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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920722025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892072202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892072202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-22
- Monat1892-07
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Tabellarischer und Zisserasatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit kl» Morgen-Ausgabe. ohne PostbesördeNlNg SO.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschlnß für Znserate: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags Illhr- Sonn- und Festtags früh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eilt« halbe Stunde früher. A> ^rate sind stet- an die GxtzetzittdN zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in LelDlg. ^reit^ den 22. Juli 1892. 88. Jahrgang Politische Tagesschou. ' Leipzig, 22. Juli. Die verflossene Reichstagssession bat mehrere größere BundeSrathSvorlagen hinterlassen, ohne daß darüber auch nur eine erste Berathung statt- gesunden hätte, ein in der parlamentarischen Geschickte seltenes Ereigniß. Es befanden sich darunter die Gesetzent würfe über den Berrath militairischer Geheimnisse, über denEbeckverkehr, über Bekämpfung der Trunk sucht, über Maßregeln gegen die Unsittlichkcit. Diese Gesetzentwürfe sollen dem Reichstag in der nächsten Session aufs Neue zugchen; insbesondere legt die Militairverwaltung auf die erstgenannte Vorlage großen Werth. Auch der in der vorigen Session »och zurückgehaltenc Gesetzentwurf über Einführung einer Einheitszeit ist in nächster Zeit bestimmt zu erwarten. Der gegenwärtige Zustand einer in ganz benachbarten Ländern verschieden artigen Zeitberechnung nach dem Einbeitö- oder dem örtlichen Maßstab führt, zumal in Süddeutschland, zu immer unleid licheren Verhältnissen. In ihrer ersten Besprechung des rcactionairen, die innigste Verbindung mit dem Eentrum in sich begreifenden Pro gramm-Entwurfs der „Kreuzzeilung" hat die „Nordd. Allg. Ztg", wie wir bereits erwähnten, die darin verlangte Äeiseiteschiebung deS nationalen Gedankens voll ständig gut gedeihen. Die „Nordd. Allg. Ztg." findet in der nationalen Gesinnung „eine Gefahr der Irreleitung in der Auffassung der Sittlichkeit", sie spricht von der „nationalen Phrase", die „innere Auflehnung gegen göttliche Ordnung" decken sollte. Wenn man nicht schon wüßte, daß das Blatt dem Grafen Caprivi wie seinem Vorgänger Weißes Papier zur Verfügung stellt, so würden diese Wendungen die That- sache bezeugen. Sie decken sich vollkommen mit den Reden deS Reichskanzlers in der Schulgesetzdebatte und seiner geringschätzigen Besprechung der Errungenschaften von 1888 >m Reichstage. Die Regierung ist also völlig einverstanden mit den Grundsätzen, nach denen dem Wunsche der „Kreuz- zritung" zufolge eine couscrvativ-clericale Politik gemacht werden soll. Neueren Auslastungen der „Nordd. Allgem. Zeitung" nach zu schließen sehen aber die leitenden Männer die von der „Kreuzzeitung" ehrlich vorgeschlagene Aufnahme ihrer kraßrcactionairen Ideale in das con- servative Parteiprogramm nicht gern. Man befürchtet von der ProgrammLnderung ein Abstoßen der gemäßigten Elemente und erwägt mit Recht, baß eS genüge, wenn die von den Extremen geleitete conservative Parte, im rcactionairen Sinne Thaten verrichte, und Laß ebensolche Worte im Programm eher schaden könnten. Deshalb hält die „Nordd. Allg. Ztg." die Programm-Annahme für überflüssig. Sehr viel anders sind die Gründe beschaffen, welche die sreiconservative „Post" zu einer abermaligen scharfen Berurtheilung der Programmsorderungen der „Kreuzzeitung" bewegen. DaS Blatt deutet ebenfalls die Verwandtschaft dieser For derungen mit den vom RegierungStiscke bei der Schulgesetz debatte gefallenen Aeußerungen über „Atheismus", „Scheidung der Geister" u. s. w. an und erklärt schließlich, daß Conser vative, welche den Programmstandpunct der Kreuzzeilung" theilen, nicht auf die Unterstützung der Freiconscrvatwen bei den preußischen Landtagswahlen werden rechnen dürfen. Mit dieser Stellungnahme bleibt die freiconscrative Partei ihrer Vergangenheit treu. Vom Parteistandpunct aus könnte ihr eine Spaltung der Conservative» nur willkommen sein, denn die gemäßigten Elemente würden früher oder später ihr zufallen. Das allgemeine Interesse läßt aber allerdings eine Bindung der Extremen in einer großen conservaliven Partei wünschcnSwcrth erscheinen. Zur Zeit ist freilich das Umge kehrte der Fall. Als hochpolitisches Ercigniß meldet der Telegraph, daß der Berliner Ionrnalisten-Verein Herrn Glad- stone wegen des Sieges der liberalen Partei in England beglückwünsast bade. Scbr erbaut wird Herr Gladstone von diesem Glückwünsche nicht sein, denn er fühlt sich gar nicht recht als Sieger, wie aus einem Briefe hcrvor- gekt, den er am >9. d. an de» Londoner Berichterstatter der -Boss. Ztg." auf dessen Frage »ach der auswärtigen Politik der künftigen liberale» Negierung gerichtet hat und der in deutscher Uebersctzung lautet: „Weither Herr! Ich batte die Ehre, Ihre» Brief zu erhalte». Vorläufig können wir nur annehinen, dc.ß die Negierung die Wahlen nicht als grundlegend für eine» schnellen Wechsel anerkennt, und es wäre daher voreilig, die Politik einer Regierung, welche noch nicht b. steht, oder von Personen zn erörtern, welche nicht mit anillicher Kenntniß ausgestaltet sind. Ihr Diener Gladstone." Trotz seines Mangels an Siegesbewußlscin ist übrigens Gladstone eifrigst mit den Vorarbeiten der Cabinetsbildung beschäftigt. Einzelne Minister-Fauteuils werde» in politischen Kreisen jetzt schon mit ziemlicher Bestimmtheit vergeben: so das Auswärtige an Lord Nosebery, das Innere an Sir William Harconrt, das irische Ober-Secretariat an Mortey, das Schatzkanzler Amt an Fowlcr, das Lorkkanzler-Amt an Herscholl, die Gcneral-Pvstmeisterstetlc an Labouchere. So bald Gladstone die Negierung übernimmt, muß er sich natürlich in seinem Wahlkreise Midlothia» einer Neuwahl unterziehen. Bekanntlich hak er daselbst am l2. d. M. einen starken Schwund seiner früher so glänzenden Majorität er lebt und nur 890 Stimmen mcbr, als sein konservativer Gegner, Oberst Waucbope, erhalte». Der Genannte wird sich seinem mächtigen Gegner zum zweiten Mate zu», Wabl- kanipfe stelle». Unter den Minister-Candidateu, die im Falle ihrer Berufung einen neuen Wahlgang auSzufechtcn haben, dürfte Mortey in Newcastle, der ohnehin ebenfalls mit stark verminderter Majorität Sieger geblieben, den schwersten Stand baden. Der ncugewählte Arbeiterführer Keir Hardie bat nämlich dieser Tage ans einer Versammlung der unab hängigen Arbeiterpartei in Newcastle seine Gesinnungsgenossen ausgefordert, im Falle einer Neuwahl Alles zur Hcrdei- fübrung einer Niederlage Morley'S aufzubieten. Diese Kriegs erklärung zeigt, was Gladstone und seine Freunde von den Arbeitern zu erwarten haben. Auf Grund des Ausfalls der englischen Wablen macken die Franzosen bereits Zukunstsplane. Die offieiöse Pariser Presse begrüßt den Sieg Gladstoiie's als eine Schwächung deS Dreibundes. Nicht nur, daß die gegenwärtig bestehenden guten Beziehungen zwischen England und Deutschland zum Mindesten erkalte» würden, sondern cS stehe hauptsächlich für Italien ein schwerer Schlag bevor, indem es deS englischen Flottenschutzes verlustig gebe unb daber darauf denken müsse, sich wieder mehr an Frankreich auzuschlicßen. Auch der egyplische Traum nimmt mit einem Male rosige Färbung an, und die Franzosen sehen bereits die Alleinherrschaft Englands in Egypten vernichtet. Auch das Verhalten des EmirS von Afghanistan gegen den Vicekönig von Indien macht ihnen Freude, unb sie hoffe», er werbe unter der Negierung Gladstoiie's sich von England nicht mehr soviel gefallen lassen ai« bisher. Eigent lich keine besondere Schmeichelei gegen den „großen alle» Mann"; überdies ist der Emir etwas weniger voreilig als die Franzosen in der Bcurtbeilung der kommende» Dinge und hat sich, den »niesten anö Indien ciiitrcssendeu Meldungen zufolge, dein» Vicekönig halb und halb wegen seiner Kämpfe gegen den aufständischen Khan cntschnltigt. Bis der Emir den Engländern absagt und sich in Rußlands Arme wirft, wird es noch weite Wege baben, und Gladstone wäre wahr scheinlich sehr angenehm berührt, wenn seine Negierung so lange währen würde, bis jenes Ercigniß sich vollzieht. Das Eine ist möglich, daß sich allmälig eine versöhnliche Stimmung zwischen Italien und Frankreich hcranSbiltet, waS übrigens den Dreibund nicht im Mindesten berühren, wobl aber Italien wirth- sckaftlich so kräftige» würde, daß gerade der Dreibund hieraus Vortbcile ziehen müßte. Eine derartige „Detente" hat aber weder mit dem Cadiuet Salisbury, noch mit einem Cabinct Gladstone etwas zu tbun, sondern ist eine reine Familicn- augclegcnbeit der beide» ,,Sctnvcslcr"-Natione». Einstweilen begrüßt die italienische Presse mit Gcnngthnung den an- gclüudigteii Besuch dcü französischen Geschwaders in Genua. Die „Tribuna" schreibt, dies Ereigniß werde die gegenseitigen Mißverständnisse vollends zerstreuen; der begeisterte Empfang, den die französische Flotte in Genua finden werde, müsse Frankreich von der loyalen Freundschaft Italiens über zeugen. Das in Sofia in dem Proceß Beltschew gefällte Urtheil wird von den französischen Blättern, wie zu erwarten war, in russischem Sinne besprochen. Noch ist den Verurtheiltcn kein Haar gekrümmt, und schon erheben diese Blätter ein großes Geschrei über „bulgarische Metzeleien". Man meldet darüber der „Voss. Ztg." aus Paris: „Die Pariser Blätter besprechen das Sofiaer Urtheil natürlich in russische», Sinne So sagt das „Journal des TSbatS": Glaubt Slambuioiv wirklich, durch derartige Metzeleien seine Gewalt zu sichern? Seil er sich der Diktatur bemächtigt hat, hält er sich nur durch Unterdrückung. Tic natürliche Trägheit des Bulgarcnvolkes verhindert allein einen allgemeine» Ausbruch gegen ihn, aber der kräftige und lebende Theil der Nation widersteht ihm trotz schänd- sicher Gkwaltthaien. Gr »öihigt Bulgarien eine Regierung aus, die ebenso sehr de» Vertrüge», wie den wirtlichen Wünschen des Bulgaren- volks zuwidertüust." Inzwischen fährt die Negierung in Sofia fort, durch Ver öffentlichung russischer Actenstücke die Orientpolitik des Zarenreiches in der empfindlichste» Weise bloßzustellen. Das Neueste, was die halbamtliche „Swoboda" uns bietet, sind acht Actenstücke, welche zu einem amtlichen Schriftwechsel der russischen Vertretung in Bukarest mit dem asiatische» Departement in St. Petersburg gehören. Die auS dem Herbst und Winter 1887 hcrrührenden Schriftstücke zeigen, ihre Echtheit vorausgesetzt, daß die russische Regierung gleich nach Ankunft des Fürsten Ferdinand im Lande bestrebt gewesen ist, jede Gelegenheit zu benutzen, um den Fürsten wieder aus Bul garien zu entfernen. DaS asiatische Departement fordert in diesen Actenstucken die russische Vertretung in Bukarest auf, jedes (!!) Unternehmen gegen den Fürsten, welcher als außer halb der Gesetze stehend angesehen werde, zu er- mutbigen, und giebt eine Direktive für Unterhandlungen mit Panitza, der bereits im Iabre 1887 seine Dienste anbot. Mit Hilse des slawischen ComitöS sei die Bande eines ge wissen Nabokow bewaffnet und deren Organisation von Nelidow geleitet worden. Für den Fall der Entfernung deS Fürsten ,rrrdi»and aus Bulgarien habe Rußland das bulgarische Heer verdoppeln wollen, indem in jede Compagnie zur Halste Russen eingereiht werde» sollten. Die bulgarische Svbranj: sollte nickt da« Recht baben, einen anderen Candidaten als den von dem russischen Commiffar vor- bezeicknelen für den bulgarischen Tbron zu wählen. DaS wünschenSwertheste Ziel sc, jedoch, daß Bulgarien von einem russischen Statthalter regiert werde, der seine Weisungen von dem russischen Kaiser erhalte. — Vorstehende Ent hüllungen bedürfen, zumal an der Echtheit der urkundlichen Belege kaum zu zweitel» ist, sckwerlich eines CommcntarS. Sie bezichtigen die russische Politik offen vor aller Welt der Aufreizung zum Morde eines fremden Staats oberhauptes! Man sollte meinen, daß schon ein Blick auf jene Stelle am Katharinencanal zu St. Petersburg, wo einst der Zar-Befreier im Blute lag, die Anwendung nihilistischer Kampfmittel hätte verbielen müssen, wenn dazu die Lebren der Moral und der rechtgläubigen Kirche nicht ausreichend waren. Die Antwort auf die furchtbare Anklage zu hören, sind wir gespannt. Zn dem bekannten „F i g a r o" - Artikel über ein russisch-französisches BUndniß, der bekanntlich bei der Petersburger „Nowosli" sympathische Aufnahme gefunden hat, ergreift nun auch der „Grashdanin" das Wort. In drei aufeinander folgenden Aufsätzen wird den Franzosen die Tactlosigkcit vorgehalten, von Rußland den Abschluß eines formellen Vertrages zu fordern, was den directen Interessen des Zarenreiches widerspräche. „DaS Pariser Blatt", fährt der „Grashdanin" fort, „giebt uns zu verstehen, daß l) Frankreich im Falle der Weigerung Rußlands sich nach anderen Bundesgenosse» Hinsehen werde, und 2) daß die Grundlage deS Abschlusses eines formellen Bündnisses in der Einwilligung Nußlandö zu der Wicdererobcrung Elsaß- Lothringens bestände." DaS Petersburger Hofblatt erklärt darauf, dem „Figaro" vorballen zu müssen, wie solches ledig lich den Interessen Frankreichs dienen würde. Rußland würde in einen Krieg mit Deutschland hincingezogen werden, ohne irgend einen Vorthcil davon zu habe». Rußland habe Frank reich 1875 einen große» Dienst geleistet und es vor einem neuen Kriege geschützt (?), Frankreich habe sich bis jetzt aber nicht erkenntlich gezeigt. In den Iabre» >854, 1863 und selbst noch 1889 bade Frankreich sich stets als Feind Rußlands er wiesen. DaS Alles dämpfe zwar nicht die nationalen Sympathien, es liefere aber den Beweis, daß Frankreich eine alte Schuld an Rußland abzntragen habe. Es sei daber lächerlich, wenn Frank reich immer neue Dienste von Rußland verlange, ohne selbst jemals die geringste Gegenleistung auf sich zu nehmen. Wenn man ferner die Kronstädtcr Flottenschau wirklich höher veranschlagen wolle, denn als ein Possenspiel, so sei es jeden falls eine Tactlosigkcit von Seiten Frankreichs gewesen, daß das Geschwader des Admirals Gervais sofort nach England gegangen sei, um auch dem alten Feinde Rußlands seine Verbeugung zu machen. In ihrer Selbstliebe übersäbcn die Franzosen drei Dinge: 1) Glauben sie, daß Alles in der Welt sich um sie drehe, und daß die europäischen Interessen unlöslich mit einer französische» Hegemonie Uber Europa ver- buuoen seien? 2) Ucbersctzen sie, daß Rußland in seiner eigen artigen Großmachtstclluiig gute Beziehungen sowohl mit Frank reich, als mir andere» Mächten »nierhallen müsse. Frankreich trage Verlange» nicht nur nach der Wiedererlangung Elsaß- LotbringenS, sonder» auch nach der Wiedererwerbung der Hegemonie über Europa; Rußland aber bedürfe vor Allem des Friedens. Frankreich trage Verlangen nach der Hilfe Rußlands, um seine Racke zu befriedigen, Rußland wünsche aber den Frieden aus innerer Notbwendigkeit. 3) Ueberscbe man, daß die Politik in Rußland nicht von Ministern, sondern vom Zaren selbst geleitet werde. Daher habe die Erkrankung GierS' und WyschnegradSki'S i» dieser Hinsicht nichts zu bedeuten. Früher sei eS allerdings anders gewesen, da sei Rußland fast deutsch geworden. Jetzt wolle der „Figaro" Rußland französisch machen, der Zar sorge aber dafür, daß Rußland russisch bleibe. Znm Schluß fragt der „Grashdanin", ob Frankreich dem Abschluß dcS Bündnisses auch nur einen Frank opfern würde, der allein russischen Interessen diene. Die Antwort laute „nein!" Daher würde der Abschluß cincS formellen Bündnisses lediglich Frankreich nützen, Rußland muffe sich die Freiheit der Entschließung nach wie vor bewahren. Der „Grashdanin" ist, woran bier erinnert werden mag, niemals ein Freund deS russisch-französischen Einvernehmens gewesen; Fsirilletsir. Der Letzte seines Stammes. 19) Licht» und Schattenbilder von Woldemar Urban. It-chdruL »erröten. (Fortsetzung.) Also das ist der Haken? Ausstattung bin und Ausstattung her, was kümmern mich denn solche Sachen! Der Hauptgrund der Verzögerung liegt im Mammon, im schnöden Mammon! ES paßt augenblicklich nicht — wir müssen warten. Dazu kommt nun noch die Grubenspeculation. Der Geheimratb sitzt momentan auf einem Berg Koblenactien fest. DaS Object war größer, als er und ich gemeint hatte. Wenn nun auch die MariuS'sche Bank einen unbegrenzten Credit genießt und der Gebeim- rath in Folge dessen über bedeutende fremde Capitalicn ver fügt, so erfordert doch die Vorsicht eine stramme Zusammen- haltung seiner Mittel. Nun, die Sache ist im Grunde genommen doch immer noch nicht schlimm! MariuS ist als ein kaltblütiger, kluger Geschäftsmann bekannt und wird die — wie sage man doch gleich im Börsenjargon, die — Versteifung mit Leichtigkeit überwinden. Du brauchst dcSbalb doch noch keine Grimassen zu machen, Coda, denn cS ist doch wahrhaftig nicht an- zunebmen, daß sich die blinkenden Millionen, ras neue leuchtende Morgcnrotb der Coda, wie ein Phantom vor Dir verflüchtigen unb zerfließen, wie eine bsta moiganL sich in Nicht- auflösen sollte. DaS ist denn dock unmöglich Und wa» Deine liebe Braut anbclangt, — ja, Du mußt sie trösten, Eodal Da» thue ich ja fast täglich! E« vergeht selten ein Tag, an dem ich mich nicht öffentlich mit ihr zeige. Kann sie, kann die Gesellschaft, kann irgend Jemand mehr von mir verlangen? Nein, ich glaube nicht. Es wird Jedermann die Sache in Ordnung finden. Und doch liegt eS auf mir wie ein Alr, wie ein schauer liche«, grausiges Verhängiiiß, das seine Lckatten vorauswirst «ud mich in Nacht und Ted ,u hüllen droht. Ich weiß nicht. WaS das heißen soll, aber mir ist so trübe, so ahnungsdüster j zu Muthe, wie nie! Unsinn, Coda, Du hast dicke- Blut, Du mußt nach Vichy ES war rin heißer Augnsttag. Uebcr Stadt und Land lag eine schwere bleierne Schwüle, die Luft war erdrückend dick und mit feinem trockenen Staub angcsUUl. Eine müde, schläfrige Energielosigkeit schien sick der ganzen Stadt be mächtigt zu haben. Kurz nach vier Ubr, alS der Geheimratb Marius kaum zwanzig Minute» in seinem Comptoir gewesen war, kehrte er hastig von dort zurück Bleich und mit ver störten Blicken eilte er »ichr stürzend als gebend an dem Diener vorbei, der ihm im Corridor s« »er Privatwolmung begegnete, und trat in eine» Salon, wo er seine Frau tras. Rasch, meine Koffer packe», preßte er uiühsain berauS, ich — ick muß sofort abrrisen! Damit fiel er wie vernichtet in einen Sessel, bedeckte das Gefickt mit den Händen und suchte offenbar seine Fassung iriekerzugewinne» Zum Tode erschrocken war die Frau Gehciuiräthin auf gesprungen und zn ihrem Manne bingetretcn. Ums Himmel« willen, Robert, wie siehst Du auS? Was ist passirt? Was hast Du? Frage nicht viel, Amalie, ein gräßliches Unglück ist ge schehen! Soeben sind die Depeschen herein — in einer Stunde kannst D» Alles im Extrablatt lesen. WaS hältst Du mich aus? Damit sank er ermattet zurück und starrte stier vor sich hin. Seine oft erprobte Ruhe und Sicherbeit, seine Fassung — Alles war verloren, er war die Beute einer nieder schmetternde» Nachricht. Seine Frau verließ einen Augen blick das Zimmer, um die nölbigen Anordnungen zur Abreise ihre- GcmabiS zu treffen. Al- sie zurückkcbrte, fand sie ihn nock in derselben Stellung, wie sie ihn verlassen hatte. Tief ernst. iast feierlich ging sie auf ihn zu und sagte mit ihrer wohlklingenden vollen «timme: Robert, gilt - wrrklich unserm Glück? oder gilt- nur unserm Vermögen? Der Ton und die Art und Weise, wie ihn seine Gattin fragte, rüttelte den Geheimratb auS seinem dumpfen, un heimlichen Brüten aus. Er sah sie an, dann sagte er seufzend: Es ist Alles vorbei, Amalie! DaS Eine zieht das Andere nach; die unglückseligen Grube»! Hängt Dein Glück a» den Gruben allein? ES entstand eine ernste Pause. Leise strich sie mit der Hand über seinen Scheitel und faßte dann nach seinen Händen, die sie in den ibrcn bedielt. Sie sab ibm eine Weile voll in die Augen, als ob sie darin das Unbcil, das sic so jäb betroffen halte, lesen könne. Endlich fuhr sic leise fort: Robert, lerne ich Dich erst heute kennen, oder hat der Sckrcck Dich nur momentan gelähmt? Wir waren arm und glücklich, wir wurden reich, und unser Glück überwand auch diese Klippe. Wen» der Himmel unserem Glück noch eine Prüfung aufcrlegt — Robert, soll sie Dich schwach finden? Amalie, cs ist schwerer, arm zn werken, als arm zu sein! So werde arm und sei cS noch so schwer! Hältst Du mich für Nichts, Robert? Ich will Dir's leicht machen, will Dir zur Seile sieden, Dir Helte», komme, waS kommen mag! Blicke der Zukunft in- Auge, und sei sie nock so drohend und wild, Robert, laß den LebcnSinutb nickt sinken! Sie war bei ihm nicdergckniet und stickte fortwährend mit ihren Augen die seine». Es war, als wenn eine magische Kraft von idr ausging, die sie an ibm erproben wollte. Auch war cS wirklich nickt mcbr der kurze gepreßte Ton der Ver zweiflung, sonder» eS lag schcn wieder Ueberlcgung und Verstand in der Stimme, mit der der Gebeimratb sagte: Amalie, ich sage Dir, arm zn werken, ist sebr schwer! Wirst Du eS ertragen, wenn — wenn die GcrichlSdiencr durch Deine Zimmer gehen, Deine Schmncksachcn in der Hand wägen und aus ibren Goldgehalt prüfen? Wenn alt' Deine kleinen unschuldigen rcien »nd Andenken unter den Hammer des Aucticnalors wandern, vor einer blöden, roden Menge, die kein Verständnift für di« zarten Erinne rungen bat? Wirst Lu es ertragen, Amalie — denn eine gefallene Größe ist der Spott dcS Volke» —, wenn die Leute auf der Gaff« mit Fingern auf uns weisen und Hobnrcken äußer», wenn wir unicrn bescheiden gewordene» Bedürf nissen nackgeben? Amalie, Amalie, fuhr er mit zitternder Stimme fort — wird Dir nickt da« Her; brechen, wenn Du den Armen in Zukunft nicht mehr DaS sein kannst, waS Du ihnen bisher warst? Thräiie» erstickten seine Stimme und seine Hand ruhte schwer und bedeutend aus der Schulter seiner Frau. Mache mir das Herz nicht schwer, sagte seine Gattin ruhig und fest: komme, was da wolle, ich werde eS ertragen, ich werde nicht zucken oder wanken, wenn Du mir nur erhalten bleibst. Keinen Schritt will ich von Deiner Seite weichen »nd Alles, wa» »nS der Himmel schickt, als eine Prüfung in Geduld und Unterwürfigkeit hinnehnicn, wenn nur Du, Rovert, bei mir bleibst. Gebeinnath MariuS stand auf. Sein Auge war freier, seine Haltung sicherer; er war sichtlich erhoben von der Aiifopscrungstähigleit seiner Frau. Er umarmte sie innig und küßte sic. So komme denn, WaS da wolle! sagte er dann fest, Gott wird »nS Helsen, auch das Acrgste z» überwinden! Unv »n» sage »lir aber auch, Robert, wa» eigentlich so FurcktbareS geschehen ist. Gebeimratb MariuS zog ein kleine« Packet Depeschen aus der Tasche »nd reichte eö seiner Gattin. Da, licS! Es waren drei Depeschen, die dein Geheimratb innerhalb zwanzig Minuten gebracht worden waren. Diese zwanzig Minuten hatten genügt, aus dem gefeierten Millionair einen armen Mann zu machen. Die erste Depesche lautete: Schlagende Wetter in Zeche Eva, Maerz und Drillinge. Zugänge verschüttet. Wolf. Tie zweite, die unmittelbar daraus eingetroffen War, lautete: Die Detonationen der schlagenden Wetter baden Erd rutschungen in weiteren elf benachbarten Zeche» verursacht, deren Stolle» und Zugänge rum Theil schon verschüttet, zum Theil arg in Gefahr sind. Wolf. Nach etwa einer Viertelstunde war die dritte Hiobs post emgetreffcn, die den Gebeimrath niedergeschmettrrt hatte. Sie lautete: Das Unglück in den Zeche» wird von den Beamten zur Ausregung der Bevölkerung gegen nn- auSgebeutet. ES lckcint Alle» in Gefabr. Kommen S»r rasch, um zu rette», was zu retten ist. Wolf. (Fortsetzung folgt.)
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