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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920729020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892072902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892072902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-29
- Monat1892-07
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DaS genannte Blatt schreibt: Die deutschsreisinnige „Liberale Korrespondenz" bespricht die „Wallfahrt der badischen Nalionallibcralen nach Kissingen" und äußert Labei, „die Veranstalter leien übrigens keineswegs die hervorragenden Politiker Bismarckscher Observanz, sondern Per- sonen zweiten und dritten Ranges, ganz besonders keine Par lamentarier und solche, die eS in Kürze werden wollten." Ein besseres Zengniß parlamentarischen Hochmuthes als vorstehendes kann namentlich vom liberalen Standpuncte dem deutschen Volke nicht geliefert werden. Also Alle, die nicht Parlamentarier sind oder es in Kürze zu werden Aussicht haben, sind nach frei sinniger Auffassung heute zweiten Ranges! Diese anmaßende Ein- schätzung aller Deutschen, die nicht zu den parlamcnlarischen Stre bern gehören, also der überwältigenden Mehrheit de- deutschen Volkes, durch ein freisinniges Preßorgan verdient doch zu den Acten genommen zu werden! Wir tennen die Rangclassen nicht, nach denen die „Lid. Corr." die deutsche Bevölkerung eintheilt, aber wer die Kissinger „Wallfahrt" am vorigen Sonnlag mit eigenen Augen gesehen hat, wird Len Eindruck gehabt haben, Laß die Thcil- nehmer, mögen sie einen Rang haben, welchen sie wollen, wohl erzogene und gebildete Leute waren, die sich während des ganzen Verlaufes der Demonstration mit Ruhe und Anstand zu benehmen wußten. Auch im Uedrigcn ist keinerlei Störung vorgekommen, obwohl die herbeigeströmten vielen Tausende die Bevölkerung Kissingens für die Zeit der Kundgebungen auf mehr als die doppelte Zahl gesteigert halten. Auch die „N. L. C." ergreift in derselben Angelegenheit zu folgender Abfertigung das Wort: Die „Lib. Corresp." glaubt der jüngsten Reise südwest- deutscher Patrioten nach Kissingen durch die Behauptung bcsondern Abbruch thnn zu können, daß kein einziger Parla mentarier sich daran betheitigt Halle. Diese Behauptung ist unwahr. Aus der Pfalz waren zwei Reich-lagsabgeordneie an wesend. Wenn aus Baden keine solche anwesend waren, so hat das seinen guten Grund. Das Leiborgan des Herrn Rickcrt wird doch selbst wissen, daß durch die erfolgreiche Wahlhebe die!«» Herrn sämmtliche nationallrberale Mandate in Baden den Ultramon tanen in die Hände gespielt wurden. Wozu also solche Albernheiten? Der österreichische Neichsratb ist, wie bereits tele graphisch gemeldet wurde, im Aufträge des Kaisers Franz Josef durch den Ministerpräsidenten Grasen Ta affe vertagt worden, nachdem das Herrenhaus einstimmig und deballenlos die Balutarefvrmgesetze angenommen hatte; die parlamentarische Kampagne in Oesterreich ist somit zum völligen Abschluß gekommen. Wir haben bereits mehrfach aus eine gewisse Krisis bingewiesen, die gegen den Schluß der diesmalige» Session im Schooßc des Cabinets sich bemerkbar machte. Ter in solchen Sachen häufig gut unterrichteten Prager „Politik" wird aus Wien gemeldet, cs habe sich hierbei um den Austritt des Justiz- und des Ackerbauministers, Schönborn und alkenhayn, gehandelt, da hauptsächlich ihre amtliche hätigkeit zu dem Confiicte mit der Vereinigten deutschen Linken führte. Der Gewandtheit des Grafen Taasie gelang es jedoch, die Gegensätze noch einmal auszugleichcii und hier durch die Krise, für jetzt wenigstens, zu beseitigen. Als RücktrittScandidat gilt ferner noch der czechiscbc Landömann- minister Baron Prazak, von dem die „Politik" behauptet, seine Stellung sei nicht erschüttert, er habe eben einfach keine Stellung mehr. Man glaubt, daß sich daS Ganze nach der nächsten Session des böhmischen Landtags entscheiden werde, denn Schönborn hat eS verstanden, sich nicht nur mit de» Deutschen, sondern auch mit den Czcchen zu Überwerfen. Die französische Presse, die jede Gelegenheit wahr- nimmt, um zu beweisen, daß Frankreich an der Spitze der Cwilisation marschirt, glaubt eine solche Gelegenheit in den Hinrichtungen in Sofia gefunden zu haben. Ein Pariser Telegramm meldet nämlich: „Die Hinrichtungen in Sofia veranlassen Wuthausbrüche der hiesigen Presse gegen Bulgarien. Senator Ranc rust iin „Matin", die Regierung Stambulow'S und seines Fürsten »lüßtc» vom gesitteten Europa in die Acht gcthan werden. „Siede" sagt, nach der Ermordung Panitza's habe Stambulow jetzt vier arme Bulgaren hingeinordct, denen das Gericht nicht den leisesten Antheil an der Tödtung Beltschcw's Nachweisen ge- tonnt. „Justice" nennt die Hinrichtung vier Justizmorde, die „Rcpubl. Frany." schreibt: Das politische Verbrechen von Sofia ist begangen: wir hoffen, daß Europa endlich, von diesen Greuelthate» empört, dem Berliner Vertrag Achtung zu erzwingen und die kleinen Tyrannen zu verjagen wissen wird." Eine Bemerkung zu diesen verrückten Auslassungen der angeblich „civilisirtesten Nation Europas", die kein Wort der Entrüstung über das AuSsenden von Mördern seitens des osficiellen Rußlands findet, ist wahrlich überflüssig. Die englische konservative Presse benutzt den bevor stehenden Besuch des deutschen Kaisers, um Herrn Gladstone gute Lehren bezüglich seiner auswärtige» Politik zu geben und der Haltung des Ministeriums Salisbury ein Loblied zu singen, lieber einen schon in der heutigen Morgen- nummer kurz erwähnten derartigen Artikel des „Standard" wird heute ausführlicher folgciideriilaße» berichtet: „Dem bevorstehende» Besuche des deutschen Kaisers in England widmet der „Standard" eine» Leitartikel, in dessen Ein gänge das conscrvative Blatl die Hoffnung ausdrückt, die gegen wärtig zwischen Deutschland und England bestehenden, vortrefflichen und freundlichen politischen Beziehungen würden durch den bevorstehenden Regierungswechsel in England nicht getrübt werden. Ter gebildete Theil der Be völkerung Englands erblicke in Deutschland den natürlichen Bundes genossen Englands in der Ausrechthallung der bestehenden Verhält nisse und des europäischen Friedens. Kein menschliches Wesen könne für Gladstone'» Verfahren in inneren oder auswärtigen Fragen eintrcten; es fei daher unmöglich, zu verbürgen, daß England, wen» Gladstone ins Amt trete, sreimüthig und furchtlos Hand in Hand mit dem Dreibunde gehen würde. Wir sind liideß geneigt, zu glauben, die Natur der Dinge würde ein Gtad- ftonisches Ministerium nöthigen, nicht Hand an die Situation, die es vorsinden werde, zu legen. Der Dreibund ist kein künstlicher oder willkürlicher Bund, sondern ein natürliches, nothmeiidiges, aus einem Gefühl der Selbst- erhalning und dcr Friedensliebe Deutschlands, Oesterreichs und Italiens entsprungenes Bündnis). Gladstone und seine Partei wünschen allerdings ebenfalls den Frieden; allein nach ihrer Vcr- gangcnheit zu urlhcilen, verstehen sic denselben nicht aufrecht zu halten. So lange die Interessen Englands und Deutschlands und die Interessen der Bundesgenossen Englands und TeutichlanLS als übereinstimmend anerkannt werden, werde» weder Frankreich noch Rußland cs wagen, einen Schritt in der Richtung des Krieges zu thunj trage England jedoch eine ausfällige Gleich giltigkeit oder gar Feindseligkeit gegen die Politik des Dreibundes zur Schau, dann würde der Frieden nicht lange erhalten bleiben." Zn Deutschland ist man schwerlich geneigt, Lord Salis bury seinem Nachfolger als Muster hinzuslellen. Gerade jetzt, wo ausführliche Nachrichten über die Borgänge im Kilimandscharo-Gebiete vorlicgcn, aus denen sich mit unwiderleglicher Gewißheit ergicbl, daß die englischen „Freunde" die Schwarzen gegen die Weißen gehetzt haben, weiß man die „vortrefflichen und freundlichen" Beziehungen, die Lord Salisbury mit Deutschland aufrecht erhalten hat, nach ihrem wahren Werlhe zu schätzen. Au freundlichen Versicherungen wird eS auch Mr. Gladstone nicht fehlen lassen; schlimmer aber werden cs auch unter seiner Regierung daS private, daS handelnde und predigende Großbritannien unter stillschweigender Billigung des Ministeriums nicht treiben. Die norwegische Krisis hat bekanntlich einen über raschenden AnSgang genommen; nach so vielem Lärm bleibt vorläufig Alles beim Alle». Daß damit die Angelegenheit auS der Welt geschafft wäre, glaubt freilich Niemand; die unversöhnliche Linke wird ihre Bestrebungen wieder auf- nehmcn, sobald sic die Zeit für gekommen erachtet. Um so mebr erscheint es angebracht, über die Stimmung in Schweden ein Wort zu sagen. Veranlassung hierzu bietet eine bereits besprochene Depesche aus Stockholm, wonach daS Organ des Ministeriums Boström, „Nva Dagligt Allehanda", die Frage der Auslösung dcr Union zwischen Schweden und Norwegen in Erwägung zu ziehen beginne. Schweden (so beißt es in diesem Artikel) habe in polnischer Beziehung nichlS von Norwegen zu hoffen, „das nutzlose und demülhigeude Eoncubinat mit Norwegen" müsse je eher je lieber gekündigt werden. Wenn Rußland alsdann seine Hand nach einem dcr eisfreien norwegischen Häfen auSstrccke, brauche Schweden keine Hand zu rühren, eS sei daun Deutschlands oder Englands Sache, den russischen Anfall abzuwehren. Gegenüber dieser Auffassung wird der „Kreuzzeitung" mit- gctheilt, daß die Zeitung „Nva Dagligt Allehanda" nicht den Anspruch erbeben darf, als Organ des schwedischen Ministeriums im Allgemeinen oder des leiteuden Slaats- ministersBoström im Besonderen angesehen zu werde». Gemein sam ist beiden nur eine couservative Anschauung dcr Tinge. Dagegen steht das Blatt zur Regierung insofern in Opposition, als cs das Organ der „extremen Schutzzöllner" ist, einer Partei, die bei ihrer numerischen Schwäche teilten Einsluß aus die Regierung und die Beziehungen Schwedens und 'Nor wegens besitz!. Man darf dcsbalb in dem erwähnten Artikel nicht die Stimmung der maßgebende» Kreise in Stockholm finden wollen; dort ist mail unter allen Umständen ent schlossen, die Union ausrecht zu erhallen, und man weiß, daß man dabei die überwiegende Majorität der Nation auf seiner Seite hat. Man wird Norwegen stets gebe», was ibm nach Recht und Gesetz gebührt, wenn auch nicht ein Titelchen mehr. Ob der Hinweis auf Rußland, Deutschland und England nicht eine etwas starke Zumuthung an das skandinavische Selbstgefühl ist, mag dahin gestellt bleiben. Die russische Presse weiß aus jeder „Blume" Honig zu saugen; selbst die Cholera dient ihr zur Aufhetzung des russischen Volks gegen seine europäischen Nachbarn. Die „Now. Wrcm." nimmt die Vorkehrungen, welche Deutsch land und Oesterreich-Ungarn an ihrer G«n;c zur Abwehr ver Cholera-Einschleppung treffen, zum Anlaß, eine Kette geflissentlicher vexatorischer Grenz- zwischcnsälle zu prophezeien und daS russische Volk zu crmabncn, cs solle dieselben kaltblütig aufuchmen, da eS nur „den Feinden in die Hand spielen würde", wenn cs sich allzu sehr ausreizen ließe. Das Blatt deutet sodann an, daß daS russische Volk die Rolle, Deutschland im Zaum zu halten, ruhig Frankreich überlassen könne, an dessen Grenzen Deutsch land und Italien ja ebenfalls Grcnzmaßregeln gegen die Cbolcra treffen müßten; Frankreich aber sei recht empfindlich allen Grcnzzwischeiisällcit gegenüber. Diese Auslassungen können nur den Zweck verfolgen, im Allgemeinen gegen Deutschland zu Hetzen, denn die Anspielung, daß Frankreich schon dafür sorgen werde, Deutschland kurz zu halten, kann in Paris eigentlich nur als ein Hohn auf Frankreich und dessen Auffassung seines Freundschaftsverhältnisses zu Rußland ansgefaßl werden. Gestern hat der Londoner Draht die überraschende Nach richt gebracht, daß der „TimeS" auS Tanger gemeldet werde, der Sultan von Marokko habe am 20. Juli seinem Hofe die Absicht augekündigt, den Zaren sofort zu ersuchen, einen russischen Gesandten in Fez zu be glaubigen, da, wenn dies geschähe, daö enge Bündniß zwischen iVrankrcich und Rußland ihn unabhängig von dcr Freund schaft anderer europäischer Mächte machen würde. Seltsamer Weise wird dieser Meldung heute von tciner Seile wider sprochen. Sollte sie sich bestätigen, so wäre ein neuer Drei bund fertig: Frankreich, Rußland und Marokko! Sultan Mulay Hassan hätte sich jedenfalls an die richtigste Adresse gewandt; vielleicht hat er bereits die geheimen Schriftstücke dcö asiatischen Departements in Petersburg gelesen und da diese ihn orientalisch anmnthen, dcnll er an ein Bündniß. Bei aller Komik, die dieser Nachricht anhastet, hat sie doch — vorausgesetzt, daß die Engländer nicht Gespenster sehen — eine ernste Seite. Sic würde beweisen, daß eS Frankreich gelungen ist, an, Hose zu Fez festen Fuß zu fassen, und daß die Tuatfrage beigelcgt wäre. Die marokkanische Angelegen heit könnte dann zu Weiterungen führen, die auf dcr von Spanien angeregten Confercnz kaum geschlichtet werden dürften. Vorläufig wollen wir der Meldung jedoch noch Zweifel entgezenbringen. Deutsches Reich. A Berlin, 28. Juli. Die Anziehungskraft der Ver einigten Staate» von Nordamerika für deutsche Aus wanderer bat seit dem Inkrafttreten der dortigen Pauper- aesetzgebung und der wachsenden Feindschaft der amerikanischen Arbeiterschaft gegen den Zustrom europäischer, insbesondere deutscher Arbeilskräftskräfle zwar i» erfreulicher Weise nach gelassen, immerhin kann cö nicht Wunder nehmen, wenn daS Beharrungsvermögen einstweilen noch sortwirkl und noch in so manchem deutschen Landcökinde, welches es eigentlich nicht »örbig hätte, den Drang erweckt, den Spuren zufolge», welche srühcrweggczogene Orts-und Gaugenosse» zahlreich genugbinter- lasscn. Wer einmal seinen Sinn auf das Auswandern gerichtet bat, läßt sich durch den Gedanken an das mit dcr Ausführung solchen Vorhabens verbundene Risiko kaum beirren. Zn der Regel gelangen von den jenseits deS OceanS befindlichen Be kannten nur günstig lautende Berichte nach der alten Heimath, sei eS. daß eS jenen in Wabrbeit leidlich gut ergeht; sei eS, daß sie sich schämen, ihr Mißgeschick, ihre Enttäuschung an dir große Glocke zu hängen. Und die namentlich in den letzten Jahren sich mehrende Zahl der Deutschamerikaner, welche mit erheblichem Aufwand an Zeit und Geld dem alten Paterlande einen Besuch abstatten, kommt dcr Vorstellung zu Hilfe, daß trotz alledem und alledem das Auswandern doch eigentlich kein so übles Geschäft sein müsse. Daß man hier nur die glänzende Seile der Medaille erblickt, welcher aber eine um so trübere Kehrseite entspricht, will den wenigstcn einlcuchten. Und doch könnte sie der Umstand zum Nachdenken bringen, daß gerade die besuchsweise in der alten Heimath weilenden Deutschamerikaner, welche durchschnittlich aut siluirt sind und theilweise sogar in glänzenden Verhältnissen leben, stets vor dem Auswandern nach drüben warnen. Diese Thatsache wird von den verschiedensten Seiten bestätigt, gleichviel ob die Betreffenden ihr Glück in der industriellen, landwirth- schasllichcn, comiiicrzicllcii oder irgend welcher anderen geschäftlichen Laufbahn Amerikas gemacht haben. Es ist wohl kaum Einer unter ihnen, dem eS erspart geblieben wäre, eine harte Schule durchzumachen. Prüfungen zu überstehen, aus welche der Durchschnittsauöwanderer weder gefaßt, noch denen er gewachsen ist. Dadcr der von Deutsch amerikanern ausnahmslos vertretene Standpunct, daß sie nicht nur keinen Menschen zur Auswanderung crmuthigen, sondern im Gcgentbcil jedem, dcr hier ein irgend auskömm liches Brcd bat, den Rath geben, im alten Vatcrlande zu bleiben und nicht den Kamps ums Dasein jenseits des OceanS aufziistichcn, dcr dort weit schwerer ist und oen, dort Viele schneller unterliegen wie bier. Möchte diese Stellungnahme von einer Seite, deren Motive gewiß über Mißdeutung und Verdächtigung erhaben sind, nach Gebühr beachtet werden. * Berlin, 28. Juli. Professor Strack versendet folgende Zuschrift: „Der Rückzug des „Osservatoro Oattolioo". Eben erfahre ich von einem College», daß das „Berliner Tageblatt" Nr. 377 nach dem „Volk" melde, der „Osservatore Cattolico" habe mein Anerbieten, die Beweise des „Osservatore" für den Ritualniord bei den Juden zu widerlegen, angenommen. Diese Meldung deS „Volk" ist durchaus falsch, im Gcgentheil, der „Osservatore" hat Feurlletsn. Der Letzte seines Stammes. 2ül Licht- und Schattenbilder von Wolde mar Urban. »tachdrul verboten. (Fortsetzung.) Herr Colditz war eine echte Künstlererscheinung. Nicht mehr jung — der lange Vollbart spielte schon kräftig ins Graue — doch war er von einer unverwüstlichen Laune und von einer bezaubernden Frische des Geistes und GemülbS. Er hatte sein Lebtag nicht viel Freundliches vom Schicksal erfahren, aber seine Augen strahlten »ocb immer in einem frohen, gegen alles Unangenehme gleichailtigen Leichtsinn. Wie siehst Du denn aus, Gernot!-' fragte er den Ein tretenden in seiner lustigen Manier. Karl, wer ei» solches Bild zu malen weiß, wie Deine Virginia, der darf schon aus Dankbarkeit dem lieben Gott kein so schlechtes Gesicht machen. Was aicbtS? Ich wollte Dich bitten, zum Grafen Coda zu geben und alles Nähere mit ihm oder seinen Zeugen bezüglich eines Duells fest zu setzen, das zwischen mir und «hm morgen früh stattfinden soll. Bist Du toll, Gernot? Nein! Ich habe dem Grasen gesagt, daß er ein Schurke sei. Er wollte das nicht glauben, und ich muß wokl oder übel mein Wort vertreten. Du wirst daS einschen, Colditz! Du wirst nicht wollen, daß ich als Feigling vor der Welt stehe. Du Narr des Glücks, Du gehst in Deinen sicheren Tod! Kennst Du den Grafen Coda? Er ist in den Waffen aus gewachsen, sie sind sein Handwerk und Du — Du bist ein Maler und hast nie eine Waffe in der Hand gehabt. Ich weiß gar nicht, wozu Du solche Redensarten machst. Ich weiß ja daS Alles sehr wohl. Willst Du mir etwa den erbetenen Freundschaftdienst verweigern? Einen Freundschaftsdienst nennst Du daS? Dich in einen sicheren Tod führen? Gernot, verlange von mir, was Tu Willst. DaS kann ich nicht! Mache keine Flausen, Colditz, Du mußt e« thun. Wir haben Alles festzusetzcn: Ort, Zeit, Waffen! Nur eine Be dingung stellt der Graf. Welche? Daß — Einer der beiden Duellanten auf dem Platz bleibt. Herr Colditz trat einen Sckritt zurück und sah erschrocken auf seinen Freund. Es war ihm, als wenn er ihn schon blutend und zuckend vor sich liegen sähe. Dann nahm er ihn fest bei dcr Hand und sagte »nt leisem, aber bestimmtem und eindringlichem Ton: Gernot! Du willst Dich einem abgewirthschaftetcn In triganten, einem verkrachten Grafen, dcr nie etwas geleistet bat, nie etwas leisten wird, opfern? Du, der mit einem Pinsel strich die Existenz von bunkert solchen Grafen aufwiegt? Und gerade jetzt, wo Dein Glück im Zuge ist? Za, wenn Tu aucb ein Lump wärest, dann würde ich kein Wort sagen, dann wäre es um Euch Beide nicht schade. DaS Duell ist eine ganz feine Erfindung, wenn cs sich darum handelt, einen überflüssigen NichtStbuer, einen Ouerkops auf eine standes gemäße Weise aus der Welt zu schaffen. An einem Solchen liegt NichlS, aber an einem Künstler, dem Gott die Wege weist, liegt schon mehr. Ze nöthiger sie die Welt braucht, desto rarer sind sie, und gerade in unserer Zeit niuß mit diesem Material sorgfältig umgegangen werden. Du bast die Pflicht, zu arbeiten, das ist Deine Ehre, aber nicht die Pflicht, Dich todtschießen zu lassen. Mache doch nicht so viel Worte, Colditz! Alles, was Du sagst und waS Du sagen kannst, habe ich mir schon vorder gesagt. Und dock babe ick gefunden, daß ick dem Grasen Genugtbuunz schuldig bin. Gut, ich will sie ibm geben. Tie Well soll nicht von mir sagen, daß ich ein Feigling bin. DaS sind Redensarten, Gernot, aber der Tod, daS ist keine! Verstehst Du mich? DaS ist der Einzige, der nicht mit sich reden läßt. Herr Colditz war sehr ernst und ganz gegen seine Gewohn heit sehr gewichtig. Ich weiß, daß Du mich nicht im Stiche kaffen wirst, Colditz. Ich weiß, daß Du zum Grafen geben und alles Nöthige mit ihm besprechen wirst. Mache also weiter keine Versuche, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Ich lebe als Feigling nicht! Aber. Gernot — — l Sei still! Ist eS deS Grasen Schuld, daß ich der Waffen unkundig bin? Habe ich deshalb vielleicht nicht die Pflicht dcr Vertretung meiner Worte und Tbaten? Adieu, Colditz. Ich erwarte im Laufe deS Nachmittags Deine Nachrichten, was Du mil dem Grafen ausgemacht bast. Bringe sic mir auf mein Atelier. Still, sage ich, Colditz, eS hat keinen Zweck, an einer Tbatsache zu deuteln und zu drehen. Lebe wobl, ich erwarte Dich um drei oder vier Uhr, nicht später, hörst Du? Adieu! Herr Gernot ging fort und College Colditz blieb un- gewöbnlich ernst und nachdenklich allein. Durste er sich noch länger weigern, die Abmachungen mit dem Grase» Coda zu übernehmen? Er seufzte tief auf; eS ging nicht. Cs war immer noch besser, er mackle das selbst, wenn eS doch einmal geschehen mußte, als er überließ das einem Andern. Nach wenigen Minuten fuhr die Kranchcr zu ihm herein. War er da, Colditz? Wollen sie sich die Hälse brechen? WaS me-nen Sie, meine gute Kranchcr? Ach was, machen Sie mir keine Ausflüchte. Eie sollen den Henker machen für Gernot. Ist es nicht so? Ich weiß AUcS. Aber daraus wird Nichts. Wie? Wollen Sic daran Etwa- ändern? Hören Sie zu, Colditz! Wenn eS noch einen halbwegs gescheckten Menschen ans der Welt giebt, so sind Sie es! Herr Colditz verbeugte sich geschmeichelt und die Kranchcr sllhr mit eifrigen Gesten und lebhaften Augen fort auf Herrn Colditz einzureden. DaS dauerte eine geschlagene Viertelstunde. Sie entwickelte dabei eine Beredtsamkeit. die nicht ganz unpassend eine Eruption genannt werden tonnte und idr Kopf wurde dabei heiß wie ein Kochtopf. Als sic aber zu Ente war, ging Herr Colditz mit leuchtenden Angen und ibr dankbar entgegengestreckten Händen aus sie zu und bättc sie gewiß auch umarmt, wenn dcr Kranchcr gegenüber überhaupt Jemand hätte auf den Gedanken einer Umarmung kommen können. Sie sind rin Engel, meine beste Kranchcr. Und Sie sind ein Narr, Colditz, nebmen Sie mir'S nicht übel, aber das hat, so lange die Welt steht, noch Niemand von mir gesagt. Nu», da« will Nicht« heißen; noch ist nicht aller Tage Abend. Unsinn, Colditz. Aber tbun Sic, wie ich Ihnen gesagt habe, dann wird so Gott will, Alles gut. Es wäre doch wirklich ganz wider Sternclaus und Schicksal, wenn Gernot in dieser Weise zu Grunde geben sollte. Ich will daS Meinige thun und das sogleich. Sie werden mich entschuldigen, liebe Kranchcr, es gilt der guten Sache. Schon gut! Machen Sie, daß Sic sortkommen. DaS that denn Herr Colditz auch. Wie im Sturmschritt lief er die Linden entlang, aber statt die Direktion nach der Wolmnng des Grafen Coda einzuschlagen, wandte er sich die Friekrichstraßc hinaus nach der Wohnung des Herrn Doctor Flinker, desselben Herrn, der seiner Zeit Fräulein MariuS vermittelst eines schon näher bczcichiiclen HciltrankcS von Herrn Gernot zu keilen iiiitcrnommen batte. Da aber Fräulein Mimie versckmiyterwcise den Trank nicht einge nommen hatte und aiidcrerscits Herr Doctor Flindcr damit auch gar nicht beabsichtigte sie zu curircn, so war selbst verständlich aus der C»r nichts geworden. Deshalb war Herr Doctor Flindcr aber dock ein tüchtiger Arzt und er war durchaus nicht verantwortlich zu machen für den Um stand, daß eine Cur, bei der dcr Kranke nicht curirt sein will und der Arzt nicht curircn kann, imnier eine mißliche Sacke ist. Als Herr Colditz bei seinem Freunde, dem Herrn Doctor Flinker cintrat, war dieser gerade bei einer Beschäftigung, die bei den jüngeren Berliner Aerzte» die gewöhnliche und langjährige: nämlich er wartete auf Patienten, und zwar verglich. Tbuc mir den einzigen Gefallen, Doctor, und bringe heute die Menschheit nicht weiter in Gefahr, sondern komme mit. Wobin ? fragte Doctor Flinker, der für gewisse Scherze ein empfindliches Obr batte, und sah deshalb auch Herrn Colditz bärbeißig an. Komi» nur, Doctor, ich erzähle Dir den Fall unterwegs. ES bandelt sich darum, eine verfahrene Sache wieder m« richtige Gleis zu bringen. Du kannst ja immerhin Deinen Pslastcrkaslcn zurecht machen, hoffentlich brauchen wir ihn aber nicht. Du wirst doch begreifen, daß meine Hoffnungen nach der anderen Seite hin liegen.
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