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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920623026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892062302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892062302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-06
- Tag1892-06-23
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UlSiMNemeutAHreiA hl tz« Hanptexp^ttio» »8« de» i» btad^ bezirk »ad de» Bororlen errichtete» Aut- »obestelle« «b>«h»lt: »KrteljLbrllch^It^Üt bei »weimaliaer täglich« Zuslellaag ia« Hau« böll- Durch die Post bezogen für Leutjchlaad »ad Oesterreich: vierteljädrlich S.— Direct» Ulglich» Kreuzbandseadullq ia» Aullaad: raaaaUtch 8.—. DieMorgen-AuSqad« erscheint täglich'/,? Uhr, di« S bead-A atg ad« Wo che, tag« b uchr. LeL«r1io« ,»ö LrpeLitio«: L»h«»»e«,aA» 8. Di» Expedition ist Wochentag« iiaakrbrvche» »öffilet «» früh 8 bt« «bead« ? lldr. Filiale»: Ltt» ««»»'» D»rtt«. Elfre» daßul. Abend-Ausgabe. riMer.CWeblaü J»sertio«SpreiS Die Sgespaltme Petitzeile SO PsA° Reclame» unter dem Redactioalsttich («g» spalte») üO^, vor den Familirnaachrichiin« (b gespalten) «Och. , Größer» Schriften laut unser»» Preis« derzeichniß. Tabellarischer «ad Ziffer»!«» »ach höherem Parts. Anzeiger. Extra-veilagen (gesalzt), a»r mit da Morgen - Ausgabe, ohar Poslbesörderuag S0.—, mit Postbesörderuag TO.-. Ävnahmtschluß str Inserate:' Abend-AuSgab«: Bormiftag» lO Uhr. viorge a»AuSgab«: Nachmittag« «Uhr. bona- aad Festtag« früh 8 Uhr. ^ Lei de» Filialea und Annahmestelle» je «k»8 halbe Staude früher. 2»ler«te sind stet« a» di» GrneVUt«» zu richte». L««ts L»f»e. iochoriaenstr. 1«, pan. uid K-»t««pla» 7. Drgan für Politik, LocalgeschW, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Druck und Verlag von E. Polz br Lechzt- —. ^ 318. Donnerstag den 23. Juni 1892. 86. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Juni. Der preußische Landtag ist am Ende einer Session angelaugt, die an Bedeutung derjenigen des WinlerS 189l/S2 gewiß nicht nachsteht. Brachte die vorauSgezangcne ein reicheres Ergebniß gesetzgeberischer Früchte, so war die jetzt beendete Session von größeren. Belang für die Ge staltung der gesummten innerpolitischen Lage. ES war diese Entwickelung schon vermuthet worden, nachdem vor Jahresfrist Herr von Goßler aus dem Eultusministerium schied, um dem Grafen Zedlitz daS Portefeuille zu über geben. In ihren Umrissen trat die ncueslenS erlebte Ent wicklung sehr deutlich hervor, als vor Weihnachten die ersten Ankündigungen über den Inhalt des SchulgesetzentwurfS erfolgten, den Graf Zedlitz im Landtag vorzulegen beabsich tigte. Welche Erwägungen für die Negierung entscheidend waren, den Entwurf wirklich an den Landtag gelangen zu lasten, obgleich von mehr als einem Minister die ernstesten Bedenken dagegen erhoben waren, ist auch heute noch nicht völlig a»fgehellt. Jedenfalls war nach Weihnachten ein Druck der parlamentarischen Lage derart, daß die Negierung Ur sache gehabt hätte, auf die ausschlaggebende Stellung deS CentrumS Rücksicht zu nehmen, gar nicht mehr vorhanden. Die Verträge mit Oesterreich-Ungarn und Italien waren unter Dach und der Wunsch, den Vertrag mit der Schweiz über Master zu halten, konnte unmöglich eines so großen Gegendienste« werth erscheinen, wie ihn daS Schul gesetz vorgestellt hätte, wenn cS die Bedeutung eines solchen Gegendienstes haben sollte. Die Regierung ließ Letzteres mit erhobenem Tone bestreiten, ebensowenig wollte sie gelten lasten, daß eS ihre Absicht sei, durch eine ent scheidende gesetzgeberische Action sich der vorhandenen con- servativ-klericalen Mehrheit dauernd zu versichern. Alle Gründe für daS Schulgesetz sollten in der Sache selbst liegen; in dem dringenden Bedürfniß, den Kampf gegen die politisch- und social-revolutionairen Elemente, wie gegen den Materialismus und den ebenso zersetzenden Unglauben auf erfolgverheißende Grundlage überleiten zu können. Aber auch dazu fehlt heute noch die Erläuterung, wie e» möglich war, daß demnächst der Schulaesetzentwnrs al« da« allein wirksame Mittel zum Zwecke dieses Kampfes gegen alle dem Staat und der Kirche drohenden Ge fahren vertreten und daß überdies Jeder in mehr oder minder e»ge Verbindung mit den Revolutionären oder den Gottesleugnern gebracht wurde, der sich von der untrüglichen Zuverlässigkeit deS empfohlenen Mittels nicht zu überzeugen vermochte. Keiner weiteren Erläuterung bedarf eS natürlich, daß die CentrumSpartei in jeder Hinsicht befriedigt war, als eine solche „Scheidung der Geister" heraufbeschworen wurde. Geschichtliche Tbatsache ist eS, daß die conservativc Partei, ohne viel zu überlegen, alsbald in engste Fühlung zur Ecntrniiis- partei trat, um von Stunde an nur noch das Feldzeichen der conservativ-klerikalen Mehrbeit anzuerkennen. Die Lehren der Vergangenheit waren vergessen: die Mahnungen der Zukunft ließ man im Winde verhallen; über die stärker und stärker auf- tretende Bewegung im Volke selbst setzte man sich niit spöttischen Bemerkungen hinweg, als sei sie von einigen „Machern" künstlich angefacht. Um so größere Vclegenheit mußte freilich entstehen, als plötzlich die Krone selbst dem weiteren Fortschreiicn und Umsichgreifen der im Innern geschaffenen Verwirrung ein Ziel setzte. Der UltramontaniSmuS wußte sich nach kurzer Zeit auf eine neue Verhaltungsmaßregel zu besinnen. Ohne um die, beim Eimreten für daSSchulgesetz nahe hcrangerückten conservativc» Freunde sich zu bekümmern, verlegte er sich wieder aus jene oppositionelle Tactik und Tonart, die erst wenige Jahre vor her durch daS stärkere Eingreifen der altprenßischen Aristo kraten im Eentrum merklich verlassen worden war. Aus der ganzen Linie, nicht nur in Preußen, auch in Bayern, Baden, Württemberg u. s. w. zog man wieder in Angriffsstellungen ein. Wenn daS an parlamentarischer Stelle vorläufig nur der Kreuzercorvettc K. wirklichen Schaden thun konnte, so will damit nichts Anderes gesagt sein, als daß vorläufig kein ackidereS ernsthaftes Angriffsobject zu finden war. Um so größer ist der Schaden, den die Treibereien nicht nur in Preußen, sondern im ganzcnRciche inzwischen schon wieder gestiftet haben,—Treibereien die man vergebens damit zu bemänteln sucht, daß man die Anderen einer unbezwinglichen Cultnrkaiupflust beschuldigt. Die Folgen für die Interessen der Reichspolitik sind also mit dem Ablehnen jener Kreuzercorvettc noch keineswegs abge schlossen. Die geschickt erzeugten „außerparlamentarischen" Strömungen werden ihre volle Wirkung erst noch zu üben baden. Schwieriger erwies sich die nach dem Fallen des Schulgesetzes entstandene Sorge für die Conscr- vativen. Hatte im Januar die äußerste Gruppe mit einem Male daS Heft in die Hand genommen, so war doch der Widerstand der Vertreter einer gemäßigten Auf fassung damit nicht völlig gebrochen; er erhob sich nur um so stärker, nachdem der bedingungslose Zusammenschluß mit dem Eentrum anläßlich des Schulgesetzes als politischer Fehler erkannt war. Seitdem beobachtet man ein Ringen um die Macht und die Führerschaft inuerbalb der conscrvativen Partei, wie es bis dahin kaum anderwärts stattaefunden hat, und der Abschluß der Session des preußischen Landtags be deutet durchaus nicht den Abschluß jener kritische» Auseinander setzungen. Die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses standen, mau möchte sagen, tagtäglich unter dem Einfluß der Krisis im conscrvalivcn Lager. I» der LandtaaSfraction überwiegt der rechte Flügel, und er ließ cS an Kraftproben nicht fehlen, sowohl der Regierung, wie der Linken gegenüber. Zu eigentliche» Entscheidungen aber, daS mochte man schließlich wohl selbst erkannt haben, fehlte der bedeutsame Vorwand, als welcher daS Militair-Anwärter-Gesetz so wenig, wie die Landgemeinde-Ordnung für Schleswig-Holstein sich eigneten. So geht jetzt auch diese Krisis zur weiteren Austragung in daS Land, in die außerparlamentarischen Kreise hinaus. Wie sich dieselbe entwickelt, steht dahin. Der nächste Winter, der angeblich eine Militairvorlage für den Reichstag und nach aller Wahrscheinlichkeit zwei große Steuervorlagcn für den Landtag mitbriugt, muß jedenfalls die Stellung des Eentrums und die der Conservativen zu abschließender Klar heit reifen lassen. Die wenn auch nicht in ihrem vollen Umfange, aber doch im Wesentlichen bestätigten Nachrichten von einer aber maligen Niederlage der deutschen Colonialtruppen in Ostasrika haben, wie der Münchener „Allgemeinen Ztg." aus Berlin geschrieben wird, dort einen recht peinlichen Ein druck gemacht. ES scheint in der Thal, wie der Gewährs mann deS Münchener Blattes hinzusügt, als ob mit Major von Wifsmann die glückliche Hand aus der Leitung unserer dortigen militairischen Expeditionen geschwunden und von den Ossiciercn, die unter ihm gedient, keiner im Stande sei, ihn auch nur annähernd zu ersetzen. Ob cs über haupt nicht vich zu früh war, die Leitung der Eolonien ibni aus den Händen zu nehmen und daS militairische Element so stark zurücktretcn zu lasten, ist eine Frage, die ja schon oft aufgeworfen und verschieden beantwortet worden ist, die sich aber jetzt von Neuem gebieterisch aus drängt. Der in Ostasrika anwesende Chef der Eolonial- Abtheilung deS Auswärtigen Amt«, Geh. Rath Or. Kavscr, wird vielleicht mehr als der Gouverneur die Tragweite solcher HiobSposten zu ermessen vermögen und an Ort und Stelle mit kräftiger Hand cingreifrn. Bis jetzt sollen die Meldungen freilich nur auf Ncgernachrichten Keruben, die sich selten zuverlässig erweisen, aber eS unterliegt wobl keinem Zweifel, daß eine Schwächung der militairischen LeistungS- säbigkeit da« Gegentheil von dem war, was der jungen Eolonie frommt. Kaum haben sich die Wogen geglättet, die den Zaren nach Kiel trugen, so kommt aus Lübeck eine Meldung, die ein bezeichnendes Licht auf »die in sehr einflußreichen russischen Kreisen gegen Deutschland herrschende Stimmung wirft. Auö Lübeck wird nämlich berichtet: „Gemäß einem langjährigen SeemannSbranch, der zugleich einen Act internationaler Höflichkeit bedeutet, pflegen die Schiffe neben der an der Gaffel oder am Flagaenstock am Stern (Hiutkrlheii deS Schisse«) gehißten eigenen LandeSflagge auch am Vortopp die Flagge desjenigen Landes zu führen, nach welchem sie regelmäßig» Fahrt unterhalten. E» ist dies besonder« bei Tainpsschifscu üblich; so kann inan z. B. täglich aus den im Lübecker Hasen liegenden dänischen, schwedischen u. s. w. Schmeu auch unsere deutsche Flagge im Winde flattern sehen, von de» russischen Schiffen ist jetzt durch einen Machtspruch unsere deutsche Flagge verbannt. Im Lübecker Hasen liegt La« dort regelmäßig verkehrende finnische Dampfschiff „Hebe , Capital» Bergström. Am letzten Sonntag hatte die« in üblicher Weise die russische, die deulsche und am Großmast auch seine Lomptotr- flagge gehißt. Da erschien am selben Nachmittag der hiesige russische Konsul an Bord der „Hebe" und ordnete da« Herunter- holen der Lomptoirslagge und der deutschen Flagge an. Montag Vormittag begab sich der Eonsul dann noch einmal ans da« Schiff, um zu erkunden, ob seinem Befehl auch Folge geleistet sei. Hierbei soll der Consul, wenn auch, da auf einem irussischen Schiffe, aus heimischem Grund und Bode», doch immer in einem deutschen Hasen, sich einer sehr schroffen Haltung befleißigt haben. Der Capitaiu hat au- u»S nicht bekannten Gründen seine Compioi» flagge iin russischen Eousulat ab tiefer» müsse», auch Leu Auf trag erhalte», statt des bisher mit „Wasa" bezeichneten Heiuiath- hasen» am Heck den Namen derselbe» Hafenstadt mit „Nicolaistadt" zu führen. Auch soll der Lonsul sich nach dem Liegeplätze der von Lübeck nach Rußland fahrenden deutschen Schisse erkundigt haben, welch« bekanntlich am Vortopp die russische Flagge führen. Cs dürste uns also nicht wunder», wenn der Lonlnl unser» Capitaine» das Führen solcher Flagge verbieten wollte. Hat der Eonjul seine Maßnahmen an« eigener Initiative ergriffe», so können Wir darin nur einen versuch seinerseits er- blicken, uns von der Machtvollkommenheit russischer Beamte» eine kleine Probe zu geben, hat er aber lediglich hierbei seine Jnstruc- tlouen befolgt — jo können wir un- jeder Kritik enthalten. Natürlich herrscht in Lübeck wegen dieses Vorfalls große Erregung; einer Kritik und einer Erläuterung bedarf derselbe allerdings nicht. Wie so ganz ander» versteht cS die russische Diplo matie in Frankreich, dort di« russensreuudlichc Stimmung zu erhalten und zu nähren! Bekanntlich wurde kürzlich au« Bordeaux gemeldet, der Präsident einer Gesellschaft zur gegen seitigen Unterstützung ehemaliger Soldaten, die in Afrika gedient haben, habe bei einem Banket in Bordeaux ein Be- grüßungS-TcleHrguiiii deS Kaisers von Rußland verlesen, worin dieser die Zu ave n für die ersten Soldaten der Welt erklärte. Jetzt stellt sich heraus, daß dieses angebliche Telegramm nicht vom Zaren herrührtc, sondern von anderer Seite. Die „Post" vermuthet, schwerlich mit Unrecht, daß der russische Botschafter Baron Mohrenheim den Herrn Präsidenten mystisicirt habe. DaS Berliner Blatt bemerkt dann weiter: „Nachdem er (Baron Mohrenheim) den Besuch deS Großfürsten Lonslantin in Nancy zu Stande gebracht hatte, welchen der Prä sident Carnot mit der charakteristischen Phrase kennzeichncte: II nuruit dir» pu uou, laisac-r on repoo! (Er hätte uns wohl in Ruhe lasten können», besorgt er jetzt Telegramme sür sranzäsische Kriegrr- versorgungS-Vereitte zur Erhöhung der Stimmung bei deren Ban- ketten. Nun haben die Juaven allerdings an der Alma und am Malakoff — aus dessen erstürmten Trümmern ein echt Pariser Gamin in Zuaven-llnisorin den kaiserlichen Adler auspflanzte — sich hohen Ruhm erworben. Tie Russen waren ihrem wilden Angriff in keiner Weise gewachsen. Dieser RuhuEsoll ihnen immerdar bleiben. I» Napoleon'- italienischem Feldzüge vermochten Zuaven und Turko« den österreichischen Jägern keinen Eindruck zu machen. Diese stutzte» ansangS über den Angriff der ranbthierartigen, springenden und brüllenden Bestien, standen aber fest und machten sie wie solch« nieder. Ats bei Weißeiibiirg und Wörth „diese erste» Soldaten der Welt" auf die preußischen und bayerische» Regimenter stieße», da fanden sie eine» Widerstand und eine so gewaltige Ueberlegenheit, daß sie nicht nur die Flucht ergriffen, sondern sich massenhaft sangen ließen und bald die dculschcn Festungen zu Tausende» bevölkerten. Wenn eS jetzt Herr» von Mohrenheim für angezeigt erscheint, seine» heimischen Regimenter» Schimpf anzuthu», inden, er ihre Besieger verhimmelt, welche gerade an ihnen sich Ruhm verdienten, so zeigt die» nur, wie weit die gegenseitige Kriecherei der Russen vor' den Franzosen und umgekehrt gediehen ist." Der Parteitag der deutschnationalrn Partei fn Oesterreich, welcher in Graz abgehalten werden sollte, ist wieder in Frage gestellt. Die vereinigte deutsche Linke scheint Bersichentnge» abgegeben zu haben, eS auf anderen, Wege zu versuchen, den SlowcnisirungSbestrebungen de» Ministeriums Taaffe in Steiermark, Kärnten und Krain entgegen zu treten. Wenn dabei auf die Mitwirkung deS deutschen LandSmann- niinisterS Grafe» jkucnburg gerechnet wird, so dürste diese Hoffnung wobl eine unbegründete sein, denn von einem Ein flüsse diese» Minister« im Cadinet kann entschieden nicht ge sprochen werten. Dieser Meinung gab der Abgeordnete Vr. Groß vor seinen Jglaucr Wählern scharfen Ausdruck. Er sagte offen, „Gras Kucnburg bade die Versprechungen, die er der Partei gemacht, nicht erfüllt. In allen Kreisen der Verwaltung mache sich eine deutsch- und fortschrittfrindliche Strömung (zeltend und die Partei müsse erwägen, ob sie nicht die bisherige abwartcndr Haltung ausgeben und zum Schutze der Rechte des deutschen Volkes entschieden gegen die Regierung auslretcn solle." Diese» echt österreichische „Er wägen" ist cs aber, welches die deulsche Partei von Jahr zu Jahr zu größere» Niederlagen schreiten ließ. Die „Staats männer" der Partei wollen sich regicrungSsähig erhalten, be sitzen keine Fühlung mit dem wirklichen deutschen Volk und darum verlieren sie den Boden unter den Füßen, nicht nur in den Alpenländern, noch viel mehr in dem deutschen, ge« stnnungStüchtigcn Deutschböbmen. Empfänge, wie sie jetzt dem Fürsten Bismarck in Wien zu Theil wurden, sind, ab gesehen von den Ausschreitungen der antisemitischen Rotten, eine wirksamere Opposition gegen da» Ministerium, als die längsten „staatSmännischen Erwägungen" der hofräthlichen Führer im Reichsrathe. Gladstone hat sich di« Mitglieder der Achtstunden deputation, welche ihn in der vergangene» Woche besuchte, und deren Auftraggeber zu bitteren Feinden gemacht. Bezeich nend sür die Stimmung, welche in Arbcitcrkreisen gegen ihn herrscht, ist eine Erklärung, welche am Sonntag Abend einer der Delegirten, Mr. W. I. Pcarso», gleichzeitig ein Mitglied de» Londoner GewerkschaftSratheS, in der Halle der socialdemo- kratischen Föderation, offenbar im Namen seiner College», abgab. Gladstone habe ihnen nicht die Gelegenheit gegeben, sich frei aussprechen zu können Lord Salisbury, der doch allgemein als ihr Feind gelte, sei ihnen bei einem ähnlichen Interview weit mehr entgcgengekommcn. DeS Weiteren habe Gladstone sie durch allerlei unerwarlete Fragen in Verlegen heit gebracht und dadurch von dem eigentliche» Gesprächs thema abgclcnkt. Mr. Gladstone hätte ihnen nicht die Zu sage gegeben, die Achtstundensrage in Erwägung ziehen zu wollen. Mit ihm Debatten zu führen, sei nicht der Zweck ihre« Besuche« gewesen. Er, der Redner, könne Mr. Glad- stonc'S Verhalten in der Angelegenheit nur als ein unehr liches bezeichnen. Dasselbe scheine nur darauf hinauszulaufen, dem Achlstnndengcsctz Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Die anwesenden Arbeiter nahmen zum Schluß der Versamm lung einen EiitrüstungSbeschluß gegen die von Gladstone und den anderen Führer» seiner Partei verfolgte social« Politik an. In Chicago ist, wie bereits telegraphisch gemeldet Worden, die demokratische National-Conventcon zur Nomi nirung ihrer Candidaten sür die Wahl deS Präsidenten und de« Vice-Präsidcnten der Vereinigten Staaten zusamnicn- getreten. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte der Verlauf derselben wie bei den Republikanern in MinneapoliS sein und man fick ebenso schnell wie dort aus den Namen eines Candidaten einigen. Nachdem Palmer au» Illinois zu Gunsten Cleveland'S zurückgetrelen, wodurch die Stimmen dieses Staates Clcvelanv zufielen, und nach- FrrriHetsn. Das Lil-niß der Geliebten. 10f Eine dramatisch« Novelle von Carl Ed. Klopfer. <N-chtrnck und Trumavsirun, ondotni.) (Fortsetzung.) Er fuhr sich rasch über das erhitzte Gesicht, dann kehrte er zum leichten Plauderton zurück. „Erlauben Sie mir, als ihrem ehemaligen germanistischen Lehrer, einen literarischen Vergleich! — Ist eS Jbncn nie geschehen, daß Sic sich sür den Moment am gefälligen Neimgeklingel eine» jener Asterpoeten berauschten, die in unseren Tagen Lyrik treiben? Sie nahmen tonenden Silbensall im ersten Augenblick für wirklichen Schwung, süßliche Weichheit sür innige Empfindung, — bi» Sie zu den Gesängen eine» wahren Dichter» griffen, der mit gottbegnadetem Drang seine Lever schlägt und sein warme», frische» Herzblut in daß unsre quellen läßt. Da wurde eS Ihne» mit einem Schlage klar, wessen GeisteSmünze echtes, wessen falsche« Gepräge trug, nicht wahr? — Und glauben Sie nicht, daß wir un» mit Menschen irren können, wie mit Büchern? Daß wir unser eigenes Empfinden mißverstehen können, wie da« eine» Andern? — Aber, wa» hat da» schließlich z» sagen ? Wenn wir nur den Prüfstein in un» bewahrt haben, der un« am Ende da» eckte Gold erkennen läßt, da- uns in guter Stunde in die Hand geräth — wenn wir un» nur den Sinn sür Wahrheit und Schönheit erhalten baden und — da« kritische Feingefübl, um zu begreifen: daß nur Liebe — Poesie ist und Liebelei blo« Scheingefühl — Gelegen- heitSdichtilng unsere« Herzen»!" Sir sah verwirrt zu ihm auf. „Und — Sie glauben jetzt „Ich glaube nicht, ick weiß e» gewiß, daß mir beute — oder doch wohl schon früher, vielleicht gestern Nacht» — der Ausblick aus den Weg geworden ist, der allein zu meinem wahren Glück führen kann. — Kätbe, muß ich e« Ihnen sagen, daß Sir e« sind, die mich wieder gut und brav gemacht hat? W«ll« Si« «ir mcht glauben» wen» ich Ihnen au« übervollem Herzen da» Bekenntniß ablegc: ich liebe Sie, ich bete Sie an als den Genius, der mein künftiges Dasein zu unanSsprcchlichcin Glück gestalten könnte!?" Sie wich vor dem Näbertretcnden erschüttert zurück. „Nein, nein — was reden Sie da!?" „Könnten Sie sich nicht überwinden, sich mir anzuvcr- trauen? Wenn Sie nur ein Fünkchen Achtung sür mich liegen, wenn Ihr Her; noch nicht ander« gewählt hat, so flehe ich Sie an: lassen Sie e« bei Dem bewenden, was gestern Nacht der Zwang des Zufalls so gefügt hat! Käthe! Ich will Sie auf meinen Händen tragen, ich will mir stündlich Ihre Liebe zu verdienen suchen. . Er kam ibr »och näher, sie wich voll kindlicher Zaghaftig keit zurück. Um ihre holden Lippen zuckte eS wie verhaltenes Weinen. fassen Sie mich! Geben Sie — Herr — Doctorl" Sie streckte mit dem Instinkt der momentanen Furcht die Hände abwehrend vor — und da entfiel ihr da« Buch, da« sie so lang« zu verstecken bestrebt gewesen war. Sie wollte mit einem SchrcckenSschrci daraus loSstürzen, aber der Ge wandte war ihr schon zuvorgekommen. Da hielt er cS erstaunt in den Händen. „Ein Buck?" „Gebe» Sic! Es gehört mir —" „Darf man cs nicht ansehen?" lachte er neckend, Käthe, die cs ihm entreißen wollte, sanft zurückdrängend. „Nein; es ist eine alte Scharteke — die ich eben ver brennen wollte!" „Verbrennen? — Ah! Vielleicht auch so rin Asterdickter, ein moderner Reimbolk, dem Sie ein wohlverdientes Anto- dafö bereiten wollten?" Er laS den Titel und zog perplex die Augenbrauen empor. „Walter von der Bogel- weide?! — Wie, unseren alten, wackeren Freund, Herrn Walter von der Bogelweide, den wollten Sie — verbrennen?" „WaS kümmert daS Sic?" rief sie, abermals darnach haschend. „Geben Sie. sage ich! ES gehört nicht Ihnen —" „Ein Buch, da» man verbrennen will, ist so gut wie herrenlos; ich — nehme eS unter meinen Schutz!" Er eilte damit an« Fenfter, schlug dort rasch mehrere der Blätter um und fuhr plötzlich aus: „WaS ist da»? Mein Name?! Hier» und hier — und hier. . . l" „Pfui! da« ist unedel von Ihnen!" schmollte sie, Thräncn und Purpurglnth auf den Wangen. „Und hier — bei dem Gedicht „Gegenseitige Minne", eine Randbemerkung von größerem Umsang: „„Von l)r. Hil- bcrg am 11. November vorgelragcn; entzückend! Ja, so muß der Minnesänger selber auSgesehen haben, so klug, so stolz und doch so — zum Küssen hübsch dabei!"" — O, o, Fräulein Katharina!" Sie stampfte zu Bode» und knirschte mit den Zähnen, ihm den Rücken kehrend. Aber Hilbcrg ließ sich nicht mehr abschreckcn. Mit einem glückliche» Lächeln ans den Lippen trat er an sie heran, bi» seine Wange fast ihr prächtiges Goldhaar streifte. „Und wollen Sie cS jetzt nicht wieder hören, dies Gedicht: Gegenseitige Minne? Ich will mich bemühen. cS noch bester u recitiren als damals. — Wie singt da Herr Walter?" lnd er laS langsam, mit schönem Ausdruck, obgleich mit leicht vibrirendcr Stimme ror: „Ob ich dir zuwider Weiß ich wahrlich nicht: ich minne dich! Eine« drückt mich nieder: Du schaust mir vorbei und über mich. Solltest, Lieb, daS lassen! Mich kann nicht erfassen Solche Lieb' ohn' großen Schaden. Trog' mit mir — ich bin zu schwer beladen! . . Er wollte ihr über die Schulter in« Gesicht sehe»; sie senkte de» Blick zu Boden, koniite cS aber nickt hindern, daß ein zitternder Seufzer ibre tiefe Bewegung verrieth. „Wie heißt - dann weiter?" lächelte er, ließ da» Buch sinken und citirte die Fortsetzung aus dem Gedächtniß: »Hetzo dich besinne, rau, ob ich dir liebwerth seil ine» Freunde» Minne Taugt nicht — ist die andre nicht dabei. . .. Minne taugt nicht einsam, Sie soll sein genieiiijam. So gemeinsam, daß sie dringt Durch zwei Herzen uad kein weft'reS zwingt!" Er hielt ergriffen ion«. Käthe kämpfte mit sich. Da legte er leise den Arm um sic und flüsterte ihr den letzten VerS noch einmal — unendlich zart und delicat in» Ohr: „Minne taugt nickt einsam, Minne sei gemeinsam...." Und dann brach cS mit der echten Stimme de» Herzen» auS seiner Kehle: „Käthchen!" Sic drückte die Hände vor'» Gesicht und schluchzte. Hil- berg fühlte eS ebenfalls heiß in seine Augen schießen. „Es sind die Tbräncn, die wir weinen, wenn wir un sere Hecmath gesunden haben." sagte er, drehte sie sanft herum und zog sie an seine Brust. „Käthchen, zürnst Du mir?" Sie konnte nichts sagen, sic schmiegte sich nur weinend an hn und ließ eS bebend geschehe», daß er ihr Kuß uni Knß aus die Lippe» drückte. Sie fuhren erst aus einander, als sic Schritte hinter sich vernahmen. DaS Leffncn der Corridorthür hatten sie ganz überbört. Der Freiherr von Werdern stand unweit von ihnen, in« feierlichen Frack, schneeweißen Handschuhen und dito Hals binde — sein Boquct beinahe vom Umfang eines Wagen rades steif vor sich hinhaltend. Seine Miene mit dem nach Lust ringenden Mnnde war die Type kolossalster Verblüffung. Der arme „Träumer", er kam schon wieder — zu spät! „Herr — Baron!" stammelte Käthe in höchster Verlegen heit. Werdern trat zögernd näher. Seine Stimme war sehr belegt. „Ich bitte tausendmal um — Verzeihung — ich — störe hier wohl?!" „Nicht mehr, Herr Baron!" lächelte der Doctor. „Sie kommen gerate recht, daß ich die Ehre haben kann, Ihne» Fräulein von Pruck als meine Braut vorzustellen!" Er verneigte sich, zog Kätbc'S Hand an seine Lippen und hielt sie trotz ihres Sträuben« fest. Werdern schluckte krampshast, als gälte e», ein Ibrokodil hinabzuwllrgen. Er dachte jedenfalls daran, was sein guter „Papa" zu der Bescheeruna sagen würde. Aber dann besann er sich, daß eS ihm als Cavalier gebühre, sich mit Elan und Effect au- der Schlinge zu ziehen. Er räusperte sich und trat eutn schlossen vor. (Schluß f»l-t.)
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