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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920713026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892071302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892071302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-13
- Monat1892-07
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DaS gehl deutlich auS einer Mittheilung der Mün chener „Allgemeinen Zeitung" hervor, die zunächst constatirt, daß nach vielfach ausgestellten Behauptungen Herr v. Caprivi s. Z. Mitglied der sogenannten „Roon'sckcn Conventikel" gewesen sei, die sehr zum Mißfallen des verewigten Kriegsmiiiislerö in seinem Hanse staltsaiidcn und einen Kreis von Bestrebungen darstelllcn, in welche» die extreme Richtung der „Kreurzlg." und der ultramvntaucn Gegner des Fürsten Bismarck einander begegneten. Tan» heißt es in der Mittbeilung des Münchener Blattes: „Die Thatsache wird sich nicht auS der Welt schossen lassen, daß der verstorbene Feldinarschall v. Man teuf sei in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eines Tages zum Fürste» Bismarck kam und ihm die Frage vorlegtc: „Was haben Sic mit dem General Caprivi? Auf die Antwort des Fürsten, daß seines Wissens zwischen ihm und dem — damals im Kriegs- Ministerium Ihätigen — General v. Caprivi nicht das Geringste vorlicge, erwiderte der Fcldmarschall: Caprivi habe ihn ge beten, seinen Einfluß beim Könige gegen de» Fürsten Bismarck geltend zu machen, da dieser ein Feind der Armee sei. „Wie ich darüber denke", — fügte Manlcufscl hinzu — „wissen Sie, ich weiß am besten, was die Armee Ihnen zu ver danken Hai, und deshalb theile ich Ihnen die Sache mit. Aber missen möchte ich, was Caprivi gegen Sie hat." Graf Caprivi wird dieser bestimmten Behauptung gegen über wohl nicht umhin können, zu erklären, was er gegen den Fürsten Bismarck gehabt und ob und warum er den Feldmarschall v. Mantcuffel gebeten bat, seinen Ein fluß beim König von Preußen gegen den Fürsten geltend zu machen. Aber er wird auch noch über einen andern Borwnrf sich zu äußern haben, der gegen ihn in der Münchener „Allgcm. Ztg." erhoben wird, über den Borwurf nämlich, daß er es gewesen sei, der die schon in die besten Wege geleitete „Aussöhnung" des Fürsten mit dem Kaiser Hintertrieben habe. Das Münchener Blatt schreibt nämlich: „Auch uns ist bekannt, daß damals (zur Zeit deS Harenbesuches in Kiel) Gelegenheit genommen worden ist, Len Kaiser auf die Unmöglichkeit der Fortdauer deS jetzigen Zustandes ausmerkjam zu machen, sowie daraus, Laß es sich dringend empfehle, im eigenste» Interesse deS Königshauses und der Monarchie, den Fürsten nicht etwa unversöhnt aus dem Leben scheiden zu lajjcn. Halte man damals ahnen können, daß die Reise des Fürsten Bismarck sich zu einem solchen Triumphzuge gestalten würde, wie es der Fall gewesen, so würde man vielleicht den weiteren Hinweis hinzugesugt haben, daß es sich im Interesse der Krone empfehlen möchte, die lrennende Klust vor Beginn jener Reise zu schließen. Tie HochzeitSscier bot dazu einen durchaus geeigneten Anlaß, und die äußeren Schritte ließen sich in einer Weise ordnen, daß weder dem Kaiser, »och dem Fürsten Bismarck „das erste Cnt- gcgenkominen" auferlegt zu werden brauchte. Wir wissen aus bester — nicht Bismarck'scher — Quelle, daß der Kaiser sich jenem Gedanken gegenüber durchaus nicht ablehnend verhielt, ludest auch keinen Auftrag in der angedcutelen Richtung ertheilie, wohl ausschließlich aus Rücksicht auf den Grasen Caprivi, der als entschiedener Gegner jeder Annäherung bekannt ist, und zwar, wie dies auch aus dem Erlasse vom 0. Juni deutlich genug hervorgcht, weil er die Wiederkcbr eines Einflusses LeS Fürsten Bismarck und damit die Beschleunigung seines eigenen Rücktritts befürchtet. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir aus das Bestimmteste auSsprcchen, daß Fürst Bismarck an dem Rücktritt seines Nachfolgers nicht das allergeringste Interesse hat, und daß seine Kritiken nicht den Zweck haben, den Grasen Caprivi zu Fall zu bringen, sondern theils durch die Selbswerthttdigung und Noihwehr, theiis durch Las Interesse am Reich dictirt sind, welches Fürst Bismarck durch eine Reihe von Mißgriffen der jetzigen Politik geschädigt glaubt." Da Graf Caprivi nun einmal mit der Berösftntlichuiig von Aktenstücken begonnen und auch dem Borwurfe, schon zur Zeit der „R'cichSglocke" antibiSmarck'sche Beziehungen unter halten zu haben, >ni „Reichs-Anzeiger" ein Dementi entgegen gesetzt bat, so liegt cs in seinem eigensten Interesse, auch über diese neuesten Darlegungen und Vorwürfe sich vernehmen zu lassen. Anck die Frage, ob der mitgetbeille Erlaß an den Prinzen Renß der einzige dieser Art gewesen sei, wartet noch ans eine Antwort, deren Berweigcrung nickt recht verständlich ist. Ersolgt eine Antwort auf die letztere Frage nicht, so wird die ohnehin noch nickt gelöste Frage brennend, warum über- baupt der Herr Reichskanzler zur Veröffentlichung von Aclen- slücke» geschritten ist, die, bei Lickte besehen, mehr den Ber- öffentlichcr als den Fürsten Bismarck in der öffentlichen Meinung schädigten. Selbstverständlich hat auch der Fürst diese Frage sich vorgclegt; zu welchem Resultate er gekommen ist, crgiebt sich anö folgendem Artikel der „Hamb. Nachr": „Zur Zeit, als der Erlaß vom 23. Mai 1800 an die aus wärtige» Missionen versandt wurde, lag vvn politischen Aeiißer,»igen LeS cnllnsse»cn Reichskanzlers nichts vor, als die sriedlicbenden Unterhaltungen mit dem Russell Lwvw l„Nowoje Wrenila"), durch die Fürst Bismarck de» Russen vv» der Friedlichleii und Freund- schask TeiilschlandS zu überzeugen und den russische» Pilbticißeii zu vcraiilasscii suchte, sntschc Vorstellungen seiner Landsleute i» dieser Hinsicht zu beseitigen, was auch geschehen ist. Wir glaube», baß der Fürst damit der Reichspviitik einen Ticnst erwiese» hat. Ter ziemlich freie Bericht des Franzosen Henri des Houx im „Mali»" über seine Unterredung mit dem Fürste» Bis marck lag vielleicht ebenfalls schon vor, als der Erlaß vom 23. Mai I8!»ij erging, aber auch i» Bezug aus ihn gilt das Gesagte. Sonach sind wir nicht im Stande, uns ein sicheres Urtheil darüber zu bilden, was der Zweck der beiden jetzt im „Reichsanzciger" publicirten Erlasse war. Ein bestimmtes Ziel, ei» Peliluni derselben ist u»S kaum erfindlich. In unserer Verlegenheit, ein solches zu finden, wird uns von Berlin ans der Gedanke cingegebe», das Hauptgewicht btt den Erlassen, resp. btt ihrer Veröffent lichung sei in dem Satz zu suchen, daß dem Fürsten Bismarck niemals wieder „irgendwelcher" Einfluß aus die Politik cingeräuini werde» würde. Es ist wahrnehmbar gewesen, daß unter dem Einfluß von Gerüchte» über eine Annäherung des Fürsten Bismarck an das heutige Regime die Besorgnis) seiner Gegner und insbesondere der Gefolgschaft des CentrumS, der frühere Kanzler könne wieder Einsluß gewinnen, Im Steigen war. Es ist wohl denkbar, daß das Eenlrumseartcl, als Stütze der Caprivi'jche» Politik, der Regierung gegenüber irgendeine Bürgschaft gegen die Wiederkehr des Fürsten Bismarck verlangt hat, eine öffentliche, amtliche Absage, ein Versprechen, daß niemals wieder ein Einfluß des alten Curses in Kraft trete» solle. Tas Eciiiruuiscariel mag sich die Frage vorgelcgt habe»: wer bürgt »ns dafür, daß, wenn wir parlame». larstch den neuen Cnrs durch unsere Stimmen unterstütze», wen» wir seine Wünsche befriedige». Laß man uns nicht, nachdem Lies ge schehe» ist, als entbehrlich behandelt und zum allen Curjc zuruck- keyrt? Das Versprechen der Regier»»g, dergleichen nicht zu thun, liegt allerdings in dem betreffenden Satze des veröffentlichten Nctcnstückcs vom 23. Mai 1800. Wir können uns auch schwer erkläre», warum die Anweisung au den Prinzen Renß in Bezug aus das Verhalte» dc-S Bolschasts- pcrsvnals bei Gelegenheit der Wiener Hochzeit mit einem solchen Pronunciamcnlv über die Versüynungsgeruchic und über den festen Entschluß, dein früheren Kanzler „irgendwelchen" Einfluß niemals wieder zu gestatten, cingcleiiet worden ist. Für das Botschafts-Personal und Lessen Verhalten zur Hochzeit war dies tHronuncianicnto glcichgiltig; das bloße Verbot der Bet Heiligung hätte genügt. Es lag kein sachliches Bedürfnis; vor, S^- Verbot dem kaiserlichen Botschafter gegenüber Lurch die KuttdgMing zu coinplicircn, daß der frühere Kanzler niemals wieder zu Einfluß gelange» solle. Auch ohne ei» solches Ver sprechen der Reichsregierung würde Prinz Renß seine Instructionen genau ausgcsüh rt haben. Wir können nicht leugnen, daß »ns dieser für amtliche Anweisungen ungewöhnliche Vorwand zu einem Verbot, aus einer Hochzeit zu erscheinen, de» Eindruck von etwas künstlich Ausgeklcbtcm in dem ganzen Er lasse macht, wir möchten sagen: von einer posthume» Ver- breilerung seiner Tragweite. Es würde uns Beruhigung gewähre», wenn wir einen anderen praktischen Zweck der Veröffentlichung dieser Erlasse uns denke» könnten, aber nnler Nachdenken weist uns keinen anderen auf als den oben als wahrscheinlich bezcichnelcu, dem Ccntrnmscartcl eine Bürgschaft der Dauer der antl- bismarck'scheii Politik zu geben, dem Centrum Urfehde zu schwören und eS über die Rückberufung des Fürste» Bismarck öffentlich zu beruhigen. Wenn uns unsere Gegner Helsen wollen, andere Motive dieser Veröffentlichungen z» ent- decken, so werde» wir dies als ein lediglich im Interesse der gttchicht- liche» Eindrücke unserer nationalen Entwickelung liegendes Bestreben anerkennen und ihm cnlgegenkoitmic»." Die hier ausgesprochene Bennutbnng liegt allerdings nahe genug; sie hat sich auch schon anderen Leuten aufgcdränzt — nur nickt dem Berliner „Freisinn", der kein anderes Be streben zu kennen scheint, als dem cclitrumsfreundlichen Ber theidiger des Zedlitz'schcn SchulgesetzciilwurseS beizusxrinzen und alle Mittel in Bewegung zu setzen, um in Lein Duell Bismarck-Eaprivi dem Gegner deS Fürsten zum Siege zu verhelft». Wie weit das „freisinnige" „Berliner Tage blatt" in diesen Bestreben gebt, crgiebt sich daraus, daß es dem Ienciiscr Professor Häckel, der in Kissingcii u. a. gesagt hat: „Wir kennen keinen Unterschied zwischen BiSmarck früher als jetzt", der offenen Auflehnung gegen ei» königliches Dogma beschuldigt, in der Unterwerfung unter dieses Dogma den Beweis unerschütterlicher Treue für die Hoheuzollern, in de» Worten Häckel's aber das Gcgentbeil erblickt. Graf Eaprivi kan» sich also, wie er auch in der Fehde mit Bismarck von der Fcchlschnle kommt, damit trösten, daß er die Liebe des Eentrnms bebält und dem „Freisinn" als Verkünder unfehlbarer Hcilswakrbeit erscheint, vor dem jeder wahrhast freie und freisinnige Mann in tiefster Tcmuth sich beugt. In Brüssel ist gestern die neugewählte Con stituante zusammcngclrcten. Tie am >5. Juni vollzogenen Wahlen batten bekanntlich im Senat, wie in der Kammer die klerikale Zwei-Trittcl-Mehrkcil zerstört, welche zur Be schlußfassung über BcrsassungS Aiigclegenheilcn vorgeschriebe» ist. Die vereinigten Liberalen haben Brüssel znrückgewonncn und erscheinen auch sonst wesentlich gckräsiigl in der Con sliiuanle. Tie beiden Hanplansgaben dieser letzteren sind Erweiterung des bisher aus 130 000 Wähler beschränkten Wahlrechtes und Beschlußfassung über das Königs-Referendum, von dessen Annahme König Leopold ll. die BcrsassnngS Revision abhängig gemacht hat. Der Köniz verlangt damit ein directcS Berusnngsrecht an taS Bolt gegen etwa von den Kammern be schlossene Gesetze, welche er für das Wohl des Landes nicht zu träglich bält. Die Negierung beobachtet über die Fassung ihres Rcoisions-Projccls strenges Geheimniß, wird aber dasselbe voraussichtlich sofort vvrlege». Tie in Brüssel jetzt be ginnenden parlamentarischen Berathungen sind für die gedeih liche politische Entwickelung Belgiens von so großer Trag weite, daß das lebhafte Interesse, womit man denselben auch außerhalb des Königreiches cntgcgcnsicht, durchaus gerccht- scrtizt erscheint. Rach einem vorliegenden Telegramm hatte die Kammer in ihrer acstrigcn ersten Sitzung ein sehr be wegtes Aussehen und zunächst wurden mehrere Wablproteste verlesen. In der Umgebung der Kammer herrschte voll ständige Ruhe. Nach den heute vorliegenden Meldungen entsprang die förmlich improvisirte, ebenso rasch, wie sie gekommen, auch vorübergegangene französische EabinetSkrisis einer plötzlichen Anwandlung parlamentarischen MißmutheS wegen der sich häufenden Schwierigkeiten auf colonialem Gebiet. Ter Marincininister Eavaignac wurde der grollenden Kamuier- mehrheit prcisgcgcbc», welche sich bei diesem Qpfcr beruhigte und auf der Demission des GcsammtcabinetS nicht weiter be stand. Gegen letztere hatte sich auch der Präsident Carnot mit aller Entschiedenheit ausgesprochen. Daß cs ihm damit voller Ernst war, unterliegt keinem Zweifel. Eine wirkliche Eabinctskrise verbietet sich im gegenwärtigen Augenblicke, kurz vor Beginn der Parlamcnlsferic», von selber, anck wenn die Auswahl geeigneter Nachfolger sür die jetzigen Minister minder schwierig wäre, als cs tbatsächlich der Fall ist. Frank reich ist von einer Seite, die näher zu präcisircn wohl unnökhig, s. Z. ebenso wohlwollend als unzweideutig aus das Unnütze, ja Schädliche gehäufter parlamentarischer und ministerieller Krisen ausmcrksam gemacht worden; seitdem hat das Inter esse weitester Kreise am Sport deS MinisterstürzenS wesentlich nachgelassen, und man findet, wenn auch etwas spät, heraus, daß der ewige Portcfcnillcwcchsel den politischen Geschäften mehr schadet, als nützt. Es ist deshalb auch nur natürlich, daß Niemand mit besonderem Nachdruck die durch das Te- »lissionsgcsuch Eavaignacö beziehungsweise des qesammten Eabiucls geschaffene Lage auszunützcn bereit und fähig war. Einiges Aufseben muß die überschwängliche Weise Hervor rufen, mit welcher der neue italicnijchc Botschafter fließmann in Paris seine Sympathien für Frankreich bei Ucbcrgabc seines Beglaubigungsschreibens kund gegeben hat. Es liegt zwar nicht im Interesse des Dreibundes, daß einer der an demselben bethciligten verbündeten Staaten in offenem schlechten Einvernehmen mit der französischen Republick steht, indessen eine solche Sprache, wie sie der Vertreter Italiens bei der getackten Veranlassung gefübrt hat, dürste leicht ge eignet sein, nach anderer Seite bin Mißverständnisse und >o- gar Mißtrauen bervorzurnsc». Ter „Boss. Ztg." ist über diese Angelcgenbeit folgende telegraphische Meldung zugcgangen: Paris, >2. Juli. Ter neue italienische Boischcstter Rebmann dielt folgende Ansprache an Cornot: „Durch die Studien meiner Jugend, durch einen lnnge» Ansenlbalt und eine unveränderliche Zuneigung an Frankreich geknüpft, schöpfe ich aus de» Erinnerungen und de» Beweisen des Wohlwollens, die mir in diesem edeln Lande nie gefehlt haben, die Hoffnung, die mir onvertraule rück haltlos freundschaftliche Sendung im Sinne meines er habenen Herrschers zu erfülle». Bon dieser Hoffnung beseelt, werde ich nicht auihören. mit aller Anslrengung dahin zu streben, daß die jo zahlreichen Bande, welche unsere beiden Völker ver einigen, enger geknüpft werden. Alles fordert unsere Re gierungen auf, diese Bande aufrecht zu erhalten. Tie Rücksicht auf ihre Tauerintereffe» nicht »linder als die Pflicht, gemeinsam an der Verwirklichung deS ibrer Gesittung allein würdigen Ideals zu arbeite», des Friedens durch die Achtung der gegen seitigen Rechte. — Carnot begnügte sich, diese auffallend warme Antrittsrede mit ttncr stark entfärbten Umschreibung ihrer Worte zu beantworte». Ueber zwei Drittel der englischen ParlamentS- wahlcn sind vollzogen und die endgiltige Entscheidung tritt mehr und inebr in eLickl. Bisber wurde» gewählt 200 Con- scrvativc, 36 Uiiionistcn, 187 Gladstoneancr, 5, Partiellsten, 3.'. Antiparncllilcn. Es gewannen die Conservaliren l-1, die Unionisleii 7. die Gladstoneancr 56 Sitze. Das Ministerium trat bekanntlich in die Wahlen mit dem Besitz einer Mehr heit von 68 Stimmen ein. Ta die Gladstoncaner bis jetzt einen Reingewinn von 35 Mandaten auszuweffen haben, ko ist die bisberigc Mehrheit ausgeglichen und tas Gleichgewicht im Unlerhause bergestellt. Zieht man aus dem Erzebniß der vollzogenen zwei Drittel der Wahlen den naheliegenden Schluß, daß i» dem letzten Drittel etwa noch 15 bis 2i» Sitze als Reingewinn für die Gladstoneancr er zielt werden könnten, so würde das sür Gladstone eine Mehrheit von etwa 25 Stimmen ergeben. Cs zählt nämlich jede Stimme, die nach erlangtem Gleich gewicht dem Sieger zusällt, insofern doppelt, als sie zugleich dem Besiegten verloren gebt. Wenn sonach sich alsbald die Aussicht ans einen baldigen Ministcrwcchsel und auf ein neues Eabinct Gladstone eröffnet, so läßt sich auch alsbald erkennen, daß ein solches Ministerium wahrscheinlich über eine so geringe Mehrheit gebiete» wird, wie kaum ein anderes englisches Cabinct in den letzten 40—50 Jahren. Dabei muß anßerdcm binzugefügt werden, daß die innere Schwäche dieser Mehrheit noch ausfälliger erscheint als ihre geringe Zahl. Sie bängt emmal vollständig von der Gnade der irischen Naticnallstcn ab und leibet noch dazu »»ter der Spaltung dieser Verbündeten in Partiellsten und Anti PanicUilc». Selbst wenn die Partiellsten nur sechs bis sieben Mann zählen sollten, so fällt doch ein solches Häuslein bei einer ungewöhnlich schwachen Mehrheit Feuilleton. Der Letzte seines Stammes. 111 Licht- und Schattenbilder von Woldcmar Urban. Nachdruck verbot«». (Fortsetzung.) V. DaS Marius'sche Haus war gewissermaßen eine kleine Welt sür sich und diese Welt dreht sich im großen Ganzen um Fräulein Mimie Marius, um das Kind des Hauses. Wenn in der Familie MariuS von „dem Kinde" die Rete war, so verstand Niemand darunter etwas Anderes, als das gnädige Fräulein, obgleich der Portier, der Gärtner »nd auch der balbblinde Privatsecretair deS Herrn GchcimralhS eben falls Kinder hatten. Was das Kind nur hat, sagte der Geheimratb einige Tage nack der Abendgesellschaft zu seiner Frau, und pflicht schuldigst fragte die Dienerschaft tin ganzen Hause: WaS das gnädige Fräulein nur hat? Der HauSarzt, Herr Doctor Flinder, war natürlich dagewesen, hatte sich die Zunge zeigen lassen, hatte den Puls befühlt und nach einer Menge Sachen gefragt, die mit der Angelegenheit nicht im geringsten Zusammenhang standen. Tan» hatte er, um seine vollständige Rathlosigkeit zu ver bergen, „etwas verschrieben". Alle drei Stunden zwei Eßlöffel voll. Herr Doctor Flinder war ein kleiner Filou, denn das GlaS enthielt Nickis als ein ganz leichtes — Abführmittel, das Fräulein MariuS eigentlich den Doctor zur Strafe hätte selbst trinken lassen sollen. Aber das Kind versprach geduldig bie Mcdicin zu nehmen und batte sie eine Viertelstunde später auch richtig wieder vergessen. Aber selbst dadurch wurde Fräulein Marius nicht wieder frisch und munter, wie sie eS sonst immer gewesen war. und der Herr Geheimratb fuhr fort zu fragen: Was das Kind nur bat! Fräulein Mimie hatte am Tage nach der Soiree lange -eschlafen, oder war wenigstens spät ausgestandcn und war blässer als gewöhnlich, nur bie Augenränder waren mehr gerötbct, als ob sie geweint hätte. Dann war sie still, schweigsam und doch unruhig in den Zimmern bin und her gegangen, hatte sich hierher und dorthin gesetzt, nicht gegessen, bis sie sich endlich in dem sonst ziemlich verwaisten Bibliolhek- ziiiimer ihres BatcrS dauernd niedergelassen batte. Hier wurde sie im Verlauf ter nächsten Tage ein kleiner Quälgeist deS alten Krausnitz, deS schon erwähnten kalb- blindcn SccretairS ihres Vaters, der in seine» Mußestunden auch die Bibliothek verwaltete. Bon il-in verlangte sie mit großer Hartnäckigkeit allerlei Werke über Malerei, über Modellsindien, über Acsthetik in der Malerei und Aehn- liches, in denen sie dann mit einem merkwürdig an dauernde» Interesse las. Leider wurde sie aber dabei nicht lustiger, im Gcgentbeil schien sich eine leidende Melancholie immer mehr ihrer zu bemächtigen. Tas Bibliothek zimmer war in einem discreten altdeutschen Stil geballen, nicht in den barten, bäßlickcn Formen des Mittelalters, son dern mit einer etwas zeitgemäßen Grazie überhaucht, die namentlich in einer hübschen lauschigen und traulichen Fenster nische zum Ausdruck kam. In dicscrNische saß sie Tage lang, lesend, sinnend, träumend und endlich, wie das nicht anders sein konnte, auch schreibend. Indessen ging sie mit letzterer Beschäftigung sehr vorsichtig und klug zu Werke, indem sie. wahrscheinlich eingedenk deS Talleyrand'schen Wortes, er könne Jeden an den Galgen bringe», wenn er nur drei von ihm geschriebene Zeilen bättc, Alles wieder zerriß, WaS sie ans schrieb. Indessen wurde sie bei dieser Beschäftigung immer unruhiger, weinte sogar bin und wieder ein wenig — kurz und gut. sie litt unter der ungeheuerlichen, unsicheren Unklar heit und Unsicherheit, wie sie nur die deutsche Mäbchcnerziehung hervorzubringen im Stande ist. Eine- Morgens, als Fräulein Mimie stumm, blaß, zer streut und melancholisch mit ihren Eltern am FrüksliickSttsch saß, wurde Iustizrath Markwaltt aiigcmelket. Frau Gcheim- räthin MariuS war außerordentlich entzückt, ibn zu sehen, bat ibn. Platz zu nehmen und einen kleinen Imbiß nicht zu verschmähen. Leiter, leider, meine Gnädigste, habe ick schon mit dem Grasen Atelmar gefrühstückt. Nur ein ganz kleines Gläschen Marsala, wenn Sie die Güte haben wollen, der Gesellschaft wegen. Nun, nehmen Sie Platz. Auch so wird uns Ihre Gesell schaft angenehm sein. Und Sie befinden sich hoffentlich Alle wobt und haben sich von den Strapazen Ihres Gcftllschaftöabciids erholt. Ter Abend war reizend, anregend und animirt, aber ick kann mir denken, daß er sür die Gastgeber doch immerhin eine Aufregung, oh — ich kenne das — eine Arbeit ist. So viel Begrüßungen, Liebenswürdigkeiten, so viel Versicherungen, Bcrbcngnngc», Händeschütteln, so viel „erfreut sein" und „die Ehre haben", so viel verbindliche Gesichter — ob, daS ist kein Spaß, das ist eine Arbeit. Lb, ick kenne daS! Herr Iustizratb Markwaltt war von einer beängstigenden Redseligkeit, wie es Fräulein Mimie schien Sie wünschte, er ginge wieder. WaS konnte er nur wollen? Dafür — sagte Frau Gchciinrätbin MariuS — habe» wir auch daS Bewußtsein, für daS Wohlbefinden unserer Gäste unser Möglichstes getban zu haben. Ick will nur wünschen, daß Sic, Herr Iustizratb, und auch Herr Graf Atelmar Eoda sich nicht zu sehr gclanzweilt haben bei uns. Aber Frau Gcheimrälbin, versündigen Sie sich nicht an Ihrem eigenen Hause! Graf Adclmar ist entzückt von dem Abend und ich glaube keine allzu strafbare Indiskretion zu begeben, wenn ich Ihnen erzähle, daß mir Gras Eoda stunden lang Ihr Hau- und Ihre Gesellschaft im Einzelnen und im Allgemeinen vorgelobt und entbnsiastisch geschildert bat, gerate als ob ich eS noch gar nickt kenne. Er schien mit ganz besonderer Befriedigung immer und immer wieder auf dieses Thema zurückzukommcn. Ick kann Ihnen versichern, er ist Ihnen sür den Abend scbr dankbar. So drehte fick die Unterhaltung noch eine ganze Weile mit Grazie fort und der Herr Iustizratb wurde nickt müde, die conrcnticnellücn Phrasen mit fast jugendlicher Zungen- gclcnkigkcit vorzntragcn, Fränlein Mimie wurde immer ängstlicher Wo sollte da- hinaus? Endlich fiel für Herrn Iustizrath Markwaltt tas erlösende Wort, indem Frau Geheimraib Manu» sagte: Gras Atelmar — sie schien sich mit einem gewissen Fleiß an diesen Vornamen gewöhnen zu wollen — hat versprochen. »nS ou lümillv zu besuchen und ich hoffe sehr, daß er sein Wort in nickt allzu langer Zeit cinlöscn wird. Natürlich! das hoffte Iustizrath Markwaldt auch. Des halb war er ja da, »m das Terrain zu svntiren, dem Grafen das Feld klar zum Gefecht zu macken. Er ist selbstverständlich begierig, Ihrer freundlichen Ein ladung entsprechen zu dürft», und wenn ich nickt ganz irre, sprach er davon, sich schon beute Abend eine Nachfrage nach Ihrem Befinden erlauben zu wollen. Hätte irgend ei» Hindcrniß Vorgelegen, den Grasen beute Abend zu empfange», so würde der Iustizratb sich natürlich ganz bestimmt geirrt haben. Es lag aber kein Hindcrniß vor und deshalb irrte er fick nickt. Er wird uns sehr willkommen sein. Wird man Sie auch seben? Ter Iustizratb hielt eS für praktisch, jetzt noch dabei zu sein und sei es auch nur. um dem Grasen Eoda Gelegenheit zu geben, sich mit Fräulein Mimie allein beschäftigen zu können. Er sagte deshalb: Ich bedauere »»cndlich, so in Anspruch genommen zu sein, daß ich nicht bestimmt znsagen kann. Jedenfalls werde ich eS aber zu ermöglichen suchen. Bei dieser Aussicht seufzte Fränlein Mimie unwillkürlich auS ikrcr träumerischen Melancholie aus und lenkte dadurch die Aufmerksamkeit deS Iuslizratbs auf sich. Und Fräulein Minne? fragte er mit unverwüstlicher Liebenswürdigkeit. Das gnädige Fräulein scheint mir nickt besonder- aufgelegt zu sein. ES will niir fast sckeinen, als ob Sie mehr als sonst von irgend etwas occupirt sind. Ich will hoffen, daß Sie sich in wünschcnSwcrther Weise wohl befinden. Tas Kind ist allerdings nickt ganz wohl, erwiderte Frau Gehcimrätbin MariuS a» Stelle ihrer Tochter, als ob diese nickt im Stande wäre, sür sich selbst zu sprechen, allein ich hoffe dock. cH wird Nickis sein. Doctor Flinder sagte auch, daß es keine Gefahr habe. Eine kleine Nervcnabspannunz — Sie wissen, das gebt von selbst wieder vorüber. Iustizratb Markwaldt lackte in einer ganz sonderbaren, verschmitzten Weise und sagte: Ob, man kennt das ja! Es ist aber immerhin merkwürdig,
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