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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921109024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892110902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892110902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-09
- Monat1892-11
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Eine Vorlage, sür die mit den gewaltsamsten Mitteln Stimmung zu machen versucht wird, kann man doch nickt ablehnen lassen, ohne zur Auflösung des Reichstags zu schreiten. Glaubte aber Graf Caprivt, daß es zur Auslosung des Reichstags kommen könnte, so würde er keinen Augenblick säumen, der Landwehr eine Genuathuung für jene Herabsetzung zu geben, die bei Neuwahlen von unberechenbaren Folgen sein müßte. Da nun aber schwerlich ein Mensch die unerschütterliche Sieges zuversicht de- Herrn Reichskanzlers thcilt, so muß man mit Schrecken an den Wahlkamps und die Wahlresultate deuten, die einer Auflösung des Reichstags folgen müssen. Mit welchen Erfolgen werden die Bemerkungen des „Militair- WochcnblatteS" über die Landwehr von radikalen und zer setzenden Parteien ausgenutzt werden und wie wird die patriotische Hingebung gerade in solchen Volksschichten gelähmt sein, die bisher als das festeste Rückgrat unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung galten! Mit wie bitteren Ge fühlen müssen viele Mitglieder unserer trefflichen Kricgcr- vereiae, alte LandwchrmLnner, die mit Stolz auf ihre Kriegs- zeit zurückblicken, solche Verunglimpfungen in dem ersten Fachblatte des Heere- vernehmen! Und wie werden sie stimmen, Wen» der Herr Reichskanzler an sie appellirt und von ihnen fordert, sie möchten eine Majorität in den nächsten Reichstag schicken, die ihre Zustimmung zu einem Gesetzent würfe giebt, der von officiosen Federn begründet wird mit Hinweisen auf die angebliche Minderwerthigkeit einer Truppen gattung, die in allen preußischen und deutschen Schlachten mit hohen Ehren bestanden hat, den festen Schlußstein unserer Wehr- traft bildet und recht eigentlich da« Volk in Waffen darstellt! Es mag ja eine beneiden-werthe Gemüthsvcrsassung sein, die solche Eventualitäten nicht voraussieht und ihnen nicht Vorbeugen zu müssen glaubt. Aber dem Reiche ist mit einer solchen GemüthSvcrfassuug seines verantwortlichen Steuermannes nicht gedient: es versinkt in immer tiefere Sorge und denkt mit immer tieferer Sehnsucht an eine Zeit zurück, in der Vor gänge, die jetzt an der Tagesordnung sind, unmöglich waren. Dir Sorge vor einer geradezu heillosen Eonsusion bei eventuellen Neuwahlen zum Reichstage wird noch vermehrt durch die Taktik, die bei Ersatzwahlen zum Reichstage von einzelnen Parteien verfolgt wird. Wiederholt hat man bei solchen Gelegenheiten in neuerer Zeit beobachten können, daß Jeder gegen Jede» kämpft und von einer Grupvirung der Parteien nach großen Gesichtspunkten nicht mehr die Rede ist. Dies tritt jetzt auch im Wahlkreise Marien- werder-Stuhm zu Tage. Dort war bei der letzten Reichstagöwahl der damalige Landrath Wessel im ersten Wahl gange gegen seinen polnischen Gegenkandidaten gewählt worden, während sonst der Pole besten Falls in der Stichwahl mit knapper Mehrheit geschlagen werden konnte. Die Ursache lag in dem Zusammengehen des Gros der Deutschen. Herr Wessel, welcher in Folge seiner Ernennung zum Potizei- dircctor in Danzig sein Mandat niederzulegen gezwungen war, candidirt auf Ansuchen aus dem Wahlkreise wieder. Trotzdem hat, wie schon erwähnt, eine hochconservative Gruppe unter dem Einflüsse des Herrn von Puttkamerl Plauth einen Gegenkandidaten in der Person dcS MaiorS a.D. von Dieskau aufgestellt. Die Liberalen, welche bis dahin für Herrn Wessel im ersten Wahlgange zu stimmen bereit waren, sollen daraufhin gleichfalls die Ausstellung eines be sonderen Eandidaten beschlossen haben, so daß dem einen, von dem Centrum mit unterstützten polnischen Cantidaten drei deutsche Candidaten gegenüberständcn. Wiederholten sich — wie kaum anders zu erwarten sein würde — nach even tueller Auflösung des Reichstags solche Vorgänge und kämen noch hinzu zu den schon oben gekennzeichneten Folgen einer unbegreiflichen Regierungstaklik, so müßte man sich aus einen Reichstag gefaßt machen, wie ihn Deutschland noch nie ge sehen und in seine» schlimmsten Träumen nicht geträumt hat. Und leider ist das Unerwünschteste jetzt daö Wahrscheinlichste und wird das Wahrscheinlichste bleiben, so lange ein System fortdancrt, taS zwar von sich selbst sagt, cs nehme das Gute, wo dasselbe zu finden sei, das aber von dem vorhandenen Guten schon viel zerstört hat, anderes herabsetzt und zerstört, Trauben auf den Dornen sucht und dadurch den Kampf Aller gegen Alle und Aller gegen das System entfesselt. Die erfreulichste politische Nachricht, welche beute aus dem Ausland vorliegt, lautet dahin, daß bei den gestern in dem Riesenrciche der Vereinigten Staaten von Nordamerika stattgefundenen Präsidentscbaftöwahlen der Candidat der dcmokratischcil Partei, Clcvcland, einen ganz ent scheidenden Sieg davoiigetragen hat. Dank der vor zügliche» Einricktungcn, welche in der großen Republik jcn- feits dcS Oecanö in Bezug auf daö rasckc Bckannlwerdcn der Wahlergebnisse bestehen, ist schon am heutigen Morgen nach allen Gegenden des Erdballes die telegraphische Kunde gedrungen, daß Grover Cleveland seinen Gegner Harrison mit 25,7 gegen 18? Electoralstiinmen geschlagen hat, also mit der sehr ansehnlichen absoluten Mehrheit von A4 Stimme». Dieses Resultat übersteigt die kühnsten Erwartungen, welche die Anhänger Cleveland'ö bis jetzt an den Tag legten, und läßt klar erkennen, daß die Bevölkerung der Vereinigten Staaten die Herrschaft der republikanischen Partei gründlich satt gehabt bat. Es liegen noch wenige Einzelheiten über den WahlauSfall vor, aber auch dieses Wenige läßt bereits die Größe der Niederlage erkennen, welche die Republikaner erlitten haben. Tic Zahl der Stimmen, welche im Staate und in der Stadt New-Iork auf Clcvcland gefallen sind, übersteigt die republikanifchen Stimmen um ein Gewaltiges und das Gleiche wird aus Brooklyn gemeldet. Es ist das um so bcmerkenswertbcr, als der Staat New-Hork in der Regel bei den nordamcrikanischen Präsidentschaftswahlen ausschlag gebend ist und vor vier Jahre» Harrison daselbst die Mehr heit der Stimmen hatte. Der Grund des gestrigen Wahl ergebnisses ist von »ns schon des Ocstcrcn, als wir auf die günstigen Wahlaussichten Clcveland's aufmerksam machten, dargelegt worden; eS handelte sich dieses Mal um einen Principienkampf und zwar darum, ob die berüchtigte Mac Kinleybill ungeschmälert in Kraft bleiben unv die schmach volle handelspolitische Absperrung der Vereinigten Staaten forldauern solle. In dieses System rücksichtsloser Aus beutung der Volksmassen durch den Schutzzöllner-Ring ist durch den gestrigen Tag Bresche gelegt worden. Es wird zwar noch einige Zeit dauern, bis dieser AuSbeuterwirthschaft ein Ende bereitet fein wird, da augcnbiicklick im Senat noch eine schutzzöllncrischc Mehrheit vorhanden ist, aber kommen wird und muß der Bruck mit diesem System, denn sonst hätte die gestrige Abstimmung keinen Sinn. Das Ergebniß deS Wahlkampfes darf namentlich auch sür unsere deutsche Industrie, die so innig mit der transatlantischen Republik verbunden ist, als daö Morgenroth einer besseren Zukunft betrachtet werden. Hvcherfrculich ist auch, daß unsere deutschen Landsleute in der Union so wacker und ein flußreich sür Cleveland in die Schranken getreten sind. Tie ungarische Ministerkrisis ist um einen ent scheidenden schritt weiter vorwärts gerückt: der Kaiser hat die Demission des Cab inetö Ezaparh angenom men und die Minister ersucht, die Geschäfte bis zur Bildung eines neuen Ministeriums weiter zu sichren. Vom Grasen Szapary verlautet, daß er keine Neigung habe, wieder an die Spitze dcS Ministeriums zu treten. Für heute Mittag war eine Sitzung deS Pester Magnatcnbauses einberusen, in welcher Szapary den Stand der Krisis, beziehungsweise die Demission des Cabinetes mitthcilen wollte. Tie Krisis ist viel tiefgehender und ernster, als bisher an genommen worden war; sie hat ihren Ursprung in der inneren Spaltung der großen liberalen Partei, die in Ungarn am Ruder ist. Ein Theil derselben macht die so ur Bedingung, während der andere -rh u, »in v v von Sza/aryk derselben Widers r° . , Scheute . w Bersammluna der liberalen lar sollte. Heber die icher die heikle Lage bcrachen w ^at»n'schxn Civilehe Haltung der Krone m Ach sAlr jedenfalls gehen die Meinungen no» au wa d r. ck ^ l gemeldet, daß Kaiser Franz nivilehc abgelehnt habe, rinn, vorgeschlagene odligaloricke C^ ^h ^^net- Uber- worauf Szapary das RücktrittSge, ci, Kaiser berufenen reichte. Morgen Abend re„en d>e v°,n «° »^rher, u.n Cabinets nicht die Rede war, da eö sich Z I handele. nack der Zustimmung oder Ablehnung seitens der Harle, seine E> '^"P es?'»" November. In hiesigen politische" Krechnwirdviel. sachAeglaubt. es,ei ei» Jrrthum. auzui,ch.m'' daß der K°iIer. wie bisher allgemein bebauplet wurde, die L'vrlebe n,a,l ge statt-w ° l, e. Jenes Mischehegese«. da 'm cberdause oor wahren siel, war auch Civilehcgesetz. das ohne die vorherige wc uehmigung des Kaisers nicht Halle clngebracht werde-, können, Auch sc. cs widersinnig, aiizuiikhmc». dag der ^ ' ^ Ialue» die Civilehe i,>A»S„cht stellte, die- sethan habe, ohne über du Ansichlcn des Kaisers unterrichtet zu ff'", oder dag crgac d e zuwider gebandelt babe. Dasselbe gilt von T-Sza. Mcser kennl sicherlich die Gesinnung de- Kaisers. Wenn gatorische Civilehe fordert und deswegen aus der Rkgtcrnng parl , treten will, kan» nicht angenommen werden. " handle gegen die Absichten de« Kaisers. Man glaubt daher, ^ ^ie Cwilche wch bewilligt werden wird, aber erst dem klinfligen Cablnet. r Cultusminister Esakq soll jüngsthin geäußert ^' ^ LwUehe werde auch im Ll>«rhanse, wenn auch schwer, durchzubrmgen sein. tvt.Z.) Es war vorauSzuschcn, dczß der Beschluß der belgischen Kammercommission, das allgemeine Wahlrecht aus zu schließen, in den Masse» der belgischen Bevölkerung heftige Erregung bervorgerufcn würde. Die seit gestern cingetroffenen Nachrichten bestätigen diese Vermuthuiig und eS habe» sich insbesondere in Brüssel Er eignisse abgespielt, die nur noch sehr wenig entsernt vom offenen Aufruhr sind. Es liegen folgende Telegramme vor: Brüssel. 8. November Mittags. Zahlreiche Gruppen von Arbeitern durchziehe» unter dem Gesänge der Marseillaise und Car- magiiolc und »»tcr Hochrusen aus da« allgemeine Stimmrecht die Straßen. Bisher ist cs zu keinem Zwischenfall gekommen. Brüssel, 9. November. Sowohl hier, wie in Gent und Lüttich ist der verstoßene Abend sehr bewegt gewesen. Die Socialisten hielte» überall wieder in den Straßen Umzüge und beschlossen, heute den össcnllichen Vcrsainnilungen beizuwolnien und jeden Abend von jetzt an Umzüge zu halten. Als die einzelnen Gruppen den «ersuch machten, am König-palai- vorüberzuzlchen, wurden sie durch die hcrbcigecilte «ürgcrwehr daran gehindert. Brüssel.». November Abends. Ein, Monst rekundgebung wird den Abend vorbereitet. Mehrere Meetings sind angekündigt. Gegen 5000 Personen sind vor der Maijo» d» Penple angcsanimett, der Verkehr ist unterbrochen. Zwci Lssici ere derBürgergarde, welche auf der Place royale „Es lebe da? allgemeine Stimmrecht" ge- rufen hatten, wurden zn zwei Jahren Degradirung und einer Geld- büße vcrurtheilt. Brüssel,?). November. Nachts 10 Uhr gelang es den Mani - festanten, bis zum ttünigsschlosle vorzudrlnge». Die Gciidarmcric trieb mit blanker Masse die Demonstranten au-etnander. Das Getümmel war unbeschreiblich. Zischen und Psciscn ertönte. Mehrere schwer Verwundete wurden in benachbarte Kaffees ge« bracht. Leider ist die Haltung der belgischen Regierung keine so feste, daß man ans eine energische Unterdrückung der Un ruhen hoffen dürste. In Pari« herrscht wegen des neuesten Bomben atten tat eS, dem eine Anzahl pslichtgetrcuer Polizeibeamter um Opfer gefallen sind, unbeschreibliche Aufregung, die sogar bis in die Deputirteukammcr hinein ihre Wellen schlagt. Es zeigt sich jetzt klar, daß die schwächliche und furcht same Haltung de« Ministeriums Loubet gegenüber den Ausschreitungen der Anarchisten und Socialisten dieselben nur noch frecher macht und daß die Aera der Dynamitver- brechcn auf« Neue begonnen hat. Zn der Kammer wurde gestern Vas Cabinet von einem Abgeordneten der Rechten ganz offen der Schwäche geziehen. Lächerlich klingt es nach seinem ganzen bisherigen Auftreten, wenn Loubet darauf erklärte, die Re gierung werde ohne Erbarmen gegen die Urheber dieser bar barischen Handlung Vorgehen, alle guten Bürger auf- forderte, gegen die verbrecherischen Theorien anzukämpfen, und schließt^ sich mißbilligend gegen Diejenigen aussprach, welche die „Enterbten" ausreizen. Die Deputirtenkammer ist jedenfalls auch vo» der allgemeinen Furcht undSchwäche angesteckt, venu Alles, waö sie that, bestaub darin, daß sie diejenige zahme Tagesordnung annahin, in welcher Mißbilligung gegen diesen barbarische» Act ausgedrückt und das Vertrauen zur Wach samkeit der Regierung ausgesprochen wird. Als wenn sich die Anarchisten wegen einer solchen Resolution auch nur ein graues Haar wachsen ließen, im Gegenlheil, sie werden wegen der jammervolle» Haltung der französischen Regierung und Volksvertretung sich in die Faust lachen. So viel steht fest: Frankreich hat aufgehört, ein Staat zu sein, auf den man als Behüter von Gesetz und Ordnung bauen kann, und alle anderen Staaten werden gut thun, aus die von dort drohen den Ereignisse sich in Zeiten vorzubereite». — Ueber das scheußliche Dynamit-Altentat in der Rue de Bons EnfantS liegen folgende neueste Telegramme vor: Paris, 8- November. Das neue Dynamit-Attentat ruft in der Bevölkerung große Erregung und Bestürzung hervor, obwohl die Ansicht vorherrscht, daß die Explosion bet größerer Vorsicht auf Seilen der Polizeiagenten vermieden worden wäre. Die Opfer des Attentats sind Untcrbrigadier Formcurin, EominiffariatS-Secretair Pouffet, Bicesecretair Fogard und Pclizciagent Reaur, welche aus der Stelle getödtet wurden; ferner der Inspektor des Lomuüsjoriot« Aroutte«u. der mit zerschmetterten Beinen und tiefen Wunden an Kopf und Brust sterbend in» Spital gebracht wurde. Paris, 8. November. Durch die Explosion in der Sine des bonS EnfantS wurde», wie auS weiteren Meldungen hervor geht, 4 Personen sofort getödtet. Ei» fünftes Opfer, dessen Tod mittelbar durch die Explosion verursacht wurde, war der Unter- brigadtcr Hcnriot, welcher im Laufschritt nach der UngtücksstäUe eilte und vor dem Thor deS Hauses vom Schlage gerührt nicdersiel. Dem bei der Katastrophe verunglückten Polizeiinspector Tronlot wurde das rechte Bein ainputirt, der Zustand deS Verwundeten ist fast ein hoffnungsloser. Paris. 8. November. Um 3 Uhr Nachmittags begann Feuerwehr-Mannschaft die Trümmcrstücke von der Explosion in dem Polizeicommiffariat in der Rue des bons Enkants z» be- fettigen. Die Leichname der Getödtetcn und die Verwundeten wurden In leinenen Tüchern nach einem benachbarten Schuppe» geschasst und dort auf Tragbahren gelegt. Die Minister Loubet und Ricard begaben sich heute Nachmittag in das Geschäftshaus der Bergwerks-Gesellschaft tn Carmaux und hatten daselbst eine längere Besprechung mit den Mitgliedern deS Verwaltung-ratheS. — Wie verlautet, hat die Bergwerks-Gesellschaft von Larmaux während de- nunmehr beendeten Streik- zahlreiche Drohbriefe erhalten, darunter einen, worin der Gesellschaft an- gedroht wird, da- Geschäftshaus derselben in die Lust zu sprengen, falls nicht sämmtliche Bergarbeiter sofort wieder eingestellt würden. Paris, 9. November. Mehrere Blätter vcrurtheilen überet». stimmend daS gestrige Dynamit-Attcntat, gehen aber In ihren Ansichten auseinander, wem die Verantwortung für das Verbrechen zuzuschreiben sei. Die konservativen Organe klagen die Schwäche der Regierung an. Einige, wie z. B. da- „Journal des DLbats", richten ihre Klagen gegen die Radikalen und So- cialistcn, welche die Streikenden in Cannaux ermnthigt hätten. Die Radikalen erklären, derartige Verbrechen hätten mit der politischen Partelstellung nichts gcinein. Wie verlautet, ist früh- morgens die Verhaftung mehrerer Anarchisten erfolgt. Ein Jndi- viduum, welches seine Zustimmung zu dem Attentat aussprach, wurde gestern Abend verhaftet. Bisher hat die Untersuchung noch keine Resultate ergeben. Ein hoher Beamter der Sicherheitspolizei ist nach Car- maux abgereist, um die Specialunteriuchung einzuleilen. Bezüglich der Urheber des Attentats ist di« Polizei bisher ohne jede Spur. Die An- gaben der Bewohner des Hause- in der Avennue de l'optzra über das Feuilleton. Dämmerungen. Roman I» drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 83s Nachdruck verdate«. (Fortsetzung.) ,Hoch lebe unser Märtyrer!" rief der Architekt, mit dem Rentier anstoßend, „und Wittwe Cliquot möge ihn noch lange trösten über sein unheimliche« Geschick!" „Sie lachen, meine Herren . . . e« wäre mir viel lieber, wenn Sie auf die ungünstigen Zeitverhaltnisse Rücksicht nehmen und vor allem Ihre Bauanschläge gewissenhaft inne- hiclten. Dergleichen ist freilich noch nie vorgekommen. und einem Baumeister, der den vereinbarten Etat nicht überschritte, müßte ein dauerndes Standbild errichtet werden. Sic, liebster Heinrich, bauen zu solide." „Doch man kann nicht solide genug bauen", versetzte der Maurermeister. „Man baut solche Miethshäuser doch nicht für die Ewig- keit, ich meine, Sie nehmen zu theures Material und gehen über den Voranschlag weit hinaus. DaS Volk, das in diese Wohnungen einzieht, will nur einen bestimmten abgetheilten Raum haben, um sich einwohnen zu können »nd nicht gerade aus der Straße zu liegen. Zuerst kommen die Trocken wohner und wenn diese die Loai« desinficirt haben, wofür sie nicht einmal Miethe zu zahlen brauchen, so folgen die eigentlichen Mictber und übervoller» die Stuben und Kücken. Ich kann nur billige Miethspreise nehmen und die Leute selbst wollen blos Platz, nickt« als Platz, und es ist ihnen ganz egal, ob zum Bau Fachwerk oder die schönsten Bau steine genommen sind." »Iber die Dauerhaftigkeit", versetzte Heinrich; „daS ist doch ,m Interesse de« Eiaenthümcrs. . ." „Das schlägt man baldmöglichst wieder loS, es giebt ja immer Ehrgeizige, welche Grundeigenthümer werden wollen und denen jeder Kasten recht ist, wenn man nur zur Thür hincinziehcn und zu den Fenstern heraussehen kann. Sie aber, mein lieber Herr Wolf, haben wieder künstlerische Marotten, und mit Ihren Giebelfeldern, Friesen und mit weiß Gott was sür Stuckaturen in den Vorfluren und Treppenhäusern vertheuern Sie mir meine Villa in fast unerschwinglicher Weise. Vor allen Dingen, meine Herren, ein Mann, ein Wort! Ein Voran schlag ist ein Wort und es sollte jeder wegen Vertragsbruchs bestraft werden, der uns Arbeitgeber auf einmal mit Ziffern überrascht, von denen nie die Hede war." „Ja, wir müßten mit Halseisen an den Pranger gestellt, mit faulen Aepseln beworfen werden. Für jedes hundert Mark mehr ein Apfel", sagte der Architekt; „aber, bester Herr Faber, ein Voranschlag ist dock nur eine Meinungsäußerung, keine eidliche Verpflichtung; wir sind nicht allwissend . . ." „Dock wie kommt cs denn, daß Ihr Herren niemals bei der Ausführung hinter demselben zurückbleibl? Weil solch ein Voranschlag eine Leimruthe für uns Gimpel ist; sitzen wir erst fest, so kommen wir nicht wieder los, ohne zu bluten." „Ick will nickt behaupten", meinte der Architekt, „daß dieser Vcrgleick in allen Punctcn unhaltbar sei. Doch bei Liesen Gesprächen muß ja der Wein zuletzt sauer werden." „Sie haben recht, meine Herren", versetzte Faber, „jetzt nicht« von Geschäften. Haben Sie die junge Dame hier ge sehen? Es war eine Künstlerin!" „Käthe Blau", meinte Wolf, „singt immer falsch, trägt aber schöne Toiletten." „Daö sind die Dividenden", meinte Heinrich, „sie macht ja offenbar Börsengeschäfte." „Es ist eine geistreiche junge Dame", sagte Faber. „doch sie wird von der Direktion und der Kritik mißhandelt. Da ist die Andere, die Teresa Stern, die läßt alle Minen springen und das Publicum wird düpirt. Es ist Zeit, daß man da einmal einschreitet und dieser aufdringlichen Persou eine gute Lehre giebt." „DaS Mädchen hat Poesie", meinte Wolf. „Poe,ic. . vieueicyl weit,ie Eiern ycigl.-' Eie hat st selbst an den Himmel versetzt ; sie heißt eigentlich Stobitz, und ist eine Sennerin, die in den österreichischen Alpen herun aejodelt hat. In der That, eS ist eine Beleidigung für al Andern, wie sic immer in den Zeitungen auSgetrvnime wird. Da wäre das beste Gegenmittel, sie einmal im Theall auSzutrommeln." „Sie sind ja plötzlich ein Kunstenthnsiast geworden", ve setzte der Architekt mit ironischem Lächeln. „Fürwahr! Herr Wolf", sagte Faber, „Sie würden m einen Gefallen ihn», wenn Sic einmal niit Ihren jung, Freunden diese Künstlerin an einem schönen Abend lynchc möchten." ^ „Theeren und Federn, daS wäre doch das Mindeste meinte der Architekt. sagte der Maurermeister lachen „Man konnte ja das Nähere verabreden .. ich habe au noch andere HilsStruppcn zur Verfügung." „Also ein Skandal in aller Form?" fragte der Architel „Nein, die wahre öffentliche Meinung soll zu ihre Rechte kommen; man wird den bestochenen ZcitungSichreibei zeigen, daß ihr Fabrikat nicht echt ist und vollkoinm. wirkungslos, und das hochnäsige Dirnchen wird zu Kreu kriechen musten vor se.nem höchsten Richter, dem Publicun Diese Teresa Stern sinnt und spielt ja, als wäre sie vi ewcr Mccrschwe.nchc.,bühne entlaufen." ' .Lellner zahlen!'' rief jetzt der Architekt mit kräftig Stlnime, indem er seinen Hut vom Ständer nahm ° ärgerlich *'»?" Fab „Ihr künstlerisches Unheil in Ehren; inSachen der Architekt, da Hab ich s zur Genüge kennen lernen, aber Sie stehen vi zu hoch, um sich mit dem Theatertröbel zu besä,len und davon sehr wenig versteh« Ich S°be fast nie ,,, die Operettenbude; doch Hab' ich einmal besucht Da habe ich mich überzeugt daß Teresa S», Fehler hat, nämlich den, in dieser Truppe mitzuwirkcn. Ein Stern unter lauter Irrlichtern — und selbst verdammt, den Irrwisch zu spielen. Ich stimme daher dem Urtheil der Presse bei und bedauere, auf das Vergnügen verzichten zu müssen, bei einem so köstlichen Skandal mitzuwirken, »och dazu unter der Aegide eines Stadtverordneten. Sie sind doch Stadtverordneter, Herr Faber? Besser kann man'S ja gar nicht haben, als unter obrigkeitlichem Schutz sich anSzutoben. Ich muß nach dem Bau sehen; die Arbeitsstunde beginnt wieder. Eine kleine Meinungs verschiedenheit — da wird unsere Freundschaft nicht gleich aus dem Loth gehen." Auch Heinrich wollte sich erheben, doch Faber hielt ihn zurück. „Ein Wort noch, Meister! Sie denken doch nicht wie dieser iunge Schwärmer?" „Was kümmern mich die Komödianten! Es ärgert mich schon, daß meine Tochter oft ihre Photographien kauft! Glücklicher Weise sind sie wohlfeil." „Ich will Ihren Arbeitern nächstens einmal einen froben Abend bereiten; ich gebe Ihnen sechzig FreibilletS, die Sie an dieselben vertheilen mögen. Dafür sehen sie sich eine schöne Vorstellung mit an und baden keine andere Ver pflichtung, als jedesmal, wenn Teresa Stern von ihren Freunden applautirt wird, aus Leibeskräften zu zischen, zu pfeifen, zu trommeln." „Das wird ihnen ganz willkommen sein — Skandal! Das ist eine gute Vorübung für die öffentlichen Versamm lungen. Man klagt ja immer über den Zuzug der Arbeiter- bevolkerung nach den großen Städten . . ,n den kleinen fehlt cs an Arbeitern ; in den Hauptstädten drängen sie sich zu sammen und finden keine Arbeit, gehen im Winter in den offenen Kauf- und Barbicrläden betteln. Warum dieser Zuzug, da alles in den großen Städten auch noch viel theurer ist? Da zerbrechen sie sich den Kopf, die Gelehrten und Beamten, und des RätbselS Lösung ist doch so einfach. De« Skandals wegen will alles in dir Großstädte, denn dort wird
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