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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921104022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892110402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892110402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-04
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Blum beianden sich noch drei Leipziger Herren, dar unter der Rector de- Ntcolaigymnasium», Professor vr. Kümmel lSohn des vormaligen Zittaucr Rectors). Ilr. Blum drückt sich so aus, als sei er im Austrage der nationalliberalen Partei bei Bismarck gewesen, um dessen Ansicht über die Militair vorlage zu hören." Diese Meldung enthält eine grobe Unwahrheit. Aller dings erstattet Herr vr. Hans Blum in den „Leipz. Neuest. Nachrichten" einen Bericht über einen Besuch, den er gleich zeitig mit Herrn Kaufmann Georg Nocdiger 8on., Herrn Amtsrichter vr. Kind und Herrn Professor vr. Kaemmcl in Barzin abgestattel hat, aber es fällt dem Verfasser nicht ein, sich so auszudrücke», alö sei er im Austrage der national- liberalen Partei bei Bismarck gewesen, um dessen Ansicht über die Militairvorlage zu hören. Er sagt vielmehr ausdrück lich, daß ihn lediglich die Sehnsucht, „dem Gründer der deut schen Einheit und Größe wieder einmal nabe ins Auge zu blicken, seine Hand zu drücken und vertraute Worte mit ihm zu tauschen", nach Barzin geführt habe. Selbstverständlich ist zwischen dem Fürste» und seinen Gästen auch von der Mili- tairvorlage die Rede gewesen, aber eine lediglich auö partei- taklischcn Gründen erfundene Unwahrheit ist cs, baß Herr Vr. Blum durchblicken laste, er habe im Aufträge der national- liberalen Partei die Ansichten des Fürsten über die Militair vorlage erkunden wollen. Wohl hat er auf die Schwere der Entscheidung hingewiesen, vor welche die Partei durch diese Lorlagc gestellt werde, aber er hat mit keiner Silbe von einem Aufträge gesprochen, konnte auch von einem solchen nicht sprechen. Was die nationalliberale Partei betrifft, so legt sie mit Recht bedeutenden Werth auf die Ansicht des Altreichskanzlers über die Militairvorlage, aber eine Direktive über ihre eigene Haltung dieser Vorlage gegenüber holt sic weder in Barzin, noch anderswo. Sie ist eine unabhängige Partei unter den, Bismarck'schen Regimente gewesen und wird eine unabhängige Partei auch in Zukunft bleiben. Jetzt schon be stimmte Stellung zu der Vorlage zu nehmen, ist übrigen« schon deshalb unmöglich, weil weder die Begründung voll ständig vorliegt, noch eine Ahnung von den Aufklärungen herrscht, die in der RcichStagScommission über die mili- lairische und politische Lage werden gegeben werden. Auch Fürst LiSmarck kennt nur, was die .Köln. Ztg." über die Vorlage und ihre Begründung gemeldet bat, und da ihm die amtlichen Berichte der Botschafter und Gesandten nicht mehr zugänglich sind, so ist eS auch ihm nicht möglich, einen Auf schluß über die zu erwartenden vertraulichen Erklärungen abrugeben und nach ihnen sein Urtheil einzurichtcn. Er kann daher ebensowenig daran denken, der nationalliberalen Partei eine Direktive zu geben, wie die Partei daran denken kann, eine Directive von ihm zu fordern. Höchst beachtenSwcrth bleiben seine Aeußerungen über daS wichtige Thema immerhin, weshalb wir hier das Wesent lichste auö ihnen folgen lassen: Zunächst bestritt Fürst Bismarck die Noth Wendigkeit der Vorlage. „Womit wird denn die Vorlage begründet? Mit der großen Vermehrung der Kriegsstärke unserer Nachbarn im Osten und Westen. Man will uns so stark machen, als die beiden zusammen sind, oder daß wir an zwei Fronten zugleich schlagen können. Warum an zwei Fronten und nicht lieber gleich an dreien? Wir werden höchst unwahrscheinlicher Weise den Krieg an zwei Fronten zugleich haben. Denn Rußland wird keineswegs Len Kriegsfall gegeben sehen, wenn ihn Frankreich vom Zaun brechen sollte, und für den höchst unwahrscheinlichen Fall, daß Rußland uns allein angriffe, wird Frankreich erst mal zusehen, wie sich die Sache entwickelt und dann entweder mitthim, oder nicht. Und warum solle» wir nun diese ungeheure Friedens- präsenzstärke bewilligen? Wer wird denn in dem künftigen Kriege siegen? Derjenige, der die ersten zwei bis drei Schlachten gewinnt. Und diese Schlachte» werden doch nicht, so wenig wie bisher, von Millionen gleichzeitig auf einem Schlachtfelde geschlagen, sondern höchstens von 2—300000 Mann. Eine größere Zahl von Menschen, von Kämpfer», läßt sich ja gar nicht gleichzeitig leiten, auch nur übersehen, nicht auf einem Schlacht feld aufstellcn. Selbst diese Massen könnte inan nur von einem Luftballon übersehen. Es kommt also, wie bisher, auf gute Führung, auf überlegeneTaktik an, und die wird nicht gewährleistet durch eine ungeheure Vermehrung der Peere. Mit unserer jetzigen Heeresstärke können wir bei richtigerFühruna schrwohl, sogar anzwei Fronten, erfolgreich vpcriren. Graf llaprivi selbst hat sich ja schon überzeugt und überzeugend vor unlanger Zeit gegen die „raxo üe» vombre^' ausgesprochen. Weshalb soll asto die Zahl, die Ueberzahl, plötzlich den zukünftigen Sieg verbürgen?" „Sodann wird die Militairvorlage begründet mit der angeblich gesteigerten Kriegsgefahr. Ich vermag durchaus nichts zu erkennen, was diese Gefahr jetzt dringlicher erscheinen läßt, als im Jahre 1888. Im Gegentheil. Ich glaube, daß der Krieg vor 2 bis 3 Jahren keinesfalls auSbsricht. Denn Frankreich ist heute ungleich friedlicher gesinnt und weniger schlagbereit als 1688. Damals trieb „die Boulange" ihr Unwesen m Frankreich. Boulangcr war unmittelbar daran, eine Dynastie Boulanger zu gründe». Er brauchte nur an den Knopf zu drücke», so war er der Herrscher Frankreichs und dann gab es Krieg. Die Franzosen lassen sich von solchen Abenteurern sofort mttreißen. Ich erinnere mich eine- Falles auS dem Anfang des Jahres 1871, al- Gambclta den Abschluß der Frledensprälimiiiarien verzögern wollt«; da kam eines Tages ei» bekannter Bonapartist zu mir und sagte: Er sei cntichlossen, »ach Bordeaux zu reise» und dort Gambetta mit dem Revolver nicdcrzuschicßen, dann werde er an den Knopf drücke» »nd den Dienern befehlen: „Schafft das Schwein hinaus!" und den Besitz der Regierung ergreifen für den Kaiser. Er brauche nur sechs Leute, die so dächten wie er, um unter dem ersten Schrecke» di« Macht zu ergreifen. Ich glaube, daß der Mann Recht hatte. Wir ließen uns aber doch auf da» Abenteuer nicht ein. Denn jede Monarchie in Frankreich ist sür den Frieden in Deutschland gefährlicher als die Republik. Tie Monarchie findet leichter Bünd nisse mit Len monarchische» Staaten, namentlich mit Rußland, und besitzt an sich selbst mehr kriegerischen ExplosionSstoff. Daß dir jetzigen französischen Machthaber nicht an Krieg denke», verrälh uns am deutlichsten die Thatsache, daß sic den päpstliche» Segen für ihre Republik erbeten und erhalten haben — der Papst hat unS damit gar keinen Tort angethan! Tenn bas geschah doch nur, um die inneren Gegensätze und Spannungen in Frankreich auS- zugleichen, zu beseitigen, dem großen, lebhaften und allgemeinen FriedenSbedüriniß des französischen Volkes zu entsprechen und den Machthaber» FrnukrcichS rin möglichst bequeme-, friedliches Leben zu bereiten. Außerdem wissen diese Herren ganz genau, daß der erste bedeutendere General sie mit seiner Dictatur sofort endgiltig abiösen und hinwegfegcn würde." „Nun zu Rußland. Rußland schildert man immer so, als ob dort nahezu die ganze Bevölkerung in blindem Ungestüm einen Krieg mit Deutschland verlange. Aber wer will denn eigent- lich in Rußland den Krieg? Der Zar nicht. Denn er ist ein bedächtiger Herr, der nicht- mehr liebt, al- seinen ruhigen, be quemen HauSsrieden, so lange er ihn nur haben kann. DaS russische Volk in seiner ganz überwältigenden Mehrheit will den Krieg auch nicht. ES sind nur drei Elemente, welche in Ruß land zum Kriege hetzen: die Presse, die Polen und die Juden. Die Presse nur insoweit, als sie vom AuSlande, von Polen und Juden beeinflußt ist, oder von Polen und Juden bedient wird. Die Seele aller Kriegshetzerei in Rußland aber sind die Polen. Und nicht etwa deshalb, weil sie meinen, daß Rußland in dem Kriege siegen werde, sondern weil sie denken, daß Rußland geschlagen uud zerschlagen werde und cS dann den Polen möglich werde,' ihr Polcnreich wieder aufzurtchten. Tie Juden, welche in der russischen Presse und sonst mtt in daS KriegSgeschrei einstimmen, lhun dies aus demselben Grunde wie die Polen: ihnen geht es in Rußland schlecht, und sie hoffen, daß wen» es Rußland im Kriege schlechter geht, es dann den russische» Juden besser geben werde. Wieviele Pole» in der russische» Presse, in hohen russischen Aemlcrn, selbst in der russischen Armee, sich einzunistcn ver standen haben, das wäre genauerer Forschung werth. Fch hatte ihre Zahl sür sehr bedeutend und auch ihren Ein fluß. Viele haben freilich, um sich als Polen unkenntlich machen, ihre Endsilben „owski" abgelegt, aber z. B. liannowSki ist ein echter Pole, auch der Ehes des russischen General- stabs — freilich fällt mir augenblicklich sein Name nicht ein — und selbst der General Gurko entstammt einer polnischen Familie Weiß rußlands. Rußland ist aber — ganz abgesehen von seiner Hungersnoth, seinen Lholeraverheerungen und seiner Finanzlage — für mindestens drei Jahre am Kriege verhindert, weil es eher seine Ausrüstung mit dem neuen Gewehr und Pulver nicht vollendet hat. ES kann also von unmittelbarer Kriegs gefahr von diesen beiden Seiten gar keine Rede sein." Ter Fürst ging dann auf die z weijährige Dienstzeit ein, deren Gegner er bekanntlich im Gegensatz zu der Mehr heit aller Parteien ist, und bemerkte endlich i» Bezug auf die Deckung der Kosten, er würde es sür das Richtige halten, erst die Quellen für neue Steuern zur Deckung der Militair- lasten nachzuwciscn, und dann erst an die Frage der Be willigung erhöhter Militairbedürfnisse heranzutrcten. Man ersieht hieraus, daß Fürst Bismarck, waS die politische und die mililairischc Lage betrifft, ziemlich genau derselben Meinung ist, wie sein Nachfolger noch im vorigen Jahre. Damals glaubte auch Graf Caprivi nicht an die Nähe einer Gefahr und hielt eine wesentliche Vermehrung der HecreSstärke nicht für das rechte Mittel zur Sicherung vor etwaigen Gefahren. Seitdem hat ver jetzige Reichskanzler seine Ansicht geändert. Warum'? Das ist augenscheinlich für den Fürsten Biömarck ebenso ein Buch mit sieben Siegeln, wie für die nationalliberale Partei und alle anderen Parteien. Auch für den Fürsten Bismarck kommt es also zunächst darauf an, welche Antwort auf dieses „Warum?" erlheilt wird. Für so ganz gefahrlos scheint er die Situation übrigens doch nicht zu halten. Denn wenn er erklärt: „Ich glaube, daß der Krieg vor 2 bis 3 Jahren keinesfalls auSbricht", so klingt das nicht gerade sehr optimistisch. Und wen» er den Zaren auch für höchst friedliebend halt, so weiß er doch aus der Geschichte, daß der Vater des jetzigen Zaren zu einem Kriege sich zwingen ließ, den er gern ver mieden hätte. Jedenfalls legt der Blum'sche Bericht den Wunsch naht, daß Fürst BiSmarck sich entschließen möchte, bei der Bcrathung der Militairvorlage im Reichstage nicht zu fehlen. Dieser Wunsch wurde ihm denn auch von einem der Leipziger Herren Besucher nahe gelegt — und ver Fürst verhielt sich nicht direct ablehnend. Er betonte allerdings die bekanntlichen Mißlichkeiten, die ihn in Berlin erwarten würden, fügte aber hinzu: „Ich müßte vor Allem als Officier, der ich ja doch bin, in Uniform im Reichstag erscheinen und, voraussichtlich al» der einzige Officier deS Hause«, dem Ministerium Tr. Majestät Opposition machen. Das möchle ich nicht ohne äußerste Noth. Wenn die aber vorläge, würde ich im Reichstag erscheinen." Diese Erklärung ist der wichtigste Punct deS von Herrn vr. Blum erstatteten Berichtes, das wichtigste Ergebniß seiner Unterredung mit den Leipziger Gästen. Erscheint Fürst BiSmarck im Reichstage, so wird er zweifellos auch in die Commission gewählt, der die wichtigsten ver traulichen Eröffnungen werden gemacht werden, von denen die Entscheidung abhängl. Sein Votum in dieser Commission wird schwer >nS Gewicht fallen und vielleicht auch zur Parole für viele andere ReichStagS- mitglieder werden. Erscheint ver Fürst im Reichstage nicht, so muß man annebmen, daß er eine besondere Gefahr in der Militairvorlage und ihrer Annahme dann nicht mehr erblickt. Auch das wird für Viele von ausschlaggebender Bedeutung sein. Jedenfalls aber läßt sich schon aus der Unentschiedenheit der Frage, ob auf das Erscheinen des Fürsten im Reichstage zu rechnen ist oder nicht, erkennen, daß weder von der Ertbcilung einer Parole durch ihn, noch von der Einholung einer solchen die Rede sein kann. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. November. In den letzten Jahren hat bekanntlich im Reichstage aus oft erörterte» Gründen die Frequenz, besonders am An fang der Tagungen, viel zu wünschen übrig gelassen, so daß häufig Unterbrechungen stattfinden mußten oder nur mühsam vermieden werden konnten. DaS wird hoffentlich in der bevorstehenden Session anders werde». Die wichtigsten Ver handlungen stehen unmittelbar bevor und sehr bald können auch bereits die bedeutungsvollsten Entscheidungen fallen. Zunächst ist zu erwarten, daß das Centrum sofort nach der Eröffnung der Session seinen Antrag wegen Aufhebung deS Jesuitengesetzes wieder einbringt. Die Partei bar alle Veranlassung — selbst für den Fall, daß sie entschlossen wäre, der Regierung in der Militairfrage weit entgegenzukommcn, ja sogar dann erst recht —, seiner ungeduldig und zweifelhaft ge wordenen Gefolgschaft so rasch wie möglich aus kirckcnpolitischcin Gebiete eine in die Augen springende That zu dielen. Ob eS, wenn ihm die Wahl frcistande, sich dazu gerade die Jesuiten frage aussuchen würde, mag dahingestellt bleiben. Aber die Zurückziehung deS entsprechenden Antrages im vorigen Jahre ist gerade eins der Momente gewesen, welche daS Vertrauen weiter Kreise der ultramontanen Wählerschaft erschüttert haben. Darum ist man jetzt in der Zwangslage, den Antrag nicht allein wieder einbringen, sondern um den Verdacht, daß er abermals als diplomatische Handhabe benutzt werben könnte, nicht erst aufkommcn zu lassen, auch bald zur Verhandlung bringen zu müssen. Damit gewinnt denn die Frage ein erhöhtes Interesse, welche Bedeutung diese Ver handlung unter den gegenwärtigen Umständen haben wird. Für die Annahme seines Antrages verfügt daS Centrum mit Sicherheit außer seinen eigenen Stim men über diejenigen der Polen, Welsen, der meisten Elsässer, eine- Dänen und der Socialdemokralcn — zusammen 176 Stimmen. E« fehlen zur Mehrheit 23 Stimmen. Vor zwei Jahren noch würde eS für Windtborst ein Leichtes gewesen sein, diese aus den Freisinnigen nebst der Volkspartei aufzubringen. Ob es beute seinen Nachfolgern gelingen wird, erscheint sehr zweifelhaft. Mit einiger Sicherheit dürste höchsten» auf 10 Stimmen aus diesen beiden Fractionen zu sammengenommen zu rechnen sein. ES fragt sich dann, ob die Cou- servativen bereit sein würben, da« zum positiven ErfolgedeS ultra- montanen Antrags etwa noch Fehlende zu ergänzen. Die „Kreuzzeitung" würde sich dazu allem Anscheine nach wohl entschließen, aber eS ist durchaus ungewiß, wieviel konservative Reichstagsabgeordnete ihrem Rathe folgen würden. Immerhin muß die Annahme des CeotrumSanlragS al« möglich be trachtet werden. Welche Wirkung würde die Annahme haben? Zunächst eine Stärkung des Ansehens der CentrumSparlei. Wie aber würde sich der BundcSrath verhalten? Graf Caprivi hat bekanntlich im letzten Winter erklärt, die Zustimmung der preußischen Stimmen nicht in Aussicht stellen zu können. Obgleich das preußische Ministerpräsidium inzwischen gewechselt hat, darf man annehmen, daß diese Stellungnahme fortbestcht. Aber der BundcSrath würde sich mit seiner Beschlußfassung jedenfalls nickt beeilen, und cs könnte die Aussicht auf eine doch noch mögliche Zustimmung desselben für die Rechtfertigung einer wohlwollenden Hal tung deS CentrumS gegenüber der Militairvorlage ver- werthct werden. Hat doch schon eine für ossiciö- gehaltene Feder angedeutet, Preußen könne sich ja in der Jesuitcnfrage »m BundeSrathe überstimmen lassen I DaS ist nun allerdings beinahe ein schlechter Scherz, denn welcher der übrigen Bundesstaaten mit ganz über wiegend evangelischer Bevölkerung würde eö wagen können, für Wiederzulaffung der Jesuiten zu stimmen, wenn Preußen sie für unzulässig erklärte? Aber man sieht, wie eventuell mit einem vom Reichstage angenommenen Jesuitenantrage operirt werben könnte. Auch wäre ja nickt ausgeschlossen, daß der BundcSrath sich Angesichts eines solchen ReickStagS- bcschlusseS bewegen ließe, wenigstens den bayerischen Antrag auf Wiederzulaffung der Redemptoristen anzunehmen. Genug, man darf in der Jesuitenfrage auf eine Reihe interessanter Manöver gefaßt sein, die besonders den Mittelpartcien die Pflicht auferlegen, vollzählig von Beginn der Sitzungen an ihre Mandate auszuüben. Feuilleton. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 2dj Nachdruck verdotcn. (Fortsetzung.) „Sie hat'S auf sich genommen wie ein Verhängniß. Ein einziger rascher Blick üigte ihr den Abgrund ... und auch die Brücke. Da hat sie nicht gezögert ... eS ist ein gutes Kind, daS seine Eltern liebt." „Doch ihr Herz gehört einem Andern!" „Ick weiß ... dem Enrico drüben . . . einem schönen, jungen Mann. Begreiflich! Doch sie wird ihre Flügel schon usammenfalten, wenn sie in ein andere« Nest kriecht. Sie laat nicht — doch sie hat oft verweinte Augen. Nun, ihre Liebe war noch nicht recht flügge geworden ... das ver schmerzt sich leicht wieder." Der Doctor brachte zwar wenig Tröstliches für seinen jungen Freund mit; doch er hatte Erkundigungen einzichen wollen und hielt jetzt diese Aufgabe für erfüllt. Er küßte der Frau von Senden die Hand; sie drückte beim Abschied zärtlich die seinige und hielt sie mit einer gewissen Innigkeit fest. Der Doctor entzog sich dem Ausdruck ihrer HerzenS- wärme. Als er im>Vorsaale bis an die Treppe gekommen war, vertraten ihm Männer, die einen schönen Ebenbolz schrank trugen, den Weg; gleichzeitig körte er durch die offene Thür de« Salon- einen heftigen Streit. Lieber Senden", rief der Graf mit seiner Stentorstimme, „Du sollst mir in da« Zimmer, solange ich cS für unsere Sitzungen benutzen darf, nicht diesen Kram schleppen. E» ist >a keine MöbelauSstcllung, man kann sich ja kaum darin rühren." ,Hch sollte glauben", versetzte Senden mit einer von heiserem Ingrimm verschleierten Stimme, „Du müßtest cS hoch aufnehmen, wenn ich diesen «inen Salon sür Euch auf putzt« uud schmückte." „Und was das wieder für tbeures Zeug ist", rief der Graf mit einer sich steigernden Heftigkeit) „daS muß ein- sür allemal aufhören. Was sind das sür Sckwachköpfe von Händlern, die immer nur ihr Wasser in den Sieb gießen." „DaS mir vor allen Leuten", rief Senden, dessen Gefickt, statt wie früher von sanftem Rosenroth überhaucht zu sei», von einer Glührothhitze überflammt war, „das heißt doch meine Gastfreundschaft mißbrauchen!" Die Wolssaugcn FehrcnthalS funkelten. „Gastfreundschaft ... welche Ziegel gehören Dir denn noch auf diesem Dache? Wenns eine Herberge ist, so bin ich der Wirth, nicht Du! Fort mit dem Kram, sag' ich, sonst werf ich die Ebenholzschränke die Treppe hinunter unv ihre Träger hinterdrein." Da rauschte ein Gewand, etwas Helles flog an dem Doctor vorbei und zwischen die beiden Männer; ein paar bittende Augen, flehend erhobene Hände lähmten den Zorn des Grafen, der eben noch gewaltiger loSzubrcchen drohte. Die geballte Faust löste sich; so reichte er dem lieblichen Mädchen die eine Hand und streichelte ihr mit der andern daS Haupt, das sich an seine Brust lebnte. Der Baron sah noch immer finster drein ... dock auch er rührte sich nicht. Eine kurze Pause ... dann winkte der Graf den Trägern, welche sich bis dahin nicht weiter vorgewagt batten und trat mit Marie in die Fensternische zurück. Der Baron aber schien den ganzen Austritt vergelte» zu haben und traf mit Eifer die Anordnungen für die Aufstellung der in tiesdunklcm Glanze funkelnden Schränke. Oswald empfaiid inniges Mitgefühl niit dem zarten Friedcnsläubchcii, Las da bercingeflattcrl kam in den Streit der Männer: alles batte sie zum Opfer gebracht, ihr Herz, ihr Leben ... und doch war der Vater nicht glücklich, doch waltete Hader und Unfriede», den nur ihr eigenes Erscheinen ans Augenblicke bannte. Mußte sie da nicht ein inneres schmerzvolles Ungenügen empfinden? Wenn ein so großes Opfer vergeblich gewesen wäre. Doch vielleicht war da- Empsinden kindlicher Hingebung so mächtig in ihr, daß ihre Gedanken nickt Uber da» Nächste hinauSschweiften zu so ent« mutbigenden Folgerungen; sie sah wohl nur einen kleinen Zwist, den sie liebevoll auSglich. Während der Doctor in solchen Gedanken nach Hause fuhr, hatte Marie schon wieder daS Feld geräumt. Der Gras war im Begriff auszurcitcn; er versäumte an keinem Tage sich diese Bewegung zu macken; sonst erstickte er an seinem vollblütige» wilden Naturell. Und cS waren SturmeSritte über die Wege, durch die Alleen ... und der Stallknecht konnte kaum Nachkommen. Marie ging im Park auf und ab; sie wartete auf Susette, um mit ihr den gewohnten Spaziergang zu machen. Morgens und Abends .. so oft sie Muße fand, bestieg sie mit der Begleiterin den benachbarten Hügel. Tort halte sich früher eine Schwcdciischanze befunden und er hieß deshalb der Schwetenberg. Er gewährte eine» ebenso anmuthigcn wie weitreichenden Rundblick. Nack Westen bin lag Enrico'S Heim mit dem hochragenden Schornstein . . . und dort hinüber flogen die Träume ihrer vergeblichen Sehnsucht. DaS konnte ihr Niemand wehren — auch nicht, wenn auS dem gepreßten Herren Seufzer aus Seufzer, wenn eine Thränc ihr aus dem Auge drang! Und wie wechselnd waren die himmlischen Lichter, die das von grünen Waldstreifen cin- gerahmle Bild umspielten! Helles freudiges Morgenlicht das eine Mal ... das andere Mal webmüthiger Abend schimmer ! Dann wieder schwer sich berabsenkcndeS Gewölk... doch in jeder Beleuchtung sah sie sein Bild, hcllaufleuchtend mit den Sonnenstrahlen, schwermuthsvoll trübe mit der Gc- witternacht. Sein Bild ... sie hatte za nicht« von der Liebe gerettet als die- allein — und Niemand durfte ihr» rauben. Da stürmte auf seinem Rappen der Graf vorüber ... Hinter ibm auf dem gespornten Schecken nackkcuckend der Stall knecht! Es war, als ob KieS und Funken stoben ... wie der wilde Jäger raste er dahin auf dem stäubenden Herweg — und dann mit einem kühnen Satz über Gräben und Hecken querfeldein! Da schauerte sie zusammen wie vor einem ent setzlichen Traumgesicht. Ihr war's, als wäre sie an die Mähne deS NosscS gebunden und würde von dem schnaubenden Thier mit sortgeschleppt und fortgeschleift über die scharf kantige Scholle, durch zerknickte Kornähren, durchs Gezweig, da- ihr ins Gesicht schlug, durch Disteln und Dornen, di« ihr da- Kleid zerfetzten. Und wenn sie näher hinsah . . da sprühten die Nüstern des RosscS Feuer und die Peitsche deS Jägers schwebte drohend über ihrem Haupte und an ihren Fersen bellte die wilde Meute. Es war ein Traum ... der Graf war ja sanft und liebevoll ihr gegenüber, er batte ihr nur Liebes mW Gutes erwiesen. Roben und Edelsteine gekauft in Hülle und Fülle... er ließ sein Schloß für sie in einen Zauberpalast umwandeln — und er schien so glücklich, wenn er ihr das alles erzählen konnte ... lag dock darin ein Geständnis; seiner Liebe, da« er sonst kaum über die Lippen brachte. Er war ja kein jugendlicher Schwärmer mehr; nachdem er sie einmal für sein künftiges Weib erklärt, einmal von ihr Besitz genommen mit Leib und Seele — was bedurfte es da müßiger Wieder holungen in zärtlichem LiebeSgeflüstcr? Stumm drückte er sie an S Herz — stumm drückte er einen Kuß auf ihre Stirn, nur selten in süßerem Rausche auf ihre Lippen, doch wie sie sein ganzes Leben auSfüllen würde, wie er sie auf Händen tragen und glücklich machen wolle, das sagte er ihr oft und malte ihr den glänzenden Rahmen auS, den er schon jetzt herbeischaffte für das Bild des künftigen Glückes. Doch wie war er gegen die andern? Da blitzten seine Augen oft unheimlich — düster zogen sich die Brauen zusammen . . . seine Stirn hatte etwa- Drohende«, Mächtiges, Erschreckendes . . . und wenn ihn der Taumel des Zornes erfaßte, da schicn'S über ihn zu kommen wie eine fremde Gewalt, und ein Trieb zu vernichten, zu zerstören, zu zermalmen, schien diesen ganzen Ricsenkörper zu ergreifen, zu bewege». Und wenn sich das alles einmal gegen sie selber kehrte? WaS dann? Ihre Nerven mochten davor erzittern, ihr ganze« Leben in eine krampshastc Nothwehr verwandeln — doch da- Opfer der Kindesliebe war vollbracht, als sie ihr Herz ver- leugnete und mit dem Geliebten das Glück ihres Leben» preiSgabz wa« weiter noch kommen konnte, da« waren äußere Schrecknisse, welche die« Opfer nicht vergrößern konnten. (Fortsetzung folgt.)
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