalen Partei, welche zum Theil bereits i» die Geschichtsbücher cin- gezcickiiet, zum Tbeil erst in den jüngste» Tagen zur Geltung gekommen sind, sich unk seinem kleinen Gefolge aufs Conto zu setzen. Wie wenig ikm das bisher geholfen, zeigt gerade der „freisinnige Parteitag", Le» er am Sonntag i» Mannheim abgebalte» bat. Von „Freisinnigen" war dort sehr wenig zu merke»: ist doch ihre Zahl im Reiche immer mehr im Schwinden begriffen. Wir begreifen eS daher, daß -Herr Richter min die Demo kraten, welche nickt wenige BerübrnngSpuncte mit den Socialdcmokrate» haben, als Freisinnige begrüßt und an- jubelt. Aber diese Dcmokralcii sind nicht zu Herrn Richter gekommen, sonder» er gebt ihnen nach, und ans dieser schiefen Ebene aiebt eS schwerlich einen Halt. Wir glaube», daß, wie die Fortschrittspartei zur „freisinnigen" wurde, kiese sehr bald zur „VolkSpartci" oder zur demokratischen sich u»>- aemodclt haben wird. Zwischen Liberalismus und Demo kratie gähnt eine weile.Kluft. Jener erstrebt die Freiheit der Ent wickelung unter voller Anerkennung der Monarchie, bei vollem Sckutze der Autorität. Die Demokratie führt, bewußt oder un bewußt, zurNcpublik. DerLiberaliSmuSkcnntnurdiebcrccktigte, gesetzliche Agitation, er duldet nur anständige Forme» und achtet jede auf gesetzlichem Boten sich belbätigcndc politische und religiöse Gesinnung. Die Dcmokralic ist ebenso intolerant wie die orthodoxeste Rcacliv», aber noch terroristischer, und Fez»ill«tsn. Gerettet. I8s Novelle von Alexander Römer. Nachdruck »ertotkii. (Schluß. „Wer sie in den Tod getrieben — nun, die Frage mögen Cie selbst entscheiden", sagte Bolgersen hart und kalt. Erich suhr zusammen — er wollte sich vorwärts bewegen, seine Füße waren wie Blei. Man hörte nur das Schluchzen der Frau — diesmal klang eS. als käme es auS tiefstem Herzensgründe. „Wenn ich sie Ihnen zurückbnngen soll, so wollte ich lieber, ich hätte sie da gelaffen, wohin sie sich flüchtete", sagte Bolgersen wieder. „Ai- Eie meinen Neffen verkuppelten, da war eS Ihre Schuld wahrlich nickt, wenn der gute, ehrliche Junge sich mit seinem Herzen festhing und die Unschuld deS Mädchens achtete. Jetzt — des DoctorS Weib will und kann sie nicht werden — was Sie da für Künste angewendet, ist mir unerfindlich —" Erich stand mit einem Schritte neben ihm. „Waö ist mit Lisa?" fragte er heiser. Frau Heloise fuhr empor. „O mein Gott!" murmelte sic mit bleichen Lippen. Ihre ganze Redekunst War ihr abhanden gekommen „Ab! Sie sind da — nun, um so besser"» rief Bolaersen „Ja, w,e sehen Sie denn auS — wenn Ihnen daS Mädchen so ans Herz gewachsen —" „Ist Lisa todt?" „Nein — sie liegt in heftigem Fieber in meinem Hause und meine Nichte Thekla ist bei ihr." „Thekla!" Bolgersen sab verwundert aus den Doctor, er sprach den Namen mit einem seltsamen Klang an«. Wunderlicher Kauz — warum er diese Lisa nur hatte heiratben wollen. Frau Heloise batte versucht, auszusteheu, war aber in ihren Sessel zurückgesallen und lag da mit geschloffenen Augen und schlaff »icderbängenden Armen. Erich wollte sich ihr nähern, Bolgersen hielt ,bn zurück „baffen wir sie", sagte er kaltblütig, „sie wirb schon wieder zu sich kommen, vielleicht bat dies sie wirklich ein bischen gepackt. Wir kennen einander schon lange die grau ^s^.u-zv ick, T^uud ick» hatte schon einmal einen Strauß mit ihr, vor vielen Jahren, als sie die Angela, ibr älteste- Kind, einem College« überließ als Modell für seine Flora. — Wenn die Angela damals gehandelt hätte wie die Lisa gestern, so wäre sie besser geborgen gewesen, al» jetzt. Die Frau ist eine arge Sünderin — kommen Sir, Doctor — der liebe Gott sei auch unseren Seele» gnädig, aber — nun, ich habe Ihnen allerlei zu sagen." Erich sah schaudernd auf die Frau, welche nicht be- innungSlos war, sondern sich wand und zuckte unter den chweren anklagcnden Worten, zu denen ihr Mund heute tun»» blieb. Langsam stieg er mit dem Maler die Treppe sinab. Bolgersen berichtete, was geschehen. „Und damit Sie seben, wie Lisa zu dem Arthur gestanden", sagte er, „so lesen Sie diesen Brief. Ich fand ihn, als ick sie dem Wellengrab entriß, in den Falten UireS Kleide- Die Schrift ist feucht und fast unleserlich geworden, aber ich habe sie doch entziffert, und denke mir, daß ihr Gewissen Ihnen gegenüber darüber erwacht ist." Erich entfaltete das zerknitterte Papier und starrte auf die verwischten Buchstaben. „WaS aber in aller Welt, wenn die Beiden sich liebten, bewog Lisa —" stammelte er. „Sich Ihnen zu verloben, meinen Sie —", vollendete Bolgersen — „nun, das Räthsel kann ich Ihnen lösen Viel unverständlicher bleibt mir dagegen, wie Sie dazu kamen, den, Mädchen ihre ganze Zukunft zn opfern. Hatte die kleine wunderhübsche Hexe Sie wirklich so Umstrickt?" Um Erich s Mund spielte ein so schmerzvolles melancho lisches Lächeln, daß Bolgersen rathloS seinen Kops schüttelte. Ja, was hatte ihn bestimmt — wußte er eS zu sagen? Diesem Manne sicherlich nicht. „Reden Sie, bitte", murmelte er, „Sie hatten mir noch etwa» zu erklären." „Ja so — Lisa'S Gcheidebrief an Arthur. Daran trug ich die Schuld Ich war bei dem Mädchen und sagte ihr in dürren Worten, wie e« meine Art, daß e« zwischen ihr und meinem Neffen nimmermehr zu einer Heiralb kommen könne — als ick sie bei der Gelegenheit zum ersten Male sab, tbat sie mir leid, da« kleine Ding — und vornehmlich der Alte, ibr Batrr, der unmittelbar nach meinem Besuch gestorben ist. Nun — starren Tie mich nur nicht so an — ich habe ibn nicht gelobtet — im Grarntheil, von meiner Verhandlung mit Lisa erfuhr er nicht«, sondern erkannte in mir den ehe maligen Collegen. meinte, ich sei gekommen, ihn zu besuchen. Ja — Doctor — e« aiebt doch sellsaine Verschlingungen im beben — ist da« nun Alle« Zufall?" , zIu Erich « wirdrludrm Sozzs« degauo ha« Ehao«^ jjch^z^ lichten. Eine merkwürdige, lange nicht mehr gekannte Ruhe senkte sich Uber ihn. „Sie werben eS wobt verstehen", fuhr Bolgersen fort, „wenn ich unter den obwaltenden Umständen so eine Art Verpflichtung fühle. Ich muß einmal dazu komme», um das Mädchen dem Leben zu erhalten, nun soll sie auch in die Nisthöhle nicht wieder hinein. Die, Doctor, haben ja Ihr Bestes gethan — aus Ihre Weise — Sie komischer Idealist Mit einer Heirath denke ich meine Schlltzerrollc nicht zu besiegeln. Je mehr ich darüber nachbenke, so glaube ich wirklich, Sie haben da» als Schlußstein Ihrer guten Thal für nötbig ge halten. Ich habe mir in dieser Nackt einen Plan ausgesonne». Thekla — nun. waS erschrecken Sie? — meine Nichte Thekla meine ich, muß doch eine sichere Heimstätte wieder haben — Bei Ihrer Frau Mutter war sie nur so lange, als der Sobn in die Verbannung geschickt war — und — weiß der Himmel — sic hält mich alten .Knaben noch für gefädr lich, ha! ha! ha! — und will nicht allein bei mir sein — da muß ich wohl das Feld räumen. UeberdieS — Künstler- dlut ist halb Zigeunerblut — die Wanderlust kommt, so lange die alten Knochen zusammenballen Da lockt c» mich jetzt dem Arthur nach, in das gelobte Land. Mögen die beiten Mädchen bann Kausen in meinem Nest" „Lisa fiebert, sagten Sic?" begann Erich nach einer langen edankenvolle Pause. Seine Stimme tlang müde — eS über- am ihn plötzlich eine große Mattigkeit. „Nicht der Rete werlh", meinte Bolgersen, „wenn Sie nicht sonst lange Auseinandersetzungen macken wollen, als Arzt brauchen Sie sich nicht nach ihr umzuseben. Ehrlich gestanden, Sic seben recht schlecht auS — taffen Sie nun den Dingen ihren Lauf — ich habe eine Ahnung, das kommt jetzt ohne un» Alle» zurecht — und legen Sie sich zu Hause aufs Ohr. Sie haben auch einen Rausch auSzuschlasen, und zwar einen tüchtigen." „Einen schweren, da« weiß Gott!" murmelte Erich. » » Erich trat in seine Wohnung. Sevecke albmete auf, als er ihn erblickte. In der quälenden Ungewißheit, was ge schehen, sorgte der alte Mann schwer um seinen Herrn. Aber gottlob! er lächelte „Sevecke", sagte er. „ich bin ganz verzweifelt müde und lahm. Du könnest zum 1)r Reulcher gehen und ihn bitten, daß er mich heute bei meinen Schwer kranken vertritt. Er wollte e« ja ohnehin morgen Ihun." Morgen — an seinem Hochzeitstag! Sevecke war mit Freude» bereit. „Und der Herr Doctor ;wrrdu» sich niederlegeu ?" „Ja, Sevecke — mir ist, als wäre ich bei einem Gelage gewesen bis in den Morgen hinein." Sevecke nickte. „Ja, wollte Gott, cS wäre ein lustig Gelage gewesen — aber — mit der Heirath scheint cS ins Stocken geratben zu sein —", dachte er bei sich. Erich streckte sich aus — die Natur forderte ihr Recht. Er dachte nicht, er sorgte nicht „Jetzt kommt Alles ohne »nS zurecht", hatte Bolgersen gesagt, und er mochte Recht haben. Er hätte Lisa in seiner momentanen Seelen- Verfassung nicht Wiedersehen könne», sie und Tkckla neben ihr gaukelte» vor seinen schon traumhaften Sinnen, verschwammen zu immer undeutlicheren Gestalten — er schlief fest und ruhig ein. Sevecke lies, so rafch ihn seine alten Beine trugen, erst zu dem Doctor Reuscher, wo er seine Bestellung auSzurichtcn hatte, dann in die Parkslraße zum Herrn und der Fra» Generalin. Hier schüttete er sei» Her; auö. Fräulein von Linden war da bei der Frau Generalin, und sie schienen dort mebr zn wissen, als er. Die Frau Maina war wieder außer Bett »nd saß auf dem Sopba. Eie hatte rotbc Backen und Helle Auge», aus denen freilich noch Thränc» hcrablicsen aus ibr Tuch, das sie in großer Erregung zwischen den Händen ballte „Also er ist zu Hause und schläft, Sevecke — na, Gott sei Dank!" sagte sie. „Gnädige Frau — ick, glaube, mit der Hochzeit wird eS so bald noch nicht-", sagte Sevecke. „Nein, Alter — ich denke auch so " Fräulein von Linde» ging ihm nach und klopfte ihm draußen ans dem Flur aus .die Schulter „Sevecke! Sie sorgen für Ihren Herr», er muß viel Ruhe und Pflege haben." Eine Stunde später hielt die Equipage vor dem Hause und die Generalin stieg ein Sie batte seil Erich s Verlobung ibre Zimmer nicht verlassen. Leise stieg sie die Treppe zu des SobneS Wohnung hinan, trat durch das Vorzimmer, wo cs beute so still und leer war, und setzte sich an Erich » Bett. Er schlief noch — wie bager und gefurcht waren feine Züge geworden, aber e» lag ein ruhiger, sreundlicber Aus druck daraus Er würde erwachen und wieder ihr eigen sein. — Du lieber Gott, sic war vielleicht zu hart gewesen in ihrem Vorurtheile gegen das arme Mädchen, Erich hatte sich nickt weggeworscn an eine ganz Unwürdige. Ihr war ja auch immer gewesen, als ob die Erde wankte, wenn sie da« denken mußte. AuS Mitleid, aus Erbarmen hatte er sich geopfert — das sah ihm gleich — er Halle a»s Knabe schon einmal eiu-ähnlich Ding ausgeführt für einen Freund. Ade^
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