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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920923029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892092302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892092302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-09
- Tag1892-09-23
- Monat1892-09
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Kchtra-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Auegabe, ohne Postbesörverunz ^2 60.—, mit Postbejürderung X 70.—- Ännahmklchlnß für Inserate: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn, und Festtags früh '/,S Uhr. Bel den Filialen und Annahmestellen je eint halbe Stunde früher. Inserate sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. -188. Freitag den 23. September 1892. 8«. Jahrgang Politische Cagesschau. * Leipzig, 23. September. Fürst BiSmarck ist in der Wahl seiner ossiciösen Federn niemals besonder- glücklich gewesen; seine Nachfolger aber sind in diesem Punkte, wie i» manchem anderen, noch weit weniger glücklich. Gestern »heilten wir einen höchst unge schickten officiösen Versuch, die Erstehung neuer mililairischer Forderungen zu rechtfertige», mit; heute begegnen wir einem nicht minder ungeschickten Versuche, „die Regierung" gegen den Vorwurf der „Progranimlosigkeit" in Schutz zu nehmen. Der Artikel, de» auck die „Norkd. Allgcm. Ztg." sich aneianet, zählt zunächst eine Reihe von Gesetzentwürfen auf, die seit Ostern 1800 im Reiche und in Preußen vorgelcgt und angenommen worden sind, weist dann auf die in Aus sicht stehenden Vorlagen bin und knüpft daran die Frage, ob angesichts dieser IbeilS vollzogenen, Ibcilö gewollten Reformen von einer Programiiilvsigkeir die Rede sein könne. Freilich, fährt der Ossiciosuü fori, scheine dieser Vorwurf noch einen besonderen Zweck zu haben. Anscheinend wolle man eine Antwort auf die Frage aus der Negierung hcrausprcsseu, mit welchen Parteien sie in der Folge zusammen,geben wolle. „Das heißt mit andere» Worten: man will die Regierung zu einer Parteiregierung stempeln und zwingen, daß sie ihren längst bekannten und von dein Reichskanzler wiederholt aus gesprochene» Grundsatz: ,.»>a» soll das Gute nehmen, wo man es findet", ausglebt. Tann freilich wäre ja injoser» Klarheit geschassea, als nunmehr zwei Parte inrupvirutige» — die eine für, die andere gegen die Regierung — fich kriegerisch gegenubeesieheii. Keine Oie gierung, am wenigsten die Regierung des Reichs und von Preußen, kann sich selbst de» Zwang einer Parleischablone auicrlcgeii, und wenn sie bisher etwas erreicht hat, so ist dies eben dadurch geschehen, daß sie selbst keine Partciregiermig ist, sondern sich die Uiilcrstützung Aller gern gefallen ließ, um di« von ihr als richtig und für das Vaterland als »olh- wendlg erkannte» Ziele zu erreichen. Aus diesem Wetze wird sie, wie wir glaube», wohl auch svrisahrcn, uud cs wäre »n Interesse des inneren Friedens in hohem Maße erwünscht, wenn inan sich entschlösse — eS dürfte dies daS beste Programm sein —, die Regierung nicht nach Parteigesichtspuucten, sondern nach rein sach- liche» Erwägungen zu beurlheilc» »nd sich fortan selbst mehr an der rein sachliche» Förderung der großen nanoualen Ausgaben zu betheiliaen. So würden sich manche, zum Thcil nur künstlich her- vorgerulene Getzeusätze leichter auSglcichc» und die Allen gemein- sam und in gleicher Weise theure» Interessen des Baterlandes ein« zweckdienliche Förderung erfahren." Man kann den Widerspruch nicht gewaltsamer herauS- sordern, als durch diese Zeilen. Hätten die Männer des neuen EurseS nur daö „Gute" genommen, wo sie cS sanden, so würde ihnen daraus kein Vernünftiger einen Vorwurf machen. Aber sie haben Anderes gelhan. Sie habe» ge geben, um zu empfangen, haben sich im Geben selbst über boten, um desto mehr empfangen zu können. Wie war eS denn mit den beite» Sperrgeldervorlagen und den beiden VolkSschulgesetzentwürfen? Mit jeder der beiden neuen Auslagen dieser Entwürfe dcsarouirte die Negierung sich selbst, um sich fröhliche Geber zu machen; mit jeder neuen Auslage wich man weiter von dein alten Eursc ab, der doch nach einer der ersten Versicherungen des neuen Reichskanzlers fortgesteuerl werden sollte; mit jeder dieser Auslagen wurde es ungewisser^, wie weit die Geberlaune an eine extreme Richtung »och geben werde. Und weiß dies, d. h. gerade das, was man wissen möchte und waS recht eigentlich das Programm der Regierung auS- macht, beute irgend ein Mensch? Liegt auch nur ei» klares Wort und auch nur eine klare Handlung vor, aus der man schließen könnte, wo die Willfährigkeit der Regierung gegen das Eenlrum aushören wird? Auf diese Frage hätte der OssiciosuS Antwort geben müssen, wenn er gekonnt hätte. Daß er eS nicht gekonnt, beweist am schlagendsten, daß auch er, trotz seiner Lobrede aus das NegierungSprogramm, von diesem nicht den leisesten Schimmer einer Ahnung hat. In einem rheinischen Blatte schildert ein Arzt seine Beobachtungen in den Hamburger Choleraspitälern uud erzählt dabei, daß die von der Seuche ergriffenen Branntweintrinker fast ausnahmslos sterben. Viele von ihnen sind nach ihren eigenen Angaben gewohnt, täglich für 2 bis 3 Branutwein zu trinken. Diese letztere», meist Trimmer, haben selbstverständlich einen sehr großen Tages verdienst, 15 bis 20 Dessen ungeachtet ist ihr Verbrauch von SchnapS ein kolossaler, ein entsetzenerregender zu nennen, nicht vom ökonomischen Stantpmict, sondern vom gesund heitlichen uud sittlichen. Es soll nicht bestritten werden, daß für die Schwerarbeitendcn im deutschen Norden der Genuß eines gewissen tägliche» Ouautumö Branutwein Bedürfuiß und der vollständige llcbcrgang zu anderen Spirituosen ein Ding der Unmöglichlcil ist. Aber bei einem täglichen Allswaude von zwei bis drei Mark für Schnaps ist »ut Bestimmtheit anzunehmen, daß Bier oder gar Wein von diesen Leuten nicht oder doch nur selten genossen wird. Noch ricj weniger wird daS der Fall sein bei Leuten mit geringeren Löhnen; diese werden bei schlechterer Kost eine im Vcrhältniß zu ibrer Nahrung und ihrem Einkommen »och größere Menge Branntwein genießen. Diese Leute also sink am wenigsten »i der Lage, der verheerende» Krankheit zu widerstehen, weniger als schwache Frauen und Kinder, die dem SchnapSgenuß nicht frohnen. Waö von der Cholera gilt, trifft auch für andere Krankheiten zu, und wer dies bezweifelt, mag sich a»S der Be gründung, welche die ReichSrcgieruiig ihrem vorjährigen Trunk- siichtSgesetzeiitwllrf beigegeben hat, die Bestätigung holen. Dieselbe RcichSregierung geht aber, wie nicht mehr bezweifelt werden kann, mit dem Plane um, die Bierftcuer zu er höhen, d. b. de» Anreiz zu vermindern, das gesunde Getränk statt des mörderischen zu genießen. OssiciöS wird dargcthan, die Bierstener in Nerddenlschlaiid sei lächerlich gering, denn sie erbringe aus de» Kopf der Bevölkerung nur 70 Pfennig, während sie in Württemberg 4 Mark und in Bayern gar 6 Mark ertrage. Das heißt indessen sehr mangclhast argn- i mentircn. Daß die norddeutsche Bierstcucr erheblich niedriger , ist, als die süddeutsche, ist ja eine aus den verschiedenen : Steuergcsetze» klar hcrvorgehcnbe Thatsache, wenn man - aber den kolossalen Unterschied im Ertrag gleichsetzl > der Differenz der Steuer, so ist daS falsch. Die nord- > deutsche Steuer würde trotz ihres niedrigen Satzes der ' süddeutsche» hinsichtlich des Ertrages weit näher kommen, s wenn im Norden auch nur annähernd so viel Bier getrunken würde, wie im Süden. Das bayerische Beispiel paßt für . den Norden nur siScalisch, nicht aber in sanita>rcr uud z moralischer Hinsicht. Obwohl i» den letzten zwanzig Jahren der bayerische Malzansschlag zwei Mal und beide Male sehr s bedeutend erhöht wurde, ist der Bierverbrauch nur gewachsen. . E- war eben ein gewohntes Getränk, das man den - Bayern verthenerte, »nd daß eine nicht geradezu übermäßige z Verthcucnmg gewohnter Geimßmittet den Coiisum nicht , beeinträchtigt, ist eine bekannte Erfahrung, die auch i die österreichische Tabakrcgie bei ihren mehrmalige» Aus z schlagen auf die mcistgeranchtcn Eigarrensortcn bestätigt , gefunken hat. Tic unerwartet geringen Erträgnisse der r deutschen Branniweinstcucr widersprechen dieser Erfahrung i auch nicht: cs wird nicht weniger Schnaps getrunken, aber ^ der getrunkene ist dünner geworden. So ist cö auch nickt zu t bezweifeln, daß eine erhöhte Bierstener in Nordreutschlant > den Eonsum nickt verringern wird, d. h. die Biertrinker werten e soviel trinken wie vorher. Diejenigen BevölkernngSclasscii aber, welche für den Bieraenuß gewonnen werden sollen, werden z bestärkt, am Schnapse sestznbalten. lind im Norden bilden , diese Elasten die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung. Die ReickSregiernug setzt sich, indem sie das Bier vcrthcueri, mit der GesundheilSlehrc, mit de» zahllosen Bestrebungen zur Beschränkung dcö Braiintwcinlrintenö nnv mit sich selbst in h Widerspruck, denn auch sie hat bekannt, im Schnaps eine , furchtbare Gefahr für die Zukunft der Nation zu erblicken. Die überaus eifrige »ltramontane Agitation dieses letzten Sommers hat die Hälfte ihrer Arbeit daran gesetzt, die Treue der Nationallibcralcn gegen Kaiser uud Reich zu verdächtigen und die Centrumspartci als die allein zuver lässige Stütze dcS Thrones anznprcisen. ES kann nickt Wunder nehmen, daß diese Kampfwcisc wieder aus genommen wird, nun cS die parlamcutariscke Campagne ciiizuleilen gilt. Eine der schönsten Blüthcn derselben leistet sich die „Germania", indem sie sich aus Baden berichten läßt, wie die dortigen Nationalliberalcn über die Abbestellung der KaisermanLvcr ersrcul seien, weil ie in die größte Verlegenheit gekommen wären, wie re nach den Bismarckkundgebungen dieses Sommers dem Kaiser hätten vor die Augen treten sollen. So albern dies Geschwätz ist, so hak es doch da- Verdienst, einmal ziemlich unverhüllt den Satz auSzusprechen: Wer BiSmarck verehrt, ist ein Feind des Kaisers. Man könnte den jesuitischen Intriganten nur dankbar sein, wen» diese Behauptung mit gleicher Deutlichkeit überall ausgesprochen würde, denn als dann würde ihr ganzes VcrdäcktignngSmanövcr sofort der Lächerlichkeit verfallen sei». Alle Well weiß, daß in den Kreisen, auö welchen die viclcrwäbiitcn Huldiguiigskundgcbungen für den Fürste» BiSmarck bcrvorgcgangen sind, der Gedanke von .Kaiser und Reick recht eigentlich den Boden besitzt, aus welchem er zur Beiwirklichuug und Ausgestaltung gelangt ist; alle Welt weiß, daß die dankoare Verehrung, welche in erster Linie die nationaltibcral gesinnte Bevölkerung dem Fürsten BiSmarck cntgegenbringt, recht eigentlich seinen Verdiensten um Kaiser und Reich gilt. Und diese Verdienste — das weiß ebenfalls alle Welt — können nickt verkannt werden uud werden nickt verkannt an der Stelle, aus welche die ultra- montane VerlcunidungSpolitik cö abgesehen hat. Deshalb hätte sich der scharfsichtige Psvchologe der „Germania" über die Verlegenheit der badischen Natiouattiberalen kein Kvpszcrbrcchcu zu mache» brauchen; sic würden dem Kaiser vor die Augen ge treten sein als die geborenen Anhänger von Kaiser »nd Reick. Wie viel derartige geborene Anhänger der nationale» Sache würde Wohl daS Centrnm ausmarschiro» lasten können? Wir wollen ihm daS jedoch zu Gute halte» und nnö freuen, wenn das Eenlrum hente auch als echt deutsch-national gesinnte Partei gelten will. Aber fragen möchten wir doch, wie denn wohl zene ultramontanen Redner dem Kaiser vor die Augen treten möchte», welche die Zurück ziehung der Votksscknlvorlagc noch sehr gelinde zu beurtheilen g-ermeinten, wenn sie sie als einen „Echcc" des KönigthumS bezeichnetcn? Darum sick Sorge zu machen, haben die ultra- montanen Faiseurs gegenwärtig alle Veranlassung, nicht um Berlcgeuhcitci« der Nationalliberalcn, die überhaupt nicht vorhanden sind. Wir haben bereits mehrfach der sich widerstreitende» Benrlbeilung gedacht, welche die jüngsten Manöver der französischen Armee und die hierbei zu Tage getretenen Leistungen der sogenannten gemischte» Truppent heilc gesunden haben. Die Einen wissen nur Günstiges zu melde», die Anderen aber vermische» ihr Lob mit reichlichem Tadel und gehen sogar so weil, zu behaupten, daß jene Truppen F-iaSco gemacht hätte». Es wird schwer sein, den richtigen Tbatbcsland zu ermitteln. Auch heute liegen uns wieder zwei ganz verschiedenartige llrlheile vor. Dem „Bert. Tagcbl." wird von seinem mililairischen Mitarbeiter geschrieben, daß die gemischten Trnppentheile den an sie gestellten Anforde rungen ganz und gar nickt entsprochen hätten. Der be treffende Berichterstatter sagt u. A: Obwohl die Mannschaften vorher mit Schubzeng versehen worden waren, »in zeitig über passendes und elninarschlrtes Sckub- zeng zu versagen, leistete» die gemischte» Regimenter im Marsche weit weniger als unsere Neservc-Division iin vorige» Jahre beim 4. Armeecorps, Uber welche die Franzosen selbst so abfällige Urtheite verbreiteten. Tie Marsch strecken waren nach Angaben von Augenzeugen mit einer erschreckend großen Zahl von Nachzüglern und Maroden bedeckt, die Marschtiefen erweiterte» sich durchweg ui» bis zu '/» im Vergleich zu den Linienbrigaden, die Ausfälle an Maroden betrugen an verschiedenen Tage» bis zu 30 Proeent, so daß die betreffenden Truppentheitc säst niemals in gefechtsmäßigem Z» stände das Gesichtsfeld erreichte». Plan hat das mit der „anßergcwühw lichcn" Hitze zu entschuldigen gesucht,allein inan muß den» doch fragen, wie cS in Wirklichkeit imSlnfang eines Krieges »lit dcrartigenlgemischtcn For mationen bestellt sein kan», wenn sie erst die Kricgsinniiiti '» zu tragen haben werden! Man schickt daS traurige Ergebniß außer der Hitze der zu schweren Belastung der Infanterie und de» zu großen Marschrouten zu. Indessen die Belastung ist im Kriege eine erheblich größere und die Märsche bis zum Gesichtsfelde hielten sich i» sehr mäßigen Dimensionen. Im Gesicht selbst herrschte überall eine große Schwerfälligkeit, von einer Feuerdisciplin wurde sehr wenig bemerkt, die Ossiciere halte» ihre Leute n»r in seltenen Fällen in der Hand und erwiesen sich ihrer Ausgabe noch etteiicr gewachsen; kurz und gut, der Eindruck war in der eigenen Armee ein sehr wenig befriedigender. Selbst unter den Ossieicre» wurde eine ganze Anzahl Maroder bemerkt, und größer war die Zahl derjenigen, welchen das Reiten so viel zu schaffen machte, daß sie aus die Tr»ppe keine Aufmerksamkeit niehr verwenden konnten. So das „Berliner Tageblatt". Einem Mitarbeiter des Pariser „Eclair" gegenüber bat dagegen der deutsche Militair- Attach': in der französischen Hauptstadt, Major v. Schwartz- koppen, die Haltung der französischen Trupvcn atS ganz vortrefflich bezeichnet, insonderheit hob er hervor, daß der Versuch, der in diesem Jahre zum ersten Mal« mit der Reserve und der Landwehr gemacht worden, glänzend ge lungen sei. Die Landwehr habe die größte Ausdauer und Marschfähigkeit bclnntet, so daß man im Kriegsfall aus sie rechnen könne, wie ans die activcn Truppen. Ebenso günstig urthcilte der ebenfalls befragte italienische Attachö. In Spanien bat das conscrvative Ministerium CanovaS delCastillo beiden soeben vollzogenen Wahlen mr die Provinzialräthe einen vollständigen Sieg davon getragen. Eü gelang trotz aller Anstrengungen der Opposi tionsparteien diesen doch nicht, auch nur an - einem Puncte einen nennenSwerthen Ersolg zu erringen und es sind mehr als fünf Hundert Candidatcn der Regieningopartei gewählt worden. DaS Verdienst, diesen Wahlsieg bcrbeigcsiibrt zu haben, gebührt an erster Stelle den« Minister de« Innern, Villaverte, während die übrigen Mitglieder des CabinctS CanovaS dct Casnlto rnbig auf ihren Landsitzen geblieben Ware». Wenn andererseits der Führer der Fusionislcu, Sagasta, vor einigen Tagen in einer Parteivcrsanimlung zu Oviedo sein ökonomische« Programm für den Fall ent wickelte, daß er wieder zur Regierung berufen werden sollte, so erscheint diese Eventuatität für geraume Zeit im Hinblick aus daö Ergebniß der Wahlen für die Provinzialrätbe aus geschlossen. Die Oppositionsparteien unterlassen allerdings nicht, darauf hiiizuwciscn, daß die Negierung ihre» Wahlsieg auch der Unterstützung der Carlistcn verdanke, nm die sic sich selbst beworben habe. Dieser Vorwurf erscheint jedoch keines wegs begrüntet, obgleich nicht in Abrede gestellt werte» kann, daß die Carlistcn auö eigener Initiative für die conservativcn Candidateu gestimmt haben. Jedenfalls darf sich daS Ministerium CanovaS darauf berufen, daß das allgemeine Stimmrecht sich zu seinen Gunsten geäußert hat. Die finanzielle Nothlagc, mit welcher die portu giesische Regierung zu kämpfen Kat, ist für dieselbe Anlaß gewesen, eine» Ausweg zu betrete», welcher, i» Ver bindung mit andere» Maßregeln, dazu dienen soll, den Staatssäckel wenigstens einigermaßen zu entlaste». Ein königl. Teeret schlagt vor, die Gewährung von Tage geldern (Diäten) an die Abgeordneten beider Kammern abzuschafscn. Bis jetzt hatten die noth- wendigc» Ersparnisse und die Verkürzung aller staatliche» Leistungen bereits alle Beriissslandc »nd alle Gebiete dcö staatliche» Lebens betroffen; sogar der König Halle in eine wesentliche Verminderung der CiviUistc cingewitligt, ebenso wie sich sämmltichc Beamte eine Verkürzung ihres Gchaltö nm 10 bis 60 Proeent gefallen lassen mußten. Nur vor dem Parlamente hatte man Halt gemacht Weder hatten die Abgeordneten selbst auf einen Thcil ihrer Bezüge ver zichten wollen, noch wagte cö die Negierung, mit einem dahin gehende» Anträge bervorzutreten. Nunmehr aber löste die Regierung die Kammern aus »nd überraschte kurz daraus das Land mit dem Dccret, wonach innstighin keine Tagegelder an Feuilleton. Vas höchste Gut. 14) Roman von A. von Gersdorsf. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Ein Glück War, daß der Senator einfach jeden einzelnen der Herren beim Arm nahm und seiner Tochter vorstellle, die Erben der reichsten HandelSsürsten, der vornebnisten Firme», auck Ossiciere, die, angczvgen von dem vornehmen Wesen des reichen Senators, ihre Karten vor langer Zeit sckon „ab- geworsen" hatten. Sie neigt gleichmäßig und glcichgillig das Haupt ohne das übliche Lächeln. Zuletzt vor einem wirklich riesengroßen Mann, zu deni sic ihre stolzen Augen cmpor- heben muß, um nicht unhöflich zu erscheinen. „Herr ManruS van der Neesen." Jeder Zoll ein Gentleman. Die häßliche, vorspringende Stirn ein Sitz der Klugbeit. Die farblosen, enggescklitzten Augen voll Güte und Mitleid, die i» lebendigem Slrabl daraus sprühen Der vornehm geschnittene Mund zeigt die seinen Linien fast weiblicher Zärtlichkeit. Mit einem einzigen, ach nur zu erfahrenen Blick hat sie da- Alle« erfaß». Der Fächer rauscht zusammen. Sie reicht ibm, sonderbar aufalhmend, die Hand, die er mit seinen Riesensingern flüchtig »mschließt, fast gedankenvoll, jedenfalls ebenso gleichgilug stolz, wie sie zu ihm hinauf, zu ihr hinab sehend. „Ich erinnere mich Ihrer, Herr van der Neesen. Wir waren NachbarSkinder." „Ja, ich hatte den Vorzug, Ihnen vor Jahren einmal -ine Thür zu öffnen." » ^ „Jawohl, vor hundert Jahren." Welch' melancholisches Lächeln dabei k Er sagte nichts darauf und tritt stumm zur Seite, Andern Play machend. Aber daS Wort und da« Lächeln schwanden nie, niemals 4»« seinem SrdLchtniß. Er batte sich dies Mädchen anders gedacht. Weniger schön, viel liebenswürdiger und cokcttcr und nicht so überaus rinsach, so glcichgittig schmucklos in ihrer Toilette. Waö er sah und fand, legte sich wie ein Zauberban» ans sein Denken, wirbelte seine Sinne i» nie geahnter Gluth durcheinander. Sie ergründen! Sie verstehen! Sie besitzen! Er sprach wenig mit ihr. Aber den ganzen Abend lang folgte ihr sein Blick. ES war nicht ihre Schönheit, die ihn so beschäftigte — diese hatte er auf seine» vielen Reisen Wohl ebenso groß oder- größer gesehen — cö war ei» rätbsclhasteS Etwas, das seine Gedanken »nd seine Blicke sessclle »nd das über ihrer Person wie ein merkwürdiger Schein schwebte. Vielleicht trug auck dazu bei, daß man ibm von ibr wie von einem niedlicke» Kätzchen gesprochen batte, und nun fand er plötzlich eine Löwin oder Tigerin vor sich in ihrer ganzen Pracht und Gcsäbrlick keil. Er zog die Biaucn zusammen und dachte nnwitlkürlick an das verzweifelnde, wilde Tbier, das er mit seine» starken Händen in eiserner Geistesgegenwart so lange gewürgt halte, bis es sick krasllvö streckte und Hilfe kam. Der Blick unter den ziisammcngezogene» Brancn war so conccntrirt, schien so wenig vom Acnßcrn und so riet vom Innern dieses WeibeS zu scheu, daß ihre Augen mehr als einmal nurubig den seinigcn begegneten. Plötzlich streifte sie an ihm vorüber in ihrer rauschenden Seide und sab hochmüthig und doch traurig aus ihn „Warum sehen Sie mich so an?" herrschte sie leise. Welch' ein plötzliches Feuer blitzte aus seinen schmalen Äugen! „Weil — Sie irgend etwas sind, wa« Sie nicht — sein wollen. Oder irgend etwa- sei» wollen, WaS — Sic nicht sind", sagte er ebenso rasch und leise. Was fiel ihm nur ein? Er wartete nun athemloS auf ihr besremdctcS Zurück weichen, aus ihr empörtes, mit Recht empörtes Wort. KeinS von Beitem Sie sah ihm eine» Augenblick inS Gefickt, fast mit dem selben concentrirten Blick, wie er ihr, uud wendete sich mit einem verächtlichen Lächeln ab. „DaS ist Alles? Ich habe wahrhaftig geglaubt, Sie sähe» tiefer." Auch daS Wort behielt er im Gedächtnis) wie daö andere von den „hundert Jahren". In einer spatere» Zeit stellte er sie zusammen »nd begriff. Auch der Tact und die gleich- giltige Sicherheit ihres Benehmens gegen Andere erstaunten ibn. Ilm zwölf Uhr löste sick daö steife, unbehagliche Bei sammensein dieses Abend«. DaS Souper war aber vorzü§ iich gewesen, die Weine zum Tbcit uralt und edel. Die Meisten waren zufrieden nnd wünschten den Verkcbr anfreckt zu erhalten. Der Senator und seine Tochter waren ein Bild untadeligen Anstandes. Langcwcilc gehörte dazu. Als letzter verabschiedete sich sNanruS. Er führte ihre Hand langsam an seine Lippen, halb in der Bitte um Ver zeihung, halb in dem Wunsche, noch einmal ihren Blick zu erfassen. Eie überließ ihm gütig, nachlässig die Hand und sah etwas geistesabwesend nabe an ibm vorbei »ach PetcrS, der eine Platte mit Gläsern hinaus trug. Er bälte ebenso gut den schönen, vellc» Arm küsse» können, der halb entblößt ans den schwarze» Sritzen schimmerte, als nur die Fiuacrspitzeu, sie hätte cö wahrscheinlich auch nicht weiter bemerkt. Wenigstciiö dachte er so, als er verwundert die Treppe hinabstieg. Der Senator stand am Tisch und trank eine Taffe schwarze» Kasscc. Seine Tochter, mitten im Zimmer stehend wie ein wunderbares Bild, beleuchtet von all den snnkclndc» Lichtern, blickte aus die sich noch leise bewegende» Falle» des Thür- vorbange«. Frau Hansemann war t» den Kücheuräumen und sorgte für die schönen Speisereste. „Batcr —" „Ja, Kind. WaS ist?" Er brannte eine letzte Cigarette über einem Armleuchter an. „Ist c« Der, den ich beirathen soll?" „Der? Wenn Du MauruS van der Neesen meinst". „Natürlich. Wen sonst?" „Ja — der ist eS. Hat er Dir nickt gefallen?" „Gefallen?" sagte sie zögernd. „Ich weih nickt t eS ist solch' ein einfaches, gewöhnliche- Wort, und der Mann ist so vollständig da« Gegentheil vo» einfach und gewöhnlich. So fremdartig, so — so ohne Gleichen — meinst Tu nicht, Vater?" „Kan» schon sein, und dann, denke ich, sollte er Dir ge falle»", bebarrtc er. Sie sah gedankenvoll zur Erde. „So riesenhaft, so erdrückend groß in seiner Erscheinung, »nd ganz sicher ebenso in seinem Fübtcn und Denken", fuhr sie langsam fort, „in seinem Schutz könnte man sich, glaube ich, nie und nimmer fürchten, vor nicht« auf Erden — außer vor ibm selbst", schloß sie mit einem matte» Lackel». Der Senator sab bald erfreut, balb sarkastisch a»S. „Eine sehr interessante und schmeichelhafte Bcurtbcilinig, Dcra Maria, schön gesagt — ich würde mich kürzer fassen: „Nehmt Altcö nur in Allein — er ist ei» Mann!" llud ein Mann »ach meine»! Herzen, da« beißt ein Sohn, »nd der rcchte Mann für Dich, »icin Kind. Alte Enttäuschungen, alle SchicksalSscbläge, die ganze Leere meine» Lebens könntest Tn mich vergessen machen durch diese Heiratb. Ich würde noch ciiimat jung. Ader laßt mich nicht zu lange warten, denn a» meinen alten Knochen nagt der Tcdtcnwurm schon recht vernehmlich." Er setzte sich, »nd ein Ausdruck körperlicher Pein flog über sein gelbliche« Gesiebt. „Lieber Vater, Du erschreckst mich — Du fühlst irgend ein Leiden ?" Er schloß einen Augenblick die Angen und winkle stumm abwcbrcnd mit der Hand. „Ich bi» nickt krank — noch nickt", sagte er tonlos nnd schob die Reckte »»ter den Rock »ach der Ttcllc dcS Herzens. Angstvoll sah Dora Maria aus ihn nieder und zum Himmel aus. In dem Moment stürzte die Hansemann herein und störte Probleme »nd Nachdenken, Geheimnisse unk etwaige Geständ nisse, überhaupt Alles niit dein R»s, daß der junge Mensck» der va» der Neesen, der dem Hoppke zcbn Mark Trinkgeld ge geben, seinen Cylinder vergessen und den ko», Leichcnbesorgcr PeterS mitgenommen hätte. Unter der schweren, schwarzgrüncn Seide, unter der ihre Mutter den letzien röchelnde» Seufzer aii-gcstoßcn batte, lag die Tochter mit über dem Haupte gerungenen Hände».
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