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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.06.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920603024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892060302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892060302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-06
- Tag1892-06-03
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Tabellarischer und gisferusatz »ach höherem Tarif. Extra-veilagrn (gefalzt), nnr mit d« Morgen»Auäaabe, ohne PoslbesSrderung ^l LU.—, mit PostbesSrderuag ^l 70.-» Zlnnahmeschlnß für Inserate r Abead-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. MargeN'Autgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn- und Festtag» früh v Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stund« früher. Inserate sind stet» an hie Erpeditto« »» richte». Druck und Verlag voa E. Polz in Leipzig 282. Freitag den 3. Juni 1892. 88. Jahrgang Ans Frankreich. lH Pari», 3t. Mai. Ist r» die bekannte „Rübe vor dem Sturm", welche gegenwärtig bezüglich der bevorstehenden Festlichkeiten in Nancy in den größeren französischen Zeitungen herrscht, ist e» die allmälige Einsicht, baß dir deutsch« Presse mit ihren Artikeln über jene Feste durchaus keine Provocalion beabsichtigt, genug, die Mehrzahl der auSschlag- gebenden hiesigen Blätter hat seit einigen Tagen in der Be handlung jener Frage und der Stellungnahme Deutschlands dazu — wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann — einen ruhigeren Ton angeschlagen, und das Thema würde Wohl vorlausig überhaupt schon von der Bild- fläche verschwunden sein, wenn nicht al» Ach- und Wehe« punct die Aufhebung der Truppen-Revue bei Nancy seiten« des Präsidenten der Republik zurück geblieben wäre. „Wo ist die Truppen-Revue?" könnte al« Motiv zu einem neuen Räthselbilde verwandt werden, nur wäre die Lösung etwas schwer, denn über diese Truppen- Revue gehen die Meinungen der Journale auf das Tollste durcheinander. Nach dem Einen war sie überbanpt nicht be absichtigt, nach dem Andern findet sie noch statt, nach dem Dritten ist sie aufgehoben auf die Wünsche de- französischen Botschafters in Berlin hin, nach dem Vierten hat man sie fallen gelassen, weil einzelne Truppenlhrile zu West zu mar- schiren gehabt hätten: kurz, der McinungSvcrschiedcnbcilen und Auslegungen gilbt eS genau so viele, wie über die Reise de» Zaren nach Berlin. Und wie eS in letzteren, Falle die so genannten „unterrichteten Berliner Kreise" bisher gethan, so thiin eS hinsichtlich jener Revue auch die hiesigen: sie wissen nämlich laut einer officiösen Erklärung im gestrige» „TempS" von gar nichts und hüllen sich damit in den bequemen Mantel de« vornehmen Schweigens. Ai» liebsten würde dies auch Wohl in Nancy selbst Präsident Carnot thu», noch lieber würde er überhaupt nicht hingehen; das freilich ist nicht mehr zu vermeiden und auch die eine und andere Rede wird er nicht vermeiden können, aber man darf im Voran- von seinem taktvollen und umsichtigen Wesen erwarte», daß er sich auf da« Strengste jcvrr Silbe enthalten wird, die diesseits oder jenseits de« Rheine« übel gedeutet werden könnte, wie auch dem ganzen officiellen Programm jeder politische Mißlon gewiß ferngehallen werden wird. Ob die- auch bei dem nicht-ossiciellen möglich ist, ist eine andere Frage, denn die zu den Festen angemeldcten 2500 Turner und Studenten werde» sich schwerlich ern Beispiel an dem gemessen würdigen Auf treten ihre- Staatsoberhauptes nehmen. Aber Worte verhalle» bald, zumal die in Fcsträuschen gesprochenen, und so wird denn auch dieser Berg aller Voraussicht nach nnr eine Man« gebären, von der nach wenige» Tagen nicht mehr die Rede sein wird. ^ Selbst kaum auf französischer Seite, denn gerade gegen wärtig sind die Interessen der französischen Republik auf andere Puncte gerichtet, die dem Lande und vielen seiner Bewohner wichtiger sind, als die Radamontagen einiger Hitzköpfe. Im Vordergrund dieser Interessen steht die bereit« am 1. Juni in Kraft tretende neue Zoll-Anknüpfung mit Spanien auf Grund de« Minimum-Tarifeö, die soeben zum Borthrile beider Länder und Völker vereinbart wurde und im Umsehen auch die politische Verstimmung, die i» jüngster Zeit zwischen Spanien und Frankreich geherrscht, kvrtwischrn wird. Beide Staaten sind ja mit vielen ihrer Erzeugnisse in hervorragender Weise aufeinander angewiesen, indem Spanien die Produkte des Landes an Frankreich und dieses di« seiner regen Industrie an seinen Pyrenäen Nachbar abgiebt. Die Sperrung der beiderseitigen Märkte batte hüben wie drüben die lebhafteste Unzufriedenheit hervorgernfc», und die Freude ist nun eine allgemeine, daß die Zollschranke» nach so unerwartet kurzer Frist wieder gefallen >>»d, bei welchem Forträumen Frankreich übrigen« nicht den schlechtesten Tausch macht, obwohl eS sich in manchen Punctcn Spanien sehr entgegenkommend bewiesen. Diese« Entgegenkommen verdankt nicht zuletzt seinen Ursprung der Besorgniß, daß Deutschland respective dessen Handel jene erwähnte Verstimmung zwischen den beiden Nachbarreichcn hätte benutzen und auf spanischem Boden festen Fuß fassen können, was leicht möglich gewesen und von bestimmter spanischer Seite nicht »»gern gesehen worden wäre; leider hatte der deutsche Handel hierzu keine Lust oder er zögerte zu lange; jedenfalls hat er den richtigen Augenblick verpaßt zum Schaden der mannigfachsten deutschen Industriezweige, für die sich leicht auf der industricarmen Pyrenäen-Halbinsel reiche Absatzqucllcn erschlossen hätte». Hat Frankreich mit dem einen feiner romanischen Nach barn wieder ei» bessere« Einvcrständniß hergeftellt, so möchte eStieS auch gern,wenn auch a»S »ichiS wciiigkr alS commerzielltn Gründen, mit dem anderen Ihn», mit Italien, dessen augenblickliche CabinctS-KrisiS den Anlaß z» einem starken Liebäugeln von hier nach Rom bietet. Natürlich fehlt eS dabei nicht an gute» Rathschlägcn, wie diese Krisis sowie auch die finanzielle des Landes gehoben werden löuntc, und daß dabei immer wieder hcrvorgebobcn wird, welch' ei» Hindernis! an der Gcfundnng Italiens dessen Zugehörigkeit rnr Friedens Allianz ist, braucht nickt erst erwähnt zu werden. Mehr und mehr zieht man hierneuerdingSdiePcrson de« Königs Huinbert in die Debatten hinein und macht ihn allein ver antwortlich für die auswärtige Politik Italiens und damit zugleich für alle übrigen Nötbcn, an denen das Land krankt. Der Zweck derartiger Entstellungen ist nur zu deutlich er kennbar und verfehlt deshalb seine Wirkung; man mertt gar zu sehr die Absicht, und die Verstimmung auf der einen ^citc, nämlich aus der jenseits des Gotthard, dürste dadurch nicht gehoben, sondern nur vergrößert werden. Dabei thaten jene französischen Politiker, die sich immer wieder und wieder mit Italien beschäftigen und mit Kroko- dilSlhräncn im Auge dessen nahen Baiikcrolt verkündige», besser, wenn sie sich mehr um die inneren Zustände dcS eigenen Landes kümmerten, die Manches zu wünschen übrig lassen. Vor Allem zeigen sich die Anarchisten durchaus nicht so eutmnthigt. wie man eS gern verbreitet, im Gegeu- tbcil, ungeachtet der zahlreichen Verhaftungen, welche ihre Reihen gelichtet, erhebe» sie keck daS Haupt und hielten vor gestern sogar hier rin siarkbesuchtcS Meeting ab, zu dem sie verschiedene bekannte Politiker cingclade» batten. „Weniger als je dürfe» wir heute daran verzweifeln", hieß es in diesem Einladungsschreiben,„daß wirunS von der drückende» Bourgcosle- Herrschast befreien und daS Elend abschülleln werden, unter dem wir schmachte». DaS Dynamit hat daS VolkSgewissc» auf geweckt, eS hat de» Unglücklichen neue Hoffnung gegeben und die Reichen in Schrecke» versetzt!" I» diesem Ton ging eS Weiter und in noch weit schärferem Ton waren die Rede» auf jenem Meeting gebasten, in denen Navachol al« Märtyrer gefeiert und zur Revolution ausgesvrdert wurde. Anarchisten mit Socialisten gemischt fanden sich am folgenden, gestrigen Tage auf dem Pöre-Lackaise ein, um die ErinnernngSseier der „blutigen Woche" (Erschießung der Communardcn IK7l) »n begeben. Auch hierbei fehlte c« nicht an wenig mißzuver- stebcuden Reden, in denen weit mehr al« früher die Jnter- naticnatität der Socialisten hcrvorgchoben wurde. „Die Er richtung der Arbeit- Börse, die wir der Bourgeoisie entrissen", rief ein Redner, „iste>»Trinmpbsürnn-,abcrw>rhabeN noch einen zweite», wir werden die Völker verhindern, sich auseinander zu stürzen. Man bereitet sich gegenwärtig wieder aus den Krieg vor, aus die Revanche, wie ma» sagt. Wir werden diese» Krieg Verbindern, denn wir kennen keine andere Revanche als die, welche alle Reaktionäre tobten wird." Der Redner wurde wicderbolt durch Rufe unterbrochen — und wie lautete» diese? „CS lebe die Internationale! Nieder mit dem Vaterland!" Auch der Bürgermeister, wohlgemcrkt, der Bürgermeister von Saint Denis, trat als Redner aus; er rief nur wenige Worte, dieser brave Staatsbürger, die Worte: „ES lebe die Com mune! Es lebe die sociale Revolution!" Und wir haben nur wenige Worte hinzuzufügcu, die beiden berühmten Worte: DaS läßt tief blicken!! politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Juni. Die Nachricht, daß der Zar am ?. k. in Kiel cintresfc» und dort mit unserem Kaiser eine Zusammenkunft haben werde, wird, soweit wir zu übcrsrben vermöge», von der ge- sammten deutschen Presse, selbst von der ofsiciösen, mit der größten Kühle ausgenommen. In den Blättern aller Parteien wird betont, daß in dem Entschluß unsere- Kaiser», den Zaren i» Kiel z» begrüßen, ein weitgehendes Entgegen kommen gegen den Zaren liegt und daß tie Zusamincnkunst auch äußertich schon in kurz ist, nin eine cingchcudc politische Unterredung zu ermöglichen, von der eine Umgestaltung der europäische» Situation und Politik erwartet werten konnte. Nur in einige» Organen wird betont, daß auch eine so flüchtige Begegnung vielleicht eine erwünschte Folge haben werde. So bemcrtt die „Naiionalliberale Eorrespondenz": „Auch die persönlichen Beziehungen so hoher Herren spielen ihre Rolle in der Politik, und >cdes Anzricke» einer Beteiligung von Mißverständnissen und Mißstimmungen kann unS nur erwünscht sein. In de» Politische» Brr! ältnissen Deutschlands und Rußland» liegen zwingende Eirunde emer Olegnerschasl nicht, di« beiderseitigen Interessen sind nicht gegensätzlicher Art, zwischen den Herrschcr- samilie» besteht eine allnberi.eserlc Verbindung der Frcundschast: wie sollte man es linier diese» Umständen siir eine nns ewig un abänderliche Lüatsache halten, daß die beide» Reiche sich t» miß- lrainsch lauernder Stellung, in beständigen Besorgnissen vor einem kriegerischen Zttsanmieiistvy gcgkuuccritei.cn? Möge die Begegnung der beiden Herrscher beitragen, das Gesicht der Unsicherheit und Beklemmung, das andauernd aus Europa lostet, wenigstens einiger- »uiße» zu mildern!" Bian wird ja bald genug auö dem Tone, in dein die russische Presse die Kieler Begegnung und da» Entgegen kommen unseres Kaisers bespricht, abnehmen tonnen, ob der srrmme Wunsch der „N. L- C-" Aussicht aus Ersüüunz hat. Gegenüber der Meldung der „Tägl. Nnndschau", Fürst BiSmarck wolle bei einer passenden Gelegenheit Schritte thun, nin sein persönliches Verhättniß zu Kaiser Wilhelm angenehmer zu gestalten, versichert ein Gewährsmann der „Westdeutschen Atlg. Ztg", welcher den Flirte» in aller- jüngsler Zeit gesprochen habe» will, daß ein olchcr Schritt nach Lage der Dinge absolut »»möglich sei, chon deshalb, weil Biemarck eS nie habe kenntlich werden la sen, daß sei» jetziges persönliches Verhättniß zniu Kaiser ihm nicht genehm wäre. — Damit, daß Fürst BiSmarck noch nicht« darüber hat verlauten lassen,bah ihm sein jetziges Verhältuiv zum Kaiser nicht genehm sei, ist nun allerdings noch nicht« bewiesen; eS kommt aber auch in erster Linie nicht daraus an, ob der Altreichs kanzler eine Aendcriing dieses Verhältnisses wünscht, sondern ob rer Kaiser dem Fürsten wieder naher treten möchte. Der Letztere kann gar keinen Schritt thun, wenn er nicht dazu ausgefortcN wirk. Das weiß inan jedenfalls auch in de» Kreisen dcü preußische» Herrenhauses. Und wenn dort von der Möglichkeit einer „Auosöbnnng" zwischen bcni Kaiser und bc»i Fürsten Bismarck gesprochen wird, so niuß man der Meinung sei», der Kaiser wünsche eine Aniiähcruiig de» Fürsten und werde eine solche anbahuen. Die Besorgniß, daß e« so kommen könnte, bat ja i» tiefen Kreisen taugst bestauben; es ist daher leicht möglich, baß da« eigene Ge wissen den Herren die Befürchtung eingiebt, der Kaiser empfinde einige Sehnsucht nach Lein „eisernen" Kanzler. Der NcichStagSahgeordncte Vambergcr hat dieser Tage in seinem Wahlkreis Alzey die lloaur restos seines Geistes in Anspruch genommen, um den Fürsten Bismarck politisch und moralisch umzubringcn. DaS Können blieb aber hinter dem Wolle» zurück. Seine Rete liest sich wie ei» Artikel der „greis. Ztg." über den ersten Kanzler, so plump und^ trivial sind die Anwürfc gegen den Fürsten, lieber das Statium der Lernfähigkeit ist Herr Bamberger offenbar hinaus, sonst würde er nicht, wie er in Alzey gctha», heute noch die Meldung vom Sturze Bismarck » eine „srohc Knude" nennen, die „zu Deutschlands, zn der Welt Glück" erschollen sei. Der FractionSgenosse Richter versichert seinen Zuhörern, Fürst BiSmarck bade unmiltelbar vor scincin Abgang den Plan fertig gehabt — wir citirrn nach der „greif. Ztg." — „der Verfassung zur Notb mit Gewalt beizukommen." Bon wannen ihm diese Wissenschaft gekommen, hat Herr Bam- berger nicht vcrrathen; vcrmulhlich hat er die beweiskräftigen Documentc i», Archiv der bentschsrcisinnigen Fractio» ent deckt. Selbstverständlich paradirte unter der schrecklichen BiSmarck'schen Hinterlassenschaft das „Klebegcsetz" in erster Reibe. Fragt sich nur, warum der Deutschfrcisinn einen i» Bayer» begonnenen PctitionSstnrm gegen daS Gesetz nickt auf daö übrige Deutschland fortpflanzt. Es scheinen denn doch einige Zweifel an der „Unerträglichkeit" der In validität«- und Altersversorgung anfgcstiegen zn sein. Mit den Antisemiten hatte Herr Bamberger eine spccielle Rechnung auSznmachen, »ach deren Erledigung er aus de» Antisemitismus überhaupt zu sprechen kam. Er bemerkte, daS beste Mittel der Abwehr sei die liberale Bewegung. DaS sage er immer auch allen Denen, die diese Abwehr auf con- scssioncUem Boden betreiben wollten. Er rufe ihnen zn: „Seid liberal, bann bekämpft ihr am wirksamsten den Anti semitismus, wie die Neaclio» den Antisemitismus nur liegt, um daS liberale Princip zn bekämpfen." Dem Satze könnte man zustimmcii, wenn nur Herr Bamberger nicht zu sagen »ntcrlasseii hätte, waS er unter Liberalismus versieht. Meint er den Dciilschfreisinn, so würbe daS eine Unkenntnis! der Verhältnisse vcrrathen, die man gerade bei diesem Redner nickt vermuthcn sollte. Der Denlschfrcisiiin mit seiner Ein seitigkeit zücktet förmlich Antisemiten, eS ist euer Ncacticn gegen daS Verhallen seiner Presse, wenn, wie es leider geschieht, chrcnwcrlhe und hochgebildete Elemente sich dem Antisemitismus ziiwenden. Herr Bamberger könnte weit mehr als durch seine Alzeyer Rede dem Antisemitismus Ab bruch thun, wenn er einmal seinen Parteigenossen in Berlin die volle Wahrbcit sagte, die er ja wohl kennt, jedenfalls genauer kennt, als die Stimmung de» Lande» gegen BiSmarck. Herr Bamberger meinte, Miguel und Bennigsen würden den allen Kanzler lieber da wissen, wo der Psesfcr wächst, als wieder in der Wilhelinstraße. Herr Bamberger legt an die beiten Männer den Maststab seiner eigene» Persöntichkcil, kein Wunder, daß er zu falschen Annahmen kommt. Die bei de» letzten GemeinderathSwablcn in Folge der Uneinigkeit nnv der Gleichgiltigkeit der bürgerlichen Parteien in socialdei» okratische Hände gefallene» französischen GemeindeVertretungen — darunter Städte von dem Range und der Bedeutung dcö größten französischen Miltel- mecr-Emporiumö Marseille — machen gegenwärtig einen Zustand de« Hängens und Bangen» in schwebender Pein durch. Es ist itmcii auch kaum zn verdenken, wenn sie im Hinblick ans die Zukunft ängstlich werden. Denn die neu gewählten soeialbemokratische» Atta Trolls unterscheiden sich von dem Heine'schen Tcndenzbär nur dadurch, daß sie weder Talente »och Ebaraktcre sind, sondern absolute Nullen, denen selbst die elementarsten Kenntnisse des VcrwailungSsacheS abacken und bie auf ihren Posten nichts mitbrinaen, als den Wust abgedroschener socialistischcr Progranimphrascn, nebst dem ausgesprochenen Hange zu lärmenden und unfruchtbaren Kuntaebniigen. Darnach sind auch die Debutö der social- vcmokralischcil Coniinnnallveisen. In Toulon haben sie die Eittfübrung de» Achtstundentages für alle städti schen Arbeiten angcordnet. Dir Folge davon wird ein ganz unmäßiges Änschwcllen des Budget» sein, was wieder zu euier eulsprcchcnden Anziehung der städtische» Steuerschraube führen muß, als Vorgeschmack der viele» llebcrraschungcn, über welchen der Genius der socialbemokratlschen Verwaltung zur Zeit brütet. Am tollsten aber geht eS in Marseille zu, dessen »euer Gcmeiuderath anSnahmSlvS aus Leuten besteht, welche keine blasse Ahnung von VcrwaltungSangclegcnhciten haben und wo der socialdcniokratische Maire bereits eine ganze Friiilletsn. Verkommen und verloren. Crlminol - Rovellettr von Amanda Klock. Nacht o-rbolm. (Fortsetzung.) „Wann sahen Sie den Angeklagten zuerst?" fragte der Vorsitzende nach endiich wiederhergestcllter Ruhe. „Acht Tage nach dem Tode der Frau Paradies." ,Können Sie sich noch auf die näheren Umstände besinnen?" „O ganz genau. Es war Vormittag um zebn Uhr. Er trat vom Hose au« in die Küche, in der Frau Schalter und ich beschäftigt waren. „Sieb, Therese, da« ist mein Vetter, dessen Haushalt ich früher führte", sagte sie zu mir, während Herr Korn freundlich grüßte und sie dann mit Bitte» be stürmte, Alle« stehen und liegen zu lassen und zu ihm zurllck- zukehren." „Ich habe Beschäftigung all Schreiber beim Oberförster Lutz erhalten", erzähit« er, „und kann mir, wen» ich Nackt« einige Stunden extra arbeite, noch eine klein- Nebeneinnabme machen. Du weißt ja, ich brscheide mich gern mit dem Ge ringsten — wenn Du nur hast." „Ich kann hier unmöglich fort", erwiderte Frau Cchaller, „die armen Kinder sind muttrrlo« und habe» sich so sehr an mich gewöhnt; mir gefällt e« selbst nicht, aber ich bring« eS nicht über« Herz, die steinen Lämmer zu verlassen." Bei den letzten Worten der Zeugin fing Paradie« laut z, schluchzen an und plötzlich eng zu einander rückend, kostete ^ der „liebevollen" Mathilde nicht wenig Mühe» ihn einiger maßen zn beruhigen. „Bald darauf ging ich meinen häu«lichen Beschäf tigungen nach AI« ich späte, dir Küche wieder betrat, war Herr Korn fort." Zwei Tage spater sagte Frro Schall» zu mir: ^«r, Paradies ist verreist und kommt erst morgen wieder — wir wollen heute Abend in de» Circn« gehen, mein Vetter holt nn« uni sechs Ubr ab." Ans de», Weg« dahin gab Herr Korn ihr einen Thalcr, siir den sie aus der Cchneider'schen Eonditorei eine große Düte mit seinem Consecl kaufte. Während wir draußen warteten, beschwor er mich in größter Aufregung, seine Cousine zu bestimmen, daß sie wirk» zu ihm zurllckkehre, er müsse sich sonst daS Leben nehme». Mein Versprechen, zu seinen Gunsten zu rede», schien ihn ganz glücklich z» machen, er dankte mir entzückt und schenkte mir e», kleines silbernes Kreuz. Am anderen Tage erzählte mir Frau Schall» lachend, daß ihr Vetter seine llhr verkauft habe, den letzten werth- volleii Gegenstand, welchen er besessen, um die Billct« zum CircuS anzuschassen. Ich richtete nieinen Auftrag auö. „Zu dem elenden Lumpen soll ich gehen und ihm hungern helfe»? Er mag wiederkonime», wen» er Millionair ge worden ist, dann können wir üb» die Sache spreche». Einst- weilen bleibe ich, wo eS mir gut geht."" ,.E« ist Alle« nicht wahr, sie liizt bei jedem Wort!" schrie tie scköne Mathilde von der Zeiigenbank an- unter wüthen- deni Schluchzen, und nun wac eS an Herrn Paradie-, die Thränen de« „unschuldigen OpserS der Verleumdung" mit seinen, grcllrothscidenen Taschentuch« zu trocknen. „Sie haben schon einige Male durch Jbrr Einwürfe die Sitzung gestört", rief der Präsident, „wenn Sie sich noch einmal ungesragt in da« Verhör mischen, werde ich Sie eben- jall« in Strafe nehmen." „Den Mund lasse ich mir nicht verbieten, da« wäre noch schöner, wenn ich reden will, so rede ich: e« handelt sich um meine Ebre, die mir viel zu werlhvoll ist, um sie von ein» gemeinen Magd ruiniren zu lassen!" In Folge ihrer lzästiaen Gegenrede wurde dir mund- gewandte Zeugin gleichfalls zu vier Thslern Straf« ver- «rtheilt. „Muß ich doch auch mit Hahlen", murmelte Paradie« mit glühendem Gesicht — „iS se doch schien de Mathilde, wunderlcheen — aber koddrig wie Hiobl" .Stieß der Angeklagte Drohungen zu Ihnen -egen seine frühere Geliebte ans?" fragte der Präsident nach dein kurzen Zwischenfalle weiter. Therese Winkler zögerte, sie schien eine ausweichende Antwort geben zn wolle». „Sie haben Ihre Aussagen aus de» Eid genommen, ver gessen Sic das nicht!" sagte der Vorsitzende, sie scharf an- sehcnd, „Sie sind verpflichtet, Alles sagen, WaS Tic über diesen Punct wissen. Ich frage Sie deshalb noch einmal: Hat der Angeklagte bei irgend einer Gelegenheit Drohungen gegen die Schalter laut werden lassen?" „Er erwartete mich einige Male, wen» ich cinkausc» ging", antwortete die Winkler widerstrebend, „und da sagte er aller dings, wen» seine Mathilde nicht umzustiiilmc» wäre, so müßten sic Alle sterbe», der Jude, sie und er, dann besäße sic Keiner und sein gequältes Herz würde endlich Ruhe finden. Der arme Man», schloß daS Mädchen nach kurzem Stocken erregt, während sie einen srenndschasilich mitleidigen Blick nach dem Angeklagten warf — seine Thal miißle ihm verziehen werde», er war sehr unglücklich »nd ist ja dazu ge reizt worden." „Ihre Ansichten über Schuld oder Unschuld des An geklagten wollen wir nicht kören!" sagte der Präsident mit eifriger Zurechtweisung. „Sie können «btrcteii. GcrichlSdien», lassen Sie die Zeugin Katharina Market eintrcten." ParadieS lachte hämisch in sich hinein. „Hat se doch auch abgekricgt von'S hohe Gericht ne Nase, die verlogne Creatur!" Mit tcncrrothein, erhitztem Gesicht und unter nnaushörlichen Tbränenströmen vom GerichtSdiencr fast gewaltsam vorwärts duasirt, nahte sich ein einsach gekleidetes, etwa sechzehnjährige» Matchen. Jetzt stand sic den Richtern gegenüber und ihr lautes Schluchzen wirkte geradezu berzerschutlernd. „Ach Gott, ach Gott, ich will ja gern AlleS gestehen", tönte eine, vom Weinen verschnupfte Stimme, „meine Mutter bat gesagt, ich soll nicht daS Geringste verschweigen, aber ich kann ja nicht dafür, da« Alle« so gekommen ist!" „Ihnen soll auch durchaus nickt« geschehen", sagte der Präsident, und über da« ernst« Antlitz flog etwa» wie «in Lächeln — „nehmen Sie nur endlich die Schürze vom Gesicht und antworten Sie niir auf meine Fragen." Mit Miibe und Notb crfabrcn wir, daß Katharina Markot als Kindermädchen bei Paradies dient und bei dem Mord- ansall sich im Wohnzimmer befunden bat. Die Schüsse hat sie allerdings falten kören, aber an» Angst wagte sie sich nicht nach hinten und kann daher nickt das Geringste zur Sacke beitragen. Der Vorsitzende entläßt sie, und mit den Worten: „Gott, wie wird sich meine Mutter freuen, daß wir unS lebend und gesund Wiedersehen", stürmte sie hastig zum Saale hinaus. Der nächste Zeuge ist ein untersetzter Mann in mittleren Jahren. Wir übergehen die Formalitäten und schreiten so gleich zum wichtigste» Theile sein» Aussage. Marlin Brand ging am einundzwanzigsten Januar um zwölf Uhr Mittags in Begleitung seines Nachbars — Beide wohnen iin Hinterhause de« Paradies — über den Hos und hörte» in der Wohnung ihres HauSwirtliS mcbrmalS schieße». „Wir eilten i» die Küche, deren Thür nach dem Hose zu offen stand", crzäblle der Zeuge, „und sahen eben, wie cm Mann aus dem Hinterzimmer stürzte, neben Frau Schall», welche anscheinend todt aus der Erde lag, in die Kniee sank und die Mündung eines Revolver- gegen seine Brust kehrte. In demselben Augenblick aus ihn zuipringend, schlugen wir ihm den Arni herunter, daß die Waffe aus die Erde siel." „Ich finde den Tod auch noch ans andere Art", ries er, sich ausrasfcnd, und uns wie Kinder zur Seite stoßend, wollte er davonstürzen. Er kam jedoch nicht weit, denn eine Menge Mcnschen, durch die Schüsse ansiiierssai» gemacht, versperrte ihm den Weg, er wurde überwältigt und zur Wache trauö- portirl." Der konimendc Zeuge trat wankenden Schritte- mit kreideweißem Gesicht in den Saal. „Sind Sie unwohl?" fragte der Präsident den Mann mit de» verstörten Züge» und vcn unheimlich starren Augen. „Ne doch Euer Doblgebvren", antwortete dieser mit schwerer Zunge und lehnte sich in unverschämter Haltung über die Barris«. Aus alle Fragen de« Vorsitzenden hatte er nur eine Antwort: »Nr doch Euer Wohlgrboren.*
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