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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920723027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892072302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892072302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-23
- Monat1892-07
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I» h« Hanvtrx»«ditio» ob« de» im Stad» bezirk und de» Vororte» errichteten An«, gabesielleo «bgeholt: vierteljührlich»4^ bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Vans bLO. Durch die Pos« bezogen für Deutschlaad and Oesterreich: vierteljährlich Sb S.—. Direct» täglich« tkreuzbandjeaduu, in- Ausland: monatUch äib 8—, vir Morgen-AuSqabe «scheint täglich'/.? Ubr. dir Abead-AuSgab« Wochentags b Uhr. Ne-action und Lrpeditiou: JetznnneSgasse 8. Lir EMditton ist Wochentag« »noaterbroche» gräwret vva früh 8 bi« Abends 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Kl«»«'« Lorti«. (Als«« H«t»^ UutversitätSstrab» I. Leuil Läfche, Katharimnstr. 11, pari. u»d KSnigSpIatz 7. Abend-Ansgave. Anzeiger. DrglM für Politik, Localgeschichte, Kandels- und Geschäftsverkehr. JttsertlouSprelK Dld Kgespaltme Petitzeile 2tl PM Reclamen unter demRedaction«strich (1g^ spalten) bO^, vor den Familteouachrichten (bgespaiien) 40-^. Gröbere Schriften laut unserem Preist verzeichniß. Tabellarischer and Zifferolatz noch höherem Tarif. Kxtr«-Vellage»» (gesalzt), »ar mit k?r Morgen-Ausgabe, ohne Pvslbes-rdernng ^4 00.—, mit Postbesörderung 70.—. Iinnahmeschluß für Inserate: Abend-Au-gab«: vormittag» 10 Uhr. Marge «»Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Sonn- und Festtag» früh '/F Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Inserate sind stets an die Ertzevitian zu richten. Druck und Verlag von T. Polz in Leipzig. ^-374 » Sonnabend den 23. Zuli 1892. 8K. Jahrgang Zur gefälligen Belichtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 24. Juli, Vormittags nur bis Vst- Uhr gevsjnet. LxpvtUtlou ÜV8 I-eiprixo»' Polittfche Tagesschau. - Leipzig, 23 Juli. Bei dem Zustandekommen der Berliner Weltaus stellung wird es in hervorragender Weise auch auf den Reichstag ankommen. Das Unternehmen kann selbstver ständlich nicht ohne bedeutende Unterstützung auö ReichSmitleln auSgcführl werden; die bereits genannte Summe von 30 Milt. Mark mag wohl zutreffend sein, und die Bedenken gegen eine so große Aufwendung angesichts der gegenwärtigen Finanz lage und der stets steigenden Anforderungen fallen gewiß stark ins Gewicht. Bei der jetzigen Zusammensetzung des Reichstages ist von vornherein nicht auf große Begeisterung für das Unternehmen zu rechnen; man weiß ja, wie gering schätzig und unverständig in weiten Kreisen der PolkSvcrlrelung die industriellen, insbesondere die großindustriellen Interessen behandelt zu werden pflegen und wie namentlich Alles, waö wie eine besondere Bevorzugung undGunsterwcisung fllr vieRcrchSbaupt- stadt aussieht, mit der größten Abneigung zu kämpfen hat. Beiden Eonscrvativcn und dem Centrum mit ihren Anhängseln dürste das Unternehmen viel Widerspruch finden; auch die Cocial- demokraten werden schwerlich die Hand dazu biete». Es würde auf alle Fälle eines warmen Eintretens der Negierung und eines starken Druckes von dieser Seite, besonders aber einer energischenRrgsamkeit derdcutschenIndustriellen bedürfen, wenn im Reichstag sich eine Mehrheit für die Bewilligung hoher Geld sorderungen finden soll. Sonachwird daSProject noch mancherlei Klippen zu umschiffen haben. Auf alle Falle scheint es uns unerläßlich nothweadig, wegen der erforderlichen Vorarbeiten und dcS frauzösischen Wettbewerbs, daß die Entscheidung so rasch wie irgend möglich erfolgt. Bis zur nächsten NeichS- tagSsession müssen die Umfragen bei den Industriellen voll endet, die Regierung muß zu festen Entschließungen gekommen sein und ihre Vorlagen beendigt haben. Möglichst zu Anfang der Wintertagung smuß dann dir Entscheidung des Reichs tags eingeholt werden. Den inneren Streitigkeiten, die dem socialdemo- kratischen Parteitage vorangeben, widmet die nicht socialdemokratische Presse in diesem Jahre weniger Ansmerk samkeil als im vergangenen Jahre. Ohne die Tragweite der Meinungsverschiedenheit zwischen Vollmar und der Partei leitung zu unterschätzen, sagt man sich, daß dieser Mortimer der socialdemokratischen Obrigkeit wieder einmal sehr gelegen geketzert hat. Der „Vorwärts" hat den Vollmar'schcn Aussatz in der „Rorne diene" mit Begierde aufaegriffen, um neben dem schwarzen Schatten dieses Possibilisten sein und der Parteileitung revolutionaireS Licht um so Heller strahlen zu lassen. Den „Jungen* gegenüber ist bekanntlich eine Auflackirung des blutrothcn Wappens sehr nothwendig, namentlich vor einem Parteitag. Durch die im vorigen Jahre erfolgte Austreibung einer Anzahl Unbot mäßiger und die Constituirung derselben zu einem eigenen Verein ist die Parteitage nicht von allen oppositionellen Elementen gesäubert worden, im Gegentheil nehmen die Letzteren innerhalb der organisirten Partei an Zahl und Einfluß zu. Die Anarchisten, deren einer dieser Tage die Socialdemokratie eine „vorsintfluthliche Partei" genannt bat, sind den Herren Lieb knecht und Singer noch nicht gefährlich, wobt aber die „Jungen", denen die Führer immer mehr im Lickte gesättigter und darum in puncto Socialrevolulion lauer Existenzen er scheinen. Tie Heftigkeit gegen Vollmar hat den Zweck, diesen üblen Schein zu zerstreuen und die revolutionäre GesinnungS- tüchtigkcit der Parteileiter bervortreten zu lassen. Der Streit gebt jetzt weiter. Herr Liebknecht erläßt eine sehr piguirte Erklärung und verspricht Weiteres nach seinen Ferien, die er sich, genau wie der „Bourgeois", nicht verderben lassen will. Nubig wird eS aber auch während der Zurückgezogen heit des Obcrpublicisteu der Partei nickt werden, denn die Führer brauchen eine Diversion wie die nach Vollmar hin. Das Naturgesetz, wonach der Radieale von einem Radikaleren anfgesrcssen wird, kann freilich durch die Befehdung des Münchener „Genossen" — so nennt ihn übrigens Liebknecht schon nicht mehr, sondern „von Vollmar" — nicht aufgehoben werden. Zumal die „Alten" alt werden. WaS de» Zwiespalt sebst betrifft, so läßt sich eine ihm zu Grunde liegende grundsätzliche und theoretisch unversöhnliche Meinungsverschiedenheit nicht verkenne». Dies ist aber schon in Erfurt hervorgetreten und man vertrug sich dort, weil bei den bayerischen „Genossen" Vollmar persönlich sehr beliebt und einflußreich ist. Daß er auch mit seinen von denen der ofsiciellen Socialdemokratie abweichenden Ansichten mein und mcbr Anklang findet, darf vielleicht auö dem sehr „bürgerlichen" Programm geschlossen werden, das die bayerischen Sccialdcmokraten für die LandtagSwahlen ausgestellt haben. Hierin liegt übrigens eine Bestätigung der auch sonst gemachten Wahrnehmung, daß der politische Verstand der Deutschen mit der Ent fernung von der Mark Brandenburg wächst. Darüber zu orakeln, ob die Voümar'sche Sondermeinung einmal Einfluß auf die Gestaltung unserer parteipolitischen Zustände gewinnen kann, wäre zur Zeit ein sehr müßiges Beginnen. Die belgischen Versassungsstreitigkeiten sind über den erste» parlamentarischen Anfang noch kaum hinauS- gediehen, und schon gehl cS in den Zciiuiigsspalten so hitzig her, als stände man bereits mitten im hcstigsten Gcsecht. Damit hat cS indeß noch gute Weile. Rechte und Linke, bezw. UltramonIanismiiS und Radikalismus kennen einander und kennen die Verhältnisse viel zu genau, als daß sie nicht wissen sollten, was hinter dem Revisionslärm in Wahrheit steckt: das Verlangen nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht auf breitester demokratischer Grundlage. Tic Radi kalen würde daS nicht so sehr anfechtcn, wenn sie sicher wären,daß das allgemeine Stinimrcchr sich von ihnen gängeln ließe. Seitdem aber die socialrcvolutionairen Lehren in die Massen Eingang ge sunden haben und die Socialdeniotraten alle andernParteien ein schließlich der Radikalen in Bausch und Bogen für eine einzige reactionairc Masse erklärt haben, ist es mit der idealen Schwärmerei der Linken für daö allgemeine gleiche Wahlrecht plötzlich vorbei. Gegenwärtig verrecken liberale und ultramvntane Streitigkeiten unter einander und mit der Regierung nur de» Mangel an revisionistischem Wagemuth, der in beiden Parteilagern gleichmäßig vorhanden ist. Die Arbeiterführer aber gehen vc» Haus zu HauS, Hetzen ihre Leute auf und stellen den Sieg der socialrcvolutionairen Ideen als eine Frage, deren Lösung in kürzester Zeit erfolgen müsse, hin. Der Anarchistenproceß, der sich gegenwärtig vordem Schwurgerichtshofe in Lüttich abspielt, wirst überaus charakteristische Lichter auf daö Treiben der anarchisliscke» Partei, welche die Welt durck Dynamit verbessern will. Außer den gewöhnlichen anarchistischen Gestalten, den geistig, moralisch und materiell bcrabgckommcnen Arbeitern, sinke» wir ans der Lütticher Anklagebank aber auch Männer, die man nach dem Stande ihrer Bildung und ibrcS Bcrmögenö gewiß nicht in dieser Gesellschaft gejucht batte. Ta ist zu nächst der Hauptangeklagtc Jules Moin eaux, ein ehemaliger belgischer Lssicier und zur Zeit HandlungSreisender, ein Mann von umfassender Bildung, welcher vor dem Gerichte eine Bcrcdisamkeit entwickelt, von der man nur bedauern kann, daß sie sich in de» Dienst der Anarchie gestellt bat. Moineaux gekört zu jenen rätbsctbaften Naturen, die sich leicht für Alles, auch für alles Schlechte begeistern. Er bat denn auch mit unglaublicher UeberzeugungSIrcuc vor dem Schwurgericht seine anarchistischen Grundsätze entwickelt, wonach er nur von der Zerstörung des Bestehenden die Besserung der Zukunft erwartet. Getreu diesem Grundsatz bereut Moineaux keine einzige seiner verbrecherischen Handlungen. Nicht minder kübn und entschlossen tritt der Anarchist Wolfs auf, der ebenfalls eine gute Erziehung genossen hat. Da ist ferner der Färberci- besitzcr Beaujean, ein Mann in gutem BcrmögeiiSznstande, der in der Lütticher Gegend den Rnf eines conscrvativcn Mannes genoß und der im Geheimen der Anarchie Borsckub leistete. Nicht minder interessant ist die Figur des Fabri- kantensohnes Mathyssen, welchen sein Vater in einer geist lichen Erziehungsanstalt erziehen ließ und der auch stets große Frömmigkeit an den Tag legte. Aber die Lectüre anarchistischer Schriften hat ihm de» Kopf verdreht und aus dem Iesuitcinögling ist innerhalb weniger Monate ein gemein gefährlicher Anarchist geworden. Schließlich erwähnen wir noch den Angeklagten Peter Scklebach, einen Dcntsche» aus Stolberg, in dessen Gastwirtbschaft die Lüttickcr Anarchisten ihre geheimen Eonvcntikel abhicllen. Scklebach hat ein sehr intelligentes Aussehen und macht mit seinem langen grauen Vollbart und seiner Brille eher den Eindruck eines Professors als de» eines Anarchisten. Schlebach leugnet übrigens, den Zweck der bei ihm «('gehaltenen Zusammenkünfte gekannt zu haben. Tie andere» Anarchisten macke» übrigens einen sehr traurigen Eindruck Sie, die den schmachvollen Mull» ge funden haben, elf Tynaniitattenlate zu begehen, zittern jetzt vor der Strafe und suchen die Schuld von sich auf die Schultern des Nachbars abzuwälzen. Im Pariser Nathhause herrscht große Aufregung. Aus den Beschluß dcS GemcinderatheS, der den Credit für die Schutz in an nschasl vorläufig verweigert, hat, wie schon gemeldet, die Regierung mit einer balbaintlicken Erklärung geantwortet, dcS Inhalts, sie werde sich nicht um diese Weigerung kümmern und jenen Credit von Staats wegen in das hauptstädtische Budget eintrage». Zugleich meldete der „TempS", daß den Schutzleuten die gewünschte Gehaltserhöhung schon für den laufenden Monat gewährt wird. Ein solches Verfahren hat die Negierung schon öfter- angewendet, und gesetzlich läßt sich nichts dagegen einwenden; aber die Stadt- väter nchiiie» es sehr übel. Viele von ihnen erklärten, daß, sie entschlossen seien, ihre Entlassung zu geben, um die Regierung zur Ausschreibung »euer Wahlen z» zwingen. Ändere schlugen vor, ans taS nämlicke Resultat kinzu- arbeilcn, indem man die Regierung nöthige, zur Auslösung dcS GemeindcrathS zu schreite». Man bade mir, da auf den Willen der städtischen Versammlung keine Rücksicht genommen werde, alle die ihr vorgclcgten Anträge dem Scinepräfceten rurückzrischickcn, ohne auf irgend eine Bcratbung einznaebeii. ES bleibt abzuwarlen, ob die Herren bei diesen Absichten beharre» werden. Die Regierung kann schwerlich nachgeben, obgleich die Aussicht ans neue Wahlen in Paris nicht viel Angenehmes für sie bat; aber die Stadtväter ihrerseits dürsten durch den Umstand stutzig gemacht werden, das; in dieser Angelegenheit das große Publicnm nicht aus ihrer Seite stebt. Wenn auch die Pariser im Allgemeinen der Polizei sehr wenig hold sind, so haben doch die Tnnamit- Attentate dieses Jahres und die zunehmende Unsicherheit der Straßen das Verlangen nach einer besseren (Überwachung auch in den Wählern der autonoinistisckcn Stadtväter rege gemacht. Diese letzteren hatten eine bessere Gelegenheit ab- warten tonnen, um mit Herrn Lonbet Händel anzusangen. Zn Portugal geht die deutsche Negierung mit erfreulicher Thatkraft vor. Wie aus einem bereits im volks- wirthschasllichen Thcilc der heutigen Morgennummcr mit- getheilten Telegramm aus Lissabon hervorgeht, bat daselbst der deutsche Gesandte am (2. d. MtS. eine zweite Note an die portugiesische Negierung gerichtet, worin neben dem Hin weis aus die willkürliche Schädigung vertragsmäßig zu- gestandcner Rechte besonder» noch dagegen Einspruch er- boben wird, daß die deutschen Inhaber portugiesischer Staatspapiere erheblich ungünstiger behandelt würden als die portugiesischen Inhaber der inneren Schuld. Des Weiteren weift die Note die Behauptung dcS portugiesischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, die portugiesische Negierung hätte vor der Zwangslage gestanden, Alles oder nichts zu bezahle», entschieden zurück, indem hervorgehoben wird, daß die Vertreter der deutschen Gläubiger zu weit gehenden Eonccssionen gegenüber den finanziellen Schwierig keiten des Landes bereit gewesen wären. Ferner wird von einem Planendes portugiesischen FinaiizniinisterS berichtet, die schwebende Schuld zu bezahlen und das Deficit ohne Anleihe und Vermehrung der Steuern zu decken. Auf diesen Plan, der sich schwerlich anders verwirklichen läßt, als wenn das Deficit Portugals auö den Taschen der portugiesischen Gläubiger gedeckt wirb, sind wir gespannt. In England scheinen die Conservativen über die in der gegenwärtige» Lage vorzunchuienden Schritte ebenso wenig einig zu sein, wie die Liberale». Wie bereits gemeldet, cinpfichlt die „Morningpost" dem Eabinet, der Königin in dem Falle, daß ein Mißtrauensvotum gegen daS Eabinet beschlossen werden sollte, di- Vertagung des Parlaments bis zur ordent lichen Session 1803 vorzuschlagcn. Dieser Schritt würde jedenfalls in ganz Großbritannien die erbittertste Agitation der Gladstoiieancr. Cocialisten und irischen Nationalisten gegen die Regierung entfesseln, und da diese dem nicht ruhig ziehen könnte, so würde sich ein grimmiger, Monate hin durch währender Wahlkricg im ganzen Königreick ent wickeln; denn der eigentliche Zweck des von der „M. P." angerathenen Verhaltens kann doch nur eine abermalige Auslösung des Unterhauses im nächsten Jahre sein. Den Gladstoncanern räth der sehr radieale Mr. Labouchöre, den Gladstone, um den radicalen Flügel seiner Partei Ge nüge zu thun, für sein etwaige« Eabinet in Aussicht nehmen muß, um vor Allem die landwirthschaftlichc» Arbeiter, denen man den „Sieg" verdanke, vollends an sich zu fesseln, Gladstone müsse, sobald er ins Amt gelangt sei, durch eine Dorfäinter-Bill jedem Dorf Home Rute geben, den Grundsatz „ein Mann eine Stimme" verwirklichen, die fllr die Ein tragung in die Wählerlisten nöthige Wohnsrist abkllrzen, für das Unterhaus Diäten einsührc», durch eine „Local» OptionS Bill" den Einwohnern jedes OrtS anheiinstellc», ob und wie viele Wirtbschaftcn dort zu dulden seien, und ob nicht an Wahltagen sämintliche Wirlhschaften geschlossen sein müsse», wodurch die Temperenzler gewinnen würden. Diese Re formen würden den Gladstoncanern die dauernde Herrschaft sickern. Erst nachdem sic durchgcsetzt seien, werde man dem irischen Home R»le sich zuwcnten können. Aehnliche Vor schläge macht „Daily Ehronicle", das Organ des Londoner GcwcrkvercinSthums. — Inzwischen macht sich in Irland bereits die Morgcnrvtbe Gladstonc'schcn Regiments wahr nehmbar. Täglich treffen mit einem Mal Meldungen von agrarischen Verbrechen und Gewaltthaten ein. In der Grafschaft Armagh bei Eamlough wurde ein Farmer, als er sein Feld bestellte, von drei Burschen überfallen und so furchtbar miß handelt, daß er halb todt liege» blieb. Zum Glück konnte die Tocktcr einen der Tbäter fcststellen. Darauf erfolgte seine Verhaftung. Streitigkeiten wegen Land waren die Ursache der Rohheit. — Dienstag Nacht drang eine Bande in daS zwischen Newry und Banbridge gelegene HauS der Wittwe M'Ounid. Nachdem sie ein Pferd verstümmelt hatten, zogen sie wieder ab. Feuilletsx. Der Letzte seines Stanlmes. 20s Licht- und Schattenbilder von Waldemar Urban. Sla-dniS »erböte». (Fortsetzung.) Das War der Beweis, daß die alte Beamten-Coalition, die den Gebeimrath MariuS als ihren persönlichen Feind ansab, ihr Haupt wieder von Neuem crbob, in dem Unglück die Waffe gesehen hatte, die sie an» ibren gedrückten Ver hältnissen wieder erlösen konnte, und sic direct gegen ihn, gegen Gchcimrath MariuS, gerichtet hatte. Auch die Geheimräthin zitterte und war bei dieser entsetz lichen Botschaft bleich geworden. So schwer batte die Hand de« Schicksals noch nie auf ihr gelegen. Uebrr den verlorenen Reichthum hätte sie sich wohl leichter getröstet, aber der Ge danke an die bei der Katastrophe zu Grunde gegangenen Menschen raubte auch ihr die Fassung. Sie verfiel in ein krampfhaftes Schluchzen und Ware im ersten Schreck zu Boden gefallen, wenn sie ihr Mann nicht gebalten hätte. In ihrer lebhaften Einbildung sah sie schon die bintcrlasscnen Weiber und Kinder der Bergleute, die ihr grausiges Ente in dem weiten Grabe gefunden hatten, die Schockte janimernt und wehklagend umstehen, sab die verkohlten Leichname, die erstickten Arbeiter zu Tage fördern, um die sich all' die fürchterlichen und herzzerreißenden ErkennungSsccnen »(spielten, die nicht beschrieben, die nur gefühlt werben können. Und sie selbst, sonst so kräftig und mächtig, wenn eS galt Hilfe zu leisten und Unglück zu mildern — sie batte NicktS mehr, sie konnte NicktS mehr geben I Der Grheiinratb hatte Recht: schwerer, viel schwerer war eS, arm zu werten, als arm zu sein. Stnmm in ihrem Unglück versunken, hielten sich die beiden Gatten umschlungen, bis endlich die Geheimräthin treibend und presstet sagte: Eile Dich, Robert, Du mußt fort, eile! Sie warten aus Dich, Du mußt helfe«, hörst Du? Geh» Du mußt! WaS Menschenbilfe tbnn kann, daS soll geschehen, sagte er entschlossen. Wenige Minuten später war er auf dem Wege nach dem Bahnhof. XI. DaS MariuS'sche HauS lag seit der Abreise dcS Gebeim- raths wie in einem Bann. Leise und verstohlen tuschelten die Diener in den Corridoren und entlegenen Zimmern, während in den von der Herrschaft selbst bewohnte» Räumen eine dumpse, lastende Stille herrschte. Anstatt daß daö sonst gastfreie und gastfreundliche HauS das Stelldichein weiter Gesellschaftskreise war, vernahm man beute keinen Tritt in den weiten, großen Räumen, kein Lacken »nd Plaudern, keinen Ton. Der Abend kam heran und Frau Geheimräthin MariuS konnte vom Bibliothekzimmer ibrcS ManncS auS beobachten, wie sich allmälig größere und kleinere Gruppen Neugieriger vor dem Hause ansaminelten; eS mußte etwas in de» Abendblättern gestanden haben, waS eine ungewöhn liche Aufmerksamkeit auf ihr HauS concentrirtc, aber sie wagte nicht zu fragen. Wie gebrochen saß die sonst so geschäftige und kräftige Frau da und weinte still in ihr Taschentuch. Fräulein Mimie trat ein. Mein Gctl, Mama, ich babe Dich im ganzen Hause gesucht. Was ist kenn nur heute bei uns? Es laßt sich ja keine Seele sehen! Akelniar wollte mich zum Theater ab- holen. und es ist sckon sieben Uhr! Mimie, ich — ich würde Dich bitte», nicht auSzugeben. Allmächtiger Gott, Mama, Ln weinst! WaS ist ge schehen? WaS bedeutet diese grausige Stille, diese be ängstigende Ocde? Sei nur ruhig, mein Kind, ob, sei still! Hast Du — Mimie, komm, setze Dich hierher, ich habe mit Dir zu reden. Fräulein Mimie sab ihre Mama sckeu an und setzte sich still zu ihren F ßen ans eine kleine Fußbank. Sage mir Alles, Mama, waS es auch sei, denn sonst matt sich meine Phantasie unerträgliche Schrecken aus. Do ist der Papa und WaS hat all' Deine Trostlosigkeit zu bedeuten? Hast Tu — Angst, Mimie, hast Tn Furcht vor der Armuth? Mimie begriff ihre Mutter nicht. Fragend blickte sie zu ihr ans. WaS meinst Tu, Mama? Mein Kind, cS könnten Tage kommen, wo Tu von Deiner Hände Arbeit leben mußt! Hast Du Muth? Ist der Papa todt? schrie das junge Mädchen er schreckt auf. Rasch bedeckte die Frau Geheimräthin Marius mit beiden Häuten wie schützend den Scheitel ihres KindeS. Nein, Mimie, nein, sürchie nichts. Papa lebt — aber — aber Wie sie auch würgte und ächzte — sie brachte cS nickt über die Lippen. Da tönten von der Straße herauf, etwas verworren und unklar, aber doch verständlich Worte, die in der unten stehenden, gaffenden Menge geäußert wurden. Wie rasch das wechselt, sagte eine breite, rohe Stimme, Millionen MariuS ist über Nacht wieder ein ganz gewöhn licher Marcus geworden! Ein höhnisches Lacken folgte und mit einem lauten Schrei sank Mimie in den Schooß ihrer Mutter. Es folgte eine lange Panse. Kind, hob Frau Geheimräthin MariuS endlich wieder an, Du mußt Dich trösten, noch sind wir da! Tröste Dich mit Deinem Vater und Deiner Mutter, die Dick nickt verlassen werden. Ich weiß es wohl, Mimie, daß es für Dick, schwerer ist, als für »ns! Du hast die Menschen nur nach ihren glitzernde», schmeichlerischen, ewig lächelnde» MaSken kennen gelernt, ihr kaltes, höhnisches, egoistisches Wesen blieb Dir fremd! Die Erfahrung, die wir in langen Iabrcn sammelten, mußt D» in Stunde» sammeln. — Aber sei nur ruhig, Kind, D» wirst Deine Rübe wobl brauchen, denn cS gilt von Neuem zu ringen und zu kämpfen um das Leben, Mimie, um das nackte Leben. Hast Du Mull,? Fräulein Mimie sing an zu begreifen. DaS goldene Kalb war fort, der Tanz körte ans. Die Schauspieler, dir bisher eine so lustige bübsche Komödie für sie ausgespielt batten, gingen fort, die Lichter wurden anSgcdrebt und — di« Eon li'sr stand einsam im Finstern, ein ödcS Gerüst, ohne jeden Glanz und Schein. WaS lam »»»? Sie halte noch keine Ahnung davon. Was wußte sie vom Leben? Was wußte sie von sich? Hatte sie Mull, zum Leben, zu dem Leben, das nun kam? Finster, räthselbast, unbekannt — voller Sorgen. Es klopfte leise an der Thür und die Frau Geheimräthin ging, um »achznschcn, WaS cö gäbe. Der Diener des Grafen Coda stand draußen und brachte für daS ,gnädige Fräulein einen Brief. Einer Antwort de- dürfe cs nicht, sagte er, und ging sofort wieder ab. Erst an Dich, Mimie, sagte sie. Sv gieb bcr, Mama. LicbcS Kind, Tu könntest ihn wobl auch morgen lesen, wen» — wenn der Papa da ist, sagte ihre Mutter zögernd, als ob sic ei» Unheil geahnt hätte. Laß mich lesen, Mama, Adclmar wird sich einer Abhal tung wegen für heute entschuldigen — weiter Nichts. Sie öffnete daS Schreiben und zuckte erschrocken zusammen. Er schrieb nicht „meine süße kleine Mimie", wie er rö in letzter Zeit zu tbr», pflegte, sondern er schrieb: Hochgeehrtes Fräulein! Da« neidische Geschick bat nicht gewollt, daß ich Ihnen daS Glück bereite, daS Cie in so hohem Maße verdienen! Ich sehe mich daher veranlaßt, meine Verlobung für ausge löst zu erklären und kann nur wünschen, daß Ihnen die Zu kunft bringe, was ich Ihnen nicht zu bieten vermochte. — Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebenster Adelinar Graf Coda. In einer zornige» Aufwallung zerknitterte sie daS Blatt. Die Thal des Grafen Coda kam ibr gar nicht ritterlich, gar nicht den hochtönenden Phrasen vom Adel der Eoda'S ent sprechend vor, die sie so lange hatte anbörcn müssen, erschien ihr gar nicht wie der zärtliche» Liebe und aufopfernden Sorge um ihr Glück entsprossen, von der er sie so oft unterhalten hatte. Dann aber schluchzte das junge Mädchen krampfhaft auf »nd warf sich weinend in die Arme ihrer Mutter. Er schickt Dir eine Absage? fragte die Geheimräthin. Fräulein Mimie nickte. Laß ibn gehen, WaS soll er »nS min helfen? Er suchte eine Stütze in »nS, nicht wir in ibm. Weine ihm keine Thräne nach, Mimie, er ist ihrer nicht wertb. (Fortsetzung folgt.)
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