Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921123023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892112302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892112302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-23
- Monat1892-11
- Jahr1892
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
AbounementspreiS Ea dsr Hauptexpeditton oder den im Stadt» bewirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: »ürt»l,ahrlich^r4.50. tei zweimaliger täglicher Zustellung ins d?aus 5.50. Durch die Post bezogen iur Deulichtand und Oesterreich: vicneiiädrlich 8.—. Direct« tägliche Kreuzbundicndung in« Ausland: monatlich ^it 9 - DieMorgen^luSqab« »richeiiit täglich '/,7 tth-, die Abend-Auegabe Wochentags 5 Uhr. Redaction und Expedition: Lotzanncsgasje 8. DieExvedltton ist Wochentag» nnunterbrochen geöffnet von srüh 8 bis Abends 7 Udr. Filialen: ktl« Me«m» Lortim. <Rlfrr» Hahn). UniversitätS'trabe 1, Loni« Laiche. Katharinenstr. 14, pari, und KömgSplatz ?. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Jrrsertionspreis Die 6 gespaltene Petitzeile 20 vieclamea unter demNedoctionsstrich (4ge« spalten) 50^, vor den Familieuuachrichle» (6 gespalten) 40^). Größere Schritten laut uniermn Preis« verzeichaiß. Tabellarischer und Ztfferufotz nach höherem Tarif. 4-rtra «Vellage» (gesalzt), onr mit dt» Morgen-Ausgabe, ohne PosibefSrderunz 60.—. m«1 Postbesorderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Inserate: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,9 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je et»« halbe Stunde früher. Inserat« sind stets an dt« Erhevitte« zu richten. Druck and Bering von S. Poll in Leipzig- Mittwoch) den 23. November 1892. 88. Jahrgang F« 598. Amtliche Bekanntmachungen. Sprachverkehr mit Eislebcn. Zwischen den Stadl-Fernsprecheinrichtungen in Leipzig und Eisieben ist der Sprachvcrkebc eröffnet. Tie Gebühr für das ge- wähnliche Gespräch bis zur Tauer von 3 Minuten beträgt 1 >il Leipzig, 21. November 1802. Ter «aisrrlichr Lber-Postdircktor. Walter. Ingenieur-Gesuch. Die Stelle des Stadt-JngcnieurS ist vom 1. April 1893 hier anderweit aus 2 Jahre unter Borbehalt halbjährlicher Kündigung zu besetzen. Anfangsgehalt 3000 ^ Besonderer Werth wird daraus gelegt, daß Bewerber im Tiefbau und im Wasserfache tüchtige rtennlnisse und praktische Erfahrungen haben, außerdem ist Kcnnlniß im Gasfache erwünscht. Bewerbungen sind bis 30. November 1892 hier einzureichen. Jena, am 22. November 1892. Trr (4-mkindrvorstand. Bürgermeister Singer. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. November. Die uns beute vorliegenden Zeitungen beschäftigen sich selbstverständlich in erster Linie mit der Thronrede, mit der gestern der Reichstag eröffnet worden ist. Und alle tiefe Blätter obnc Ausnahme erklären, daß diese Rede die hochgespannten Erwartungen enttäuscht babe, weil sie nichts sage, was man nicht wußte, und keine Frage beantworte, ans deren Lösung man gehofft hatte. Es verlohnt sich daher kaum, auf diese Auslassungen näher einzugehen, da sie im Wesentlichen nur das sagen, was wir bereits in der heutigen Morgenausgabe ausgesüb« haben. Allenfalls wäre darauf binzuweisen, daß einige Blätter die „Einmütkigkeil" der Ueberzeugung bervorhebo», die nach der Thronrede alle verbündeten Regierungen bei ihrer Zustimmung zu der Militairvorlage geleitet Kai. In der Thal ist der Hinweis der Thronrede aus diese Einmülhigkeil von Bedeuiung, nicht weil er den von vorn herein ninvahrscheinlichon Ausstreuungen von Münchener und Dresdener Sibyllen ein definitives Ende bereitet, sondern weil er die von verschiedenen Seiten ausgesprochene Erwartung vernichtet, der Reichskanzler werde bei der Bertlicidigung der Militairvorlage am Tische des BundeSralbes nur laue Bundesgenosse» finden. Anderer seits mindert der Hinweis auf die Einmülkigtcit der ver bündeten Regierungen in Bezug aus die Bcurtbeilnng der internationalen Lage und der Dringlichkeit der vorgescklagenen „Fortbildung der VcrtbcidigungSsäbigkeit des Reiches" die Hoffnung aus eine „Einigung" erheblich herab, llcbcrbanpt sind die Auffassungen über die Bedeuiung jener Stelle der Thronrede, die von einer erhofften Einigung spricht, sehr ge- theilt. Uns schreibt man über diesen Puncl ans Berlin: „Es ist vor alle» Dingen fcslzuslcUen, daß die Thronrede die Negierungen nur aus den Plan der „vollen Ausnutzung unserer Wehrkraft" verpflichtet, nicht aber auf die von de» Militai» und Civiloffieiöffn geforderte „ganze Arbeit", d. h. aus die sofortige Durchführung. Vielmehr spricht die Thronrede am Schlüsse die Zuversicht aus, der vaterländische Geist werde zu einer „Einigung" mit den Regierungen führe». Unter „Einigung'^ versteht die Sprache aber ein Begegnen aus halbem Wege, jedenfalls aber nicht ein Ab- kommeii. das Lurch die völlige Unterwerfung des einen TbciiS unter den Willen des Anderen zu Stande gekommen ist. Bis aus Weiteres setzen wir Einigung gleich Compromiß, ohne freilich zu verkennen, daß eine Täuschung dieser verhältnismäßig optimistischen Auffassung nicht ausgeschlossen ist." Von derselbe» Seite wird aus eine durch die Tbatsachen nicht gerechtfertigte optimistische Ausfassung der Thronrede hingewiesen: „Sehr begierig darf man aus die Bestätigung der Versicherung sein, daß trotz der „nicht erheblichen" Mehrausgaben im Eiat sür das künftige Rechnungsjahr die Bundesstaaten in den lieber- Weisungen eine mehr als ausreichende Deckung empsangen werde». Nach dem Etat betragen die Matricularbeiträge 3,'üi Mill. Mart, die Ueberweiinngen 353 Milt. Mark Das würde eine un gedeckte Summe von 2 Mill. Mark ergeben." Es ist also eine ganze Fülle von ungelösten Fragen wichtigster Art, vor denen der Reichstag sicht und deren Lösung von den Vertretern de» Buntesratbs und in erster Linie von dem Nachfolger des Fürsten Bismarck erwartet wird. Unter den Reichssteucrprojecten tritt nunmehr, nach dem die Erhöhung der Tabaksteuer wenigstens vorläufig von der Bildftäche verschwunden ist, die Verdoppelung der Brausteuer in den Vordergrund. Sie soll bekanntlich die größere Hälfte von der im (Ganzen auf etwa 5,8 Millionen bezifferten ktciiererböbling ausbriiigen. Zur Rechtfertigung dieser vorzugsweise» Jiiangrissnahme der Brausteuer läßt sich kaum etwas Anderes ansühren, als daß sie, abgesehen von der Salzsteuer, von allen unsere» Verbrauchssteuern am längsten in ihrer bisherigen Verfassung unangetastet geblieben und daß in de» süddeutichen Rescrvatstaaten das Bier mit weit höheren Stenern belastet ist. Seit zwei Jahr zehnten sind die Steuersätze in der Brausteucrgemeinschaft nicht verändert wurden, während die Branntwein-, die Tabak , die Znckersteuer im Reiche und die Bicrstenern in de» Neservatstaalen sehr erheblichen Umgestaltungen und Erhöhungen unterworfen worden sind. Wäre die Höhe der indirectcn Steuer» nach dem Maßstabe einer Art auSglcichender Gerechtigkeit in .der Belästigung der davon betroffenen Gewerbozweige zu bcinesse», so würde man im tculsche» Reiche bei einem unvermeidlicheil Mehrbedarf an Einnahmen allerdings zunächst an daS Bier denken müssen. Aber in erster Linie wird man bei der Beurtbcilung der Zweck mäßigkeit indirekter Steuern dock immer zu tragen haben, welcher Verbrauchogegenstand am leichtesten eine Ver- lkeuerung vertrage» kann, ohne daS Volkswohl im Allgemeinen zu schädigen Und von diesem Standpuncte aus kann den» doch die Ansicht ausgesprochen werben, daß, vom Branntwein ganz abgesehen, der Tabak als ein noch obendrein der Gesundheit nicht förderliches Luxns- genußiniltel sich für eine stärkere Belastung zu Gunsten der ReichSeasse weit besser eigne, als daS Bier, von dein man im Interesse der VolkSgesundbeit nur wünschen kann, daß sei» Genuß immer weiteren Kreisen möglich gemacht werde. Wenn in dieser Beziehung cingewandk wird, daß in Bayern die Besteuerung des Bieres mehr als dreimal so hoch, als in der Bralisteuergciiieiiischafk, und doch der Bier- verdrauch selbst in de» untersten Volksschichten ein sehr uni- fassender sei, so wird dabei ganz übersehen, daß in Norddeutsch taub daS Getränk der unteren Schichten leider noch überwiegend der Branntwein ist, daß die Besteuerung dcS Branntweins diese Schichte» jetzt iniiidestciis eben so schwer belastet, wie die entsprechenden in Süddcutschland die Besteuerung dcS Bieres, und daß jede Erhöhung der Biersteuer 'in Rord- dentschland die im hygieinischen Jntereffe so wünscheiisiverthe Abivcndung von Bran»twei»ge»»ß hemmend beeinflussen muß. Diese und ähnliche Betrachtungen drängen sich bei der An kündigung des Biersteuerprojectcs der Rcichsregicrung un widerstehlich auf. Wie weit die Besorgnis, daß die ohnehin schon so erschütterte Existeiizmöglichkeil der tteineren Brauereien in Folge der Stcuererhöbung noch weiter beeinträchtigt werde, durch die im „Reichsanzeiger" angekiindigle Unterscheidung zwischen kleineren Brauereien und Großbetriebe» beschwichtigt werte» kan», wird sich erst nach dem Bckanntwerben der Vorlage beurthcilcii lassen. Eine recht interessante Enthüllung hat Herr Liebknecht in der letzten Versammluiig dcS socialdemokralischen Parteitages gemacht. „Wir könnten in den preußische» Landtag einige der Unserigen bringen, wenn wir die Fort schrittspartei — die einzige Partei, die dabei in Be tracht kommen könnte — unterstützten und sie u»S dafür einige Sitze überlassen würde Derartige Anträge sind unter der Hand — nicht officiell— schon einige Male an uns gestellt worden Wir haben sie stets abgelelmt." Daß die deutschfreisinnige Parteileitung nicht so' »»vorsichtig sein wird, derartige compromittirende Geschäflsanträge officiell zu stellen, versteht sich von selbst. Herr Richter unterdrückt in der „Freisinnigen Zeitung" die Mitthcilung Liebknecht'- und räumt dadurch ein, daß Liebknecht nickt nur die Wahrheit ge sprochen, sender» auch, daß der deutschsreisinnige Führer und Verfasser der „Irrlehren der Soeialbcmvkratie" von den Bemühungen, eben diese Socialdcmokratie zu einem Büudniß zu gewinnen, Kenntniß gehabt hat. Im anderen Falle würde die „Freist Ztg." nicht ermangelt haben, Herr» Liebknecht der „Verlogenheit" ;» beschuldigen. Nack der Natur der Dinge könne» eS hauptsächlich oder durchaus nur »al io» all iberale Landtagssitze gewesen sei», in die sich der Deutschfreisinn mit der Socialdemokralic tbcilc» wollte. Neben den Beschwerden der Teutsch- srcisinnigen über mangelhafte nationalliderale Unterstützung ihrer Eautitalrn gegen conservative Gegner nimmt sich die durch den Socialistensübrer bekannt gewordene Thatsache recht merkwürdig ans. Ueberrascken kann sie aber nur solche harmlose Gemülher, die sich »och immer nicht entwöhnt habe», beim Deulschfreisinn Grundsätze zu suchen. In Paris nimmt fortdauernd der Panama-Scandal alles öffentliche Interesse in Anspruch. Trotz der ihr drohenden Proecssc setzt die Zeitung „Libre Parole" die Enthüllungen so«. Darnach erhielt Freycinet zweimal je 200 ooo Frcs. durch de» Vcrwaltungsrath Fontane, ferner Freycinel'S Blatt „Tclegrapke" lOOOOO Frcs Clemeiiceau's Blatt „Justier" wurde von der Panama-Gesellschaft förmlich auSgehalten. Die „Libre Parole" fordert Freycinel auf, sie vor dem Schwur gericht zu belange». Senator Hebrard erklärt» er babe allerdings am Panamacanal viel Geld verdient, aber in Folge glücklicher Speculalionen. Abgeordneter Delabaye erklärte dem Rcdacteur des „GauloiS". er werde im parlamentarischen Untersuchungsausschuß die Namen von 192 Abgeordneten und 35 Senatoren mittbeilen, die BestechnngSgclder erhielten. — In der gestrigen Sitzung der Depiitirten- kanimer wurden in dem ersten Wahlgange für die UntersnchungS-Commission 23 Republikaner und 3 Con- serralive gewählt. Unter den Gewählten befinden sich Brisson, Sarvien und Pellctan, die den verschiedenen Gruppen der Linken angehören. Villebois-Mareuil er klärte im Namen der Reckten, die Eonservativen hätten kein Interesse a» der Ernennung der Unlersuchnngs Coiniiiission, weit nur drei ihrer Mitglieder gewählt seien. Hierauf traten diese drei Eonservativen. sowie sechs Mitglieder, welche der Linien angehören, zurück. Der zweite Wahlgang wurde auf heute verschoben. Gegenüber den in den letzten Tagen vom Kriegsschauplatz in Dakomeh eiiigclallscnen sranzösischen Siegesnach- ricklen darf die Frage aufgeworfen werten: Ist der Feldzug iu Dahomey zu Ende? Es will uns nicht ratbsam er scheinen, diese ohne Weiteres zu bejahen. Selbst angenommen, die Meldung von der Besetzung Abomcys durch General Todds sei richtig, so liegt doch immer »och die Wahr scheinlichkeit vor, daß für die französischen Waste» »ock ein gutes Stück Arbeit zu tkun übrig bleibt und daß jener Unterofficier Recht behalten wird, der, fieber krank nach Frankreich zurllckgcschickk, neulich z» einem Berichterstatter deS „Figaro" im Verlaufe recht verständiger Auseinandersetzungen meinte: „Mein Urlaub dauert nur drei Monate, ich glaube, daß ick dann hinter Abomey nock genug zu thun babe» werde." Bedenklich ist vor Allem, daß General DoddS Abomey ohne Schwertstreich besetzt und alle Fühlung mit der Armee Bchanzin'S verloren bat. Sein Kundschastcr- dienst scheint — in solchen, Lande immer ein übler Umstand — kein sonderlich zuverlässiger zu sein, da er noch vor wenigen Tagen der Meinung war, König Bchanzin er warte ihn in stark befestigten Stellungen vor Abomey, und da er augenblicklich nicht weiß, wohin daS feindliche Heer sich gewendet habe. Abomey soll, als DoddS dort einzog, von seiner Bevölkerung gänzlich verlassen gewesen sei». DaS erinnert an die kürzlich erwähnten Acußerunge» eines afrikanischen Prinzen von der Goldküste: die Besetzung und Einäscherung einzelner Städte der Dahomeer bedeute so ut wie nichts, da die Eingeborenen nicht an der Scholle asten und binnen einem Jahr statt einer verbrannten zehn neue Städte irgendwo weiter im Innern des Landes aufbauen würden. Recht schlimm wäre es für die Franzosen, wenn die Meldung sich bestätigen sollte, daß Behanzin mit den Resten seiner Streitmacht sich in das Suniptgebiei geworfen habe, um den ferneren Widerstand vorzubereiten; in diesem Falle würde dem General Dodds die Aussicht aus einen Feldzug in der im nächsten Monat beginnenden schlechtesten Jahreszeit und in dem ge fährlichsten Gelände winken. Vorläufig schmeichelt sich der General, den Ministerium und Kammer vielleicht etwas voreilig im Namen Frankreichs beglückwünscht haben, mit der Hoffnung, daß sich unter den gefangene» Negern auch Bebanzin in eigener Person befinde, der betreffende Gefangene verwahrt sich allerdings, wie uns aus Paris berichtet wird, sehr entschieden gegen die ihm zugedachte ziemlich bedenkliche Ehre, die ihm leicht den Hals kosten könnte. Im Widerspruch mit diesen Meldungen steht eine andere, der zufolge Bebanzin die ibm von DodtS gestellten FriedenSbediozungen angcnomiiic» hätte. Es muß sich bald Herausstellen, was an all den Gerückten, die Paris überfluthen. Wahres ist. Ihr Austreten gerade >m gegenwärtigen Augen blicke legt ohnehin den Verbackt nabe, daß ihre Verbreitung niil den Zweck verfolgt, da« öffentliche Jntereffe wenigstens einigermaßen von dem Panamaskandal abzulenken. Recht bezeichnend war jedenfalls die Begründung, welche Döroulske seinem Anträge aus Beglückwünschung des Generals DoddS beigab. Heute liegt ein etwa« ausführlicherer Bericht über die Tischrede vor, die EriSpi in Palermo vor seinen Wählern gehalten hat. Uns interessirt vornehmlich daS, was EriSpi über den Dreibund gesagt hat, und in dieser Beziehung ist i» dem jetzt vorliegenden, Berichte Folgendes bemerkt: Was aber Len Dreibund betrifft, tadle tch nicht dessen Erneuerung, sondern die Uebereilung bei dem Ab- schlusse derselben und die Bedingungen, unter welchen es geschah. Die politischen und wirthschaftlichen Interessen sind nicht zu trenne». Dem deutschen Bundes staate ging der Zollverein voraus. Bon den Staaten des Dreibundes habe» wir nicht durch die Kriegsausgaben, sondern durch den wirthschaftlichen Krieg, welchem wir seit elf Jahren allein ausgesctzt sind, am meisten gelitten. Deutschland und Oesterreich hätten uns beisichen sollen, haben eS aber nicht gelhan, und die neuen Verträge verbessern die Lage keineswegs. DaS ist es, was meinen Tadel hervorries und auch jetzt begründet. DaS klingt etwas anders, als auS dem ersten telegraphischen Berichte berauSzulesen war. Wir wissen nickt, was EriSpi meint, wem, er sagt, Deutschland und Oesterreich hätten Italien in dem wirthschaftlichei, Kriege beistedcu sollen, hätten c« aber nicht gethan. Wenn etwa damit gesagt sein soll, Italien habe bei Abschluß der Handelsver träge mit Deutschland und Oesterreich den Kürzeren gezogen, so weisen wir darauf hi», daß diese Handelsverträge hier zu Lande und auch i» Oesterreich in weiten Kreisen wegen der dadurch Italien cingeräumlen großen Vortheile viele Be schwerden und Widerspruch bervorgeruien haben. Unseres Wissens hat sich auch in den letzten Jahren der Export italienischer Protuete nach Deutschland beträchtlich gehoben. Ueber den Eindruck, den CriSpi'S Rede in Italien bewirkt bat, meldet ein Telegramm, daß dieser Eindruck im Ouirinal, also ,n de,, italienischen Regierungskreisen, ein sehr ungünstiger ist. Selbst radicale Blätter gestehen ein, daß eia Cabinet EriSpi nach dieser Rebe entfernter als je ist. Feuilleton. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Ein köstlicher Einfall Enrico's", sagte Frau Locca, als sic von den Gclreikefeldern den Rückweg znm Schlöffe an- gelrcten, „er steht ihm ganz gut. dieser Maskenscherz, und er ist viel zu seingeb,ldet. als daß er verbauern könnte, wenn er auch noch so oft zur Sense greift oder gar selbst den Samen auSstreut und die Vslngschar lenkt. Ein Mann muß sich tummeln, seine Mnsleln kräftigen. Die Kraft beim Manne, beim Weibe die Fülle . . daS ist mein Ideal!" Nora pflückte einige Cichorien und Skabiosen, die am Feldweg standen, und schien die Worte der Mutter zu über hören. „Die Stubcnsitzer, die Grübler, die Gelehrten, was sind sie ander-, als mit Kleider» bchangene Pcrrückenstöcke? WaS dabei berauskommt, liebe Cousine, siehst Tu ja an Deinem lieben Manne — für den gäbe es nur eine C»r! Er müßte alle Tage graben und schaufeln, soweit cs seine Kräfte er lauben , He» macken und Kartoffeln pflanzen — dann würde seine Jammergestalt sich mehr ins Menschliche über setzen !" „Liebe Mutter", sagte Nora, jetzt sich in das Gespräch mischend, „nickt die starten Muskeln haben der Well den Ruck gegeben, der sie vorwärt« schiebt, und die körperliche Kraft allein gehört in daS Zeitalter der Cyklvpcn und Riesen, dem wir glücklich entwachsen sind. Jetzt bewundert man der gleichen nur in den Schaubuden. Wie viel Centn« einer hebt und wie viel Stühle er auf seinen Zähnen tanzen läßt; daS ist eine Frage, welche nur die rob« Menge beschäftigt. Wenn ccr Geist den Körper auszehrt. so ist da« sein gutes Reckt: denn am Körper ist wenig gelegen und göttlicher Herkunft ist nur der Geist!" „Tu kiff eben eine Geisterseher,»", sagte Frau Locca achselzuckend. » „Je seine, die Seele, desto enger ihr Zusammenhang mit dem gckeininißvollen Geist, der die Welt beseelt. Der Körper ist nur ein Hinderniß und i» gehobenen Stimmungen kann sich die Seele von ibm befreie». Da schwinden die Schranken der Sinne — ick habe eS selbst empfunden. Lauter als alles Geräusch der Welt spricht dann eine Stimme zu »nS, die wir nur hören, wenn wir das Obr den, Erdenlärin ver schließe». Wir tragen unter dem irdische» Leibe schon jenen Aetberleib, der »»S bleiben wird, wenn die morsche Erden- Hülle von uns absällt und verwest. Und dieser Aetberleib bat schon die Sinne, die ans ein höheres Leben berechnet sind, aber nur Wenige wisse» zu hören und zu sehen mit seinen Obren »nd Augen." „So ist das Mädchen nun", sagte Frau Locca; „sie bat eben Visionen wie die Jungfrau von Orleans unter dem Zauberbaume. Ich möchte auch ganz gern einmal ein Geister- concert hören oder einen stattlich ausgewachsene» appetit lichen Erzengel sehen — dock ich weiß nicht, wie ich's machen soll. Immer spielen mir meine gewöhnlichen fünf Sinne einen Streich; ich sllble nur wie die andern Menschen, wa» sich mir Händen greisen läßt, und ich glaube, daß mir ein Aetberleib ^ar nickt recht passen würde — eS müßte ein sehr geschickter Schneider sein, der mir dazu Maß nimmt." „Ich weiß", versetzte Nora, „daß was ich denke und süble, unverstanden bleibt, unv es ist vielleicht Thorhcit von nur, r- auözusprcchen; doch ich will absehen von jenen höheren Zu- slüsterungen und Eingebungen, die mein Innerstes bewegen, »nd nur daS Nächste ins Auge fassen. Da jammert Ihr über Herrn Rispvri, welcher sein Leben aus die Entdeckung irgend eines NalurgebrimnisseS verwendet und dabei seine Ruhe, seine Gesundheit opfert! Mir erscheint da« in bobem Grade achtenswert!): der Soldat opfert sein Leben in der Schlacht, und das findet Ihr Alle^ gewiß rühmlich, ja sogar selbstverständlich, und wenn ein Forscher nicht an fick und sein irdisch Tbeil denkt, sondern nur an die Wabrbeit, die er ergründen will, da habt Ihr nichts für ibn als Achsel zucken Ja, wenn ein solcher EntdecknngSreisender Afrika durchquert, da kann er'« zu Festessen und MajvrSepaulcttcn bringen; doch wenn er im stillen Kämmerlein Tag und Nackt fick seinen Forschungen bingicbt, wenn die malaria, die mit jelein tieferen Denken verbunden ist, seinen Körper auszehrt, da wird er mehr getadelt als bedauert." Frau Locca schüttelte nur schweigend den Kops; sie wollte nicht rübrcn an einer Frage, die Herrn Rispe« persönlich berührte; dock die Gatt,» desselben wurde von einem Gefühl der Rührung und der Dankbarkeit bewältigt: sie körte daS erste Mal, wie ein warmer Anwalt den vielangegriffciicn Ge lehrte» vcrtbeidigk, und obschon ibre eigenen Anklagen dadurch nickt ganz entwaffnet wurden, that eS ihr doch in innerster Seele wobt, daß die Vorzüge ikrcS Mannes, sein ernstcS unermüdliches Streben auch einmal eine beredte Anerkennung fanden. Beim Abendtisch fand sick die Familie mit ihren Gästen zusammen. Enrico erschien in gewählter Toilette, um jeden Verdacht zu beseitige», als neige er sich bäurischen Sitte» zu und vernachlässige sein Aeußereö, auch wenn ihn ländliche Arbeit nicht zwang, den Cavalier an den Nagel zu hänge». Nora bemerkte das mit Vergnügen, denn diese alltägliche grobe Arbeit in Stadt und Land war nicht nach ihrem Ge schmack, noch weniger die Zugeständnisse an de» Naturzustand, die sie den Menschen abnölbigte. E« dauerte geraume Zeit, ehe der Hausherr selbst erschien, und daß er sick mit an de» Familientisch setzte, daS geschah nur aus Rücksicht a»f Fra» Locca, welcher er Dank schuldig war für ihre finanzielle Hilfe. Doch Vieser Dank ging nicht so weit, daß er seine chemisch gefärbte Arbeitsjacke abgelegt oder Frau Locca durch ein galantes Gespräch zu unterhalten gesucht hätte: er saß dumpf »nd stumpf neben ihr am obern Ende des TischeS; seine Blicke starrten oft ins Leere oder schweiften mißmutyig über seine Familie In den sonnen- braunc» Gefickter» llniberto'S und Victorio'S lachte die belle Freude über den schönen Erntetag, die Koben Getreidefnhren, di« singenden Mägde. Umberto war entzückt von den beiden Apfelschimmeln der letzten Fuhre, und Victor,» sprach den Wunsch aus, die beide» ihm längst versprochenen PonieS uiöchlen diese Karbe haben. Darauf fragte Umberto, wann diese PonieS ankcmmen würden, er freue sich so sehr drauf, mit ihnen im Hose kerumzutraben. Da schüttelte der Vater die graue Locke von der Stirn und sagte ärgerlich: „Fragt nur Enrico ... die Ernte wird'S schon abwerfen. Spielzeug und nichts als Spielzeug haben ja die Menschen heutigen Tags im Kopfe." „Du wirst die Bestrebungen und Erfolge der Landwirthe doch nicht als eitle Spielerei betrachten", )agte Enrico, „sie befriedigen die dringendsten Bedürfnisse der'Menschheit und bekämpfen ihren schlimmsten Feind — die stets an der Thür lauernde HungcrSnolb." „Nun, eS verhungern noch genug Menschen, und das Ver hungern ist vielleicht noch besser als das Hungern, welches bei einem großen Tbeil der Sterblichen ein sehr bedenkliches chronisches Leiten ist Meinetwegen ... mag die Land- und Biebwirtbschaft ihr Gutes haben; dock ködere Bestrebungen sollen nicht hinter ihr zurücksteben. Wenn sie diesen gegen über Vorrechte geltend mache» will, so muß inan sie in ihrer ganze» Niedrigkeit »nd Gemeinheit an den Pranger stellen. Es ist das roheste Gewerbe der Erde, dessen Geldquelle die Düngergrube ist. Im Schmutze bcrumzumüblen, ist sein Berus; de»» im Schmutz steckt eigentlich die Fruchtbarkeit. Pfui, ich hasse daS! Mick hat auch beute eine stille Wutb ersaßt, als ich den Jubel hörte, mit welchem die Knechte und Mägde ihre Freude über die vollen Erntewagen auS- wicberte». Der Jnstinct der Menagerie, welcher der Füt- lerungSstunde entgcgenbrüllt ; denn Fütterung — Fütterung — das ist die große Lotung der Landwirtbschast, und das dumme Volk hat ja auch nicht Sinn sür etwa« Anderes! Für daS Gold, das man in dem Boden vergräbt, womit man die Jauche und den Guano bezahlt, könnten der Wissenschaft Hilfsmittel gegeben werden zu unsterblichen Entdeckungen." Enrico und die Mutter kannten diese Gespräche und Kielten sich nie mit Entgegnungen auf, welche ja niemals fixe Ideen zu entkräften vermögen; doch Frau Locca, deren gesunder Menschenverstand durch jede derartige Zumutbung mobil gemacht wurde, fühlte sich zu einer Erwiderung gedrungen. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite