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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921117027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892111702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892111702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-17
- Monat1892-11
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Backe ist 1,60 in groß, hat hagere Gewalt, blondes Haar, blonde Augen braue», rothblondcn Schnurrbart, gewöhnliche Stirn, längliches, gesundfarbiges Gesicht, blaue Augen, spitze Nase, gewöhnlichen Mund, vollständige Zähne, spitze» Kinn und an der linken Wange eine erbsengroße Warze. Bekleidet war derselbe bei seiner Lnl- scrnung mit dunklem Nockanzug, schwarzem Filzhut mit blauem Futter, Papierkragen, blauem Shlips, wollenen«, Lunkelgestreiftein Hemd uno besetzten Stiefeletten. Wir ersuche», jede Wahrnehmung über den Verbleib des Ver mißten alsbald dem Unterzeichneten Polizeiamt zur Kenntniß zu dringen. Leipzig, am 15. November 1892. Das Polijeiamt der Stadt Leipzig. VII. 3353. Bretschneider. Ass. Br., o. o. Die Lage in Frankreich. * Die Lage des französischen Cabincts ist zur Stunde die eines Mannes, der, ans einem durchgehenden Pferd reitend, sich, so lange er seinen Sitz behaupten kann, nach einem möglichst weichen Play umschaut, wo der unvermeid liche Sturz mit thunlichstem Anstande und geringstem Schmerz gefühl bewerkstelligt werden kann. Soll das Handels abkommen mit der Schweiz znm Stein des Anstoßes werden? Oder die von Herrn Loubet mit grimmer Miene eingedrachte Novelle zum Preßgesetz? So fragte man sich in Paris, als plötzlich eine noch viel gefährlichere Frage auftauchte: die gerichtliche Verfolgung der Panama- Gesellschaft. Das Ministerium Loubet ist ein Cabinet, in dessen Brust zwei politische Seelen wohnen. Während die eine dieser Seelen eine ausgesprochen radicale ist, gehört die andere zu den verträglichen, gemäßigteren republikanischen Seelen. Und wie ein Mensch, in dessen Brust nach des Dichters Wort zwei Seelen wohnen, bald nach der einen, dald nach der andern Seite gezogen und sehr oft durch den inncrn Zwiespalt in seinen Handlungen gelähmt wird und dein Tadel seiner Umgebung verfällt, also ist cs auch dem heutigen Cabinet ergangen, besonders in den letzten paar Monaten. Bald hatte während des Arbeitszwistes in Carmaux die gemäßigt liberale Richtung Oberwasser und erließ vernünftige Berfügungen, um die Ordnung und die Freiheit der Arbeit aufrecht zu erhalten, bald legte sich die an Zahl kleinere, aber sehr entschiedene radicale Gruppe inS Zeug, damit diese Berfügungen in unwirksamer Weise ge- handhabt wurden. Unterdessen kam in vielen Dingen zwischen beiden Richtungen nur die negative Einigung zu Stande, daß man zunächst weder das Eine noch das Andere unternehmen, sondern eS beim Alten lassen und abwarten wolle. Auch am Schluffe des langen Zankes, als Loubet mit seinem engern Anbange, wenn auch in mildester Form, die Gerechtigkeit der Sache der Grubengesellschaft zur Geltung brachte, drückte die radicale Gruppe die Begnadigung der wegcnGewaltthätigkeitver- urthciltcn Arbeiter durch. Dann kam die neueste Dynamit- unthat, und unter dem Drucke 5er allgemeinen Entrüstung verlangte der Ministerpräsident den gar nicht neuen, aber eigentlich schon tobten und begrabenen Zusatzparagraphen zum Preßgesetz, über den gegenwärtig die Kammer ver handelt. Es ist kein Gehcimniß, daß die radicale Gruppe im Cabinet entschieden gegen diesen Paragraphen ist, weil sie die Ansicht der Häuptlinge der äußersten Linken tbcilt, daß die neuen Gewalten, die er der Regierung verleiht, zum reactic- nären Rüstzeug gehören. Dahingegen verwirft die Rechte den Paragraphen, weil die Regierung nicht den Muth habe, die heutigen Gesetze zur Anwendung zu bringen, geschweige denn die strengeren Vollmachten, die sie heute verlangt. Zu diesen und anderen geringeren Meinungsverschiedenheiten, die in ihrer Gesammlheit schon vollständig genügten, um die lange latente MinisterkrisiS zum offenen Ausbruch zu bringen, ist aber in den letzten Tage», wie schon bemerkt, noch eine schon lange schwebende, heute aber brennende Hauptfrage hinzugetreten, die Frage des Panamakrachs. In einer der letzten MinisterrathSsitzungcn erklärte derIustirminister Ricard, er habe auf Grund des Gutachtens des GencratprocuratorS Qucsnay die Verfolgung der Panama-Verwaltung anaeordnet. Alle Minister waren verblüfft, Ribot, Freycinet und Rouvier erhoben Einwendungen, Bourgeois und Victle traten ent schieden für Ricard ein und Loubet schnitt die Erörterungen ab, indem er kalt bemerkte, der Juftizminister habe eine vollendete Thatsache mitgerl,eilt, er habe innerhalb seiner eigenen Befugnisse und Fachpflichten gehandelt, er habe auch allein die Berantwortlichkcit für sein Borgehen zu tragen, und der Ministcrrath könne das Geschehene nur zur Kenntniß nehmen. Die Radicalen begrüßen Ricard's Be schluß mit lebhafter Genugthuung, denn er entspricht dem entschiedenen Verlangen von 90V 000 zu Grunde ge richteten Wählern. Diese Panama-Angelegenheit entwickelt sich allmälig zu einer gewaltigen Scandal- und Be st echunaSangeleaenheit. Nach dem dem Untersuchungs richter Prinet vorliegenden Material wurde rin Drittel sämmtlichcr für den Canalbau aufgebrachten Summen zur Bestechung von Abgeordneten, Senatoren und Journalisten verwendet. Ein parlamentarischer Bericht erstatter erhielt 50 000 FrcS. für einen günstigen Bericht, eine vielgclcsene republikanische Zeitung, deren Leiter Mit glied des Parlaments ist, erhielt im Laufe von 6 Jahren Bestechungsgclder im Betrage von anderthalb Millionen. Mehrere republikanische Zeitungen wurden Jahre lang von der Panamagesellschast erhalten. Zahlreiche Parla mentarier, darunter einige ehemalige Minister, sind in die Angelegenheit verwickelt. Um den Scandal zu vermeiden, wollten Carnot, Loubet und Rouvier den Proceß Nieder schlagen, was infolge des entschiedenen Auftretens des Justiz- ministerS Ricard mißlang. Lesseps erklärt, den Proceß nicht zu fürchten, da ihm die BcstechnngSgelder förmlich durch Drohungen abgezwungen wurde». Die Angelegenheit erregt ungeheures Aufsehen. Die swlitischeLagc ist nun überaus dunkel und verworren. Die Radicalen sind durch Ricard's Vorgehen entwaffnet und werden vermuthlich auch beim Preßgesetz fürsCa- binet stimmen, dafür sind jetzt viele Gemäßigte dem Ministerium entfremdet und wollen dessen Sturz. Die Abstimmung über das Preßgesetz wird inic einer Tagesordnung abgeschlossen werden, die über das Schicksal des Ministeriums entscheidet. Der Glaube an Loubet's Fall herrscht vor, nur ahnt mau nicht mehr in Constaiis seinen Nachfolger, sondern hält Ricard für den Mann der Lage. Für die Preßgesetzberathung sind zwanzig Redner eingeschrieben. — Folgendes neueste Tele gramm liegt heute vor: Paris, 17. November. Bon de» heutigen Morgenblättern halten die gemäßigt republiklintschen Blätter nach dem Verlaufe der gestrigen Kamiiiersltzung die Annahme des Gesetzentwurfs über dt« Presse für möglich. Line große Anzahl radicaler und monarchistischer Blätter betrachtet jedoch den Sturz de» LabinetS für unvermeidlich. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. November. Der socialdeinokratische Parteitag, der zur Zeit in Berlin abgehalten wird, bietet bis jetzt nicht gerade viel Interessantes und ist das Papier nicht wertb, auf das die soeialdenwkratischcn Blätter ihre spaltenlangen Sitzungsberichte drucken. Lange Auseinandersetzungen über aleichgiltige Preß-, Organisations-, AgitationS- und Personensragen füllten die Sitzungen aus. Wenn die „Genossen" mit dieser mageren Kost zufrieden sind, so sind sie sehr bescheiden geworden. Von allgemeinerem Interesse waren nur einige Bemerkungen in dem Bericht des Parteivorstandes über die Agitation auf dem platt en Lau de. Bekanntlich ging seit Jahresfrist das Streben der socialdemokratischen Parteileitung mit beson derem Eifer dahin, die ländliche Bevölkerung, die sich bisher wenig zugänglich gezeigt hatte, in die Bewegung bineinzuzicben, und es sind auch große Anstrengungen in dieser Richtung gemacht worden. Von einem entsprechenden Erfolg weiß aber selbst der ofsicielle Bericht des Partei- Vorstandes nichts zu melden. „Klagen", heißt cS da, „sind auch über die Landagitation laut geworden. Es geschehe zu wenig, heißt es. Aber um die Landagitatiou mit Erfolg betreiben zu können, müssen erst die nothwendigen wirlh- schaftlichen Voraussetzungen vorhanden sein. Auch bei der Landagitatiou wird sich derselbe Entwickelungögang voll ziehen, wie bei der Agitation unter den Industrie arbeitern. So lange der Socialismus nur von den Theoretikern, den Gelehrten gepredigt wurde, war er keine Volksbewegung. Erst als aus der Masse heraus die nothwendigen AgitationSkräste herauswuchsen, wurde es anders. So wird es auch mit der Landagitation stehen. Erst wenn ans dem Landproletariat selbst die Agitationskräfte heraus gewachsen sind, wird unsere Agitation auch auf dem Lande Erfolg haben, während jetzt ihre Aussichten noch gering sind." Damit werden die socialdemokratischen Hoffnungen auf sieg reiche Eroberung des platten Landes ans eine sehr ferne Zu kunft vertröstet, für jetzt aber wird zugestanden, daß noch »icdts zu macken ist. Anderwärts wird man die« Ein- geständniß, daß die ländliche Bevölkerung noch immer einen festen Damm gegen die socialistischcn Umsturzpläne bildet, mit Genugtüuung vernehmen. Für das Centrnm, dem das Resultat der Kelheimer Wahl noch in allen Gliedern steckt und die Militairvorlage schon Sorge genug bereitet, kommt eine neue Hiobspost aus Bayern: Oi. Sigl, der Redacteur des „Vaterland", wird demnächst abermals als Candidat gegen einen Erwählten des Centrums auftrclen, und zwar un ReichStagöwablkrcise Kausbcuren, wo am 4. December die Ersatzwahl für den infolge seiner Beförderung zum Rcclor zurückactretenen Iw. Orterer, des bisherigen zweiten Vorsitzenden der Centrums- fraction deö Reichstags und erstes Kirchenlicht des bayerischen Ultramontanismus, stattzufinden hat. Die „Germania" bemerkt zu dieser Meldung: „Wenn diese Nachricht sich bewahrheitet, begrüßen wir dieselbe, weil die Ccindidatur Sigl den Wählern des Kreises Kausbeure» Gelegenheit bieten würde, zu zeigen, ob blos die Bevölkerung des Hcimathsbezirks Sigl's oder auch diejenige anderer bayerischer Distrikte der politischen und religiösen Verirrung so weit anheiin- gesalleii ist, daß sie es über sich bringt, für eine» Candidate» zu stimmen, welcher Lentrum und katholische Kirche gleichmäßig bekämpft. Dabei würde sich weiter zeigen, ob man inzwischen in Bayern die richtige Lehre und Consequenz au- dem kelheimer Wahlresultat zu ziehen verstanden hat." Aber behaglich ist es dem ultramontanen Moniteur bei einer „Begrüßung" sicherlich nicht ru Mulhe. Hat doch das ultramontane Aachener „Echo der Gegenwart" seinem Groll über die Menge der Stinimen, die in Kclheim für vr. Sigl abgegeben worden waren, durch die Behauptung Luft gemacht, der Gruud dieses Sigl'schen Erfolges liege in der auf den übergroßen Biergenuß zurückruführenden „Dummheit" der Bayern. Auf diese Liebenswürdigkeit des preußischen ultra montanen Blattes werden die „Gesinnungsgenossen" in Kausbeuren die Antwort schwerlich schuldig bleiben. Die Wahlaussichten de- officicllen Ccntrumscandidaten werden dadurch um so geringer, j« größer die Zahl der Liberalen des Wahlkreises sind, die fast stets 4000 bis 7000 Stimmen auf ihre Candidaten vereinigt haben. Kommt eS zu einer Stichwahl zwischen Ilr. Sigl und seinem officiell- ultramontanen Gegner, so wird ein Kampf entbrennen, den das Centrum nicht vergessen dürfte und der leicht zu einer vollständigen Trennung der bayerischen Preußcnsreffer von dem „verpreußtrn" Centrum führen könnte. Interessant ist es, eine, wie die „Neue Freie Presse" sagt, wohlunterrichtete russische Stimme über den Em pfang, den der Großfürst-Thronfolger von Ruß land in Wien gefunden bat, zu hören. Die tiefe Befriedi gung der osficiellen Petersburger Kreise und der russischen Presse über den berzlichen, fast verwandtschaftlichen Charakter des Empfanges, so betont die betreffende Persönlichkeit, sei Thatsache. Bosnien und die Herzegowina seien eine ab- aethane Sache. Hetzartikel, wie sie ab und zu der „Swjrt" sabricirt, änderten daran kein Jota. Dieser Provinzen wegen werde Rußland keinen Finger rühren ; das wisse man in Wien ebenso gut wie in Rußland. Der Schwerpunkt der öster reichisch-russischen Beziehungen liege in der bulgarischen Frage. Bosnien und die Herzegowina habe Rußland, gleich viel ob wissentlich oder unwissentlich, Oesterreich in die Hände gespielt, und keine Händel suchend, werde es an dem Status yun nicht rütteln. Der „wohlunterrichtete" Russe fährt nun fort: „Anders verhält es sich mit Bulgarien, wo wir der eigenen Fehler wegen sehr empfindlich und um Io empfindlicher sind, als die österreichische Politik in Bezug aus Bulgarien hier durch Antagonismus gegen Rußland hcrvorgcruseu scheint. Sie sehen, sobald man in Wien einen wärmeren Ton anschlägt, erklingt es hier von allen Seiten laut: die Verständigung mit Oesterreich ist njcht nur wünschenswerth, sondern auch möglich. Unsere militairischen Heißsporne sogar, die eine zeitlang bei jedem Gespräche über russisch - österreichische Beziehungen nach deni Schwerte griffen, sehnen sich gegenwärtig nach Verständigung mit Oesterreich. In diesem Puncte ist der Optimismus so groß, daß nicht Wenige durch Separat-Berständigung alle Gefahren beseitigt glauben, welche die politische Lage birgt. Von festerer Anlehnung Rußlands an Deutschland kann, glaube ich, jetzt keine Rede mehr sein. Die gegenseitigen Beziehungen können sich freundschaftlicher gestalten und die durch unsere nntiouale Strömung ausgethürinlen Mißverständnisse können schwinden; vielleicht auch werden vie wirthschastliche» Beziehungen zu unserem eigenen Besten günstiger. Mehr ist schwerlich zn envarten, so lange Deutsch, land nicht erkennt, daß Rußland politisch reifer wurde. Mit Oester reich steht die Sache anders. Der Zankapfel ist einzig und allein Bulgarien, wo Oesterreich ebenso wenig etwa» zu suchen hat, wie Ruß land gegenwärtig sucht. Wenn die Bulgaren nicht die Knochen eines pommer'schen Grenadiers wcrth sind, so sind sie jedenfalls für Oester- reich nicht den Hader init Rußland werth. Ob angenehm oder nicht, aus wirthschastliche»! Gebiete wird Rußland die österreichische Ton- currenz in Bulgarien annehmen als etwas Unvermeidliches, doch er wartet es, daß Oesterreich sich schließlich jeder Einmilchiing in die politischen Verhältnisse Bulgariens enthalte, wie auch Rußland selbst cs thut. Sie wissen aber, was dem russischen Rubel »achgesagt wird, das zu widerlegen, wäre fruchtlose Mühe. Wenn man in Wien nur ausrichtig sein wollte, jo würde bald klar werden, daß der russische Fsuilletsn. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 40s Nachdruck vertotrii. (Fortsetzung.) „Ich begleitete sie des Abends, wenn unsere Bude ge schloffen war, auf ihren Spaziergängen, und oft kamen wir spät in der Nacht nach Hause; sie weilte so gern bei mond hellen Wasserfällen, legte sich ins Gras dicht an der stäubenden Fluth und sau zu den Sternen auf. Ein inneres Ilngenüge» sprach auS ihrem ganzen Wesen; da kam das Schicksal in Ihrer Gestalt, Herr Graf! Ich habe Sie damals gesehen. Sie waren jung und feurig. Käthe, welche das Ruder zu führen verstand, fuhr Sie mehrmals über den See. Da entspann sich das Verhältniß, welches für Sie eine angenehme Unterhaltung und für das Mädchen schicksalsschwer wurde. Ich verlor sie eine Zeit lang aus den Augen; ich war ihr nicht mehr wie früher die un entbehrliche Begleiterin. Auch zogen wir auf einige Zeit mit unseren Maaren nach Gastein; doch vorher noch schüttete mir Käthe ihr ganzes Herz auS; eS war ein Herz voll glühender Liebe und Leidenschaft, Herr Graf, ich war er staunt über die Sprache, die da« Fischer»,äbchcn führte; sie ging soweit hinaus über das Alltägliche, mit dem ihr ganze« Sinnen und Denken bisher vertraut gewesen. Ich wußte mehr von der Welt als sie und batte auch schon in ver schiedenen Zungen von der Liebe sprechen Horen; doch hier fühlte ich, daß sic über Manche kommt, wie der Pstngstgeist, der ihnen Worte feurigen Schwünge« leiht, daß sie selbst nicht wissen, wer sie ihnen zugeflüstert hat. ES ist eben AUcS in der Welt ein Geheimnis . ." „Mit dem sich gute Geschäfte machen lassen. Weiter, Frau Baubo . ." „Ich begriff die Leidenschaft des Mädchen«; denn Sie Waren in der Thal „damals" ein schöner Mann." „Das Wort: damals ist Ihr Glücks denn ich müßt« sonst auf den Gedanken kommen, daß Sie mir >etzt eine Liebeserklärung machen wollen und das würde mich cmpfind- lich kränken; ich würde Nachsehen, ob mir ein Bocks- oder Pferdefuß angcwachscn ist, der solche Entzückungen recht-1 fertigen könnte. „Herr Gras. . man spottet nicht über Diejenigen, die! uns in ihrer Gewalt haben." Der Graf sah verächtlich auf daS aufgcputzte Weib, das gerade in diesem Putz so zigeunerhaft aussah und jene stolzen Worte mit einem steckenden Blick begleitet hatte. „Erzählen Sie weiter", sagte er dann ruhig. „Sie vertraute mir viel von nächtlichen Bootfabrtcn, von Landungen im Schatten der Fclscn, unter dichtem Usergebiisck, von Allem, was sic erlaubt, wa« sie genährt batte — wie sie sich vor dem Mond gefürchtet und vor den Sternen, wenn sie flimmernd über den Felskuppen standen. Wenn aber trübe« Gewölk über den Himmel jagte, der See grau und farblos dalag und Nebclgeistcr um die Uferweidc» zogen, da habe sie kühn den Gespenstern der Mitternacht Trotz ge boten und feurig hell habe der Ster» der Liebe in den lauschigen Uferwinkel geleuchtet. Das wissen Sie Alles besser als ich; doch Sie sehen, daß auch ich es weiß." Der Gras war nachdenklich geworden; die Erinnerung an leidenschaftlich Erlebtes schien noch einmal sein Blut in Wallung zu bringen; er stand aus und ging unruhig hin und her. Wenn er daS Bild seiner Geliebten herauf beschwören wollte, mußte er sein Gegenüber, Frau Abraham, möglichst auS den Augen verlieren, denn die verdarb ihm wie ein Hohn aus das ewig Weibliche, seine innern Gesichte." „So sprach Käthe Stobitzer zu mir vor unserer Abreise »ach Gastein; als wir von dort wieder zurückkcyrten, sprach sie anders. Sie war traurig und verzweifelt. Der Graf war eines schönen TagcS verschwunden und hatte ihr gar nicht« zurückgelassen als diesen Ring — und »ach einiger Zeit war eine beträchtliche Summe Geldes eingclaujcn Seinen wahren Namen batte der Liebhaber zu verschweigen geruht — sonst hätte ich schon früher mich mit meinem Ring bei Euer Hochgeboren gemeldet. Erst vor Kurzem hatte ich die Ehre, Sic in unserem Geschäft zu sehen und das Glück, Sie wickerznerkenncn." „Sic jagten mir, Käthe Stobitzer sei todt; wie kam der Ring in Ihre Hände? Sie haben ihr denselben vielleicht ge stohlen; denn Sie gehörten ja damals, wir Sie selbst rr- I zählen, zum hcrumzigeunernden Gesindel und hatten einen I Kram, für den schöne Ringe sehr begehrenSwerth sind." I „Ich kann nur mit Verachtung solche Beleidigungen zurückwcisen. Große Herren halten Alles für erlaubt; doch cs giebt noch schützende Gesetze." „Keine Empfindlichkeit, Frau Abraham — und was die Gesetze betrifft, so brauchen Sic Wohl kaum meinen guten Rath, so wenig wie möglich an die Thüre der Gerichte zu klopfen. Es webt dort eine Luft, die Ihne» nicht sehr zu träglich sein dürste." „Es dürste auch für Sie keine rechte Lebenslust sein, Herr Graf", sagte jetzt die Dame in sehr gereiztem Ton. „Und Sie fragen nicht einmal, wann und wie Käthe Stobitzer gestorben ist? Die Kunde davon dürfte freilich! doch ein wenig Ihr Gewissen aufrütteln. Denn sie müßte Ihnen ins Ohr klingen, wie die Anklage eines Mordes!" Der Graf wurde stutzig. „Reden Siel" „Das Mädchen dachte schon immer gering vom Leben: eS wäre schon früher am liebsten in die Lüste verweht, zu den Sternen aufgeschwebt, in den Wogen versunken. So in Fleisch und Blut umherzuwandcln. erschien ihr oft wie eine Last — und das gerade kam ihr gespenstig vor, worin wir andern den frischen Reiz des Lebens sehen. Nach dem aber das Glück der Liebe verrauscht war, erfaßte sie eine tiefe Schwermuth, eine Feindseligkeit gegen sich selbst, und das Ende war »ach Jahresfrist... der selbstgewcihltc Tod in den Fluthen des Zeller Sees." Der Gras stand am Fenster und klopfte an die Scheiben ... eine Zeit lang war'« still im Boudoir der Frau Abraham. „Das wußt' ich nicht", sagte er dann: „cS giebt alte Ge schichten, die für uns neu werden, atS waren sie erst gestern geschehen, und uns so berühren, daß man die langen Jahre ganz vergißt, die zwischen dem Heute und jener begrabenen Ver gangenheit liegen. Die arme Käthe! Ich glaubte, sie hätte mit Hilfe des kleinen CapitalS, da« ich ihr zuaewendet, längst eine» Mann gesunde»; denn wo auch die Burschen „fenstern", wic'S in den Alpen Brauch ist, da kann doch ein der Ehe vorauSgehcnder LiebeSversuch kein Bedenken erregen, wenn er auch zu Tage kommt. Ich hatte gefenstert — was weiter? Doch auf die Dauer ging « nicht mit uns Beiden. Ich dachte mir die schöneKäthe als stattliche Fischersfrau,Mutter blühender Knaben, die sie, mit sicherer Hand rudernd, über den See führt, und »icinle, daß sie ihre Abenteuerlichkeiten laugst vergesse» haben würde an der Seite eines tüchtigen ManncS, als Verwalterin eines behaglichen HauSwescnS. So ist'« ja mit Tausenden der Fall... muß mir diese eine ge rade einen Streich spielen, der mir noch nach langen Jahren das widrigste Gefühl bereitet: Unzufriedenheit mit mir selbst!" Mit stürmischen Schritten ging der Graf wieder im Zimmer auf und ab; dann stillstchcnd, ries er mit stierem Blick, die Hände wie zur Abwehr vor sich auSstreckcnd: „Ein Todcsjchrei... er gellt mir in den Ohren! WaS verfolgst Du mich mit den drohenden Geberden, Gletscherfee aus den Alpen, an deren Wiege die Lawinen sangen? Der See ist tief... man kann eine Alpe drin versenken ... viel weniger ein thöricht Weib! Fort, fort!" Frau Abraham kannte diese Visionen des Grafen; und obschon er etwas Starres, Gespenstiges hatte, wenn seine Seele sich in ihrem Bann befand, so zog sie dieselben doch bei Weitem seinen Tobsuchtsanfällen vor. „Diesen Ring", fuhr sie zu erzählen fort, „gab sie mir einmal als dauerndes ffreunvschastszeichcn, wenn ihr ein Unheil widerfahren, wenn sie im Sturm auf der See ver unglücken oder im Hochthal von den Lawinen verschüttet werden sollte. Sie stürzte sich in der That gern in solche Gefahren: ich sah, daß sie den Tod suchte, doch ich hegte keine Befürchtung, daß sie sich selbst das Leben nehmen werde. Dieser Ring aber ist mir nun ein theures Ange denken geworden." „Sie müssen ihn mir zurückgeben ..." „Er ist mein rechtmäßiges Eigenthum, daS Geschenk einer lieben Freundin ..." „Doch diese Erinnerungen werden wohl auch bei Ihnen eine Taxe haben." „Sie meinen, ein pretium affectiv»!,, wie Abraham immer sagt. Kann sein — und dieser Preis würde hoch genug sein; doch ich verkaufe den Ring nicht allein, nur zugleich mit den Geheimnissen, in deren Besitz ich bin . . . und auch Ihnen habe ich bisher nur daS eine ent hüllt, mit dem Sie nicht viel mehr anfangen könne», als dasselbe stets vor Augen zu halten, um in Neue und Buße Ihrer Sünden zu denken. Doch ich verfüge noch über ein zweite-, da- größere» Werth für Sie hat, da r< nicht blos der Vergangenheit angehört." „Heran« mit dem ganzen Kram . . vielleicht werden wir handelseinig." (Fortsetzung folgt.)
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