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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920625029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892062502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892062502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-06
- Tag1892-06-25
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t> t« H«»-t»rp«dttto» «d« de» i» S»«d^ t«trt «S d» Loroetr» erricht««» An«» g-ibestrlle« «bgetzolt: vierteljährlich »ei rwei«»Ii«r täglicher Zustellung tu« Haut >l LLÜ. Durch dir Post bezogen für Deutsch taub und Oesterreich: vterletiihrtich >4 8.— Dirrri» täglich» Erruzdandienduug «u«t»»». »«atllch -« . Die «orgeu-Ausgub. erschKut täglich ',.7VH^ di» tzwead-Ausgabe Wochentag! ü Uhr. Lrdgrtto, m»> Lr-edMv«: JutzonrS««!» 8. Die Trpeditüm ist Wochentag« »»unterbräche» geätzt so» früh S bi« «br»d« 7 Uhr. Filiale»: Abend-Ausgabe. aMerTiMatt Anzeiger. J«sertio«spreiS Die 6 gespaltene Pentzeile 20 Pfg! Reklamen unter dem RedactiouSstrich (««»- spalleu) 50^. sor den Aauniimuachrtchieet chgeipattea) 40-^. Gröbere Schifften laut unjere» Prri«- verzeichaiß. Tadellarifcher uad Ztsierusatz »ach höhere» Lurts. Ertra-Beilagen sgekalztf. »»r «it de» Morgen-Lueaad» . ohne Posldesörderuug M.—. m,t Posibejorderuag ?0c—. Änuahmkschlnß fSr Znserate: Adeud-AnSgab«: Vormittag« lt> Uhr. Marge »-Ausgabe: RachmittagS 4 Uhr. Sonn- und Festtag« früh S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je eing halbe Stund« früher. Inserate stad stet« an di« Grstedttta» zu richte». llaiversltlUSstraß« 1« Lont« L»sche. Ketherinenstr. 14, p«»i. n»d >»«t>«vlLtz 7. Organ fSr Politik, L-calgesMe, Handels, «nd Druck und Verlag von L. Polz k» Leipzig ^ 322. 88. Jahrgang Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 26. Juni, Bormittags nur bis 6 Uhr geöffnet. Lxpeilltlon «les I,e1p/lxer altes. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Juni. Schon gestern früh brachte da« „Hirsch'scke Telegraphen- Bureau" aus Wien die Meldung, Fürst BiSmarck habe daselbst mit einem der Herausgeber der .N. Fr. Pr." eine Unterredung gehabt, in der er sich mit großem Freimutb über die Politik seines Nachfolgers, namentlich Ruß land gegenüber, ausgesprochen habe. Wir glaubten jedoch diese Meldung zurückhaltcn zu sollen, bis wir auS der „N. Fr. Pr." selbst den Eindruck gewonnen hätten, daß die Miltheilung ihre-Gewährsmannes Vertrauen verdiene. Als uns dann gestern Abend das .Wölfische Tel.»Bur." einen ausführlicheren Auszug auS dem Berichte des Wiener Blatte» übermiilelte, konnten wir nicht verkennen, daß der Bericht wenigstens auf alle Fälle großes Aufsehen erregen werde, und gaben daher den Auszug wieder. Heute, da der Wortlaut des Berichtes zugleich in der „N. Fr. Pr." und in den .Hamb. Nachr." vorliegt und die letzteren obendrein den Namen des Bericht erstatter- (Moritz Benedikt) nennen, kann kein Zweifel mehr darüber obwalten, daß der Bericht wenigstens in alle» wesent lichen Puncten richtig ist, daß seine Verbreitung der Ab sicht des Altreichskanzlers entspricht und daß wir vor einem politischen Ereignisse außergewöhnlicher Art stehe». Wir theilen daher an anderer -stelle den Bericht im Wortlaute mit. Er zeigt zunächst, daß an eine .Aus söhnung" nickt zu denken ist. Was Fürst Bismarck über seine letzte Unterredung mit dem Zaren inittbeilt, läßt erkennen, daß zwischen dem Enkel Kaiser Wilhelm s I. und seinem ersten Rathgeber schon lange vor dem Rücktritt des Letzteren nicht mehr ein Berhältniß bestand, das Tauer ver heißen konnte. Der Zar hatte dies erkannt, bevor BiSmarck e« erkannt hatte. Eia Bruck, der sich so langsam vorbereitet hat, ist nicht zu heile» Auch Fürst BiSmarck selbst glaubt nicht an eine solche Heilung, sonst hätte er nicht mit solcher Offenheit über den .neuen CurS" und namentlich über die Männer sich ausgesprochen, die er früher .im Dunkeln ge kalten". Dieses Wort kann sich unmöglich auf Mäuner der Regierung beziehen, denn es ist bekannt, daß der Fürst keinen der jetzigen preußischen Minister und Inhaber brr obersten ReichSämter im Dunkeln gehalten hat. Er kann nur jene .unverantwortlichen Rathzeber" gemeint haben, deren Einfluß schon von anderen Seiten beklagt worden ist und die vielleicht den wesentlichsten Antheil an jener allmäligen Entfremdung haben. Aber gerade weil Fürst BiSmarck an eine Beseitigung dieser Entfremdung nicht glaubt, hält er sich doppelt für verpflichtet, Kritik zu üben und seine warnende Stimme zu erheben. Am bedenklichsten ersckcint ihm da« Verhältnis;, daS zu Rußland sich hcrauSgebildct hat einer seits durch Mangel an Fühlung mit den leitenden russischen Kreisen und andererseits durch die neue preußische Polrnpolitik. Ueber die letztere braucht man kein Wort weiter zu verlieren; der Mangel an Fühlung mit den russischen Kreisen hat sich neuerdings wieder deutlich herausgestellt bei der Reise des Großfürsten Konstantin zur selben Zeit, als Kaiser Wilhelm II. den Zaren in Kiel empfing. Und doch hängt gerade von unserem Ver hältnis zu Rußland der europäische Friede ab. Die hierauf bezüglichen Auslassungen des Fürsten werben daher da« Hauplthema der Erörterungen der Presse bilden. Ob auch den Gegenstand der Erwägungen an maßgebender Stelle? DaS ist eine brcuncude Frage, die wir weder zu verneinen noch zu bejahen wagen. DaS Cchibboleth der ultramontan-deutf chfrei- sinnigen Kampfgenossen ist Schimpfen auf den Fürsten BiSmarck, und weil einmal ein klerikales Blatt, die .Köln. BolkSztg.", den ehemaligen Kanzler zwar nicht lobt, aber auch nicht verunglimpft, so hält Herr Richter die Kampf- genossenschast für gefährdet. Er stellt in der „Frcis. Ztg." in vorwurfsvollem Tone fest, daß das rheinische EculrumS- organ die Reiseerlebnisse des bürsten mit sichtbarem Wohl wollen behandelt, uad sicht darin einen Versuch, sich mit dem alle» Gegner .auszusöhnen". Herr Richter bars sich beruhigen: der UltramontanismuS ist viel zu sicher gegen da« gerichtet, was dem deutschen Nationalstaat frommt, als daß er dem Fürsten BiSmarck wieder Einfluß wünschen oder verschaffen könnte. Zum Ucbersluß mag der besorgte Anticartel-Politiker vom Deutschfreisinn die heutige .Germania" lesen, in welcher die Münchner EmxfaiigSvorbereitungen mit vollbefriedigender Unfläthigkeil besprochen werben. Die ..Köln. BolkSztg." ist daS einzige klerikale Blatt, welches Leser in gebildeten bürger liche» Kreisen zählt, und sieht sich auS diesem Grunde von Zeit z» Zeit zu einem rollenwitrigen Scitensprung genöthigt. Das ist Alles Beachlenöwcrth bleibt aber, wie empfinblich die dculschsreisinnigc Parteileitung gerade in diesem Puncte ihren natürliche» und thalsächlichen ultramontanen Mitstreitern gegen über ist. Äcußeriingeii des klerikalen ObscurantiSmuS ignorirt die „Freis. Ztg." nach Möglichkeit, der gegen den Dreibund ge richteten Fuldaer Wallfahrt hat sie ei» verstecktes Plätzchen in ihren Spalten angewiesen und ihr gewaltiger Zorn über die „ultramontane Unduldsamkeit" am Grabe Forckeiibcck'S ist alsbald verraucht. Ihre damalige Drohung: „Dieses Ver hallen des CcnlrumS wird und muß politische Folgen haben", hat sic alSdatd wieder durch Freundschastsbeweife vergessen gemacht. Alles ist dem schwarzen Liebchen gestartet, doch: wenn Tu den f- -s -s BiSmarck nicht schimpfst, fo laß' ich mich von Dir scheiden. Die belgische Arbeikrrpartei fordert, nachdem die Wahlen beendet sind, in öffentlichen Ausrufen und in ihren Organen in stürmischer Weise da« allgemeine Stimm recht für alle 21 Oahre alten Belgier, mit alleinigem Aus schlüsse der Vernrlbeilren. Die Aussichten sind jedoch — wie au- Brüssel geschrieben wird — schlecht. Für daS unein geschränkte allgemeine Stimmrecht sind nach einer Auf stellung der „Meuse" in der neu gewäbltc» Kammer nur 2V Liberale und 2 Klerikale vorhanden. Von den 00 liberalen Abgeordneten sind 3? entschiedene Gegner dieses Stimmrechts. Ais jetzt liegen fünf Anträge für da« neu in die Verfassung cinzusübrende Wahlsystem vor: 1) Unein geschränktes allgemeines Stimmrecht, 2^ durch bestimmte Bedingungen eingeschränktes allgemeines cLtimmrecht, Antrag der Mehrheit der Liberalen, 3) HauSstantSwablreckt, welches Regierung und Klerikale beantragen, 4) Herabsetzung deS EensuS und FähigkeilSwahlrccht, Antrag der doclrinär liberalen Lütticker Deputieren und 5) einfache Herabsetzung des EensuS. Für welchen dieser Anträge eine Zweidrittel- Mchrbeit zu finden sein wird, kann nicht im Entferntesten vorausgesehen werden. Ueber England geht ein wahrer Schauer von Wahl- manifesten nieder. John Morley. Ebamberlain, Balfour, Matthews haben ihren respectiven Wählern ihre Programme auScinandergesetzt, und endlich ist auch Gladstone's Ausruf erschienen, über den uns der Telegraph bereits Einiges i.iit- getheilt hat und der heute im Wortlaute vorliegt. Der greise Parteiführer entrollt darin ein bestechendes Bild des glück >ich,» «.«UM-» M!! M.,< --» ifE-m P-»< »'« d,,,,. Wi- diesem Plaue ball aber ( llad, , Jahren, sich Gladston.S V°>n«rule-P>an .» ^ ^ Nlad lone sturste.,, seit de» letzten allgemeinen Wahlen, WE auSgestaltet hat, sollen "" ^ Svannung wird hier paffende Herabnnnderung der Arde'sszen. We.se dal Gladslone kein Wort über auswärtige I°l,l ^ Außer.; er überläßt die Erörterung d.e,eS Cap..e s de- libcralen WablprogrammS seinen Freunden. Ueber t'e ,I> , „ahme, welche Gladstone's Wahlaufruf m der englischen (.resse ""LNn N Juni. S°ä»L.ffch^Tage-b,ä.ter bespreche.. G.ab- stone'S Wahlaufruf Di. unwnislisch. Presst üb. e.ne erb°r..,u„g . Die Times" sagt: Glab laue erinnert seine Wähler daran daß kr im M Jabre seines politischen Lebe..- sti. darai.S folgt, daß er während mehr als 50 Jahre "mange . rirkiar Unrecht welches er letzt verdammt, einzufehen. Wenn^ »"wahrend dieser 50 Jahre selbst cm ziemlich chr icher gewöhnt.» einsichtsvoller. Politiker »/w.stn wu'e '..usstn eine gegenwärtigen Sliifchauuiigen als Irrt düm" d er di e r s, a ndniüfchwäche heirachtet werben. Gladslone mag behaupten, was ihm beliebt, allein Erfolg bedenlel die ^r- fchi-duna alles dessen. was bar engl.,che braucht. T Standard" glaubt, der Wahlaufruf werde die wachienve Verzagtheit der Liberalen am Vorabend der Wahlen »ur verschärf Tie „Morningpost" wendet ans 0>ladsl°i,e daS bekannte Schmachwort Parnell's. „die große alte Spinne s"i. ä. r Tailn Telegraph" meint, Gladslone werfe mit feinem Wahlaui'rus ein an engen Masche» reiches Netz weit aus. um so vjc Sllmn.cn als möglich zu fange». Der „Glob« bemängelt da« fehlen jeden Hinweises auf die auSwarttne Politik. Die ..Daily News" und ..Daily Chron. äußern ,ch fyn,. patdifch. „Daily Thron." weist aus die palhett che Stelle des Wahlaufrufes hin, in welcher Gladslone sagt, daß die nun er- stehende allgemeine Wahl die letzte fein dürfte an der er thetl. nehmen werde, und glaubt, dieser Appell werde Willen l-in- druck aus die Wähler nicht verfehlen. Die „PaU Mall Kaz." ist derselben «»sich«. Gladslone sti eine pathetische Figur, da« britische Volk werde unzweifelhast beschließen, dem Greife ein« letzte Aussicht ,u geben. Der russische Krieg-minister, General WannowSkij. verweilte kürzlich in Li bau. um den dort im Bau be griffenen KriezSdafen z» besichtigen. Anknüpscnd an die Wichtigkeit deS Libauer Kriegshase»« für Rußland in einem künftigen russisch-deutschen Kriege, veröffentlicht der „Grasch- danin" einen aus der Feder eines angesehenen Mitgliedes der Marine herrllhrenden Arlikcl über die deutsche Flotte, in welchem nachgcwiesen wird, daß in einem ZukunstSkricgc die deutsche Flotte entschieden siegen müsse. Der Verfasser coiistatirt, die deutsche Flotte bade während der letzten Zeit solche Fortschritte gemacht, daß da« russische Marine-Mini- sterium mit dieser Thatsache unbedingt rechnen müsse. „Der deutschen Flotte", sagt der Arlikcl ferner, „wird eS sehr leicht sein, die Streitkräste zur Sec, welche sich im baltischen Meere mit uns werde» vereinigen wollen, abzuschneiden, wäh rend sie ihre Eanaldurchgänge ihre» Freunden erschließen würde, um gemeinsam mit ihnen Libau zu bwckircn und das feindliche Geschwader vor Helgoland sestzuhallcn. Außerdem sind die Schiffswerften und die Maschinenbau-Fabriken in Stettin und Elbing, in Hessen und Westfale» so sehr ent wickelt, daß sie im Stanke sind, in kurzer Zeit eine ganze Flotte von Torpedo Booten und Minciilagcr herzustellen, welche, von dem natürlichen Charakter der Küste begünstigt, jede Flotte vernichten würde, di« eS wagen sollte, die Küsten vrr deutschen Flüsse zu blockiren." Der Verfasser fordert deshalb — »nd hier tritt die Tendenz des Artikel« hervor — da- russische Ministerium auf, alle mögliche» Maßnahmen zur Vergrößerung der russischen Flotte zu ergreifen. Griechenlandhat bekanntlich seit einigen Tagen aber« mals ein M > nisteriuin TrikupiS. Nach dem Provisorium, daS seit dem jähen Sturze deS Ministeriums Delyanni« be stand, kommt nun wieder einige Stabilität in die politischen Verhältnisse deS Lande«; TrikupiS hat die bewältigende Majorität der Kammer zur Verfügung, sein Eandidal BuderiS wurde mit 155 von ISl abgegebene» Stimme» zum Präsi denten der Kammer gewählt. Dem abgetretenen Interims- Ministerium KoiistantvpuloS läßt sich weder im Guten noch im Schlimmen etwas Besondere« nachsagcn; cs hat still und geräuschlos die Ausgabe de« Platzhalter- für TrikupiS erfüllt und seine Bctculungslosigkeit bc> den Kammerwahlen an den Tag gelegt. Ader auch von den neuen Eollegen LeS Herrn TrikupiS, der neben dem Minister-Präsidium auch dir Finanzen verwalten wird, ist nur Herr DragumiS, der neue Minister deS Acußcrn, eine von den GesandtschastS- posten, die er versah, und von der kurzen Episode, die er bereit« einmal als Minister deö Acußern verbrachte, ciiiigermaße» bekannte Persönlichkeit. Mit TrikupiS kommen wiederum die größere Ordnung, die größere moderne Bildung und auch die größere staatSinännischc Vorsicht ans Ruder; an ibrcm Mangel ist DelyanniS, der nebenbei auch von sranzösisch-rnssischen Suinpatdien beherrscht war, vor einigen Monaten gescheitert. Panhcllcnischcn Neigungen huldigt auch TrikupiS, aber sie sind getänipfl durch die Erkenntniß der vorhandenen realen Bedingungen. Deutsches Reich. ä Berlin, 24. Juni. Eine' sehr beachtenSwerthe Er scheinung ist das neuerliche Auftreten der sog. hessischen Rechtspartei, d. h. einer Partei, welche ganz offen die Wiederherstelluna eines selbstständigen Kur» sürstenthumS Hesfcn als ihr Ziel aufstcllt. Kein anderer Tbeil Deutschlands hal so schwer unter dem Elende einer klcinstaallichcn Mißregierung und unter der traurigen Impotenz deS Deutschen Bundes zu leiden gehabt, wie Kurheffen, keine andere Bevölkerung auch bar sich deshalb so unmittelbar und rückhaltlos der durch die Ereignisse von 1860 geschaffenen Neu ordnung der Dinge zugewandt, wie die kurhcssisckc. In jener ersten Zeit sielen im Regierungsbezirk Cassel, avgcsehen von dem überwiegend ullramontanen Kreise Fulda, die politischen Wahlen mit deträchtlichcr Mehrheit zu Gunsten der national- liberalen Partei an». Wenn sich dieser im Allgemeinen langer als ein Iahrzcbnt bestehen gebliebene Zustand später verändert bat, so leugnen wir nicht, baß die nattonalliberale Partei selbst einen Theil der Schuld daran getragen bat. Dazu ist die Spaltung unter den Liberalen gekommen. Viel leicht am meisten aber baden dazu beigetragen die Bestrebungen, eine conscrvativc Partei nach altprcußischrm Muster zur Herrschaft zu bringen. Man meinte auf diese Weise die an sich wenig zahlreichen Elcmcntc, die sich durch die An nexion i» ihren Interessen oder Gefühlen verletzt glaubte», am leichtesten „versöhnen" zu können. Selbst die Unterstützung der oberste» Leitung der Provinzialvcrwaltung hat dirseo Bestrebungen nickt gefehlt. Während man dielcnige Partei, welcke dem preußischen Regiment in Kurheffcn von vorn herein so eiitsckloffcn und erfolgreich den Boden geebnet bat, kübler und kühler behandelte, floß man über von Freundlich keit gegenüber Denen, die al« Notabilitäten des hessischen ParticulariSmuS betrachtet werden konnten. Und wa- ist daS Ergcbiliß gewesen? Nach einem kurzen Rausche conscrvatwen Erfolge« hat aus der einen Seite die wüste Agitation de« Antisemitismus ihre Siege gefeiert, und aus der anderen Seite bat der preußcnsemdliche hessische ParticulariSmuS von Neuem, und man kann FrriiHetsn. Ver Großrusse -er Gegenwart in der Eheschließung und im Familienleben. Rach dem Russischen bearbeitet von E. Fleischer. Heimliche Eheschließungen. — Offene Ehe schließungen ohne Betheiligung der Eltern. — Die Versöhnung der jungen Eheleute mit den Eltern der Braut nach einer heimlichen Trauung. — Die erste Butterwoche nach einer Eheschließung. — Außereheliche Verbindungen im Bauernstand«. — Dir Ehescheidung infolge einer mißlungenen Eheschließung. Alle geschilderten HochzeitSceremonien, welche gewöbnlich acht Tage lang dauern, ersordern einen für die BermögcnS- verbältmfie de- Bauern überaus empfindlichen Aufwand, welcher oft Verarmung und fast untilgbare Schulden nach sich zieht, ^war fühlen sich die Bauern durch die Kosten, welcke zur Durchführung dieser Eeremonirn erforderlich sind, belästigt, — doch halten sie daran fest, weil sie einmal von Alter« her Sitte sind. Theil« zur Beseitigung solcher Aus gaben, theil« zur Vermeidung einer ZwangSehe, tbeil« auch auS andern Gründen werden in vielen Gegenden Rußland« auch noch jetzt zum Zwecke der Eheichließungen die Bräute entfuhrt. Diese Sitte war im Alterthume sehr weit verbreitet. AuS den Annalen Nestor « ist zu schließen, daß die Entführung der Braut zweierlei Art war: eine gewaltsame und eine verabredete. Nach Angabe de« russischen Ehrouograpben bestand di« gewaltsame Art der Entführung unter» den Drewliera, einem Volksstamme, der ein „thierischeS Leben" führte, während die Radimilschen, Wjatitschen und Seweriane», welche auf einer köderen Cnlturstufe standen, die Bräute aack vorangehender Verabredung mit diesen selbst Während der Spiel« entführten. Gegenwärtig hat sich in Rußland vorzugsweise die letztere Art der Entführung erhalten. In gewissen Kreisen de« Gouvernements Nisbnij Nowgorod ist vie Entführung eine gewöbnlicke Erscheinung und wird dadurch veranlaßt, daß die Eltern selten geneigt sind, ibre Töckler »u verheiratben, da sie lieber ihre unentgeltliche Arbeitskraft selbst auSnntzen wollen. Der Entführung geht selbstverständlich Bekanntschaft, welche wäbrend der Abend- versammlungen angeknüpft wird, voran. Anfangs pflegt das Mädchen sick zu weigern, wenn ihr ein HeiratbSvorschlag von Seiten eines bekanutcn Purscken gemacht wird; sobald aber dieser sich mit irgend einem Zeichen ihrer Zustimmung versehen hat (mit einem Bande von ihrem Haar oder mit ihrem Fingerringe), so sängt er an, entschlossener zu bandeln, entführt sie dann in daS am nächsten gelegene Dors und läßt sich dort trauen. — Im Kreise Kargopol (Gouvernement Olonrz) werden die heimlichen Hochzeiten unter folgenden Umständen veranstaltet: Nachdem ein Burscke von einem Mädcben als Zeichen ihrer. Einwilligung in die Ebe rin Tuch oder einen Gürtel und dergl. erhalten hat, so wird die Zeit der Entführung genau festgesetzt. Diese findet dann mit Hilft zweier kräftiger Kameraden Abend-, Nacht« oder mit Anbruch des Tage« statt, selten am Tage. Werden die Entführer von den benachbarten Bauern benierkt, so ver langen sie von ihnen Trinkgeld; sobald ihnen aber die« ver weigert wird, so suchen sie die Entführung zu verhindern, wobei eS oft zum Handgemenge kommt. — Im Torfe Keuosero (Gouv Oloaez) wird die Braut vom Bräutigam (und 2 — 3 Kameraden) in sein Dorf gebracht und irgend einer Frau anvrrtraut, welche man im gegebenen Falle al« Braulwerbrrin ansiebt. Zuweilen treten die Eltern der Braut den Entfübrern in den Weg. Aber auch wenn e« dem Bräu tigam gelingt, sein Vorhaben auSzusühren, so darf er sich erst nach Versöhnung mit den Eltern der Braut trauen lassen. Nach der Trauung werden die schon versöbnlen Eltern noch mal« von den Neuvermäblten um Verzeihung gebeten. — Auch im Gouvernement Archangelsk besteht noch die Sitte, die Bräute au« Liebe zu entführen. Da- bat aber bier manchmal ein sebr tragische« Ende. Einen Bräutigam zum Beispiel ließ man bei einem 30gradigen Froste draußen an der Thür« seiner Geliebten ? Stunden lang stehen, so die Eltern der Braut zur Verzeihung. — Heimliche E! schließungen bestehen ssbncr in den Kreisen Kungur u SchadrinSk (Gouv. Perm). In der Stabt EchadrinSk band die Entführer ganz offen in Gegenwart vieler Zuschau Von Zeit zu Zeit erscheinen unter den Reiben von Mädck welcke sich aus dem Startplätze versammeln, 2—3 Vursck in klassischen sibirisch«! Schlitten von solcher Tiefe u Breite, daß sie zur Beförderung von looo Icg sckwe, Lasten benutzt werden. Die Burschen ergreifen die entführende Braut, werfen sie i» den Schlitten ot jede Vorsichtigkeit und eilen davon, begleitet v! Gelächter de- anwesenden MarktvolkeS. Diese Scene wick bolt sich niedrere Mal am >8. (30.) Januar, an. Tage I Messe teS Athanasius de« NasenbrecherS. — Im Gouoer ment Smolensk sind eS die altgläubigen Mädchen, wel wegen äußerster Mißachtung der Rechte der Frau bei I Altgläubigen zur heimlichen Trauung ibre Zuflucht neln» Dieselbe findet dann in der berrschenden ortdotoren Kir statt. — Auch in der Nabe der Residenz, in einem Tbeile ! Kreise« ZarSkojr-Lsclo. gekört da- Schließen der Ehe» ol Vorwiffen ter Eltern zu den gewöhnlichsten Dingen. Nc dem die jungen Leute miteinander Bekanntschaft gemacht r das Nothwendige besprochen haben, vereinigt die Braut das K barste aus ihren Habsel.gkeiten zu einem Bündel und begi nch damit zur «bendvrrsammlung, welche sie dann mit d Burschen angeblich de« Spieles wegen verläßt Alle ) we,enden bemerken e« zwar, sie sehen aber darin nickt« A fall.ae». Da« Brautpaar eilt nun zu.n greisen, langbärti «irchenvorleser. welcher nach Verrichtung einiger Gebete Geistlichen derbe,rust. Wäbrend deS Velens des Vorlej muffen sich d,e fungen Leute lief von einander verbeugen i ibre Gürtel gegenseitig tauschen. Al« Vergütung erkält Vorleser e.ne verabredete Menge v°» Brann.wem - End bk'N'l«1>«n EbeichOegungen auch ,n den Gouverneme, den angegebenen Fällen haben die ohne Betbeilia, m.*n?e» Stü-n ihren Willen zu Stande b mendrn Eheschließungen meisten, den Charakter eines beimiiisseS für dieselbe»; dagegen werden die Eben im Norden Rußlands ganz offen geschlossen, gleichviel ob die Eltern sich daran bctheiligcn oder nicht. In Wygosero z. B. versammeln sich am ersten Psingsttage alle heiratbSlustigen Burschen und Mätckcn der benachbarten Dorfbczirkc der Gouvernement« tv lonez und Archangelsk. Die Eltern, welche die Kinder ohneBe- gleiluiig reisen lassen, gewähren ibneu volle Freiheit, diejenige Person zu beiratbe», auswclcheihrccigencWahl inWvgoscro fallen sollte. Hier angelangt, hat nun die Jugend Gelegenheit, sich in einem Spiele, welche- aus dem Platze vor der Kirche ver anstaltet wird, zu vereinigen. Die Burschen sehen sich wäh rend des Spieles nach Bräuten um, machen ihnen gleich Vor schläge und begeben sich kann bei Einwilligung der Bräute srfort zur Kirche. Ohne von den jungen Leuten irgendwelche Zeugnisse zu verlangen und ohne ihnen Hindernisse in den Weg zu legen, traut sie der Geistliche, nachdem er einer sest- slebeiiden Taxe gemäß 5 Rubel (--- ca. lO Mark) erhalten hat. Nach der Trauung kommt baS junge Ehepaar zunächst in da« Dorf des Mannes. Dabei kommt cs oft vor, daß die Ellern de« Mädchens Monate lang nicht wissen, wo sie sich aushält; sie verballen sich aber in sojchen Fällen ganz rubig, da sic das Ausbleiben der Tochter als Zeichen ansehen, daß sie ihren „vom Schicksal bestimmten" LebcnSgesährtru ge sunden bade. Aus die Eheschließungen, welche ohne Vorwiffen der Eltern der Braut oder sogar gegen ,bre Wünsche zu Stande kommen, muß notbwendia eine Versöhnung folge». Die Sitte ver langt, daß d>r Neuvermählten ihre- Glückes wegen da- ver loren gegangene Wohlwollen deS Vater» und der Mutter der Braut wieder gewinne», daß sie dieselben bewegen, „den Zorn in Gnade zu verwandeln". Im Kreise Arsama« (Gouverne ment Nishnij Nowgorod) komme» nicht nur das Braut paar und die Ellern de« Bräutigam« zur Versöhnung, Wildern auch sämintliche HockzeilSgäste. Am Hause der zu Bersöbnenden bält der Zug an; alle Anwesenden fallen auf die Knie«, um Verzcibuiig zu ersteben. Und um die Wirkung aus die Eltern der Braut zu verstärken, sucht man. sie durch milgebrachte Geschenke und Branntwein anzulocken — Im Gouvernement Wologda werden dir Neu vermählten bei ihrem VersöhnungSdesuch« nach der Trauung
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