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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.10.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-10-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921011029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892101102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892101102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-10
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Cour." von einem „stets aus bester Quelle unterrichteten Gewährs mann" schreiben: „Daß eine Ministerkrisis besteht, wird kaum Jemand leugnen können, der von den Vorgängen, welche sich in den letzten Tagen abgespielt haben, unterrichtet ist. Nur ist cs irrthümiich, speciell eine Gegnerschaft zwischen dem Reichskanzler und dem Minister Miguel zu construircn. Tie Gegensätze bestehen zwischen dem Reichs kanzler und dem gesammten preußischen Staatsminislcrium, speciell dem Präsidenten desselben, Grasen Eulcubnrg, und sollen in ziemlich heftiger Form zu Tage getreten sein. Welche Folgen die Sache -haben wird, läßt sich vorläufig noch gar nicht ermessen; man spricht davon, daß sowohl der Reichskanzler wie der Ministerpräsident Entlassungsgesuche eingercicht hätten. Toch sind das nur Gerüchte, um die Thatsachc ernstlicher Tissercnzen zwischen beiden zu constatircn, die ihren Ursprung in der Behandlung der Militairvorlage haben." Der „unterrichtete" Gewährsmann hat anschlagcn, aber nicht läuten gehört. Eine Spannung zwischen dem Reichs kanzler und einem Thcile des preußischen StaatSministeriums besteht allerdings, aber sic ist weder durch den Inhalt noch durch die Frage der geschäftlichen Behandlung dcrMilitairvorlage erzeugt, sondern durch die Frage, ob das preußische Ministerium das parlamentarische Schicksal der Vorlage durch Con- cessionenan daö Cent rum zu beeinflussen habe. Daß die MeinungSdisfercn; über diese überaus wichtige Frage zu einer Krisiö und zu Entlaffungsgesuchen des Kanzlers sowohl, wie des preußischen Ministerpräsidenten führen kann, ist nicht zu bezweifeln; aber höchst unwahrscheinlich ist cS, daß die Spannung bereits bis zu Vem Grade gestiegen sei, der einen Appell an die höchste Instanz nöthig macht. Lange freilich kann, nachdem das preußische StaatSministcrium in die Vor bereitungen für die nächste LandtagSsessiou cingetrcten ist, die Entscheidung nicht mehr auSbleibcn. Allerdings meldet beute die „Post", die Militairvorlage werde im Bnndcsrathe bis Ende dieses Jahres verbleiben und auch vorher nicht veröffentlicht werde»; trotzdem wird daö preußische Ministerium sich schon in Kürze darüber schlüssig machen müssen, ob eS der Militairvorlage zu Liebe dem Centn»» anfS Reue cnt- gegenkommen will. Denn soll daö Letztere von preußischer Ente „wohlwollend gestimmt" werden, so muß der Stimm- bammer spätestens bei der Veröffentlichung oder bei der Einbringung der Vorlage im Reichstage angcsctzt werden. Ans bloße Versprechungen gicbt das Centn»» seit der Be seitigung der Zerlitz'schcn Schulvorlage mit Recht nichts mehr; cS zahlt nur baar gegen baar. Im ReichSjustizamt scheint man jetzt der Frage der Wieder herstellung der durch die große Iustizgcsctzgebung aufgehobenen Berufung gegen die Urtbcile der Strafkammern der Landgerichte ernstlich näher getreten zu sein und man wird demnächst einer bezüglichen Vorlage cntgegcnsehcn dürfen. Rach der neuen Slrafproceßordnuna ist bekanntlich die Be rufung nur zulässig gegen die Urtbcile der AmtS- und Schöffengerichte; die Urtbcile der Strafkammern und Schwur gerichte sind nicht mit der Berufung, sondern allein mit der Revision anfechtbar, welche nur darauf gestützt werden kann, daß daö Urtheil auf einer Verletzung dcö Gesetzes beruht. Die lhatsächlichen Feststellungen der Etraf- kammerurthcilc sind unabänderlich, und diese Unabänderlichkeit besteht weder für die Urtheilc der Amts- und Schöffengerichte, noch auch, wenigstens in diesem Umsang, für die Urtheilc der Schwurgerichte. Dieselbe wird damit zu begründen versucht, daß infolge der das Strafverfahren beherrschenden Grundsätze unmittelbarer Beweisaufnahme und freier BcwciSwürdignng Fehler in der Entscheidung der BcwciSfragc nicht nachzuwciscn, daß die Berufung mit der Mündigkeit und Ocsfentlichkcit des Ver fahrens nicht vereinbar sei. Zu diesem in der Natur des Verfahrens gelegenen Grunde treten als äußere Gründe hinzu die Schwierigkeiten in der Organisation der Berufungs gerichte und in der Construclion dcö BcrufungSvcrfahrenS. Allein trotzdem bat sich in neuerer Zeit eine lebhafte Bewegung für die Wiedereinführung der Berufung erhoben, je mehr Fälle bekannt geworden sind, in welchen rechtskräftig Vcrurthciltc im Wiederaufnahmeverfahren frcigcsprochcn wnrdcn. Verschiedene Anwaltstagc und der deutsche Iurislcntag sprachen sich für die Wiedereinführung der Berufung auS. Ter Bnndcsrath würde mit einem die Wiedereinsührung der Berufung enthaltenden Gesetzentwurf einem alten Wunsch und einer wiederholten Anregung dcö Reichstags cntgcgen- komincn. Seit Anfang der achtziger Jahre kehrten die be züglichen Anträge der Abgeordneten Mnnckel und Rcichen- sperzer stets wieder, riefen eingehende Erörterungen im Reichstag hervor und wurden auch in Ecmmissioncn bcrathen. In der Session 1885/80 wurde der Antrag vom Reichstag angenommen, vom BnndcSrath aber alsdann abgelchnt. Auch später noch wiederholte Anregungen in dieser Richtung hatten keinen praktischen Erfolg. Um so erfreulicher ist cS, wenn sich jetzt auch im BundeSrath ein Umschwung in dieser Frage vollzogen hat. Luxemburg ist bekanntlich ein Ländchcn, dessen Bewohner in Bezug auf ihre Nationalität nicht recht im Klaren sind. Die Mehrheit neigt zu Deutschland hin, »anicntlich die Landleute, während in den wenigen Städten die höheren Elasten mehr französisches Wesen zur Schau tragen. Das luxemburgische Amtsblatt erscheint in dculschcr und französischer Sprache. Ein die Interessen Frankreichs ver fechtendes Wochcnblättchen kann nun nicht umhin, den Vor wurf gegen die Regierung zu erhe-c», daß der französische Thcil ihres Organs in sprachlicher Beziehung viel zu wünschen übrig lasse. Ter Vorwurf, der übrigens von sachkundigen Leuten auögeht, ist durchaus begründet. DaS Küchcnsranzösisch, daö hier erzeugt wird, muß franzö sischen Ohren geradezu schauerlich klingen. Wenn nickt einmal die Regierung cs fertig bringt, sich in tadelloser Weise in der sremdcn Sprache auSzudrückcn. so kann man leicht denken, wie cS in dieser Bezieh.mg in de» unteren Graden der Beamtenhicrarchic auSsiebt. In den ans diesen Kreisen stam menden literarischen Leistungen wimmelt cö nur von ortho graphischen Fehlern, aber trotzdem will cs der hergebrachte Echlcndrian, daß die unglücklichen Menschen sich einer Sprache bedienen, die sie gar nicht beherrschen. Auch die Abgeordneten kammer seufzt unter diesem unseligen Bann. Da gicbt es etwa ein halbes Dutzend Mitglieder, die ihre deutsch gedachten Gedanken halbwegs anständig in französische Worte zu kleiden verstehen. Der Rest ist zum Schweigen verur- theilt. Kommt einmal einem dieser Schweiger der Verhängnis; volle Gedanke, auch seinerseits etwas auf französisch" los- zulaffcn, so wird ein linguistisches llngethüm zu Tage ge- lördert, das mit dem besten Willen bei keiner der lebenden Sprachen untcrzubringcn ist. Ter Zuhörer auf der Tribüne aber möchte dann mit Goethe auörufen: „Baumwolle her, der Kerl sprengt mir die Ohren!" Die Tagespreise, soweit sie in französischer Sprache erscheint, steht ganz auf derselben akademischen Höhe. Aus dieser Presse kann man nur das Eine lernen, wie man die französische Sprache nicht schreiben soll. „Und die Moral zu alle dem?" fragt die „Köln. Ztg." Sie liegt in dem derben alten Wort: Sprecht, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!" Die politische Reizbarkeit der Franzosen, welche überall, wo der auswärtigen Politik der Republik irgend ein Hinder niß cntgegcntritt, deutsche Umtriebe wittert, hat cs fertig gebracht, auch den König von Dabomey, weil er den sranzösischeu Angriffen tapfer widersteht, für eine in den Händen deutscher „Abenteurer" auS Togoland bcsindlichc und von diesen gelenkte Drahtpuppe zu erklären. Daß Deutsch land den Tabomeyer» in höchst völkerrechtswidriger Weise Kanone» und klcinkalibrige Gewehre zu beliebiger Ver fügung hält, wird von der großen Masse französischer ZcilnngS- lcser felsenfest geglaubt und zu den übrigen Posten gebucht, mit denen man das französische Schuldkonto teö deutschen Nachbars im Lause der Jahre zu belasten für angczcigt gehalten bat. Ta cS sich bei dieser ganzen Asfaire nicht sowohl um reale, actcnmäßig feststehende Thatsachc», als um müßigen Blätter klatsch bandelt, würden auch noch so feierliche Verwahrungen deutscherseits an den fixen Ideen der Franzosen nicht um Haaresbreite zu rütteln vermögen. Mau läßt sie also am besten ans sich beruhen. Mißlicher ist cS schon, wenn selbst für ernsthaft gelten wollende Organe, wie die „Röp. fraiitz.", auf den Spuk hiucinfallen und Schilderungen vom Kriegsschauplätze in Daboinen bringe», welche den Leser notbwcndig in den Glauben versetzen müssen, daß die französischen ExpeditionStrnppen cö mit von deutschen Ossi cicren und Ingenieuren geführten Gegnern, die »ach einem vom Berliner Gcncralstabc eniworfenen strategischen Plane operircn, zu thun haben, und ans dem trotz alledem erfolg reichen Vordringen der Franzosen den Schluß ziehen, daß Frankreich jetzt den Deutschen ihre» Meiner zeige. Denn aus solchen Phantastereien bleibt als dauernder Rest die lleberzengung hasten, Deutschland habe nunmehr die längste Zeit den Vorrang unter den großen Militairmächte» behauptet und der Moment stehe fast unmittelbar bevor, wo Frankreich wieder in dcnsPlatz cin- rückcn werte, ans welchem cS im Iabre 1870 mehr durch Ucberrumpclung und Vcrratb als durch eigene Schuld getrieben worden sei. Es liegt auf der Hand, daß, je mehr die große Masse dcö französische» Volkes, die seit l87» zwar sehr wenig gelernt, aber eine ganze Menge Tinge wieder vergessen bat, sich in derartige Gedanfeiigänge cinlebt, die Friedens freunde desto sorgsamer aus ihrer Hut sein müsse». Man laffe nur erst die in Tahomcv begonnene tendenziöse Lcgcndcnbildung, wonach der Besiegte nickt eigentlich König Bebaiizi», Wohl aber der Berliner General stab sei, einmal allen Franzosen in Fleisch und Blut übergcgangcn sei», und man wird zu seinem Erstaunen finden, aus wie unendlich schwachen Füßen die seit 22 Jahren beobachtete Zurückhaltung der Pariser Politiker in europäischen Dingen stel l. Ohne im Geringsten pessimistischen Ideen nachzuhängcu, halten wir doch dafür, daß die von den Pariser Blättern an dem Dalwmcycr KriegSzugc verübten journalistischen Commcntarc eine» äußerst bedenklichen Ton anschlagcn, der in weiterem Verfolg nur in störende Disso nanzen auSartcn kann. Der demnächst zusammentrctende außerordentliche schwe dische Reichstag wird sich mit HccrcSrcform Vor schlagen zu befassen haben, über die jetzt Näheres bekannt wird. Die schwedische Armee soll in Zukunft aus sechs Armecbczirkc vcrthcilt werden, die schon ans FricdcnSfuß voll ständig und fast gleichartig organisirt sind. Hierzu kommt noch eine Reiter-Abtkcilung. Für die Verlbeilung der Truppen sind hauptsächlich militair-geographischc Verhältnisse maßgebend, wodurch fünf fast gleich große Abihcilungcn gleich einer ausgedehnten Bcwachungskette über den ganzen langgestreckte» Küstcngürtel Schwedens vertbeill sind, während die sechste etwas größere Abthcilnng gewissermaßen eine große strategische Reserve in den westlichen Provinzen des mittleren Schwedens bildet. Jede dieser sechs Verlbeilungen umfaßt außer Train- und Inzcnicnrtrnppcn 12 Bataillone Infanterie, 5 Schwadronen Cavallcric, 0 Batterien Artillerie; der dritte VerthcilnngSbezirk umfaßt jedoch ll) Insanteriebataillon^. Die Ucbungszcil der „Bewehrung", zu welch letzterer jeder waffen fähige junge Sckwedc berangezogcn werden kann,wird ans lio Tage und die ganze Wchrpflicktzcit auf 20 Jahre ausgedehnt. Diese Bewehrung wird in ein l. Aufgebot von 8 Altersklasse», ein 2. Aufgebot von 1 Altersklassen sowie den Landsturm, die 8 letzten Altersklassen umfassend, cingethcilt. Das l. Auf gebot bildet einen intcgrircnden Bestandtheil dcö Feldheeres, eine stets cinberusnngsberciic und überall, wo es erforderlich, anwendbare Vertbeidigungsslärke. DaS 2. Aufgebot ist darauf berechnet, eine Ersatzrcserve für daö Feldheer zu bilden; auS diesem sollen in Kricgözcitcn nach Maßgabe der vorhan denen Ofsieicre n. s. w. die Ncusormationcn vorgcnommen werden. Der Landsturm ist nur für die Vertbeidigung des HeimalbSorteS berechnet. Der kriegsdicnsttauchlichc Theil der Bewehrung, die jedes Jahr zur Hebung kommt, ist im Turchschuitl auf 2l ooo Mann berechnet. Die Hebungen vertheilte» sich für alle Waffcnartcn, mit Ausnahme der Eavallerie, aus zwei Iabre, mit 08 Tagen im ersten Jahre, wo die Wehrpflichtigen eigene Rccruteneompagnien bilden, und 22 Tagen im zweiten Jahre, wo sie mit dem Stamm- Heere znsammenüben. Die gesammtc Infanterie Schwedens auf dem Festlaudc wird nach dem Plane 7!» Bataillone um fassen, wozu noch 2 Bataillone auf der Insel Gothland kommen. Die gesammten durch den vorliegenden Hccr- ordnnngöplan entstehenden Kosten betragen rund 3Hz Millionen Kronen. Die neueste AttcntatSgeschichte in Serbien löst sich in Wohlgefallen auf. Die cingclcitctc Untersuchung in Sachen des vermeintlichen Attentats auf den früheren Minister präsidenten Paschilsck Kat nach den neuesten telegraphischen Mel dungen ergeben, daß das Gewehr des Panduren, welcher aus Paschitsch geschossen baden sollte, durch Zufall loS- gegangen ist und sich in ganz anderer Richtung entlud, als der, in welcher Paschitsch sich befand. Dieser hat selbst ein- gcräumt. daß er an keine böse 'Absicht dcö Panduren glaube.. Die radikale Partei wird daher nicht in der Lage sein, das Attentat sür die bevorstehenden Wahlen anSzunützcn. Waö die allgemeine Lage in Serbien betrifft, so ist die Frage immer noch sehr unklar, wo die fünf Sechstel oder gar neun Zehntel des serbischen Volkes hingcrathen sind, von welchen man so oft erzählte, daß sie hinter den radikalen Führern stehen und welche tbatsächlich hundertzwanzig von den hundcrt- siebcuundtreißig Sitzen der Skupschtina mit radikalen Tc- pulirlcn besetzt haben. Herr Ristitsck hat das radikale Eabinct davongcjagt, nickt weil Paschitsch so unvorsichtig war, die Demission auzubicten, sondern weil dies, wie eS aus den ausrichtigen Acnßcrniigcn Avakumowitsch'S und den mehr als naiven Geständnissen des Belgrader PrcßbnrcanS unzwei deutig bervorgeht, eine längst beschlossene Sache war, und seit vollen sechs Wochen wirthschaftcl das liberale Regime in einer Weise im Lande, als ob cö darauf abgesehen wäre, die Radikalen hcrauszufvrdcrn. Und von den vielgenannten neun Zehnteln sehen wir noch immer nichts, und die radikalen Massen, mit deren Grimme die Paschitsch und Consorten so oft gedroht, tragen geduldig auf ihrem breiten Rücken die vcrhaz;te Last der liberalen Regierung. Wir sieben da vor einer überaus interessanten Erscheinung der politischen Psycho logie. 'Auf dem Alcrinatzcr Parteitage zeigte cö sich, daß die radikalen Chefs die Kraft habe», ein Massenaufgebot der Bauernschaft »ach jedem beliebigen Puncle dcö Landes berbeizurufen. Es wäre ihnen vielleicht nicht gar so schwer, zwanzigtausend Bauern auf den Höben deS Wratsckar zu versammeln und damit den Versuch zu macken, sich der Hauptstadt zu bemächtigen und Herrn Ristitsch dorthin zu schicken, wohin er den König Milan und die Königin Natalie geschickt bat. Aber andererseits ist cS gar nickt unmöglich, daß Ristitsch gerade darauf rechnet, daß die Radikalen den Weg der Gesetzlichkeit verlassen, daß er nach einem starken Motive sucht, um vor Europa die SuSpcndirung der Ver fassung und die Etablirung einer Diktatur zu rechtfertigen, und daß die Radikalen ibm den gewünschten Vorwand nicht in die Hände spielen wollen. Doch sei dem, wie ihm wolle, die Tbatsache siebt fest, daß seit sechs Wochen den radikalen Massen zum Trotze ein liberales Regime in Serbien nach Belieben schaltet und waltet, ohne daß auch nur eine Hand Fenillctsn. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall, gs Nachdruck vcrdotcn. (Fortsetzung.) Fünftes Capitcl. In seinem bescheidenen Stübchen saß Lotbar Bingen am Schreibtisch, von dem er hin und wieder aufsprang, um dem geöffneten Clavier einige stürmische Passagen zu entlocken. Dann trat er anS Fenster, preßte da« Gesicht an die Scheiben, blickte hinaus auf die Schornsteine und Kirckthürmc, auf welche seine hochgelegene Woknung eine freie Aussicht bot . . und doch . . er fand keinen Stofs für das nächste Capitcl seines Romans. Er gehörte der jüngsten Richtung an, sür welche LebenSwahrbcil daö einzige Gesetz der Kunst ist. Dock er hatte leider so wenig in letzter Zeit erlebt, lauter Da- gewcseneS; er war in allen Winkeln der Residenz berum- gckrochen, um ein geeignetes Milieu sür seinen Helden zu finden . . und obschon er sich von den Lumpensammlern da durch unterschied, daß ibm nicht die im Koth aufgcstöbcrtcn Dinge, sondern dieser Koth selbst die Hauptsache war, so wollte sich doch auch dieses miliou nicht auSgiebig genug er weisen. Er verzweifelte an seiner Phantasie; doch zur reckten Zeit fiel ibm ein, daß er ja zum Dicksten keine Phantasie brauche, sondern nur Beobachtungsgabe, und dafür fehlten ihm wieder die Objecte; er batte schon so vieles Widerwärtige, Schmutzige und Gruselige geschildert, daß die trübe Stoff- quelle erschöpft schien. DaS Leben abzuschrciben, wenn eS nickt in diesem Schmutz opalisirte, war eine undankbare Aus gabe. Nack solcher Naturwabrhcit batten ja auch längst über wundene Classiker wie Goethe gestrebt. Lothar Bingen war ein Musiker seines Zeichens: dock er wollte als Eomponist über Richard Wagner hinausgehen, wobei er durch seinen gänzlichen Mangel an ErsindnngSkrasl unterstützt wurde; denn sein Abscheu vor der Melodie war so groß, wie seine Unfähigkeit, eine Tonfolge zu entdecken, die irgend einem Sterblichen i»S Gehör siel. Zum Stoff einer Riescnoper batte er sich Ferdinand Cortcz gewählt; aber er hatte diesen Stoff nicht in landläufiger Weise behandelt, wie Spontini, sondern im Stile Wagncr'S ein musikalisches GöttercpoS gedichtet. Mit Wodan war nichts mehr anzu- fangcn. Tic deutsche Walhalla war in Musik gesetzt: wer konnte noch einen Walkürenritt schreiben, nachdem Wagner ihre Rosse gezäumt und ihnen in die Steigbügel zum brau senden Ritt geholfen hatte? Aber Mexiko, die Göttcrwclt der Azteken — daS war noch ein jungfräulicher Boden sür die Musik; cS fehlte dem Stoffe zwar die Thcilnahnic, die das vaterländische Gefühl einflößt; doch auch Wagncr'S Phantasicgcstalten waren weder im deutschen Bunde, noch im deutschen Reiche hcimathbcrcchtigt. Dock wie großartig jene fremden Götter, denen in Tcnochtitlan die Altäre dampften: der Vitzliputzli, der Quatzclkoatl, der Gott der Lust, und Tczcatlipoca, der das Gute belohnte und daS Böse bestrafte. Die mcrikanische Walhalla batte er ans dem Fenerbcrgc Popokalepcll ausgcbaut und ließ sie vulkanisch beleuchten, wobei er mehr Dampf entwickelte als Wagner in seinen VcrwandlungSpausen. Die Leitmotive dieser mexikanischen Götter gingen durch Mark und Bein. Eö war eine zwar den Ohren wehtbncndc, aber dem künstlerischen Gefühl vurck ihre charakteristische Kraft sich einschmeichelnde Musik. An Alliterationen fehlte cS nicht nnd die Rhythmen deS Textes bewegten sich noch freier und unscandirbarcr als bei Wagner: ein Verdienst jener Götter, deren Namen aller Anstrengungen spotteten, sie in eins der üblichen VcrSmaße zu zwängen. Doch leider blieb hinter den titanenhaften Anstrengungen der Erfolg zurück, die Partituren kamen möglichst unstudirt wieder »ach Ha»?e. Tie Bühnen scheuten den Aufwand und die Mühe, dieser über alles gewohnte Maß hinauSgebenden Schöpfung gerecht zu werden. In der Tbat, sic war ein Cyklopcnba», dem gegenüber noch Richard Wagner viel Kalk und Mörtel be nutzte. Und wie der Oper ging cS auch einigen Sonate» und Symphonien, die dort begannen, wo Beethoven aus gekört, aber nicht einmal dort anfhörtc», wo das musikalische ChaoS begann. Nack solchen Enttäuschungen wandte fick Lothar ganz der Schriststellcrei zu und nur noch einige Clavicrstundcn, die er gab, um dcö Lebens Nothdnrfl bc friedigen zu können, erinnerten ihn an seine sür immer bin- geschwnndcne musikalische Glanzcpochc. Als Schriftsteller aber tbat er Buße sür die Verirrungen, die er fick als Com- ponist bei der Stosswabl batte zu Schulden kommen lassen; hier schloß er sich den neuesten Stürmern und Drängern an; sein Popokatcpctl war hier der unsichtbare Vulkan, auf dem die ganze Gesellschaft tanzte. Seinen Freunden galt er sür ein Genie nnd er war freundschaftlich genug gesinnt, um diese Ansicht zu thcile». Und wer Kälte ihn auch sür etwas anderes halten können, wenn man diese zu Berge stehenden struppigen schwarzen Haare sab, diese Augen, die einen überschwenglichen über irdischen Glanz hatte», diese Augenbraue», die sich düster buschig über der Nasenwurzel znsammcudrängtcn, diesen wchinüthigcn Zug um den Mund, in welchem die Ver zweiflung an allem Glück der Erde ansgedrückt war, diese hohe, dünne Gestalt, diese Hände mit den LiSztfingcrn? Die ganze Erscheinung batte elwaö Dämonisches, unv wenn er sprach, jo gewannen seine Züge etwas 'AuflenckilciideS, waö den ersten Eindruck wesentlich verbesserte. In jeder Hinsicht war er seinem Bruder Oswald unähnlich, dem tüchtigen Arzt nnd scharfsinnigen Denker, der soviel Rübe, Klarheit nnd Sicherheit besaß. Dieser trat gerade bei ihm ein, als er wiederum eine unwillkommene Panse in seinem dichterischen Schassen mit einigen Läufen und Akkorden ans LiSzt'S Clavierwerken aus- süllte. Lothar sprang von dem Clavier auf nnd drückte seinem Bruder herzlich die Hand; er freute fick, in seinen schwermülhige» Beobachtungen über das Stocken seiner poetischen Lchöpfungskrast und seines genialen Gedanken flusscS unterbrochen zu werden. Auch halte er Einiges aus dem Herzen, was er seinem Bruder beichten wollte: er hatte vor Oswald kein Geheimnis;; dieser aber hütete sich um so mehr, ikm seine cigcncnErlcbnisse milzutkeilen; er fürchtete, sic an die große Glocke gehängt nnd in einem Romancapitcl verarbeitet zu sehen. Er fühlte dem Bruder an den Puls. „Immer eine sicbcrischc Erregung. Du solltest Dir mit Deinem Dichten und Phantasire» etwas Rübe gönnen." „Rübe . . . wer kann dem Genius gebieten?" „Ich sollte glauben", versetzte Oswald, „daß Ihr bei Eurem Strebe» nach Natnrwahrhcit Euch nicht mit solchen sagenhaften Gespenstern wie Genie und dergleichen herum- schlazcn dürftet. Eine Summe gewisser Fähigkeiten, mit so und so vieler Dampskraft von Willcnscnergic in Schwung gebracht — daö ist Alles. Daö wird sich vielleicht noch einmal berechnen lassen. DaS müßt Ihr doch am besten cinschc». Ich selbst habe begründete Scheu vor dem, was man im Leben Genie nennt; ich fürchte, daß da immer eine Art von geistiger Störung zu Grunde liegt. „DeS Dichters Aug' in schönem Wahnsinn rollend", sagt ja ein großer Pect. Nun gicbt's aber einen Wahnsinn, der nickt mehr schön ist, mag er auch noch so sehr die Auge» rollen. Und das sürcht' ich, ist bei vielen von Euch der Fall! Laßt daher daS Genie lieber auS dem Spiele .. . cS stößt mir und vielen ruhig denkenden Männern Besorgnisse ein." „Du hast Recht", versetzte Lotbar. „Doch dergleichen fliegt einem noch immer an! Es ist der Staub anS den geistigen .Kinderstuben! Doch Genie ist auch Fleiß — und wir arbeiten gleichsam mit aufgckrämpeltcn Hemdsärmeln .. weil wir müssen!" „Sckafft nur Tüchtiges, so wird ein Werk mehr lohnen, als Hundert zusammengeschlenderte Geschickten." „Tu irrst, das ist eS eben; der Erfolg und der innere Werth — daS ist himmelweit verschieden. Wir sind unsterb lich, das lassen wir uns nickt nehmen." Oswald warf dem Bruder eiucn fragende» nnd prüfen den Blick zu. „Wir haben ein neues Weltjabr der Literatur cingclcitct und ei» paar Jahrtausende wie Teil des LantvogtS Barke mit gewaltigem Fußstoß hinter uns in den Abgrund der Zeit geschleudert. Von Sophokles bis Schiller und Goethe ist AÜcS überwunden Bei den Egyptern leitete der EiriuS ein neues Weltjabr ein. Ich gedenke, eine Zeitschrift mit diesem Titel berauSzugeben. Doch wenn wir auch die groß artigste Ilmwälzung der Literatur zu Wege gekrackt — der Buchhandel und das Publicum können »och nickt Nachkommen; unsere Sacke» geben nickt und die Verleger kommen nicht aus die Koste»; deshalb müsse» wir durch Fleiß ersetzen, was uns an Ersolg fehlt."
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