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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920718022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892071802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892071802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-18
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Die „Germania" ist zur Heer ruferin deS Antisemitismus geworden, und wie es am Nicder- rhein die kleinen ultramontanen Blätter getrieben haben, lehrt folgende Ausführung der „Erefelder Zeitung": „Die Trümmer des Buschhoff'scheu Hause» sind nicht allein das Wahrzeichen der Volksvergistung, in die Herzen so Vieler ist der Heim des Hasse- und des Mißtrauens gelegt worden, und wer die Stimmung in weiten Kreisen der niederrheinischen Bevölkerung in der letzten Zeit studirt hat. der wird bekennen müssen, daß Tausende auch jetzt noch der festen Ueberzeugung sind: „Ter Jude bat es ge- than." Die größte Schuld an dieser bedauernswerthen Stimmung trifit unstreitig die niederrheinische ultramontane Presse. Wir haben sie bis zum kleinsten Wochenblätlchen hinunter im letzte» Jahre aufmerksam verfolgt und können nach deren Leistungen in der Busch. Hoffschen Angelegenheit die Tiefe der Erregung und de» Fanatis mus nur zu gut begreifen. Ls würde zu weit führen, wollte» wir nur einen kleinen Theil von dem ansühren, was diese „für Wahrheit. Freiheit und Recht" kämpfenden Blätter und Blättchen während des Processe» und noch mehr vorder verschuldet haben. Nur ein drastisches Beispiel von Gesinnungstüchtigkeit und Wahrheitsliebe, das uns von der allercompetentesten Seite mitgetheilt worden ist, sei hier an- geführt. Der Erste Staatsanwalt Baumgard hat, gleich nachdem das Gutachten der medicinischen Sachverständigen seststand, wonach da» bet der Leiche gefundene Blut vollständig der Blutinasse ent- spricht, die ein Kind in dem Alter von 5'/.. Jahren nur verlieren konnte, um die tn hohem Maße aufgeregten Gemülher zu beruhigen, diese Thatsachen dem „jantenerBoten" tCapIan Bresscr) zur Veröffentlichung mitgetheilt. Die Redaktion hat es aber für gut befunden, aus diesem authentischen Berichte all da» Wesentliche, was zur Beruhigung der Bevölkerung beitragen konnte, zu streichen, dagegen die bekannten „Gutachten" deS „Schwätzer»" Junkermann u. A., die die Thatsache eines SchächtschnitteS als unzweifelhaft erwiesen erachteten, zur -„Beruhigung" der Bevölkerung zu veröffentliche». Wenn nickt blinder Haß und religiöser Fanatismus zu dieser Handlungsweise geführt haben, welche Motive sollen e» denn sonst gewesen sein? Wir haben schon häufig Gelegenheit gehabt, dt« Art der Volks- belehrung und Volkraufklärung, die tn diesen Caplanblättchen all- wöchentlich einem naiven Leserkreise eingeträuselt wird, mit ihren bösen Folgen zu schildern. So gefährlich, wie in den letzten zwöls Monaten, ist jedoch diese Presse nie gewesen. Sic hat seit ihrem Bestehen — sie lebt ja meist erst seit zwei Jahrzehnten — den Un- srieden in der Bevölkerung mit allen Mitteln genährt, den religiösen Zwiespalt erweitert und „Rassenhaß und Clasjenhaß und Massenhaß" groß gezogen." Der Grund dieser ausfälligen Wandlung ist allerdings leicht zu erkennen, wenn man sich erinnert, daß der ultra montanen Parteileitung vor Allem daran liegt, die Jesuiten wieder in da« Reich zurückzufübrcn, die öffentliche Aufmerk samkeit von den berüchtigten Lehren der „frommen Väter" abzulenken und einen Theil der protestantischen Bevölkerung zn der Meinung zu verleiten, sie hätten von den Jesuiten nicht nur nichts zu besorgen, sondern auch Gutes zu er warten. Anfänglich suchte man den Protestanten einzureden, die Jesuiten würden die besten Mitkämpfer gegen die Socialdemokratir sein; da das nicht zog, warf man sich den Antisemiten in die Arme, um diese glauben zu macken, sie würden an den Jesuiten ebenso gute Verbündete finden, wie an der ultramontanen Presse. Diese bat denn auch bereits den großen Erfolg zu verzeichnen, daß alle Welt vom Talmud redet, von dem die wenigsten Juden mehr wissen, als andere »Leute, und daß kein Mensch mehr von den berüchtigten jesuitischen Schriften mit ihrer ver giftenden Moral spricht. Schießt diese jesuitische Saat noch mehr in« Kraut, so erleben wir es sicherlich, daß für die Aufhebung deS Jesuitengesetzes nicht nur die eigentlichen antisemitischen Abgeordneten, sondern auch noch ein nam hafter Theil der antisemitisch angehauchten Conservativen emtritt. Hält dann nicht die Reichsregierung trotz der Will- ährigkeit des Herrn Reichskanzler« gegen den UltramonlanismuS an ihrem früheren Standpuncte fest, so fällt das Jesuilen- gesetz und die „frommen Väter Jesu", deren Orden zur Bekämpfung des Protestantismus gegründet ist und kein Mittel zur Erreichung seiner Zwecke scheut, zieben, von den Antisemiten geführt und bejubelt, wieder i» die deutschen Lande ein. Freilich wird es daun nicht lange dauern, bis inan inne wird, was man gethan, und bis man am Leibe deS Protestantismus spürt, welches die schlimmeren Feinde pro testantischen Lebens und Glauben», die schlimmeren und ge fährlicheren Gegner der christlichen Moral sind. Die Langsamkeit des Vorgehens Frankreichs in Dahomey ist von der öffentlichen Meinung de- Landes und zwar auch von der dem Cabiuet wohlwollenden Presse wieder holt getadelt worden. Man hatte ein rascheres, kräftigeres und entschiedeneres Auftreten gewünscht und empfindet eS un angenehm, daß ein so uncbenbürtiger Gegner wie Bebanzin den Franzosen so lange zu schaffen giebt. Z»m Theil, meint man, dürfte hierzu auch eine gewisse Zwie spältigkeit innerhalb der Leitung der französischen Action felbst beigetragcn haben. Der Sturz des bisherigen Marineministers Herrn Cavaignac war eine Folge dieser allgemein verbreiteten Auffassung. Zum Wortführer der letzteren hatte sich der Deputirte E Ismen ec au gemacht, und er war cs, der Herrn Eavaignac auS dem Sattel gehoben bat. Allerdings hat Herr Eavaignac mit schwer begreiflicher Zähigkeit an seinem Standpuncte fcstgehalten. Obgleich er die Ueberzeugung gewinnen mußte, daß die Mehrbeit der Kammer in Ucberelnstimmung mit der öffentliche» Meinung ein einheitliches Eommando für die Action in Dahomev ver langt, das heißt, daß der Oberbefehl über die Land- und Scetruppen einem Manne anvertrant werde, weigerte sich Herr Eavaignac, den Verzicht des Marine-Mini steriums auf da« Eommando bezüglich einiger Schiffe, und wäre e« auch nur für kurze Zeit, zuzugestehen. Während der letzten Eampagne in Dahomey ereignete es sich aber, daß der Befehlshaber eines französischen Schiffes, der von dem Eommando der Landtruvpen um Unterstützung angegangen wurde, dieselbe mit Berufung aus einen Befehl verweigerte, welcher ihm eine Intervention zu Lande unter sagte. Allerdings war überdies der betreffende Eommandant der Ansicht, daß die Landtruppen sich nicht in Gefahr be fänden, somit auch keines Beistandes bedürften. Die öffent liche Meinung will nun durchaus nicht, daß ähnliche Vor kommnisse sich wiederholen, und verlangt, daß dem Evin- mandantcn der Eampagne gegen Behanzin im Hinblick auf die Möglichkeit, daß er einer Unterstützung durch Marinetruppcn bedürfen sollte, das VersügungSrecht über dieselben für die Dauer des Feldzuges eingeräumt werde. Der neue Marineminister Herr Burdeau hat, indem er die von der Kammer beschlossene Tagesordnung annahm, die Einheit im Eommando der französischen Streit- kräfte hergeslellt. Inzwischen erscheint es auch dringend noth- wendig, daß Frankreich siä> zu kräftigerem Vorgehen empor rafft, denn folgende, heute eingelaufeue telegraphische Meldung klingt nicht bejonderS tröstlich: Pari». 17. Juli. Oberst Dodds, Eommandant der fran- zösischen Slreitkräjte in Dahomey, telegraphirte dringend um Ver- stärkung, weil die Trupven des Königs Bebanzin Portonovo de- drohen. Der Ministerrath beschloß die Verstärkung des Corps um 3000 Mann. In England wird gegenwärtig die Frage lebhaft erörtert, was Lord Salisbury angesichts deS gegen ibn ausge fallenen Wahrspruches deS Landes thun werte. Die Ansicht ist überwiegend, daß er so lange im Amte bleiben wird, bis er wirklich im Unterhause eine Niederlage erlitten hat. Ein vertrauter Freund des Premierministers, Sir Algemon Borthwick, hat diese Absicht schon in einer Rede ange deutet. Zu seiner Rechtfertigung kann Lord Salisbury ansühren, Laß er aus den Wahlen als Führer der stärksten Partei bervorgcgangen ist, daß cS nicht seine Sacke ist. ob und wie viele irische Homeruler zur Glad- stone'schen Partei gehören, und daß er deshalb den Laus der Dinge im Unterbause abwarten muß. Allgemein glaubt man, daß Lord Salisbury tem neuen Parlament gegenübertreten und ein Tadelsvotum abwarten wird. Auch die „Times" räth Lord Salisbury, nickt freiwillig abzudanken. „Natürlich wird es in der Macht Gladstone's liegen, wenn er sich aus seine irischen Verbündeten verlassen kan», die Negierung durch ein Amendement zur Adresse zu stürzen, dabei aber hat er seine Stellung genau zu bezeichnen." Konstantinopeler Blätter bestätigen die Nachricht, daß der Papst für sämmtliche asiatische und auf der Balkanhalbinsel wohnende Katholiken den besonderen Posten eines „General- Patriarchen" in Konftantinopel errichtet hat. Die Veranlassung hierzu soll von der Pforte auSgcgangcn sein, welche darauf bestand, daß die türkische Negierung bezüglich der Besetzung erledigter Bischofssitze unmittelbar »nt der Eurie. unter Ausschluß jeder fremden Einmischung, sich verständigen soll. Der Papst ertbciltc hierzu nicht nur seine Zustimmung, fondcrn er verfügte auch, daß fämmt- liche die katholische Kirche in der europäischen und asiatischen Türkei betreffenden Angelegenheiten der Leitung des armenischen Patriarchen Azarian, eines Günstling« des Sultans, der den Titel eine« „General-Patriarchen" führen wird, unterstellt werden sollen. Diese Maßregel bat nicht nur deshalb eine große Bedeutung, daß sie den Orient vom Einflüsse der europäischen lateinischen Ecutrcn befreit, sondern namentlich auch deshalb, weil damit Oesterreich bezüglich der Angelegenheiten der katholischen Kirche in der Türkei, aus welche eS bisher einen wesentlichen, ja sogar entscheidenden Einfluß ausübte, vollständig beseitigt wird. Das Letztere behauptet die russische „Nowo)e Wremja". Wenn die hier erwähnten Versuche der Curie, eine katholisch geistliche Ecntralstelle für den Orient zu schasse», in Wahr heit unternommen worden sind, so bat diese Maßnahme allerdings zweifellos weit mehr politische, als kirchliche Be deutung. Sie wäre auf die Absicht zurückzusühren, dem Dreibund im Orient durch Eliminirung der zahlreichen Kirchcn-PatronatSrcchte Oesterreich UgarnS und den allerdings nicht gleich zahlreichen Patronatsrechlcn Italiens entgegeu- zu wirken. Nur darf bezweifelt werden, ob die freilich nicht zahlreichen lateinischen Katholiken in der Türkei sich in diejclbc kirchliche Gemeinschaft mit deck Anhängern des armenischen Ritus bringen lassen werden. Der zwischen Mitgliedern der türkischen Gesandt schaft in Athen und einigen Officieren der dortigen Garnison entstandene Eonflict scheint eine größere Tragweite anznnchmen, da nicht bloS der türkische Bot- schaflssecretair Aziz Bey, sondern auch der Gesandte Ghalib Bey selbst abberufcn worden ist. lieber die Ursache und den Verlauf deS EonflictcS verlautet auS sicherer Ouellc Folgendes: Letzten Freitag erschienen die Zeugen des Eavallcrie- Licntenants Pirrakos und des Artillerie-Majors ArgyropuloS sowohl bei Alfred Bey wie Aziz Bey und bestanden auf Aus tragung der Differenz mit den Waffen. Obwohl der Gesandte Ghalib den beiden ihm unterstehenden Herren verboten hatte, sich zu schlagen, und seitens der Regierung Maßregeln ge troffen worden waren, die Heiden Osficicre eventuell gewalt sam von dem beabsichtigten Zweikampfe abznhalten, gelang es doch sowohl Alfred Bey wie dem Lieutenant PirrakvS, der Ueberwachung zu entschlüvfen und mit ihren Zeugen am Morgen des Sonnabends außerhalb derStadl zusammenzutreffen. Das Duell, welches auf Pistolen bei 20 Schritt Distanz und einmaligem Kugelwechsel festgesetzt wurde, endete mit der leben« gefährlichen Verletzung tcö Osficiers, welcher einen Schuß in die rechte Brust erhielt. Noch am selben Tage sollte ein neuer Zweikampf Alfred Bey's mit Major ArgyropuloS stattfinden; ersterer reiste jedoch, jedenfalls auf höheren Auftrag, am Nachmittage nach Konftantinopel ab und hintcrließ ein Schreiben, mil welchem er sich dem Major an jedem diesem beliebigen Orte außerhalb Griechenland- zur Verfügung stellte. Die traurige Entwickelung der ursprünglich so geringfügigen Affaire hat allseits großen Eindruck gemacht. In allen Kreisen herrscht die Ueberzeugung, daß die Dinge einzig durch die auf Seite der griechischen Herren vorhandene Voreingenommenheit auf die Spitze getrieben wurden, da cS sich im Grunde nur um einen gereizten Wortwechsel obne ausgesprochene beleidigende AuS- drücke bandelte und überdies die beiden türkischen Diplomaten, namentlich Aziz Bey, die anerkenncnswertheste Versöhnlichkeit an den Tag legten. Die Zeugen ihrer Gegner lehnten aber von vorhercin >ede friedliche Austragung ab. WaS nun die ursprüngliche Ursache des Eonflictes anbelangt, muß aller dings constatirt werden, daß nach der Ansicht der diplo matischen Kreise in Athen die türkischen Herren die bei ihrer exponirtcn Stellung gebotenen Rücksichten nicht beobachtet haben. Deutsches Reich. 6. II. Vorlin, 17. Juli. Die Art und Weise, wie sich die Unabhängigen und Fraktionellen in der Socialdemo kratie bekämpfen, wird immer leidenschaftlicher; der ehemalige NcichStagScandidat für Berlin H, Herr Auerbach, hat jetzt an Len Abg. W. Liebknecht einen offenen Brief gerichtet, der mit den Worten schließt: „Entweder Sie sind nicht mehr in der Lage, im vollen Besitz Ihrer geistigen Kräfte über Dinge und Personen zu urtbeilen, und dann, so be dauerlich dies Factum wäre, verbietet sich jede DiScussion von selbst — oder dies ist nicht der Fall: dann sind Sie ein abgehärteter, systematischer , vor dem öffentlich gewarnt werden muß." Die Unab hängigen batten für heute, Sonntag, eine Versammlung ein- berufen, in der über den Vortrag von Liebknecht über CominunisinuS, SocialiSmnS und Anarchismus verhandelt werde» sollte. Dieser Bortrag hat die Wuth der Unab hängigen und Anarchisten gegen die Fractionellen zur hellsten Flamme angefacht und der Tag dürfte wirklich nicht mehr fern sein, an dem die feindlichen Brüder handgemein werden; in den letzten Versammlungen war r« beinahe so weit. Herr Liebknecht hat schon gestern «rNären lassen, daß er der an ihn ergangenen Einladung der Un abhängigen zu der Versammlung nicht Folge leisten werde, und auch die fractionellen „Genossen" sind von dem Vertrauensmann ans das Dringendste ersucht worden, der Versammlung fern zu bleiben. Mögen die Führer der Fraction noch so sehr die Köpfe in den Sand stecken, sie kommen über die Tbatsache doch nicht hinweg, daß die unab hängigen Schaaren immer mehr und mehr wachsen, nicht nur in Berlin, sondern auch in den Provinzen, und daß die Fractionellen immer mehr der Gefahr entgeaen- gchen, in ihren Versammlungen von den Unabhängigen über rumpelt und niedergeschrien zu werden: denn an Rührig keit sind die Auerbach, Werner. Schweitzer den „ge sättigten Existenzen" weit über. * Berlin, 17. Juli. Der berühmte Döllinaer hielt am 25. Juli 188l in der Münchener Akademie eine Rede, in der er u. A. sagte: „Das Schicksal des jüdischen Volkes ist vielleicht das erschütterndste Drama der Weltgeschichte". In dieser Rede entwirft der große Gelehrte in kurzen Strichen ein Bild der Verfolgungen und Qualen, denen das jüdische Vclk anderthalb Jahrtausende hindurch ansgesetzt war. „Haß und Abscheu", beißt es in diesem Bortrage, an den die „München. N Nachr." zu gelegener Stunde erinnern, „wurden gegen sie gesät und Massenmord geerntet"; dann heißt eS weiter: „Gewöhnt an die Vorstellung, daß jeder Jude der geborene Feind und Schuldiger der Christen sei, hielten dir Völker ln einer Zeit, di« ohnehin mit Vorliebe, ja mit Begier, das Feuillets»». Der Letzte feines Stammes. iss Licht- und Schattenbilder von Woldemar Urban. Nachdruck verb«t»n. (Fortsetzung.) Urava, bravissimo, mein lieber Herr Schwiegersohn! Daö muß ich sagen, Sie wissen eine Burg mit Sturm zu nehmen! So ist'S Recht; Gott segne Euch, Kinder! Morgen ist große Verlobungsfeier j die Stadt soll e« wissen, wenn der Geheim- ratb Mariu« semc einzige Tochter verlobt. Graf Coda tbat sehr überrascht und verlegen, und Fräulein Mimie war eS wirklich. Was? Wie eS schien, war sie ver lobt, ehe sie recht wußte, wieso? Ging denn das wirklich so rasch? Gleich hinter seiner Frau trat der Geheimrath eben falls ins Zimmer; Mimie wurde über und über roth, machte sich von ibrem Verlobten loS und fluchtete in die Arme ihrer Mutter. Die Thränen standen ihr in den Augen, — in den bübschen, großen, ruhigen Kinderaugen, die sie zeht am Busen ibrer Mutter verbarg. Gieb Dick nur zufrieden, Mimie, taS ist nicht ander-! sagte ihre Mutter lächelnd, während sich der Graf und der Geheimrath wieder mit ziemlicher Energie umarmten. Die Unikebr vom Siedepunct der GemüthSerregung zur ruhigen Frlibstücksstimmung war für Herrn Graf Alelmar ein gewiß schwierige« Unternehmen, aber auch das gelang ibm m wunderbarer Weise. Er lief sortwäbrend von Einem zum Andern, küßte bald seiner Braut die Stirn, bald seiner Schwiegermama die Fingerspitzen, und bald umarmte er den Herrn Gebeimratb. bi« endlich nach und nach eine ruhigere Stimmung Platz griff, in der sich die vier Personen zum Frühstückslisch niedersetzlen und zwar der Geheimrath mit gutem Appetit, die Frau Geheimräthin mil unendlich ge schmeichelter Eigenliebe, Graf Adelmar mit der gebobenen Stimmung der Freiheit und Schuldenlosigkeit und Fräulein Mimie endlich noch immer mit der Melodie im Kopfe: „Sie sagen. «< wöre di« Liebe!" Wie all« pikanten Neuigkeiten, so verbreitet« sich auch di« Nachricht von der Verlobung der einzigen Tochter des Millionen-Marius mit dem Grafen Adelmar Coda mit einer explosiven Geschwindigkeit. Noch an dem gleichen Tage war Justizratb Markwaldt mit einer fast beängstigenden Betrieb samkeit bemübt, die Thatsache „festzunageln" — als ob er gefürchtet bältc, sie könnte sich wieder in ein Nichts anflösen. Am nächsten Tage stand sie schon im Berliner Tageblatt, in der Norddeutschen und in der Kreuzzeitnng und war damit „urdl et oibi" zur Kenntmß gebracht. Tie Verlobungsseier felbst wurde von« Gekeimrath mit einem gewissen demon strativen Geräusch in Scene gesetzt, alle Welt erhielt Ein ladungen. und die Salons ves Marius'scben Hauses batten noch nie eine so drückende Fülle heiterer, lustiger und lachender Gesichter gesehen, als an diesem Tage. Die Brautleute batten selbstverständlich eine harte Ausgabe. Es war eine wahre Tortur, alle diese sogenannten Glückwünsche, die offenen Liebens- würdigkeilen und die versteckten, aber gut gemeinten Malicen in Empfang zu nehmen und mit den üblichen Phrasen zu qnittiren. Nun, das hat man ja kommcn sehen, meine Liebe! Sic sind nickt gemacht, Ihre Hangende und bangende Pein zu verbergen, oder: Nein, wer hätte bas gedacht! Sie kleine perfccte Heuch lerin! und Aelmlichcö musste Fräulein Mimik Wohl hundert und mehrere Male anhören, mehr oder weniger von schalk haften, neckischen Mienen begleitet. Mit ibrer angeborenen ruhigen Grazie hörte Fräulein Mimie all' das Geschwätz an, mir ihren großen, unschuldigen Kinderaugen und ibrem spiegelreinen Gewissen hörte sie, bald daß sie eine ertappte Heuchlerin sei, bald Laß sie durchaus nicht im Stande sei, zu heucheln. Sie war ja an dem ganzen Vorgang wirklich so unschuldig — so strafbar un schuldig! Manchmal, wenn sie einen Lichtblick in ibrer dämmernden Existenz batte, kam sie sich vor wie eine Tbealer- coulisse, während die Millionen ihre« Vater- die Handlung — eine wüste Burleske — auf der Bühne darstellten. Man gab sich alle Mühe, ibr da» zu verbergen, und wenn man mit ihr selbst sprach, Halle man Anstand genug, sie persönlich davon Nichts merken zu lassen. Aber gewisse Vorgänge ließen sic e» manchmal doch merken, und dann wollte c» ihr scheinen, als ob gewisse Sachen sie eigentlich krLnken müßten. Indessen waren da-, wie gesagt, nur Lichtbliye, die wieder verschwanden, um sie in dem vorherigen Dunkel, in der traumbasten, unselbstständigen Existenz zurückzulassen. Was lätte sie denn auch lbun können? Sie hätte ja eine wahre Revolution in der Gesellschaft hervorbringen müssen, und dazu — war sie zu gut erlogen. So schluinmerte sie also weiter, und wenn ja einmal ein ängstlicher Gedanke, eine revolntionaire Idee in ihr aujtauchle, schlummerte sie bald wieder ein. Das Leben verlief ihr zu latt, zu selbstverständlich, zu convenlioncll, als daß eS sic älte aufrüttcln sollen. So etwa waren die Reflexe dieser Verlobung in Berlin selbst. Aber die Well wird bekanntlich immer mehr und mehr wie ein Filz! Eisenbahnen, Telegraphen, Zeitungen, Briefe, Postkarten geben ein Gewebe, zwischen dem die Menschen immer 'estcr hängen bleiben, und so erhielt nicht nur vie urds, sonder» auch der ordis Veranlassung, seine Glossen über die „Feierlichkeit" zu machen. In der Bia Sistina, nahe bei der spanischen Treppe in Nom — wo die Künstler wohnen, die 'erst welche werden wollen, wie die scharfen Zungen in Rom sagen — im vierten Stock, in dem er nicht nur „deS guten Lickles wegen" wohnte, saß Herr Walter Gernvt vor seiner Staffele! und malte. Er war nun schon fast ein halbes Jahr in Rom, und er hätte wirklich nicht gewußt, wie er seinen Unterhalt bätte erwerben sollen, wenn nicht die längst vollendete und abgc- sandte Copie mehr eingetragen hätte, als er geglaubt balle. Er lebte sebr eingezvgen und arbeitete sehr fleißig. Gernot schien einer von jenen Menschen zu sein, denen es außer ordentlich schwer fällt, im Leben eine goldene Miltelstraße einzuhalten. Hatte er erst gar nickt- gethan. so drohte er jetzt wieder in der Arbeit zu versinken, zwei Extreme, die beide nicht- taugen. Auch sein Gesicht batte sich etwa» ver ändert. Da» Träumerische, ewig Suchende, die „unauS- gegobrene Genialität" war aus seinen Zügen verschwunden und hatte einer resoluten Energie, einem kalten, resignirten Ernst Platz gemacht. Neben «bin, auf einem wackeligen dreibeinigen Holzschemmel saß eine ältere Dame, da» war die Krancher. Ein schmutziger Malkittcl hüllte ihre Arme und-den ganzen Körper ein, das Gesicht war mager, die Augen lebhaft, die Nase spitz und roth. Die Haare, die sie ganz kurz geschoren trug, waren zum größten Tbeil stark ergraut. Sie rauchte behäbig auS einer kurzen rolhen Thonpseife mit einem Stiel am gebogenen Rohr — wie sie die Straßenarbeiter in Unter-Italien all gemein gebrauchen — und spuckte hin und wieder mit einer gewissen Weltveracktiinz aus. Sie sah dem College« Gernot bei seiner Arbeit zu. Die Italiener nannten sie mit ihrer verstandnißlosen corruptcn AuSspracke deutscher Naine» In «ignora Kranket', woraus dann die etwas ungalauten und inconventioncllen deutschen Maler in Rom — die kranke Signora machten, was aber die Krancher, wenn sic es hörte, außerordentlich erboste, weil sie glaubte, daß mit dieser Bezeichnung auf gewisse Eigen- tbiiinlichkeilen angespielt werden sollte, die man im gewöhn lichen Leben mit dem Ausdruck „übergescknappt" bezeichnet. Die Krancher war etwa 50 Jahre alt und wollte an geblich nicht beiratben. Scben Sit. mein lieber Gernot, da« läßt sich hören? Man sieht dem Ding jetzt wenigstens anständige Farbengebung und Composilion an. Ist da« nicht besser, Sie malen ein gescheides Bild, als daß Sie sich grämen und härmen, weil Ihnen ein einfältiges Gänschen Ihre Briefe nicht beantwortet? Lassen Sie sich nicht wieder die dummen deutschen Senti- mentalitätsnincken einfallen und ich garantier Ihnen, daß Ihre Virginia ein Schlag wird! Wäre auch nöthig, meine liebe Krancher. Sie wissen, Mangel an norvus rvrum macht sehr kühl und vernünftig. Das ist ja die Gemeinheit in der Welt, daß ein Künstler auch essen muß. Lange Pause. Gernot malte aufmerksam weiter und die Krancher guckte rauchend zu. Plötzlich sagte sie wieder heftig: Unsinn, Gernot, Gott dewabre! Lassen Sie den dummen gelben Ton weg, der verdirbt Ihnen ja den ganzen Ausdruck. Ueberhaupt ist gerate dieser Kops die schlechtest« Leistung, di« Achillesferse auf dem Bilde. So siebt kein Vater au«, der seine Tochter todtsticht; da- ist überhaupt kein Nömerkopf, da« ist rin deutscher Bierbrauer oder Metzgermeisterl (Fortsetzung folgt.)
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