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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921103021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892110302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892110302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-03
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Kein Wunder! .Hat doch das Organ der valicanischen Iesuitenpartei, die „Voce della Veritü", den deutschen Katholiken zugerufen, sie möchten die Worte, die Kaiser Wilhelm in Wittenberg gesprochen, nicht ruhig hinnehmcn. Und wo könnte man mit dem denkbar größten Aussehen gegen den protestan tischen Kaiser demonstrucn, als hier iir Leipzig, inmitten einer überwiegend protestantischen Bevölkerung, die im tiefsten Frieden mil ihren katholischen Mitbürgern lebte, bis vor sturzem in der Ersten Kammcr von Seiten des kalbolischen Bischofs der erste Anstoß zu einem „Eullurkampse" gegeben wurde. Dieser soll jetzt auch bei uns ausstammen; aus einer der Hochburgen des Protestantismus heraus soll diesem der Ruf cnkgcgengeschlcudert werden, welcher Unterwerfung unter die römischen Forderungen oder Kampf im ganze» Reiche verlangt. Das protestantische Leipzig und das ganze protestantische Sachsen wird den Kamps ungern, aber mit aller Energie aufnehmcn. Es ist sich seinerseits mit dem Kaiser bewußt, daß eS durch seinen Mauden auch heule noch mit der ganzen Christenheit verbunden ist und daß eS in GlaubenSsachcn keinen Zwang giebt. Es befehdet daher auch die Katholiken nicht um ikreS Glaubens willen. Aber wie eS fcsthäll an dem Be- kennlnitz des Evangeliums bis in den Tod, so wird cs sich auch bis in den Tod wehren gegen die Einräumung von Borrechten an den Ultramontanismus, mit Hilse deren ihm selbst ein Zwang in Glaubenssachen auferlegt werden soll. Es wird die kampflustige» Gäste empfangen als Deutsche und als Christen, aber ihnen auch nicht den leisesten Zweifel dar über lassen, daß in Sachsen katholisch nicht Trumpf ist und nicht Trumpf wird und der herrschsnchtige Ultramontanis- muS auch nicht den kleinen Finger bekommt, mit dessen Hilfe er die ganze Hand zu erlangen hofft! Zn der öffentlichen Erörterung über die Militair- vorlage beginnen einige Grundzüge sich abzubebcn, auf denen vielleicht eine Berständignng mil dem Reichstag zu erreichen wäre. ES ist, wie wir schon früher hervor gehoben, die Forderung einer dauernden und gesicherten ge setzlichen Einführung der zweijährigen Dienst zeit anstatt eines einfachen und nur bis zum Ablauf der fünfjährigen Bcwilliguugsfrist des Gesetzes reichenden DiSpositioiiSurlaubö des dritten Jahrgangs. Sodann tritt mehr und mehr in den Vordergrund eine Beschränkung der Recrutenaushebung bis zur Aufrcchterhaltung c>er fetzigen Präsenzzabl oder wenig darüber hinaus. Zn diesem Sinn bat nach einer Berichterstattung durch den Reichslagsabgeordnelen Siegle eine Versammlung der deutschen Partei m Stuttgart Stellung genommen. Zn ähnlicher Richtung bewegen sich auch allerlei Kundgebungen ^vvn der gemäßigteren Seite der Centrumspartci; selbst ein Tbcil der deutschsreisinnigen Partei scheint nicht ganz unempfänglich für solche Borschläge zu sein. Die Regierung würde hierbei ihre Forderungen auf Vermehrung des stehenden Heeres allerdings erheblich kcrabschrauben müssen, aber ohne das hat sic kaum eine Aussicht, im gegenwärtigen Reichstage durchzudringen. Bei der Mcbrbeit des Reickstags dürfte die Neigung zu einem Conflict und einer Krisis, wenn sie zu vermeiden sind, nicht groß sein, und sic würde Wohl gern die Hand zu einer Verständigung diele», die sie mit der Stimmung des Volkes und den gegen wärtigen wirthschafllichen Verhältnissen in Einklang zu bringen vermag. Die Regierung wird sich unter diesen Umständen doch auch wohl noch überlegen, ob sie die Sache auf die Spitze treiben will. Kommt das Militairgesetz mit beschränkterer Vermehrung der Aushebung zu Staude, so würde sich auch über die Deckung der dadurch erheblich verminderten Kosten leichter eine Verständigung erzielen lassen. Daß die Deckung durch Rcichöeinnahmen erfolgen muß, nicht etwa auf die Malricular- beiträge verwiesen wird, das wird ganz überwiegend als nolbwcndig anerkannt werden. Aber i» mäßigem Umfang lassen sich die Rcichseinnahinen auch noch vermehren, ohne daß wichtige Erwerbszwcige oder berechtigte Znlcressen der Cvnsnmenten unerträglich geschädigt würden. Es hindert auch nichts, später, wenn viclleickt eine Besserung der wirlh- schastlichen Verhältnisse eingctrclen sein wirk, Manches »ach- zuholc», auf waö jetzt verzichtet werden kann und muß. Der dem Wiederzusammentritt dcS österreichischen RcichSrathes vorangegangene Pairsscknb ist, wie sich mehr und mehr berausstelli, doch nicht von zu unterschätzender Bedeutung. Zst es schon an und für sich von Wichtigkeit, daß das Wiener Herrenhaus um 2 t Mitglieder vermehrt wird, so fällt es noch mebr in das Gewicht, daß die Mehr zahl der »cucrnannten Pairs, nämlich l2, der deutsch- li beraten Partei zuzuzählcn sind, woran« hervorgeht, daß es sich um eine Stärkung dieser Partei in der ersten Kammer handelt. Ter Rechten gehören von den Neucrnannten nur sechs Mitglieder an und, was ins Auge fällt, es befindet sich unter den iieilcriiannten Pairs kein Berlreler der Czechcn. Die Rückschlüsse aus dem neuen PairSschnbc ergeben sich für Zedermanii von selbst. Denn wer nicht blind ist oder sich blind stellt, muß erkenne», daß nicht nur die Absicht der Re gierung, auf die ehemalige Rechte zurückzugreifen, aufgegeben ist, sondern eine Festcrkiiiipsnng der Beziehungen zu der ge mäßigten deutschliberalen Partei angestrebt wird. Es kann deshalb nicht überraschen, daß das Wiener klerikale „Vater land" mit dem neuesten Pairöschub unzufrieden ist. Zn diesen Tagen hat bekanntlich in Prag ein czechischer Delegirtentag stattgesiinden, der zwar mit vielem Geräusch angekündigt war, schließlich aber mit der Annahme einer ziemlich belanglosen Resolution endete, durch die die mehr als zur Genüge bekannte» czcchischen Forderungen auf Selbstständigkeit des Wcnzelsreiches, sowie die Nvlh- wendigkeit einer gemeinsamen Verständigung aller czechischen Parteien abermals betont wurden. Freilich, über die Art und Weise, wie die Forderungen verwirklicht werden sollen, ent hält die gciaßle Resolution kein Wort. Bei den Verhand lungen des DclegirtentagcS verlangte Graf Harr ach die Vereinigung, aber auch Versöhnung mit den Deutschen ans Grund des abgeänderten Ausgleiches. Die Vertretung Böhmens im Kronralhe sei eine Nvtbwendiakeit. Der czechisch-schlesische Abgeordnete Swiezh sagte: Schlesien ist daö Band zwischen dem westlichen und östlichen Slawenthum. Man »iüsse verhüten, daß die Slawen Schlesiens eingeschlossen werden und der Gcrmanisalion Versalien. Abgeordneter Zaczek bemerkte, die mährischen Czecben fühlten zuerst die schlimmen Folgen der Lage, in welche das Czechenvotk ge- ralhcn. Prinz Karl Schwarzenberg sagte: Der Haupt fehler der Jungczechen sei, daH sie die Kraft desczechischcn Volkes überschätzen. Sie lassen sich täuschen durch das Beispiel einer anderen Nation (der Magyaren), welches wir aber nicht nachahmen können. Die Zungczcche» recknen offenbar mil einer Krisis in der auswärtigen Politik, welche mil Gottes Fügung hoffentlich nicht cinlreten wird. Zn Oesterreich hat noch keine Partei dadurch ihre Position verbessert, daß sie sich widerspenstig zeigt. Zmmer führt eS eher znm Ziele, wenn man sich im Vertrauen zur Krone und zur Regierung befindet. Unsere Meinung ist, daß es besser wäre, die radicalc Politik zu verlassen, welche eigentlich dasselbe ist wie der SocialiSmns.— Abg. Herold verlangte grundsätzlich Oppo sition gegen die Regierung. Or. Ri cg er, welcher dann die einstimmig angenommene Entschließung beantragte, brachte allgemeine Redensarten über die Unlheilbarkcit der Länder der Wenzelskrone vor und verlangte ebenfalls Vertretung der Czechen im Eabinct. Wie aus Nom berichtet wird, ist die Art und Weise, wie in den Wahlreden für den Dreibund eingetrelen wird, von so mächtigem Einflüsse, daß man sich auch in den vati canischen Kreisen demselben nicht entziehen kann. Tic vati- canischcn Blätter baben seit einigen Tagen in Folge dessen ihre Hetzereien gegen den Dreibund entweder eingestellt oder ihre Sprache gcdämpsl. Allerdings heißt cö, daß im Batican über die Auslassungen dieser Organe Vorstellungen erhoben worden seien. Die „Venezia", die zuweilen über Vorgänge im Valican unterrichtet ist, will sogar wissen, daß der deutsche Vertreter Herr von Bülow beim StaalSsccretair Rampolla Beschwerde über die dreibundfeindlicheu Aeußeruiyzc» der valicanischen Blätter geführt und, als der staatssecretair ihm erwiderte, daß er für deren Artikel nicht verantwortlich sein könne, darauf verwiesen habe, daß die Blätter mit Geldmitteln auS dem Vatican subven- tionirt seien. Daraujbin sollen der „Osservatvre Rvmano" und die „Voce della Verita" angewiesen worden sein, ihre heftigen Angriffe gegen den Dreibund zu Unterlasten. Was andere Blätter über angebliche Verhandlungen zwischen Deutsch land und der Curie im Zusammenhänge mil der deutschen Militairvorlage erzählen, findet wenig Glaube» und entzieht sich der Controle. Zu denjenigen Staaten, welche sich infolge langjähriger RegierungS-Mißwirtbsckaft und unfruchtbarer Partcikämpse in trostloser finaiizicUcr Lage befinden, gehört bekanntlich Portugal. Keine der portugiesischen Parteien weiß einen Ausweg aus den finanziellen Wirren anzugcben. Dieser Umstand erklärt das Verbleiben des bisherigen Conseil- präsideuten DiaS Ferreiras in seinem Amte trotz der gegen ihn ausgefallenen Wahlen und erläutert den Mißerfolg der republila-iischen Partei, die nicht geringe Sympathien in der Bevölkerung hat. DaS Waylmanifest der republi kanischen Partei war farblos; cs enthielt nur Betrach tungen, welche jede Partei öffentlich anzustcllen vermag; den Klagen über die mißliche Lage des Lande« folgten keine An gaben, w:e die Mißständc beseitigt werden könnten. Da kein Reiter sich dem Lande zeigte, überließen die portugiesische» Wähler Dias Ferreira die Verantwortung für die weitere Gestaltung der Lage. Dias Ferreira triumphirt in Ermange lung eines Besseren. Dias Ferreira wird nicht ermangeln, auf das Zeugniß des Wohlvcrhaltens, daö ihm die Wähler und die Parteien ausgestellt haben, dem Auslaute gegenüber hinzuweise». DaS Land hat die Uiigesctzmaßigkeit der ZinSverkürzuna gebilligt und Dias Ferreira kann auf den betretenen Bahnen des Vertragsbruches weiter- schrcitcn, kann künftige diplomatische Einsprüche wie biSbcr rubig zu den Acten lege». Der moralische Bankbruch Por tugals tritt in dem Ausgang der portugiesischen Wahlen klar zu Tage. Am nächsten Dienstag, 8. November, fi»den die Elec- torenwahlen in den Vereinigten Staaren von Nord amerika statt, und trotz der unmittelbaren Nähe des ent scheidenden Wahltages hat die Wahlbcwcgung auch nicht an nähernd ihre vordem übliche Lebhaftigkeit erreicht. Nur in den Zeitungen wird die Sprache eine erregtere oder vielmehr rcclamenhakterc für den betreffenden Prasidenlschastö-Can- didaten, und sogar Phrasen, wie die, daß selbst die Taub stummen für Clevetand sich erkläre», sind an der Tages ordnung. Der Zudrang zur Eintragung in die Wähler listen war allerdings nicht gering; in New ?)ork und Brooklyn sind um 29 000 Personen mehr als Wähler ein getragen; trotzdem ist gerade in den „zweifelhaftesten" «Staaten eine gewisse Trägheit der öffentlichen Bewegung unverkennbar. Ein Correspvndcnt der „Times" meint, bei der den Amerikanern trotz ihres berechnenden Sinnes eigenen Sentimentalität werde am Ende der Tod der Mrs. Harrison die in New-Aork gesunkenen Aussichten ihres Gemahl« wieder etwa« bessern. Als einziges Ergebniß der Wahlbewegnug kan» bis jetzt die Auslösung der Farmerallian; oder Volks- Partei im Westen und Nortweslcn bezeichnet werden. Sic ist zum große» Tbeil mit den Demokraten eine Fusion cin- gegangen, zum Thcil aber auch in die republikanische Partei zurückgetrcte». Von größter Bedeutung werden diesmal auch die mit der Präsidentenwahl zusammensallendcn Congreß- wahlen sein. Die dcmokratiiche Mehrheit im Repräsen tantenhause wird nach weil verbreiteter Meinung zu- sammenschrumpfen, dagegen dürfte» die Republikaner, welche von den 88 Senatssitzen jetzt 47 inne haben, davon wieder mehrere verlieren, vielleicht sogar in die Minderheit kommen. Bezüglich der Zusammensetzung des nächsten Eongresseo also haben die Demokraten die günstigere Aussicht. Deutsches Reich. 88 Berlin, 2. November. Die Anordnung, daß sämmt- liche Buiideörathsvorlagen als geheim zu behandeln sind, bat sich sehr schnell als unzweckmäßig und undurchführbar erwiesen und ist gestern ausdrücklich widerrufen worden. Die Maßnahme war kaum acht Tage in Kraft. Der Acrger ist von jeher ein schlechter Ratbgcber gewesen, und im vor liegenden Falle hälte die allzuscharfe Vorschrift sicher der Regierung am meisten geschadet. Es bleibt also bei dem früheren Brauck, dock ist Vorsorge getroffen, daß Vor lagen, welche gebeim behandelt werden sollen, nur in einer bestimmten kleineren Zahl gedruckt und vcrtbeilt werden, also Militairvorlage,, beispielsweise nickt allen Bevollmäch tigten zum BuudeSrath zugcbe» und noch weniger an deren Stellvertreter gelangen. — Ans der Tagesordnung der für morgen anberaumten Sitzung dcS BuuteSrathS steht der Bericht des Heeres- und des Fi nanzausschnsse« über die Militairvorlage, die übrigens auch jetzt noch in allen ihren Thcilen als gebeim behandelt wird. Außerdem weist die Tagesordnung »och zeb» Nnmmern auf, darunter den Antrag Preußens, betreffend die Einführung der Ar- beiterversichcrungögesetze in Helgoland, ferner einen Antrag über die Befreiung von Beamten von der Invalidität«- und Altersversicherung und die Wabl eines richterlichen Beamten, der zu den Entscheidungen des Rcichsvcrsicherungöamts zuzuzicben ist. Schließlich wird seitens des Justiz- und Rcchnuiigsausschiisscs Bericht erstattet über eine Eingabe des Reichsgerichtsratbs Pet sch in Leipzig, betreffend die Anrechnung einer längeren als der gesetzlich pensionsfähigen Dienstzeit bei Festsetzung seine« Ruhegehalts. — Die Ausschüsse des Bnndcüralhs sind täglich versammelt und arbeite» mit großem Eifer. Nicht nur die Militair vorlage wird dem Reichstag sofort nach seinem Znsainmen- trelcn zugeben, sondern wahrscheinlich auch der Etat. Heute sind dem Bundcsrath der Etat über den Rcichs-Znvaliden- sonds, der Etat über den Allgemeinen PensionSfontS, der Etat der Einnahmen an Stcmpelabgaben und der Etat der Reichsdruckerei zugegangen. — Der Kaiser cvnferirte heute mit dem Ministerpräsidenten Grafen En len bürg und mit dem Finanzminister Iir. Miguel. Näckstdem Unterzeichnete der Kaiser das gestern vom Staalsministcrium aus den Vor trag Miquel'S angenommene Commnnalsteuergesetz, das außer vom Finanzministcr auch vom Minister des Znnern gegengezeichnet ist. Die Stenerreformvorlagen sind nunmehr abgeschlossen und heute bereits znm Druck befördert worden. NW Fsuilletsi». Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 28j Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) Oswald fand die Erwähnung Zola's in diesem Augen blicke nicht gerade tactvoll, doch er brauchte sich vom ärztlichen Standpnncte ans nicht über Fra» von Senden zu beklagen. Kein Corsct binderte die Untersuchung ... und wenn er das Auge des Gelehrten mit dem Auge des Künstlers vertauschen wollte, so fand auch dies volle Befriedigung. „Sie sind vollkommen gesund, gnädige Frau", sagte Oswald, „Herz und Lunge . . . Alles im besten Stand. Sie müssen sich nur mehr Bewegung machen . . „Bewegung?" versetzte Frau von Senden, indem sie langsam und zögernd ihr Gewand schloß, wcnia zufrieden mit des Doctors Nüchternheit, denn sie bossle dock seinem wissenschaftlichen Eifer einen leise» nicht ganz unmcrklichcn Rausch anzukränkeln. Bewegung? Zm langweiligen Park, aus der staubigen Land straße oder aus der Wiese, am Weiber . . die Cikadcn singen, die Frösche quaken hören? Daö könne» Sic mir nicht zu- mulbcn. Bewegung? Za, ich sükl' es selbst, daß mein Blut oft stockt, meine Lcbcnchicister einschlafen . . das ist die ent setzliche Schwüle meines Daseins! Doch cs nützte mir nichts, wenn ich einen Meilenstein nack dem andern znrücklegte . . das muß von innen heraus bewegt werten. Sturm und Un wetter muß Alles auswühlcn; doch die ewige Windstille, die hängenden Segel . . Sie verstehen mich, Doctor." Oswald verstand sie sehr wobt; doch die Stürme der Leidenschaft zu entfesseln, mar nickt seines Amtes. Wobl fand er sie schön und begehrenöwerth und er zweifelte nickt, daß ihr feuriges Werben noch einmal ein Opfer umgarnen werde; doch chm widerstand ihr sittlich haltloses Wesen und er bedauerte die Tochter um der Mutter willen. Nach einer Pause sagte er trocken: „Wie geht es dem Herrn von Senden!" Das war ein EiSumschlag auf die fieberheiße Entzündung; fie fuhr zurück wie mil kaltem Schauder. „Mein Mann . . nun, er ist nickt mehr ganz der Alte, nicht so beweglich . . so heiter . . so rosenrvth! Er hatte früher nicht Zeit, sich »m nnS zu bekümmern . . wegen seiner vielen Einkäufe; jetzt hat er mehr Muße, doch ihm fehjt die Stimmung. Er ist oft recht verdrossen und kann sogar sehr heftig werden. Er war immer so sammctweich; jetzt kehrt er die rauhe Seite hervor. Doch Sic sollen ihn selbst sehen und sprechen." Sie klingelte der Zofe und ließ durch sic Herrn von Senden in ihr Boudoir bitten. „Alle Crcatur soll auf Erden glücklich sein, sagen die Weisen . . nicht wahr, Tvetor? Dock da muß sic sich auch auöleben können. Doch da kommen die Schranken, die Hindernisse und die Bäume wachsen schief und krumm, wenn ihr gerader Wuchs gehemmt wird . . da kommen die andern und versperren den Weg. Mein Mann war glücklich, als er kaufen konnte, was er wollte, nach seiner Neigung, seinem Geschmack; jetzt ist ihm daS gewehrt und ich sürchte, er verkümmert." Es Lauerte nicht lange, so erschien der Hausherr i» einem schief zugeknöpften Hausrock mit bestaubtem Sammelkrageu und mit iiicdergctretencu Pantoffeln; er begrüßte den Arzt mit einem freundlichen Aufleuchten seiner Züge, deren früher so Heller Färbung sich jetzt ein aschgrauer Ton bcigcmischt hatte. Nur die quecksilberne Beweglichkeit hatte er nicht verloren; er ging mit hastigen Schritten im Zimmer hin und her. „Sie werden wenig Neues finden in Heimersheim", sagte er, „etwas japanisches Porzellan, ein paar antike Vasen »nd dann . . einen verdursteten Tritonen im BoSquet bei den Berberitzen-Slräuchern. Zck konnte ihm kein Wasser Zu fuhren . . die Leitungen sind so kostspielig. Za ja, das Waffer ist ihm ausgegangen wie uns . . doch eS wird anders werden!" Ans den Hinundhcrwandelndcn blickte Oswald mit Be- sorgniß; die frühere fröhliche Unruhe des liebenswürdigen Mannes hatte sich in eine unbehagliche Rastlosigkeit ver wandelt. Plötzlich kam derselbe aus den Doctor zu, klopfte ihm auf die Schultern und flüsterte ibm ins Ohr: „Es wird anders werden. Wenn meine Tochter den Grafen gebeiraihct hat, dann gebt er aus seine Schlösser mit ihr, dann wird'« hier Lust, dann kann man frei atbmcn! I Der König weiß darum. Millionen in Sicht, sage ich Ihnen." ! Er winkte dem Arzt vertraulich zu und legte den Finger ans den Mund; er wußte ja, daß dieser sein Gehcimniß wahren werde. Frau von Senden zuckte mit den Achseln. „Bei Frau Abraham habe ich eine prächtige Gobeliiicinrichtung gesehen. Gobclinstühle, Gobelinsopha und Spiegelumrahmung. Das ist etwas für unfern hintern Salon . . . wenn der Graf fort ist mit seinem grünen Tisch und seinen Acten und Acticn! Ein Scanbal... diese Börsenjobberei in meinem Schlöffe. Es fehlt nur noch, daß hier eine Wechselstube eingerichtet wird. Und dabei bält er die Hand über Allem und die Händler getrauen sich nicht, meine Aufträge ausznführen; doch cs wird anders werden." „Das Schloß ist ja schon so Prächtig eingerichtet", warf der Doctor ein; „es ist ja gar nicht mehr Raum für neue Prachtslücke." „Sie irren", versetzte Senden, „man muß mit der Zeit vorwärts schreiten. DaS Veraltete gehört in die Nmnpel- kammer... man geht immer weiter zurück in den Jahr hunderten. DaS Neueste veraltet am ersten; aber auch das Rococo .. . auch die Renaissance... daö Altdeutsche kommt an die Reihe." „Da wird die Mode wobl noch bis zu den Pfahlbauten zurückgreisen", versehe Oswald lächelnd. „Spotten Sic nicht! Das graueste Alterthum bat auch sein Recht. Was die Mode berührt, das wird funkelnagelneu unter ihren Händen. Und wie viel Raum Ot überdies aus dem Schlosse. Wenn Mariechcn sortqeht... da will ich alle ihre Zimmer neu cinrichlen .. . prächtige Boudoirs; ich habe schon mit Frau Abraham darüber gesprochen." „Tie Muschel obne die Perle", warf Oswald ei». „Sie wird schon zum Besuch kommen... der Graf muß cs erlauben ... er muß, und sie wird ihn auch satt bekommen, den Grafen." „Aber, Hugo", warf Fra» von Senden ein ... „Er treibt'- oft zu roll, er ist ein Lärmmacher." „Doch er ist gut und zärtlich gegen Marie." „DaS will ich ihm gerathcn haben; sonst cassir' ich die Verlobung, ich, Hugo von Senden, komme wa« will! Und wenn sie mir alle Möbel sortschleppen ... ich würde daS letzte wackelige Stuhlbein herauSreißen und ihm den Schädel ein- schlagen." „Aber, Hugo .. . man erkennt Dich ja gar nicht wieder." „Zst auch nickt nöthig... ich erkenne mich selbst nicht wieder. Sie sagen, ich sei ein armer Mann — nun ja — doch wie lange? Der König ... die Millionen ... Sic werden schon sehen, Herr Doctor! Doch jetzt entschuldigen Sie mich ... ich höre im Hofe einen Wagen Vorfahren ... das sind meine zwei Cbenbolzschränkchcn, die ich gekauft. Mit denen will ich ihm seine» Sitzungssaal ansschmücken ... ihm, dem Grasen! Das muß er sich gefalle» lassen. . . schließlich ist'S doch mein Salon. Du wunderst Dich, Lconie! Es hat drüben ein neuer Kanfmann sich ctablirt, und bei dem Hab' ich Credit. Natürlich ... die Millionen ... auf Wiedersehen, Herr Doctor!" Und der Baron hastete zur Thür hinaus. „Nun, wie finden Sic meinen Mann?" „Erregter als früher!" „Za, er bat ein paar fixe Ideen. Daö hat sich bei ihm so eingc- nistet. Zm klebrigen ist er ganz vernünftig: Sinn für die Familie hat er ja nie gehabt, wir sind ibm immer recht gleichgiltig gewesen . .. unk das ist auch jetzt nickt anders geworden. Er hat nur eine Leidenschaft und die hat alle andern aus- gezehrt." „Und wie geht cö dem Fräulein?" „Das ist eine traurige Geschichte ... doch man gewöhnt sich daran. Daö weiß ich ans Erfahrung, man verliert freilich viel dabei, ja Alles; was man übrig bcbält, das ver lohnt sich nicht der Mühe z» leben; doch man schläft so übcrS Leben hinweg — und das ist ja auch vielleicht ein Glück. Nur darf Niemand an der Lärmglcckc reißen, daß man er- sckreckt emporsährt — »nd doch — ich wünschte mir solchen Schreck. Die arme Marie bat sick auch nicht an diesen Schlaf gewöhnt; sie ist leider sehr wach und ich glaube, ihr Herz klopft noch unruhig genug. Doch es ging >a nicht zu andern; ohne ihre Verlobung mit dem Grafen gingen wir als Bettler im Land umher. Und sie wird dabei um ibr Glück beneidet ... sie macht eine glänzende Partie. Der Graf ist angesehen, geehrt, gefürchtet . .. waS weiß ich? Und wenn er auch nicht mehr der Jüngste ist .. . er ist ebenso feurig wie stattlich. Und ich wenigstens würde ibn sebr vielen jungen Herren verziehen. Doch die Töchter haben oft einen sebr unreifen Geschmack; wir Mütter verstehen das bester!" „Und hat sich Marie nie geweigert?" (Fortsetzung folgt.)
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