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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920701022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892070102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892070102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-01
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Nickis, als waS man im größten Tbeile der europäischen und außereuropäischen Staaten säst täglich erlebt, ohne eS tragisch ;n nehmen oder auch nur verwunderlich zu finden. Ein gestürzter Minister hat gesprächsweise eine über ihn in Umlauf gesetzte Legende zerstört und außerdem bekräftigt, was längst alle Welt wußte: daß er die russische und die polnische Politik seines Nach folgers nicht billigt, die abgeschlossenen Handelsverträge für unvorlheilhaft und die Brücke zwischen FriedrichSrnb und Berlin für abgebrochen hält. Wenn in Belgien, in Frank reich, in Italien, England, Oesterreich und Ungarn etwas Derartiges sich ereignet, kräht kein Habn danach. Tort ist man ganz andere Dinge gewöhnt und hält cS für selbstver ständlich, daß ein gestürzter Minister mit schonungsloser Kritik die wirklichen oder vermeintlichen Schwächen seines Nachfolgers beleuchtet. Zn unserem vielgerükmten und sehr selbstbewußten deutschen Vatcrlandc wirken die Worte Bismarcks wie ein verheerender Orkan. Tic stolzesten Säulen der „unveräußerlichen Volksrccbtc" knicken zusammen wie Binsen; die kecksten Maulhelden, die unter dem Schutze der parlamentarischen Redefreiheit bis in die Privatverhältnisse deS kaiserlichen Hauses dringen, die Opposition zum Sport und die Verhetzung der Massen gegen jede Autorität zum Berufe macken, brüllen nach dem StaatSanwalte. der die Aeußerungen patriotischer Sorge der gestürzten Größe zum Landcsverrath stempeln und den Mund deS „altersschwachen" und „unzurechnungsfähigen" Mannes hinter Schloß und Riegel verstummen machen soll. Der große Theil der Zaghaften, die nicht zu denken und zu reden wagen, wenn ihnen nicht von oben vorgedacht und vorgeredct worden ist, verstummt bebend, obgleich er noch wenige Tage vorder in der großen Masse dem „Wiederaufrichter des deutschen Reiches" begeistert zugejubelt bat. Die Streber ringen die Hände über die „un geheure" That deS rücksichtslosen ManncS von Blut und Eisen; Graf Caprivi, der Mann, der mit lächelnder Ver achtung auf alle Züchter von „BeunruhigungSbacillcn" herab blickt, an eine von antinationalen Parteien drobende Gefahr nickt glaubt, Socialdcmokratc», Ultramontane, Welfen und Polen frohgemuth zu den nationalgcsinnten Elementen rechnet und mit kühner Stirn die Proteste der deutschen Geistcswclt wie Mückenschwärmc betrachtet: er greift, wie vor einem un mittelbar bevorstehenden Kriege, zur Publikation eines Acten stllckeS und — vergreift sich. Er, der bisher mit hoher Pose die Benutzung der im Dienst- BiSmarck'S gestandenen Osficiösen von sich wie- und den „Reicks-Anzeiger" als seine blanke und einzige Preßwaffe betrachtete, sucht Zu flucht bei der — „Norddeutschen Allgemeinen" und ihren nach den Waden deS alten Herrn und Meisters gierigen Zähnen! Wenn Fürst BiSmarck noch nicht stolz und selbstbewußt wäre und noch nicht wüßte, daß er auch jetzt noch «ine Armee in seiner Faust hat: jetzt müßte er stolz und seiner Kraft sich bewußt werden. Bor seinem Stirn runzejn, vor seinen Gesprächen, die fast gar »icktS Anderes sagen, als was man längst gcwnßt und in Hunderten von Blättern bis zur Ermüdung wiederholt hat, bebt, wogt und zitiert das ganze Reich, das die osficiösen und nickt osficiösen Angstmeier schon in seinen Grundfesten schwanken sehen. Aber in das Bewußtsein, trotz seines Sturzes noch eine elementare Macht zu sein, vor deren Räuspern die Auftrag geber der Ossiciösen, diese selbst und daS ganze Corps der Angsthasen und professionellen Schreier außer Rand und Band gerathcn, muß sich bei dem Herrn deS SacksenwalkcS rin überaus peinigendes Gefühl mischen, daS auch uns befällt. Kläglicher als bei diesem Sturm im Glase Wasser hat sich ein großer Tbeil der deutschen Nation noch nie be nommen. WaS BiSmarck durch seine Worte her- vorgerufcn, ist die beißendste Kritik, die an einem großen Theile der Nation und an dem Curse, den wir jetzt steuern, geübt werden konnte. So bat daS Ausland während des Bismarck'schen Regiments Deutschland nie gesehen. So hat dieses von der Wurzel bis zur Spitze sich nie gekrümmt, auch wenn gegen dc» „eisernen Kanzler" von ehemaligen Ministern und Diplo maten die giftigsten Pfeile geschleudert wurden. Und wer bei dieser fast allgemeinen Verwirrung der Geister den Kops nicht verloren hat, der wird jetzt mehr als jemals inne, was Deutschland an dem Fürsten Bismarck trotz seiner Welt bekannten Ecken, Kante» und Schroffheiten besessen, was es an ihm verloren und für ibn cingctauschr hat. Tie Unfähigkeit der Socialdemokratie, sich anders als kritisch und agitatorisch zu bctbätigen, ist neuerdings durch daS unsinnige Verhalten der socialistischen Geineinde- vertrelcr in Frankreich bell beleuchtet worden. Sie waren nabe daran, durch Verweigerung der Mittel für die — man darf sagen primitivsten — polizeilichen Veranstaltungen eine halbwegs geordnete Verwaltung unmöglich zu macken Andererseits wurden die ausschweifendste» Anträge im Interesse der „Arbcilcrbcvvlkerung" gestellt. Der französische bau se ns hat sich jedoch entschieden gegen den Unfug aufgelehnt, und die Socialdemokratie ist genöthigt, den Rückzug anzutrctcn. Verdeckt soll d cscr weiten durch ein „communales Programm der französischen Arbeiterpartei", daS, wie selbstverständlich, sehr weitg-bende Forderungen ent hält. aber die Posizci unverändert bestehen läßt. Ter „Vor wärts" verrätb den Vertuschungszweck deS Programms, indem er cS mit den Worten begleitet: „Und hiermit vergleiche man die nichtswürdigen Berichte der Bourgcoisieprcsse". Die „Bourgcoisiepresse" hatte aber die socialtcmokratiscbcn Bla magen wahrheitsgetreu geschildert. Minder wichtig, aber ebenso kcnnzcichncnd für die Unfähigkeit deS SocialismuS, auf dem Boden der realen Wirklichkeit nicht elwaNcucs zu schaffen, nein, auch nur oft Gcscbci.eS uackzuahmen, ist das Schicksal der von Socialdemokraten begründeten und geleiteten Berliner Genossenschaflsbäckerei. Es bat, wie kürzlich die Generalversammlung der Genossenschaft, am Dienstag eine Volksversammlung beschäftigt. Hier wie dort wurde eine unglaubliche Mißwirthschaft nach allen Richtungen fcstgcstellt. Daß die Genossen sich mit den unflätbigsten Schimpfrcdcii lraclirten, braucht als etwas Herkömmliches nickt erwähnt zu werden. Festzuhaltcn aber ist, daß bei der GenosscnschastS- bäckerci alle Bctbeiligten schlechter gefahren sind, als in privaten Geschäften gewöhnlich und infolge der Concurrenz naturgemäß ist. Die Arbeiter der Genossenschaft klagen über niedrige Löhne und schlechte Behandlung, der Vorstand über Unbotmäßigkcit der Arbeiter, die Ab nehmer erhalten häufig ungenießbares Brod, zum Tbeil auf zerbrochenen Waagen gewogen, die Genossenschaft arbeitet mit Unlerbiianz und auch die Lieferanten scheinen schleckte Erfahrungen gemacht zu haben. Merkwürdig: daS Geuossenschaslswesen ist längst bewährt, selbst kleine Bauer» finden sich mit ihm zurecht, nur die „wissenschaftliche" zielbcwußte Socialdemokratie weiß nichts damit anzufangen. Ihren Grund hat diese Erscheinung selbstverständlich in der vorauSgegangcnen, durch die socialdcmokratischc Lehre und Agitation verursachten wirthschaftlichen Temoralisirung der Genossenschaften. Wie auS England gemeldet wird, gestaltet sich der Wablfcldzug Gladstonc's in Schottland zu einem Triumph- znge; der greise Führer der liberalen Partei Englands gab denn auch in den Dankrcde» aus die Begrüßungsansprache», die ans jeder Station, wo der Eisenbahnzug hielt, ilun ge widmet wurden, seiner Hoffnung Ausdruck, die liberale» Wähler würden die Scharte deS Iabrcs >886 answctzen. Bei den Wahlen des Jahre« l586 wurden 191 Glad- stoniancr und 85 irische Nationalisten gewählt, während .816 Conservative und 78 liberale Unionisten aus der Urne stiegen; heute, bei der Auflösung deS Parlaments, stellt fick daS Partcicuverhältniß für Gladstone günstiger; in Folge der Ergänznugswablen zählte die lidcrale Partei bei Schluß des Parlaments 2l6 Mitglieder. Ter Unter schied ist aber noch immer ein so bedeutender, daß cs aller Anstrengungen der Liberalen bedürfen wi.k, dcn^ liberalen Uniomstcn so viel Sitze zu entreißen, um den Stur; deS ccnicrvaliven Ministeriums zu bewirken. Von größter Be deutung für den Ausfall der Wahlen wird das Verhallen der Arbeiter sein, obwohl England nickt das allgemeine Wahlrecht besitzt Nur wer Wohnungsmieihc von »lineestens 10 Lslrl. zahlt, kann wählen, und von Aslermietkern dieser Art nur dic>enigen, welche nach dem Wortlaute des Gesetze,.' 12 Monate hindurch, thatläcklich aber etwa >8 Monate lang ihre Wohnung nickt gewechselt haben. Infolge dessen sind von der ungefähr 8>/r Millionen starken erwachsenen männliche» Bevölkerung der Inseln nur 6lt>0 000 wahlberechtigt. Nicht viel weniger als die Hälfte davon werden insnstriclle Arbeiter sein. Es beißt jetzt, diese seien, obschon Gladstone ebenso wobl in seiner Unterredung mit de» Arbeitern wie in seinem Wahlmaniscst ihnen nur bescheidene Zugeständnisse gemacht hat, entschlossen, liberal zu wählen. DaS ist jedoch schwerlich richtig; jedenfalls werden in Folge der wenig entgegen kommenden Haltung Gladstonc's Tausende von Arbeitern zu Hause bleibe» nnd Ankere» ist die Möglichkeit, zu wählen, durch die Ansetzung deS Wahltages abgeschaiilcn. Ter schwedisch-norwegische Streit bat nunmcbr zu einer Ministerkrisis in Norwegen geführt, weil der König im Ministerrathe erklärt bat, daß er seine Zustimmung zur Errichtung besonderer norwegischer Consulate nicht geben werde. Damit ist der Krieg zwischen König und Sloribing offen erklärt, denn letzteres bat mit großer Mehrheit beschlossen, daß Norwegen ein eigenes ConsulalSwcscn erhallen soll, unk eS wird kielen Slandpnnct schwerlich aufgeben. Wenn König Oskar jetzt ein Ministerium der Rechten bildet, würde er sich der Möglichkeit an'setzcn, daß di,: Mehrheit des Llortbings das Budget verweigert, und da die Volksvertretung in Nor wegen nicht aufgelöst werten kann und das Militair sich schwerlich gegen die eigenen Landsleute gebrauchen lassen würde, so hätte eine Bukgeiverweigerung in Norwegen eine ganz andere Bedeutung, als z. B. in Dänemark. Bisher glaubte man, König Oskar wolle die Lösung der Streitfrage verzögern, indem er die Behandlung derlelben dem zusammengesetzte» schwedisch norwegischen Staatsratbc zuwics, während die Norweger der Ansicht sind, daß eö fick zunächst um eine rein norwegische Angelegenheit bandle nnd erst, wenn sie i» Christiania von Regierung und Storlhing und König erledigt sei, Gegenstand von Verhandlungen zwischen Norwegen unc Schweden bilden könne. Nachdem nun aber der König im norwegischen Ministerrathe erklärt bat, daß er, als König von Norwegen natürlich, den Beschluß des StorthingS nickt sanctionircn werde, kommt die Sacke gar nicht an den ge meinsamen norwegisch schwedischen StaatSratb. Der Kampi muß in Norwegen zwischen Volksvertretung und König aus gcsochlcn werden und man darf wobl mit einiger Spannung der weiteren Entwickelung des Streites entgegensetzen. In Afghanistan nnd in den indischen Grcnzländern wird die Lage eine immer verwickeltcre. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Rußland seine Hand im Spiele hat und daß es die angekündigte „Revanche an England" für den Empsang deS Fürsten Ferdinand von Bulgarien in London nimmt. Daß die sich jetzt vollzietzenecn Ereignisse von langer Hand vorbereitet sind, steht fest, und die seltsamen Unicr- »ehmnngsgelüste deS EnurS von Afghanistan gegen kleine Nachbar Ktzanate erleichtern die russischen Umtriebe, während sie die indische Regierung in Verlegenheiten setzen. So wird heute aus London gemeldet: „Nach einer Meldung des „Renter'schcn Bureau«" auS Simla wären die Hazaras von Kilanao zu ihrem Aufstande gegen den Emir von Afghanistan von russischer Seite er- muttzigt worden. Ei» russischer Oificier, der sich aus dem Wege nach Uilanao befand, wurde in Askabat sestgenommen; da« Vor gehen desselben sei von der russische» Regierung gemchbilligt worden. AuS Gilgit meldet da« „Neuter'sche Bureau^ über Bombay, es sei eine größere Anzahl von Russen in Aklush nahe der indischen Grenze geschen worden. Ferner berichtet auch das „Reuter'sch« Bureau" aus Bombay, die indische Regierung sei wegen der längste» Ereignisse in Kafiristan sehr beunruhigt. Sie hatte den Ennr von Atghanisla» gewarnt, Umra Khan anzugreisen, und werde nunmehr dem Emir ernste Vorstellungen macken, die geplante Uuiciwcrsung der Badjaurs und die Zwistigkeit mit den Asridis, Len Orukzais und anderen Stämmen zu unterlassen." Deutsches Reich. ^ Berlin, 80. Juni. In der zweifellos richtigen Er kenntnis;, daß eS der deutschen Centrumspartci als solcher an Kops und Kragen ginge, wenn sie auch daS Dogma von der Unschtbartcit des Papstes in Fragen der Politik und politische» Moral gelten ließe, sind die Centrumsfübrcr voll- tomn'.cn einig. Wie vorige Worbe der westfälische Aristokrat, Frtzr. v. Scvorleiner, Kal nun auch der mittelrheinische Dcmo- trat des Ceniruins, Herr I>r. Lieber, in recht unzweideutigen Worten dem Valican die Gefolgschaft gekündigt, falls man eS kort bei dem „Fühler" betreffs der politischen Unfehlbarkeit nickt bewenden lasse; auch hat Herr I>r. Lieber genau nach dem Rcccpt deS Freiherr» von Schorlemer geredet und den Papst ravvr gewarnt, ein Papst der Franzosen zu werden und in deren Rackegeisl sich mit dem „Patriarchen deS Nordens" gegen Deutschland zu verschwören. Nack so äugen» fälligen Kundgebungen wird aber doch kein Mensch mehr be haupte» wollen, dag die vaticanischen Blätter nur aus eigener Erleuchtung das neue UnsehlbarkeitS-Dogma zur Erörterung gestellt hätten. ss Berlin, 30. Juni. Tie Vorbereitungen, welche gegen wärtig zur Einsührung des am l. Januar l893 völlig in Kraft tretenden neuen KrankenversicherungSgeseyeS getroffen werden, beziehen sich auch aus die anderweitige Festsetzung der ortsüblichen Tagelöhne. Diese erfolgt durch die bötzere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemcintcbchörde». Verschiedene Regierungspräsidenten haben kenn auch schon die nötbigcn Schritte cingeleitet, uni die Aeußerungen der Gemeiiidebehörtcn hcrvorzurusen. Gegen die frühere Festsetzung hat sich die diesmalige nur insofern geändert, als es möglich sein wird, noch zwei weitere Claffisicationcn vorzunetzmen. Bisher mußten die ortsüblichen Tagclotznsätze für erwachsene männliche und weibliche, sowie für männliche und weibliche jugendliche Arbeiter gesondert berechnet werden, so daß vier dieser Lohnsatzkategorien vor handen waren. Eine solche Einttzeilung muß auch zukünftig vorgcnommen werten. Daneben kann aber noch ein Unter schied zwischen jungen Leuten von 14 bis >6 Jahren und Kindern unter 14 Jahren getroffen werden. Von dieser eventuellen Ermächtigung dürfte nun überall dort Gebrauch gemacht werden, wo die Verhältnisse dies crtzenchen. In denjenigen Staaten ;cdoch, wo die Schulpflicht der Kinder bis zum 14. LebenS- >ahrc währt, also auch in Preußen, wird diese Bestimmung vohl nur für die Landwirthsckasl Werth haben und An wendung finken. Denn i» allen diesen Staaten wird ja -oin l. April >891 ab kein Kind unter 14 Jahren in Fabriken beschäftigt sei». Uebrigcns dürste der BundeSrath sich dem nächst auch mit der Frage der ortSüblichenTagelöhne beschäftigen, weil der Reichstag zwei daraus bezügliche Rciolutionen angenommen bat. Eine gleichmäßige Festsetzung der orts üblichen Tagelöhne durch alle Bundesstaate», wie sie in einer dieser Rciotutloncu gefordert wird, ist umsomehr erwünscht, als diese Löhne nnnniehr nickt bloS für die Arbeilcrversichc- rung Bedeutung Hatzen, sondern auch für die Bemessung der Unterstützungen der Familien von zu Friedcnsübungen ein- berufenen Mannschaften die Grundlage abgeben. — Dem Vernehmen nach liegt eS in der Absicht, demnächst in eine Revision der UnsallversickcrungSgesetzgebung ein- »1 Feuillatsn. Der Letzte seines Stammes. Licht- und Schattenbilder von Woldem ar Urban. Nachdruck verboten. i. Jetzt tbu' mir endlich einmal den Gefallen, Coda, und laß da- Gesichtersckneidcn! WaS zum Kukuk soll denn das beißen? Du, der flotteste Officicr im Regiment, blasest in einer Weise Trübsal, daß eS Steine erweichen könnte, daß die weltschmerzlichen Achs und LHS nur so schallen, wie bei einem weiblichen Hamletspicler, die früher Mo.e waren. WaS ist denn nun weiter geschehen? Tu hast Deinen Abschied eingereicht und hast ihn daraufhin bekommen. Ja, lieber Freund, wenn Du nicht verabschiedest sein wolltest, so mußtest Du nicht darum bitten! Da Tu es aber doch getban hast, so wirst Du gewiß Deinen Grund dazu gebabt haben. Du hast den Dienst quittiren wollen, und ich finde durchaus keinen logischen Zusammenhang darin, jetzt nun, wo Tu ibn quittirt hast, darüber in tiefsinnige Sckwermuth zu versinken! WaS ist denn nun weiter dabei? Du ziehst den bunten Rock au« und einen andern an. Damit ist die Sacke erledigt. Ich bitte Dich, George-, laß mich in Ruh'. Du lang weilst mich. Gut. Wir wollen den Fall einmal nüchtern betrachten. Um Dich nicht zu langweilen, will ich eS Dir ersparen, Dir die Schattenseiten deS LfsicierSlebenS aufzuzäklen Du kennst sie bester ai- ich. Aber Du sollst mir zunächst einmal offen und ehrlich sagen, warum Du Deinen Abschied eingereicht hast. WaS gebt Tick das an, Georges? Lieber Coda, Du solltest in Deiner Verbitterung eine freundschaftliche Gesinnung nicht mißverstehen, nicht eine freundschaftliche Absicht vereiteln. Ich glaubte, eS würde Dir aut thun, in aufrichtiger Weise zu besprechen, WaS Dir Kummer mackt. Wenn Du indessen denkst, in dieser Weise mit Deinen Freunden umspringen zu können, so will ich nickt weiter in Dich dringen. Mein Gott, die Sacke ist höchst einfach! Die OssicierS- Ebre läßt sich meines Erachtens nur dann rein und tadellos erhalten, wenn die Situation des OsficierS nach jeder Richtung hin eine klare und freie ist. Ab so! Ich verstehe, Deine Verpflichtungen sind Dir peinlich geworden. Lasten wir daS. Wozu die posthumen Erörterungen? Ich wüßte nickt, was sie schaden könnten. Melancholischer als Du schon bist, können sie Dick nickt macken. Es scheint mir, Coda, als ob Du in gewisser Hinsicht allzu zart und empfindlich geurtbeilt hättest. Gestatte mir einmal e:n freies Wort! Dn hast bisher ein ziemlich sorgloses unk luxuriöses Leben geführt und siebst Tick nun in der Lage. daS nickt sortsetzcn zu können. Deine Güter sind überschuldet. Deine Einkünfte rn fremden Hände». Tu sitzest sozusagen auf dem Trocknen. Ist eS nicht so, Coda? Atclmar, Graf Coda, machte eine ungeduldige, vornehme Bewegung. Lieber Coda, eS siebt zn fürchten, daß Du noch viel mehr Gelegenheit zur Ungeduld haben wirst, wenn Tu Dich nickt entschließen kannst, ein gutes Dort zur rechten Zeit anzu hören. Es mag vielleicht etwas weniger edel nnd stolz klingen, als daS, waS Du von der OfficicrSebre sagtest, aber eS bat den Vortbeil, daß cS praktisch ist. Darum köre mir aufmerksam zu. Ich habe cS schon öfters im Leben gesetzen, daß Leute von Deinem Range und in Deiner Lage als Ossiciere daS Glück — verbessert haben, aber durchaus nickt dadurch, daß sie die Trupve verlassen! Gott bewahre; son dern dadurck. daß sie ihren Play so lange als noch nicht verloren anscken, als — Millicnaire noch Töchter haben. Graf Coda stand rasch aus. Auf seinem Antlitz zeigte sich eine aufgeregte Rötbe, als wie wenn er sich durch die Worte seine« früheren Kameraden gekränkt und beleidigt gefühlt Kälte. Ich biike mir an-, George«, daß Du nickt abgeschmackt wirst. Deine freundschaftlichen Gesinnungen für mich scheinen einen merkwürdigen — Kant pm>» zu bekommen. Nur gelassen! Nur ruhig Blut. Coda. Gott bebüte »nS davor, in einer praktische» LebenSansckauung etwa- Unehren Haftes, oder auch nur etwa« Abgeschmacktes zu sehen. Es könnte wahrhaftig fast den Anschein haben, als ob Du noch ein ABC-Schützc in der Kunst, zu leben, wärest, Du, Coda, der Held so mancher ebenso lustiger als galanter Abenteuer. Sonst warst Tu doch i» puncto gcnoiis tcininini nickt so empfindlich scrnpulöS! Auch setze ich gar nicht ein, weshalb eine MillionairStochter für einen Officicr weniger annehmlich, weniger liebenswürdig sein sollte als »leinethalbc» eine Königin des BallctS oder selbst eine hübsche Drahtseil- künstlcrin. Es kommt doch gewiß immer nur aus den ge gebenen Fall an Aber lassen wir daS; Tu hast Reckt, daß cS überflüssig ist, solche Angelegenheiten logisch zu erörtern. Ich bin überzeugt, daß Tn — gcgcbcnen Falles doch das Ver nünftige triffst, wenngleich Du Dich jetzt auf den — Idealisten der Ehre hina iSspiclst. Dock lasten wir daS jetzt und kommen wir auf naheliegendere Puncte. Was gedenkst Tu nun zu tbu»? Ich reise ab von Berlin. Wohin? Ick gebe nach Mariendorf. Der Andere lachte bell ans. WaS zum Henker willst Du denn in Marienkors? Willst Du ein Mistbaner werden? Ich will allerdings daS Gut selbst bewirthilbasten. Du kennst c- ja, eS ist vorzüglicher Boden, gut eingerichtet unr wenn auch leider stark verschuldet, so glaube ick dock bei per sönlicher Bcwiribschaftung noch so viel zu baden, um davon — einfach, aber docv immerhin erträglich leben zu können. Na. nun laß' nial den Spaß sein unr böre mir einstbast zu. Wie Tu, ein Graf Coda, der letzte einer der stolzeste» Abnenreiben im Lande, aus einen solchen Entschluß venallen kannst, begreife ich allerdings nickt. Ick balle >b» für einen gelinden Wahnsinn. Nickt nur Deine achtnudacht;>g Almen baden da« Recht, vom neunuiirachtziaste» Coda den neun zigsten zu verlangen, sondern Du selbst hast auch, abgesehen davon, die Pflicht, nunmrkr eine Ebe einzngehe». Du bist, wenn ich nickt irre, ricrunddrcißig Iakre — ? Fünfnnb- dreißig? Gut, also noch ei»S mehr, eins weniger für die Zukunft. WaS soll denn au« Deinem Geschleckt werde»? Ei» Coda bat fick selbst und dem Lanke gegenüber andere Verpflichtungen als ein Müller und Schulye. Ein Geschlecht, daS in einer so stolzen Reibe von Generationen gekämpft, gearbeitet und gestrebt bat, daS dem Lande bis in unabseh bare Zeiten zurück ein Segen gewesen ist, soll in einem un dankbaren Enkel, der seine Zeit nickt begreifen will, in Marien torf erlöschen? Nein, Coda, Du hast besondere Ver pflichtungen! Wie Tu über Deine besonderen Rechte denkst, daS ist ja wobl schließlich Deine Sache, aber Deine wahre ÄdelSchre besteht in der Erfüllung Deiner Verpflichtungen. Ich weiß gar nicht, wie Tu dazu kommst, mir eine solche Philippika zu halten. Es könnte den Anstrich haben, ais ob ick irgend Jemanden brauchte, um über die Reckte und Pflichten meines Standes unterrichtet zu werden. DaS war nock nie nötbig und wird nie nötbig sein. Nickt daß Du Deine Stellung verkennst, fürchte ich, sondern daß Dn die Welt, die Gesellschaft, i» der Du lebst, miß verstehst. Tu kennst unsere Zeit und unser Verbältniß zur neuen Zeit nickt. Glaubst Tu Deinen Verpflichtungen als armer Lankbauer Nachkommen zu können? Mein Gott, da« sind ja Alles tolle Hirngespinste, die Du in einer unglücklichen, finstern Stunde auSgegrübelt hast. Du mußt dock wissen, was ein armer Adel ist im Vergleich z. B. zu einem reich- gemordencn Fleisckermcister oder irgend einem ander» Par venü; ein Jammer, eine Spottgestalt, ein Hohn auf unsere Mission, auf unsere Stellung in der Cultur. Nein, armer Freund, schlage Dir Marieudorf und Deine ganze Mistbauern- berrlickkeit auS rem Sinn, mache aus der Notb eine Tugend nnd sei vorsichtig in der Wahl Deiner Schwiegereltern. Ein Diener trat ein und meldete dem Herrn Grafen Coda den Besuch de- Herrn InstizrathS Markwaldt. Graf Coda verzog das hübsche, äußerst charakteristische Gefickt zu einer spöttischen Grimasse Die etwas derbe aber schön geformte Nase runzelte sich über dem Sattel unk der schwarze Schnurrbart zog sich unwillkürlich etwas höher unter die Nase hinauf. Sein Freund, der Riiinieisicr von Lanner, lackte, als er eS sab, nicht nur weil Graf Atelmar den Ein druck einer verzweifelten Drolligkeit machte, sondern weil diese Grimasse im ganzen Regiment als die historische Coda-,Visage" bekannt war. Wie die jüngeren Ossiciere fick erzählte», sollte dieser Zug auf alle» Abnenbiltern der Coda zu verfolgen fein. (Fortsetzung folgt.)
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