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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921102020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892110202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892110202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-02
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In der Hauptsache dreht er sich setzt um die Frage, ob der von der übernatürlichen Geburt Ebristi bandelnde Satz dcS Aposto- licums nach dem Evangelium sich als ein Satz der durch Christus geoffenbartcn HeilSlebre darstellt oder menschliche Zulhat eines späteren Geschlechts ist. Auf der eine» Seite fordert man das Recht, mit strenger wissenschaftlicher Prüfung an diese Frage heranzutreten, auf der anderen Seite be streitet man dieses Recht und spricht Denjenigen, die cs fordern, die Befähigung zum kirchlichen Lchramtc ab, d. b. man fordert den Arm der weltlichen Macht zur Entfernung Derjenigen von Kanzeln und Lehrstühlen aus, die sich crdreistcn, auf daS Evangelium zurückzugehen. Diese Aufforderung wird ja wohl mit dem Hinweis auf das von Luther erstrittene Recht der Forschung im Evangelium beantwortet werden; wer aber aus eine mildere Form deS Kampfes als Frucht dcS Wittenberger Festes gebofft hat, sieht sich bitter enttäuscht. Und das ist um so beklagenswertber, je mehr der Ultramontanismus durch die Wittenberger Rede des Kaisers zu schroffsten Aus fällen gegen Luther und sein Werk sich angereizt findet. Mit wie peinlicher Sorgfalt hat man sich i» Wittenberg bemüht, Alles zu vermeiden, was die katholischen Mitchristen verletzen könnte! Schreibt doch einer der Festberichtcrstattcr: „Mit aufierorbentlicher Vorsicht hat man jede Anspielung auf den welthistorischen Kamps umgangen, dessen Signal von dieser Seite ausging. Selbst die Namen Rom und Abinst sind nicht ge- naunt worden. Ich lobe das nicht, ich tadle das nicht — das fällt austerhalb des Rahmens dieses Berichtes. Ich constatire dcn Zug. Bis in dcn historischen Festzug hinein har sich das geltend gemacht. Diesmal Hai man Tetzel mit seinem Ablastkarren nicht mehr gesehen, der im Feslzug des JahreS 1883, wenn ich mich nicht vollständig täusche, so innnier milfuhr und den die Bürger und Landleute sich lachend wiesen. Dieser Ablastiarren rief ihnen die ganze Zeit zurück und sie verstanden ihren Luther noch eins jo gut. Vielleicht redet die Lücke, wo man Tetzei erwarten konnte, jetzt noch deutlicher. Jedenfalls wird das Centrum aus dem Wittenberger Fest keine Gründe ziehen können, um der Mililairvorlage ein finsteres Gesicht zu machen." Und doch zeigt der UltramontaniSmus nicht nur ein finsteres Gesicht, sondern ergebt sich sogar in groben Schmähungen gegen den Kaiser, weil er trotz der ultramontanen Er klärung „Katholisch ist Trumps!" es gewagt hat, sein Fest balten am Bekenntnis; des Evangeliums bis in dcn Tod vor aller Welt feierlich zu verkünden. Wie diese Verkündigung aus die jesuitischen Kreise des BaticanS gewirkt hat, acht aus der folgenden, bereits in einem Theile der heutigen Morgenausgabe milgetbeilten römischen Depesche hervor: „Tie „Voce dclla Veritä" widmet der Wittenberger Rede des Kauers einen mit überaus scharfen Ausfällen gewürzten Leitartikel. Das Jesuitenorgan greift den Kaiser, der einen „Rebellen und Deserteur" verherrliche und dessen Alliirier heute den Papst ge- fangen Halle, heftig an. Den deutschen Katholiken dürften heute die Auslassungen des Kaisers nicht gleichgiltig sein. Zum Glück stehe heule der Papst als Triumphator da, während der Protestantismus längst todt sei." Die „deutschen" Centruuiöblätter werden sich ja etwas zurückhaltender in der Form äußern; welche Gesinnung aber in diesen Kreisen herrscht und waS sie auch ihrerseits dem deutschen Protestantismus zu bieten wagen, geht daraus hervor, daß von ultramcntancr Seite im Reichstage gegen die für daS Reichstagsgebäude geplante Aufstellung der Büste Luther's unter den hervorragenden Männern der deutschen ^Geschickte Widerspruck erhoben werten soll. Man siebt l hieraus, daß unsere Ultramontanen mit der „Boce della «Veritä" vollständig in der Ansicht übercinstimmcn, daß der Papst als Triumphator dastche und der Protestantismus längst todt sei, oder doch wenigstens so krank und elend, daß er ungestraft die Verleugnung seines Gründers, die Verleugnung seiner Gesinnung von sich fordern lasse. Und daS kann nach den Borgängcn der letzten Jahre nicht befremden. Ist doch der liberale Protestantismus im preußischen Abgeordnetenhaus!: mit dem Atheismus in einen Topf geworfen worden, hat man doch dem UltraiiivntaniS- mus die preußische Schule so gut wie ausliefern wolle», vactirt doch ein großer Tlieil der Eonscrvativen mit dem Eentrum, sucht dock der „deutsche Freisinn" sein Deutschtbum und seine Freisinnigkcit dadurch zu beweisen, daß er jeden Protest gegen ultramonlane Anmaßungen als „Katholikenhetze" brand markt und dauert doch die Waffenruhe im protestantischen Lager nicht eine Stunde über die Wittenberger Feier hinaus! Und wer weiß, waö wir i» der nächsten Session des Reichstags und des preußischen Landtags noch von jener diplomalisirendcn Weisheit des „neuen Eurscs" zu erwarten haben, die den ultramontancn Uebcrmuth bereits so hoch gesteigert hat! Die einzige Hoffnung bleibt noch: daß Rom und seine Anhänger immer jchroffcr und immer rücksichtsloser Vorgehen und va- durch das protestantische Ebr- nnd ZusauimengehörigkeitS- gefühl überall, wo es jetzt schlummert, wieder wächrust. Der längst erwartete „Pairsschub" in Oesterreich ist endlich erfolgt. Durch den Tod waren besonders in die Reihen der Vertreter der Industrie, des Handels und der Finanzwclt im österreichischen Herrenhaus starke Lücken gerissen worden. Durch dcn jetzigen Pairsschub sind 1l Verfassungs treue, 7 Feudaltlerikale und 3 Angehörige der Mittelparlei in die gedachte parlamentarische Körperschaft berufen und zwar u. A. der ReichSralbSabgeordnete Ritter von Gvuiperz, disber Vertreter der Brünucr Handels- und Gewerbe- kammcr, der Bicc-Gouvcrneur der österreichisch-ungarischen Bank, Zimiiierinaiiii, und mehrere Großindustrielle, darunter Ringhoffer und Lcitenbergcr; ferner nennt die „Wiener Zeitung" unter den Ernannten dcn in Sportkreisen viel genannten Grasen Syiva-Tarouca, mehrere Landtags abgeordnete, darunter den Prinzen Ferdinand Lobkowitz und den Präsidenten des Dalmatiner Landtages Vojnovic, ferner mehrere Professoren der Universität. Großgrundbesitzer, 2 Feldzeugmeister, im Ganzen 21 neue Mitglieder dcS Herren hauses aus Lebenszeit. Fürst Windischgratz ist zum Vicc- präsidenlen ernannt worden. An den Mehrheits-Verhältnissen des Hauses scheinen die Neuernennlingen nichts Wesentliches geändert zu haben. Die Linke ist zwar am stärksten bedacht, sie batte aber auch in der letzten Zeit durch dcn Tod die stärksten Verluste erlitten. Die Bergleute in Earmaux jubiliren und sie haben auch ein Recht darauf, denn alle ihre Forderungen sind von dcn zu Kreuze gekrochenen Machthabern in Paris erfüllt worden; aber sie merken in ihrem Freudenräusche nicht, daß sie ein todteö Werkzeug in der Hand einiger Politiker sind und daß man sich ihrer »nr bedient, um bei zwei oder dritthalb Millionen von Proletarier-Wählern Frankreichs für die eine oder die andere Partei Rcclanic zu machen und im Trüben ;n fischen. Das spricht für eine ungewöhnliche Be schränktheit und diese bedeutet eine fast eben so schwere Gefahr, wie die erbärmliche Sckwäche der französische» Regierung. Denn einfältige Menschen sind zu Allem im Stande; da sie die Folgen ihrer Handlungen nicht voraus- zuschcn vermögen, so ifl von ihnen ein Widerstand auch gegen die schlimmsten Rathschläge oder Einflüsterungen nicht zu erwarten. Herr Eleinenceau will sich auS der Haut der Earmauxer Arbeiter eine neue Bolksthümlichkeit schneide», deren er sehr bedarf, da die alle vollständig aufgetragcn ist. Er wird also nicht aushvren, zu Hetzen und zu schüren, bis er entweder alle Forde rungen der Ausständigen durchsetzt und im benga lischen Lichte eines St. Georgs der Proletarier nnd Besiegers der bauchigen Bourgeois vor der französischen Arbeiterschaft erscheinen kan», oder bis cS zu einem Straße» aufstandc tviiintt, der ihm gestattet, sich zum Rücker ver gossenen Arbeiterblutcs aufzuwcrfcn. Tie zweite Möglichkeit ist wenig wahrscheinlich. Die radikalen Aufwiegler treiben zwar die Ausständigen geradenwegs in den Barrikadenkampf, aber zu einen« Kampfe gehören zwei Parteien, nnb die andere. daS Mililair, wird im tragischen Augenblick wahr scheinlich fehlen. Denn die Regierung zittert auf ihren Schlottcrbcinen und wird die Truppen voraussichtlich aus Earmaux zurückziehen, wenn ein Zusammenstoß drohen sollte. Herr Loubet bat zwar in der Kammer mit großem Stolze declamirl: „Für die Ordnung und die Freiheit der Arbeit werden wir sorgen", aber das war nicht ernst gemeint. Als eine Abordnung von Arbeitern, die kein „Syndikat" der Ausständige» nicht angebörcn, beim Präsccten des Tarn- DepartementS war und fragte, ob sie auf den Schutz der Regierung zählen könnten, wenn sie die Arbeit aufnebmen würden, da gab ihnen der Präsect die unglaubliche Antwort, sie sollten trachten, zahlreicher zu werden und „einflußreiche Unterstützung" zu erlangen, dann würde der Schutz der Regierung ihnen nicht fehlen! Aus die eigene Kappe würde der Präseet eine solche Antwort nicht nehmen. Offenbar ist er zu einer derartigen Sprache ermächtigt. Während also der Minister in der Kammer mit „Ordnung und ArbeitSsreiheit" prahlt, deutet der Präsect an Ort und Stelle den Arbeitern an, sie würden ArbeitSsreiheit baden, wenn sie stark genug sein würden, sie mit der eigenen Faust oder Waffe zu vcr- iheidigen. WaS in Earmaux vorgebt, daö beweist, daß die französische Verwaltung und Rechtspflege auf dem Weg: zur Anarchie ist. Eine Bande Ausständiger lann arbeitswillige Leute an der Arbeit verhindern, die Urtbeile der Gerichte werden durch Begnadigungen unverzüglich aufgehoben: daö ist zur Zeit die Lage der Dinge in Frankreich. An der S u l i n a » M ü n d un g hat sich wieder ein Zwischenfall ereignet, der von Neuem bekundet, in welcher unverfrorenen Weise man sich von russischer Seite über klare und bestimmte völkerrechtliche Verpflichtungen hinweg- setzt. Am 29. Oktober früh um 8 Uhr fuhr der auS Odessa kommende, der Gagarin'schcn Gesellschaft gehörende Dampser „Olga" bei vollständig klarem Wetter in die Sulina-Mündung ein, ohne die Eimächtigung hierzu erhallen oder auch nur erbeten zu haben. Obwohl der Dampfer sofort -^ufgesordert wurde, sich wieder zurüctzuzichcn, setzte er doch, ohne sich um die Quaraiitainevorschristcn zu kümmern, seinen Weg fort, und erst nachdem ein an der Mündung stationirtcS rumänisches Kriegsschiff vier Kanonenschüsse abgegeben hatte, bequemte sich die „Olga" dazu, wieder unizukehrcn. Man erinnert sich nicht, daß jemals ein irgend einer andern Nation gehörendes Schiss einen ähnlichen Versuch gemacht habe, den Ouaraiitaincmaßrcgeln ganz offen ein Schnippchen zu schlagen. Aber es ist nicht das erste Mal, daß fick russische Eapitaine über polizeiliche Vorkehrungen hinwegsetzcn. Erst vor einigen Wochen versuchte ein Schiff derselben Gesellschaft — wenn wir nicht irren, war es sogar dieselbe „Olga" — sich die Durchfahrt zu erzwinge», und nur der Umsicht und der Rücksichtnahme der rumänischen Behörden ist eö zu danken, daß cs nicht schon damals zu einer Kanonade kam, bei der die russischen Herren zum Mindesten riskiren müssen, ihre Fahrzeuge in dcn Grund geschossen zu jeden. Ter Eommankanl der „Olga" kann sich weder mit seiner Un- kenntniß der Ouaranlaincvorsckristen, »och mit dem Mangel an Sicherheit auf der Rhede von Sulina (der Ouarantainc- station), »och endlich damit entschuldigen, daß die Wogen zu hoch gingen, als daß er hätte anlegcn können: das Wetter war, wie gesagt, klar und herrlich, die in Sulina liegenden Schiffe befinden sich in vollständiger Sicherheit, und die Gagaringescllschaft ist von den gesundheitlichen Vorkehrungen, die an der Denaumüntung getroffen wurden, rechtzeitig unter richtet worden. Man muß sich in der jetzigen Zeit immer mehr daran gewöhnen, daß Nachrichten, die heute aus anscheinend zuver lässiger Quelle als sicher und verbürgt gemeldet werden, morgen ein ebenso bestimmtes Dementi erfahren. So läßt die „Jndependance Belge", also ein Blatt, welches darauf Anspruch erhebt, ernst beurtheilt zu werden, sich aus Konstantinopel schreiben, daß die Behauptung, Rußland nehme an der Anwesenheit und dein Wirken dcS Generals Brialmont in der türkischen Hauptstadt Anstoß, unzu treffend sei. Mit dem verstorbenen russischen General Tod leben habe Brialmont im freundschaftlichsten Berkehr gestanden, und diese Thatsachc allein reiche schon hin, ihn in St. Peters burg zur fEl-souu grutissinm zu machen. Dieser Werth schätzung hätten die Arbeite» des Generals Brialmont in Bukarest und jetzt in Konstantinopel nicht den mindesten Abbruch gcthan. Der Kostenanschlag der Konstantinopeler Bescstigungsarbeiten sei mit 80 oder auch mit 50 Millionen Francs viel zu hoch gegriffen. Die Panzerkuppelthürme kosteten jeder nur 220 bis 210 000 Francs, auch sei nur eine beschränkte Anzahl derselben crsordcrlich und die Kosten der Handarbeit seien in der Türkei sehr gering. DaS vorhandene Geschützmateriat habe der General für ausgezeichnet erklärt. Ter General habe seine Pläne cingcrcicht; an der türkischen Negierung sei es nun, über ihre Ausführung Beschluß zu fassen. In Brüssel wird der baldigen Rückkehr General Brialmonr's cntgegengesehen. Die Behörden von NcusüdwaleS in Austrclieu haben dem französischen Eadinct Loudet ein Beispiel '„:geben, wie man Gesetz und Ordnung aufrecht erhält gegen die Gewaltthätigkeiten erregter Massen und die zügellose Herrschsucht der Hetzer. Wir haben schon gemeldet, daff acht Anführer der aufsässigen Arbeiter in dcn Broken Hill-Gruben vor Gericht gestellt worden seien. Die austra lischen Behörden sind nun nicht, wie Herr Loubet in Frank reich meint, der Auffassung gewesen, daß die bestehenden Ge setze keine Handhabe zur Bestrafung der Uebelthäler böten, im Gegcntheil, seckS der Angeklagten wurden wegen Ver schwörung und Anstiftung von Aufruhr zu 2 Jahren, zu 18, 9 und 3 Monaten Zwangsarbeit verurtheilt; zwei wurden frei- gesprochen. Unter den am strengsten Verurtheilten befindet sich der Secretair deö EentralvereinS deö vereinigten Bergarbeiter bundes und ein Zweiter, welcher sich namentlich als Brandredner hervorthat. In dem Minenbczirk führte die Kunde von dem UrlheilSspruch zu einem gewaltsamen Angriffe der Unioniftcn aus die nichtunionistischen Arbeiter und die Polizei. Derselbe wurde indeß abgeschlagen und 36 der Rebellen wurden fest- gcnommcn. Vorher schon batte im Gebiet von Sydney eine Massenversammlung stattgesunten, welche das Urtheil natür lich für eine abscheulicke Vergewaltigung erklärte und eine Menstrepctition um Freilassung der Verurtheilten beschloß. ES wurde außerdem beschlossen, daß eine Deputation im NepräsentantcnbauS ersckeincn und dort diese Forderung, unterstützt von Pöbelmassen, welche vor dem Gebäude lärmen sollen, durchzusetzen versuche» soll. Es sind indessen bereits umfassende Maßregeln getroffen, um Gewallthaten und Un ordnungen thatkräslig vorzubcngen. Deutsches Reich. ^ Berlin, 1. November. In der „Freisinnigen Zeitung" finden wir eine demerkenSwertbe Klage über moderne GeseyeSmacherci. Sehr anschaulich wird daselbst ge schildert, wie der überhastete Abschluß wichtiger GesctzgebungS- werke durch Versetzung dcS Parlaments in irgend eine Zwangs lage herbeigesührl werde. „In dieser Weise", heißt cS zum Schluß, „entstehen heutzutage alle jene Gesetze, wclckc nachher in der Praxis zu den lebhaftesten Beschwerden dcS PudlicumS Veranlassung geben." Tie Klage ist in dem spccicllen Falle, auf welchen sie von der „Freis. Ztg." gemünzt ist, nämlich hinsichtlich der Vollendung der preußischen Steuerreform, durchaus unangebracht. Der Plan der betreffenden Gesetzgebung wird seil Jabrcn in der Oefscnt- lichkeit erörtert und liegt seit diesem Frühjahr auch in amtlich Feuilleton. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottjchall. j L7j Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) „Ich spreche nur von dem, was man sich inS Ohr flüstert." „Zn dergleichen ist noch weniger Anlaß." „Sie mißverstehen mich, schönes Kind! Sie sollen mir !nur daS erzählen, was Sie jedenfalls hier unter dem Hol- 1 lunker nnd Goldregen Ihrem Basilio erzählt haben, nämlich swelcher Unfall Sie betroffen und wie es überhaupt hier im sHause zugebt." „DaS ist eine lange Geschichte! Doch wenn mich die jaronin hier mit Jbne» zusammensicht. ." „DaS ist ganz ungesäbrlich! Ich bin der Arzt! Im Icbrigen macht sie jetzt Toilette." „Wenn die Frau Baronin Toilette macht", versetzte Eusctte kichernd, „so ist sie immer sehr nachdenklich, sic brütet Itiber irgend einem künstlichen Defcct, der ihrer natürliche» Schönheit zu Statten kommt; denn sk bat so wenig Talent oie die schöne Helena, sich in einen Sack näbcn zu lassen." „Nun, da sind wir ja schon hübsch beim Plaudern. Die Zaronin langweilt sich wobt?" „Entsetzlich! Sie liest sranzösische Romane. . da« möchte !kie Alle- gern erleben. Doch cS passirt gar nichts. Gäste rommen auch nur selten ins Haus; der Graf hat sie alle verscheucht!" „Der Graf?' „Er ist eifersüchtig ans die jungen, und die alten sind >k»n ! langweilig. Nur die AufsichtSrälbc und die Verwaltung- Iräthe der Acliengesellschaften, seine College», wie stolz er auch lauf sie herabsehen mag, sind ihm willkommen; er empfängt Isie hier bei uns, in dem nach dem Park binauSgebrndcn iSalon, in dessen Mitte jetzt statt des Billards ein grün- ! verhangener Actentisch steht. Er hat sich ganz häuslich bei unS eingerichtet und bleibt halbe und ganze Wochen lang hier. Die Leute auf dem Hofe und im Dorfe fürcklcn sich vor seinen WolfSaugen, wenn er über die Straße geht. Erst neulich bat er einen Knecht mit der Ncitpeitscke bearbeitet, weil dieser ihn nicht ties genug gegrüßt bat. Und selbst auf die Kuhmägde erstreckt sich sein crzicbcrischeö Wirken, und er ist dabei rücksichtslos wie ein Profoß. Oft kann er sick gar nicht beruhigen, wenn ihm eine vermeint liche Kränkung zugcfügt wirk — und die Anne Marie nickt einen Knir gcmackt hat, wie eine Hosdame. Er läuft dann noch schreiend und schimpfend im Zunmer umher; wir hören'S im ganzen Hause!" „Jedenfalls ein jchr unangenehmer Hausgenosse." „Doch er ist nicht immer jo; er kann auch liebenswürdig sein, überaus licbciiswürbig! Nnd wenn cc auck immer etwas Beherrschendes, geistig NebcrlcgencS bat, so weiß er Lies doch oft in sebr gewinnender Weise geltend zu machen. Nnd er ist ein schöner Man»; er überragt die anderen, wie eine Alpenföhre daS Knieholz . ." „Sie scheinen doch sonst kein großes Gewicht auf daS Längenmaß zu legen . . und zieh'» das Knieholz vor!" „Ich bescheide mich; die hohen Herren sind für mich nicht gewachsen; doch ich bewundere, wo ich nicht lieben darf." „Sic haben jedenfalls ein empfängliches Gemüth, Fräu lein Susette!" „Damit kommt man nicht weit! Ein hübsches Nest . . aber der Kuckuck legt seine Eier hinein. Doch ich bin gerecht in meinem Urtheil! Ter Graf bat mir Unrecht gethan, mir ein Leid znzcjügt; und doch erkenne ich seine Vorzüge bereit willig an." „Ein Leid zugcsügt? So hängt wohl gar diese Binde um den Kopf mit dem Grasen zusammen." „In der That . . eine Üebercilung Seiner Gnaden! Er batte einen heftigen Austritt mit dem Herrn Baron in dessen Zimmer . . und gerate als ich kam, um einen Auftrag der Baronin an den Gemahl auSznrichtcn, stürzte der Graf zur Thür hinaus, und mit den Sorten: „Lauscherin" schleuderte er mich bei Seite, daß ich hiiisicl und mit dem Kopf an eine Schrankecke anschliig." »Zeigen Sie, Fräulein", sagte der Toctor, die Binde ab nehmend, „nun, die Beule ist ansehnlich genug . . ihr zarter Teint spielt hier in einigen Regenbogenfarben — kalte Um schläge ist daS Beste! Und hat er sich nicht bei Ihnen ent schuldigt ?" „Er vergißt daö . . er weiß selbst nicht mehr, was er gethan hat; er ist wie ein Nachtwandler. Eine Lausckcrin schalt er mich . . als ob cö da nöthig wäre, zu lauschen, wo er seine Donnerstimme erbebt." „Und die arme Marie'?" „DaS arme Fräulein! Ja, sie ist recht unglücklich, denn sie liebt noch immer ihren Enrico; doch sie hat, um der Eltern willen, dem Grafen ihr Wort gegeben nnd sie Wied eS halten. Sic ist seine Braut; aber er bedrängt sie nicht als ungeduldiger Liebhaber. Er weiß, daß sic eine andere Neigung hegte, daß sie ein Opfer bringt; doch er will ihr Zeit lassen, mit der Bergangcnbcit abzujchlicßen, sich in daö Künftige zu sindcn. Er ist aufmerksam und zärt lich, aber mehr als ein fürsorglicher Freund, nnd von der Hochzeit ist mit keinem Worte die Rede. Das ist bei seinem sonstigen Ungestüm merkwürdig genug, und eS gicbt nur eine Lösung des RäthsclS: er liebt Marie!" Die Zofe der Baronin suchte jetzt Oswald aus; die gnädige Frau war zu sprechen. „Besten Dank und kalte Umschläge, mein Fräulein", sagte Oswald, sich verabschiedend, während Susette sich wieder mit dem Inhalt ihrer Düte zu beschäftigen begann. Frau von Senden saß ans ibrer Ottomane; daS blonde Haar King ihr aufgelöst um die Schultern; sie stand aus unv ging dem Docker begütigend entgegen. „Ich muß um Entschuldigung bitten, doch ich wollte Sic nicht länger warten lasse», und so sehe» sic mich, was meine Frisur betrifft, im Naturzustände; Lech sic sind der Arzt und ibm gegenüber ist jede falsche Scheu verschnitt Das letzte Mal trafen Sie mich sogar im Bett . . Sie wissen ja, mein verstauchter Fuß, doch das ist reizend, daß Sic einmal »ach uns sehen kommen." „Eö ist ein freundschaftlicher Besuch, welcher die Reibe meiner ärztlichen unterbricht. Wie gehl eö Ihnen, gnädige Frau?" „Ein wenig unbefriedigt, wenn Sie wollen. Der Sommer auf dem Lande ist zwar reckt schön; doch man kennt das Alles. Bald blüht der eine Strauch, dann wieder ein anderer. Die Nachtigallen zieh'» fort, dann singt der Pirol. Zu Pfingsten blübcn die Kirschbäumc: jetzt hängen die Aepfct- und Birnbäume voll grüner Früchte, daS färbt sich mit der Zeit. Jetzt wallendes Korn, dann die Sichel und Sense, dann der Dreschflegel . . . Alles ein Jabr wie'S andere. Ach bester Herr Toctor . . . das ganze Leben ist eine Sck'warzwälder Uhr . . . tiktak, tiktak . . . bis sie auf einmal still steht. Gott ... ich mag daran nicht denke», ich tröste mick damit, daß die mcinigc nock für lange Zeit auf gezogen ist. WaS »leinen Sie, Toctor?" Und Frau von Senden strich sich daö üppig Herab wallente blonde Haar von dcn Schläfen und warf dem Besucher feurige Blicke zu. „Fühlen Sie meinen Puls, Toctor!" Und sic schob dcn Acrinel weil zurück »»d der volle schöngcrundcle Arm, an dessen blendender Weiße die Puder quaste gewiß nicht unschuldig war, bot sich den Blicken de- Doctors dar. Dieser mußte freilich erklären, daß der Puls ein wcni erregt unv feurig ging, dock fügte er bcrubigcnd hinzu, da kies durchaus kein ungünstiges Zeichen sei nnd nicht den geringsten Anlaß zu Besorgnisse» gebe. „Glauben Sie wirklich, Toctor? Ich hege doch bis weilen Besorgnisse . . . mir ist binnndwieder zu Mulde, al« müßte ich ersticken . . . solche Wallungen . . . oder ist meine Brust nicht gesund, mein Herz zu groß . . . oder klappt c- nichl recht mit den Klappen? Ich bah' dergleichen gelesen und darüber mocht' ich gern Gewißbcit haben." Ter Toctor zog sein Stethoskop hervor. „Ta müßt' ich freilich bitten." Uns Frau von Senden war nicht unerbittlich ... sie schlug zwar die Augen nieder „Ein Arzt bat große Reckte", sagte sie, „doch er siebt ja nur mit dem Auge der Wissenschaft. DaS sagt ja auch Zola, Wissenschaft ist die Hauptsache, auch im Roman . . . und er schildert Alles wissenschaftlich ... dadurch wird Alle«, wir sagt man doch gleich? . . . deSinficirt." (Fortsetzung folgt.)
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