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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921029025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-10
- Tag1892-10-29
- Monat1892-10
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Reklamen unter dem Üiedaciionsstri'ch <4 ge spalten) üO.^, vor Len Faniilieunachrichieo iügespalten) 40 Grossere Tchritten laut u»ier«m Preis verzeichnis;. Tabellarischer und Zlffcrnjatz nach höherem Tarif. vsttra-Beilagen (gesalzt), nnr mit Lee Morgen-Ausgabe, ohne PoslbesSrLerung ,/ä 60.—, mit Postbesürderung el 70.—. Ännalnnelchluß für Inserate: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,9 Uhr. Bei den Filialen und AnnahmesleUen je eine halbe Stunde früher. Inserat» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von Z. Polz in Leipzig. 88. Jahrgang Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 30. Oktober, Vormittags nnr bis /.0 Uhr revssnet. 1bxpe<11tl<>n <1os I.eip/.iToi' '1'nLol)Intto8. Amtlicher Thetl. Lekauntmachung. Bon heute ab beträgt bei der Reichsbank der Tiscont 4 Procent, der Lombardzinsfust für Dartehne gegen ausschliesstiche Vcrpiandung von Schutdverjchreibungen des Reiches oder eines deutschen Staates 4'/, Proccnt, gegen Verpfändung sonstiger Effecten und Waaren ö Procent. Berli«, den 28. October 1892. Rcichsbank-lirectorinm. Äus Darzin. In der neuesten Nummer seiner „Zukunft" veröffentlicht Maximilian Harden Miltheilungen über Gefpräckc mit dem stursten BiSmarck in Barzin. Danach hat der Letztere über seine Haltung der Hamburger Ehvtera-Epidemie gegenüber gesagt: „Da schreiben die Zeitungen jetzt, cs wäre meine Pflicht ge wesen, ein officielles Beileidschreibcn an den Hamburger Senat zu richten. Den Leuten kann ich »ur antworten, was der alte Wrangel zum Sultan sagte, als der ihn nicht ins Serail lassen wollte: „Majestät überschätzen mir!" Ich bin heute nichts als u» pnrtioulier <lü cliskiuetion und es wäre eine lächerliche Wichligmacherei von mir, wenn ich da offene Briefe lösliche. Das können und sollen osficielle Persönlichkeiten thun: ich habe mich damit begnügt, dem mir befreundeten Oberbürgermeister und andere» Bekannten privatim meine Teilnahme au-zusprechen. Hätte ich mehr gethan, dann hätten eS meine gute» Freunde in der Presse und — anderswo mit einiger Berechtigung alS Bordringlichkcit bezeichnet. Ich sehe die Notizen ordentlich: „Nichts ist dem Allen dctllg, heute der Markt platz von Jena, morgen die Cholera, er ist nur zufrieden, wenn recht viel von ihm geredet wird." Jetzt können sie wenigstens nur schreien, ich sei ängstlich. Tu lieber Gott, ich habe in meinem Leben so manchen Cholerakranken gepflegt »nd bin angstsrei; vor Jahren bekam ich mal aus Nizza ein sehr schönes Spitzentnch ge schickt, in dem Koch dann Bacillen fand: übrigens eine recht cnt- wickelungssähige Art, seine Feinde aus der Welt zu schaffen . . . . Aber ich spräche gern wieder mit meinen Hamburgern. Man hat ihnen mit dem pharisäischen Geschimpfe schweres Unrecht gethan; der Boycott der Hamburger war ungesetzlich und die Regierung hatte die Pflicht, sofort und wirksam die Freizügigkeit zu schützen. Ebenso wäre es ihre Pflicht gewesen, nachdem sie von ihren Consuln in Rußland längst di« Cholerabertchle empfangen batte, öffentlich vor der Seuche zu warnen; besonders Preußen als Grenznachbar mußte den Berkehr überwachen. Wenn die oisieiösen Blätter Recht haben, that man aber gerade, was mau jetzt Hamburg vorwirst: man wollte die Handelsinteressei, schonen und schwieg." Ucber die Polen Politik sprach sich der Fürst auf eine Bemerkung seines Besuchers über die Versöhnlichkeit des neuen Erzbischofs von Posen u. A. wie folgt auS: „Die Tonart kenne ich! Die ist nur für den Anfang, um de» Kaiser und die Regierung zu beschwichtigen. LcdochowSki hat das eine Weile auch sehr geschickt gemacht; ober mein Herr Nachfolger brauchte mich doch nicht gerade da zu copiren, wo ich einen Fehler begangen habe. Wir haben jn seit 48 immer polnische Sympathien im Lande gehabt, trotzdem wir doch sehen, wie schon die polnischen Arbeiter überall sich durch Gewaltihäiigkcit hervorthun. Nur bei uns findet man die Neigung, sich sür fremde Nalioualbestrebungen zu begeistern, die am Ende doch nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können. Tic anderen Völker haben sich viel mehr gesunden Egoismus angeschafft und ein Microlawski würde heute nicht mehr die Unterstützung der internationale» Revolution finden. Gerade wir aber Hallen nicht die geringste Veranlasiung zur Polcilichwärmcrei, denn wir sollten aus der Gelcvichte gelernt haben, wie die Polen im iünszebnlen Jahrhundert, nach dem Frieden von Thorn. nameni- lich in Wcslprcuße» gehaust habe». Ta wurde mit Feuer und Schwert volonisiri und — gegen die Verträge, die volle Religions freiheit verbürgten — rücksichtslos kalholisirt. Tie Pole» haben erst Rußland »nd iväler die Bciitzldniiier des deulichcn Ordens an- geichnilien und überall, wohin sie kamen, haben sie den Bauernstand einer schrankenlosen Adelslyrannei unlerjocht. llnd daß sie heute nicht aus die Wiederherstellung des Polenreiches speculircn, das glaubt ihnen kein vernünftiger Mensch, Sie zeigen uns sreundliche Gesichter, weil sic wünschen, wir möchten Rußland schlagen und dann den 7'/, Millionen Polen — mehr giebt es überhaupt nicht aus der Welt — das ganze Gebiet der Ruthenen »nd Weißrussen resliluire». so etwa das, was sie im vierzehnten Jahrhundert bei der Tbelliing Rußlands in die Tasche steckten, bis über Kiew, Tichernigow und Cniolens hinaus. Das Volk, das jetzt da lebt, will aber von einer polnischen Herr schast gar nichts wisse», es ist ternrulsisch im Denken und Glauben; wo inan den Pole» alS Herr» kennen gelernt bat, da ist man »ach einer Erneuerung dieser Bekannlschast überhaupt nicht begierig; der polnische Bauer, der sich aus »»seren Schlactstseldern alS ein tapferer Soldat bewahrt hat, wird sich für eine Wiederkehr der Adelsdictotur bestens bedanken, er ist ganz zufrieden mit den Vortheilcn der germanischen Cultur und nur die Adligen und die Priester machen den Lärm. Tas sind aber zwei lehr intelligente und rührige, und deshalb besonders gefährliche Factore»; sic habe» a»ch in Ruß land, durch die Presse und durch die Frauen, mehr Einfluß, als man gewöhnlich glaubt. Ich will mit alle» meine» Mitbürger» in Frieden leben, aber in seiner exponirten Stellung kann Tcuischland iichjdc» Luxus slawischer oder römisch er Nebenrcgicrungen ungestraft nicht gestatte» und schließlich wolle» wir doch Alle, glaube ich, nicht eine» Krieg mit Rußland führen, nur um die Republik Polen unseligen Angedenkens wieder herzu st eilen. Tarant läuft die ganze Geschichte aber hinaus: die Polen betrachten Posen und Weslpreußcn nur als eiu Hebung«, lerrain, wo sie ihre nationalen Besonderheiten bewahren können, um sie dann, wenn wir. wie sie hoffen, Rußland geschlagen haben, in aller Ruhe in einem slawische» Staat mit cnitigermaniicher »nd antiproteslantischcr Spitze weiter zu pflegen. Darum macht unser: neueste polnische Wirlhschast auch in Rußland so viel böses Blut, weil man da gleich den Glauben verbreitet, wir ipceulirlc» auf die Revolution der russischen Polen." Auf die jetzige Negierung und ihr durch die Polenfrage bedingtes Verhältnis; zu Nußland übergehend, bemerkte der Fürst: „Bei uns scheint man von Alledem gar nichts zu merken. Man hält es mit dem Hofmeister deü CanLidc und glaubt, daß wir in der beste» aller Wellen leben. Es fehlt an Rückgrat und auch an Detailkcniitniß, Leute, die ich als wandelnde Reper torien benntzle, juristisch jaitelseste Menschen, die man nacliscthuge» konnte, werden als Repräsentanten der germanische» Vormacht in die Welt geschickt und solle» init ihren beschränkten Mitteln womöglich wilden Völkern imponirc». Andere wieder werde» Lurch die Rücksicht aus eine große Familie und der gleichen zu einer besonders starken Klebung gezwungen und wolle» >lm keinen Preis von dem Posten weichen, der sie nährt. Außerdem ist die Sorte zu zahlreich vertreten, von der Friedrich der Große zn sagen pflegte: „Amüsant bei Tische, dann rauSschmcißen!" Jetzt werden sie nicht immer raus- gcschmlssen. Und aus diesen Kreisen rührt zum Theil auch dic Ve» stiliiinulig mit Rußland her, deren Gründe ganz ähnlich denen sind, die z»>» siebenjährige» Kriege führten: Klatschereien, angebliche oder wirkliche Bonmots Friedrich'-- über die Kaiserin Elisabeth und die Pompadour. Man läßt sich jetzt durch die Rübe täuschen. Aber in solchen Situationen muß ich immer an die Geschichte von dem Bataillon denken, das 48 mit den Barrikadcnleulcn sraternisirle. Großes Erstaunen, Plötzlich wurde dem Commandcur »ine Meldung gebracht »nd josort hieß cs: „So, Kinder, nun haben wir wieder Patronen, nun gchts kos!" Auch Rußland kann nicht eher an eine active Pvlüik in großem Stil denken, alS bis es Geld »nd die richtige Waste hat. Aber die Verstimmung ist da und doch wäre sie gerade jetzt sehr leicht zu vermeiden ge- wesen. Rußland hat das natürliche Vedürsniß, sich durch Liebens würdigkeiten über die Schwierigkeiten im Innern hinweg zn Helsen, Wir geben ihm keinen Anlaß dazu, deshalb ist es liebenswürdig mit Jialicn, mit Oesterreich, mit dem Papst, vielleicht allzu sehr mit Rumänien, und es ländell mit Frankreich wie Ton Juan mit einer neue» Schöne», Ei» aggressives Vorgehen i» Europa oder in Asien enliprichl wohl bestimmt nicht de» Atsichle» des Zaren, der ein ruhiger, besonnener und im samiliäre» Glück behaglicher Herr ist: wen» er aber auf deutscher Sette eine unfreundliche Gesinnung »nd eine Stärkung des Potenthiims zu erkennen glaubt, dann tan» er schlicßllch auch im Hieb die beste Parade sehen, Tic Lehniucht nach dem Besitz KonslanlinopetS ist unter Alexander dein Zweiten etwas zurückgetrele»: er fürchtete eine Schwächung des Reiches — von Bnzauz ist »och Niemand fett geworden — und eine Erschwerung der Berwallung, die jetzt schon fast unübersehbar ist. Für die rein deutsche» Interessen kann es im Grunde glcich- gillig sei», ob Rußland eines Tages de» Schlüssel zu den Darda nellen in die Tasche steckt, dem Sulla» sei» Serail »nd seine Sicherheit garanlirt und dann abwarlet, bis ihm Europa Len Krieg erklärt. Ich weiß nicht, ob Frankreich diese Probe bestehe» würde, denn im Orient bal cS doch eigene Ambitionen; und ein Bnndniß mit den Mohammedanern würde in Rußland, wo das religiöse Empsinde» immer »och das stärkste Mvvcns ist, sicher nicht besonders populär sei». Meine Politik ist heute noch dieselbe wie im Krimkcieg; ich würde sagen: Laßt mich mit Euren Geschichte» zufrieden, sie geben mich nicht an und ich will damit nichts zu thun haben. Ich bi» sictsdciiür, sich nicht cinzninischen, dann laufen Einem die Anderen nach. Aber bei »ns möchte man jetzt am liebste» überall die Hand im Spiel habe» und nur ja nicht allein bleibe», Tas erinnert mich a» ein Hausmädchen, das meiner Frau Len Tiensl tündigte mit der Molivirung: „Au Allem kann ich mir gewöhne», nur au dem Einsainen nicht." Ueber die jetzige innere Lage ließ sich der Fürst fol gendermaßen vernehmen: „Tas Schlimmste ist, daß die jetzige Regierung das Rechte zu thun glaubt, weil sie Unterstützung findet. Wer unlerslützl sie den» aber? Doch zunächst die Parteien, die milde» historisch gewordenen Verhältnisse» u ii zu i ri cde n sind. Wir werden das bei der Militair- vorlagc vielleicht wieder erleben. Tie Confervativen betheuern ihre Unabhängigkeit vom Centriim. aber sie werden dem Truck der Regierung nachgeben und die Regierung wird sich vom Centruin stimme» lassen, daS mil seinen polnischen und welfiichcn Dependancen gern jede Unpopularitäl trägt, wenn diese Unpopularität in erst er Reihe die bestehende» Reichsinstituti onen trisst. Tic Regierung weiß auch ganz genau, daß sie aus das Centruin angewiesen ist; daher in der Norddeutschen der Artikel über den Katholikentag, zu dem allerdings Herr Pindter als Katholik und mit der leisen Rancuue gegen Preußen, die auch ich stets zu überwinden hatte, noch einigen eigene» Honig gethan haben mag. Zur Klärung der Situation, wie die Zeitungen sagen, werden ja die Militair- und Stcuergeschichten immerhin etwas beitragen." Schließlich erklärte der Fürst über sein Erscheinen im Reichstage: „Ich werde nur dann im Parlament erscheinen, wenn e» unumgänglich notliwendig ist. Berlin ist Garnisonstadt und ich müßte als Einziger in des Königs Rock nach Pflicht und Gewissen Sr. Majestät Regierung Opposition machen. Das ist eine fatale Rolle für mich und ich habe eine Scheu davor, wie früher, als ich noch in offenem Wasser badete, wenn ich aus dem Spruiig- bret stand. Auch würde die Presse ja doch Alles entstellen, was ich jage. Es ist ja jo leicht, ohne Fälschung, nur durch Weglassungen und Striche den Sinn einer Rede vollkommen zu ändern. Ich habe mich selbst einmal in diesem Fache versucht, als Redacteur der Einser Depesche, mit der die Socialbcnwkralen seit zwanzig Jahren krebsen gehen. Ter König schickte sie mir mit der Weisung, sie ganz oder nur theiliveise zn veröffentlichen, und alS ich sie nun durch Striche und Zujamnienzichungen redigirl halte, ries Moltke, der bei mir war, auS: „Vorhin war's eine Ehamade, jetzt isl's eine Fanfare." Vor ollen Dingen aber erschwert eine Wahrnehmung mir das Hervorlreten im Parlament. Die Persönlichkeiten der jetzigen Minister sind so dünn, die.deckende Scheibe, die sie bieten, ist so durchsichtig, daß die Person des Monarchen immer hindurchjcheint. Ich sehe für die Zukunft des monarchischen Gedankens eine Gefahr darin, wenn ein Herrscher, selbst in der besten Absicht, allzu häufig vor der Oefsenllichkeil sich ohne ministerielle Bekleidungsstücke zeigt. Und weil mir diese Gefahr nahe scheint und ein Kamps mit Strohmännern mich nicht lockt, deshalb sage ich, wie Chamisso, als die Franzosen in Tcutjchland waren: „Für mich hat die Situation kein Schwert." politische Tagesschau. * Leipzig, 29. October. Der Reichstag ist nunmehr aus den 22. November ein de rufen. Es ist infolge der wiederholten langen Bcr tagung die zweite Session der Legislaturperiode Kaum jemals wird man einem neue» Abschnitt in der Thäligtctt des Reichstags mit gleich großer Spannung ciitgegcngeschcn baden, wie der nnnmekr einberusenc» Session. Tenn niemals war eine große Entscheidung zweifelbasier und niemals standen für den Fall der Ablebniing einer Regierungsvorlage so kritische und tiefgehende Wendungen in Aussicht. Tie Ab- lcbnung einer solchen Vorlage kann keine Regierung ruhig binnehmen; sie bätte nur die Wahl, selhst zurückzittrelen oder an die Wähler zu appclliren. An VcrständigungS- vcrsnchcn, welche die allzu übermäßigen Forderungen cinzuschräiikcn bezwecken, wird cs nicht fcblcn, und cs wäre zur Vermeidung schwerer erschütternder Kämpfe höchlich zn wünschen, wenn die Regierung sich nicht kartiiäckig auf Forderungen verstcisen wollte, für die sie in diesem Reichstag aus keine Mebrbcit und noch weniger in einem folgenden zu hoffen bat. Wir sind überzeugt, daß die Mehrheit des Reichstags gegenwärtig einen großen Eonflict für ein schweres Unglück hält und darum gern vermeiden möchte. Mit einer Negierung, welche ihrerseits die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben strebt, sondern die cnlgegcnstehendcn ernsten wirthschaftlichen Bedenke» anerkennt und berücksichtigt, wäre eine Verständigung noch nicht ausgeschlossen, aber vbne Nachgiebigkeit und Entgegenkommen auch seitens der Negierung wird eS nicht gehen. Kommt ein Mililairgcsctz zn Stande, so wird sich die Aufmerksamkeit alöbald der Deckung der neu entstehenden Kosten zuwcndeu müssen. Werden die Forde rungen herabaeschraubt, so werden auch die Kosten vermindert, und wir hoffen, daß sonach auch die Stcuervorlagcn nickt den gewaltigen Umfang annehmen werden, der gegenwärtig die bclheiligte» ErwcroSkreise in Erregung und Besorgnis! versetzt. Die Steuersrage wird den Reichstag jedenfalls erst in einem vorgeschritteneren Stadium beschäftigen, da zunächst die Höbe des Bedürfnisses seslgesteUl sein muß. Gegen diese An- gelegenbeilcn, die derSession Inhalt und Gepräge geben werken, treten die andern, noch weiter zu erwartenden Vortagen sehr in den Hintergrund. A»cb die EtatSberettbnng wird ein be sonderes Interesse schwerlich gewinnen. Der Einberufung«- lermin ist diesmal ungewöhnlich frühzeitig bekannt gemacht worden. Um so besser werden sich die Abgeordneten in ihren eigenen Geschäften darauf cinrichtcn können, pünellich nud ohne Unterbrechung an den Sitzungen tbeilznncbmc». Dies ist durchaus notbwendig. Die Entscheidung wird wahrscheinlich bereit« vor Weilmachlen fallen, und bei der Unsicherheit so mancher Abstimmung ist pflichttreueste Ausübung des MaudaiS diesmal besonders erforderlich. Tie ersten Versuche, eine Abänderung der Militair' Vorlage hcrbcizusübrcn, werten voraussichttich bei der zwei jährigen Dienstzeit cinsetze», und eS dürsten sich daran, vielleicht mit Ausnahme der Eonservativen, alle Parteien bc tbciligen. Die zweijährige Dienstzeit ist die Würze, welche einigermaßen geeignet wäre, das übrige Gericht schmackhaft zu machen. Sic wird aber in einer Weise dargebolen, welche ibren Werth sehr bcrab,Hindert. Die verfassungsmäßige dreijährige Dienstzeit soll im Prineip iestgebalten, die zwei jährige Dienstzeit soll im Gesetz nur als „allgemeine" Rege! gewäbrl werden und nach dem Ablauf de« durch das Gesetz bergestellten Ouingucnnatö sell auch der Vcr- saffuugSarlikel wieder in praktische Wirksamkeit treten, wenn nicht eine anderweite Verständigung zu Stande kommt. In Eonscguenz dieser Auffassung sollen auch die Wehrpflichtigen nach zweijäbriger Dienstzeit nicht zur Reserve, sondern »ur mit Dispositionsurlaub ent- Fcriilletsi». Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. Lös Nachdruck Verbote«. (Fortsetzung.) Der Doctor wagte kaum, sie zu tadeln, daß sie die dumpfen Stuben in der Woknnng des Bäcker- mit diesem Keilern Aufenthalt vertauscht hatte; ja, als Arzt niußle er sich darüber, wie über daS veränderte Wesen des Mädchens sreuen, welches ja den engen Schranken tranmseligen Brütens enlronncn zu fein schien! und doch beängstigte ibn ibrc neu gewonnene Frcibeit, und für das Gefühl, dessen er nicht Herr werden konnte, fand er keinen ankern Namen als . . . Eifersucht! Er, Oswald Bingcr, eifersüchtig, er, der die Gefühle ruhig aus den, Seeirtisck zerlegte, jetzt selbst ini Banne eines landläufigen unk Ibörichlcn Gefühls! Es mnßte wobt so sein ... war eö doch eben erst bei seinem Bruder sogar zu heftigem Ausbruch gekommen! „Sie wohnen bier sebr freundlich", sagte er. „und dock Ibut eS mir leid, daß Sie au« einem Familicnbcim cnlfloben sind, das Ihnen einen Rückhalt und Schutz gab in allerlei Gefahren." „Welche Gefahren sollen mir droben! „Eine Künstlerin, zu welcher sich Schaaren von Verehrern drängen!" „Da« seh' ich Alles wie im Traum ... die Einzelnen ver schwinden in der Masse... da« Publicum gilt mir nur als das dunkle Ungelbüm im Zuschauerraum, da« vielköpfige und vielhändige Ungcthüm, da« bunkert Gelenke zugleich regt' — »Ich spreche nickt von dieser dunkeln Masse .. ich spreche von den Begeisterten, die auch am profanen Tage außerhalb de« Kunsltempel« der Künstlerin tmldiaen." „Sie werden meine Thür verschlossen finden ' »Und wer war der Offfcier, der Sie eben ver lassen hat?' „Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen; Cie sind ja mein Arzt und auch so etwas wie ein Scelonarzt!" „Also ein Verehrer... ein Liebhaber!" ries Oswald ungeduldig. Einen Augenblick schwieg Teresa betroffen, sie balle aus einmal daS Gcfübl, daß OSwald sie liebte. DaS war ihr bisber neck nie in de» Sinn gekommen. „Es handelt sich", sagte sie ernst, „nicht um eine flüchtige Tkeaterbnldigung. Auch einer solchen würde ich nickt auö dem Wege geben, wenn sic mick erfreute: jeden Schimmer von Glück würde ick erhaschen! llnd wer soll eS mir wehren ? Doch dergleichen ist mir grenzenlos glcickgiltig . . . Sumpf ist Sumpf, und wenn »ock so viele irre Lickicr daraus bervor- gucklen. Ein Sumpf ist daS ganze Theater; Publicum, Künstler, Bühnenleiter. Agenten,Kritiker —und was daran- hervorblübt sind »ur Giftpflanzen. Toch der Officicr, der mich eben besuchte, gehört nickt in dies Bereich: er bewundert die Künstlerin nicht, er haßt die Operette; dock er liebt mich, mich, nickt die Teresa Stern, die aus dem Zettel siebt, die Teresa Stobitzer, das Mädchen aus den Bergen, die Alpen tockter ... mich wie ick bin, lebe und cttbme, daS Geschöpf der 'Natur, nickt das Wunder der Kunst." „Also ... er liebt Sie! llnd Sic gewähren ibm Zutritt! DaS Leben, das bisher sür Sie in einem unsagbaren Tust der Ferne verschwand, da« Sie mir selbst oft als eine Traumlantschasl schilderten, jetzt streift eS die Nebelschleier ab, Sie finden eS sonnig und schön ... und strecken ihm die Arme entgegen, llnd was wertbloS ist auch sür andere . .. sür Sie hat cS Plötzlich Werth gewonnen... die leichtfertige Liebe." „Lasten Sie mich ausrcdcn! Tiefer Osficier, auS vor nehmer Familie stammend, wirbt nicht um flüchtige Gunst; er bietet mir seine Hand sür'S Leben." Jetzt konnte Oswald sich in seinen widersprechenden Empfindungen nickt zurcchtsindcn; er mußte sich ja sagen, daß ei» solcher ernst gemeinter Antrag ein großes Glück sür Teresa sei... und dom ... was blieb ihm dann übrig? Er kam zu spät als Schützer und Netter und so war da« Ge fühl, daS sich in ihm regte, gegenüber dem neuen Freund teS Mädchen-, durchaus feindseliger Ark. Und doch mußte er sich deshalb zur Ordnung rufen; c« war seiner unwürdig. Zur reckten Zeit kamen ihm noch einige rettende Scrupel und Zweifel. „Ein Osficier . .., ein Edelmann — und eine Theater dame! O man hat Beispiele ... oft ist solche Ehe nickt zum Glücke auSgcscblagen. Und wer weiiz^ ob er eS ernst meint? HcirathSaiiträge... da« sind oft iLprcnkel sür die Trosicln." „Er meint eS ernst; er ist edel und brav; er will mir jede« Opfer bringen." „So darf man wobl Glück wünschen?" „O nein, ich nehme diese Opfer nicht an; ick habe diesen Antrag znrückgewiesen; auch aus ankeren Gründen." „Sie sollten", sagte jetzt Oswald, „eS wohl erwägen, ehe Sie cS ablchnen, was Ihnen eine sichere Existenz gewähren kann." „Eine sichere Cristen; ? ES wäre das Unsicherste sür mich; denn wie lange würde sic bestehe»? Ich wiege mich am liebste» wie die Libelle aus dem schwanlende» Halme. Ich würde es nickt ausbaltcn in all der äußeren Sicherheit; denn die innere würde mir immer fehlen und rebellisch würde mein Herz sich empören gegen den beglückenden Zwang. Und da« verstehen Sie nicht, Sie HerzenSkunkigcr, und -Lie vergessen, wie Sie mich zuerst gesehen In Nubc und Frieden würde cS über mich kommen wie damals; ick würde es aus mir lasten süblcn wie drückende Schwüle und dann fürchte ick zu ersticken; ich bi» willenlos und eine un sichtbare Hand führt die meine . . . und nicht immer rettet mich ein thörickter guter Freund! Nein, wenn ich leben und athnien soll, brauche ick den erlösenden Sturm nnd die Wetterwolke, die mick trägt... den Sturm der Leidenschaft. Da vergcß' ich mich selbst und vergesse auch, niir ei» Leid anzutbun!" „Und diese Leidenschaft..." „Sic beglückt mich jetzt... beute, morgen, vielleicht noch übermorgen; waS später kommt, wer fragt danach? WaS war' ich ohne sie? Eine Mumie! Jetzt drangt Alles in mir zum Lickt, zum Leben .. Alles blübt i» mir .. die geöffneten Kronen trinken durstend das Sonnenlicht! Alle- glüht nnd sprüht . . zuckende Flammen, beseligende Glutb! Da« Leben kam mir vor wie eine große Leichenhalle, und ick fühlte, wie die Verwesung mir an« Herz schlich. Jetzt bin ich aus- gesprunge» . . das Lcichcngewand warf ick von mir, und im trunkenen Taumel geht der wilde Tan; über die Gräber. Da gelüstet e« mich nicht, darunter zu liegen. Reckt ge brecblichcr Moder ist der Leib ; er ist eine leuchtende Fackel der Schönheit, er versteht sich selbst, und die« Verstänrniß ist die Liebe." „Solche Sprache ist mir nicht fremd", versetzte Oswald schwcrmüthig; „ick köre daraus mcbr, als mir z» höre» lieb ist, und an der gclebrigcn Schülerin erkenn' ich ihre» Lehr meister. Es ist die Sprache, es ist der Stil. eS sind die Phantasien meines Bruders. Und wenn ick Ibr Teelciiarzt bin, so kann ick Sie stets nnr von Neuem warnen Es ist cm toller Flug, bei dem Sic zerschellen werden! Sie . . das Weib, da« siel, ibm anvcrlraut . . nickt er, denn er klappt »och zur rechten Zeit seine Flügel zusammen und bängt sich wie eine Fledermaus in einem Winkel ans! llnd dann de ginnt niit der neue» Dämmerung der neue Todtentanz! Er ist ei» kranker Mensch, ein Phantast, ein unausgcgobrciicS Genie — und da« schmeckt stet« nach Wahnsinn! O ich möchte . . ich wollte . . doch das ist jetzt vergeblich!" War sich doch Oswald noch selbst nickt klar über da« was er sich zumulben, waü er ibr verbeiße» konnte Und jetzt — jetzt war ja Alles vergeblich. Er erhob sich nnd sagte niit ernster Freundlichkeit: „DaS Eine müssen Sie mir versprechen, ick bitte, ich be schwöre Sic. Thnn Sie nichts Unwiederbringliche«!" Teresa zögerte. »Nun denn, komme, WaS mag! Glauben Sie an meine Freundschaft, rechnen Sie auf meinen Rath, aus meine Hilfe in jeder Lebenslage!" Er sprach die« mit so herzlichem Tone, daß Teresa, von innigster Rübniiig ergriffen, ibm nickl nur die Hand reichte, sondern sich auch zärtlich an ibn schmiegte. Kaum aber balle sich die Thür des Garten« hinter ibm geschloffen, als Teresa auS ibrem Schreibtisch einen Brief bervorboltc, den sic mit einer Art von seliger Trnnkcnbeit durchla-, zugleich einen Rosazettel, aus den sie ein slückiige« Ia! schrieb und das Couvert mit der Adresse: »Herrn Lothar Binger" versehen, ikrer Zofe zu schleuniger Besorgung übergab. (Fortsetzung folgt.)
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