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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921126027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892112602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892112602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-26
- Monat1892-11
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Der deutsche Wähler beginnt eine bedenk liche Neigung zu zeigen, bei der Auswahl seiner Bcrtreler in sumpfige Gegenden hinabzusteigen. Erst wurde bei einem Haar vr. Sigl gewählt, jetzt ist das Unglaubliche ein getreten, daß ein so übelbeleumdeter, lediglich aus die roheste Iudenhetze sich stützender Mann, wie der Rectora. D. Ahlwardt, in einem allconservativen Wahlkreise, wo daneben jetzt nur noch die Freisinnigen ernstlich in Betracht zu kommen schienen, als gewählt gelte» dars. Muß er fick) vielleicht auch noch in einer Stichwahl mit seinem deutsckfreisinnigcn Gegner messen, so ist sein Sieg bei der noch immer ansehnlichen conser- valiven Stimmenzahl so gut wie sicher. Die erstaunlich roße Stimmenzahl für Ahlwardt ist natürlich in erster inie darauf zurückzuführen, daß die bisher conservalive Wählerschaft zum weitaus größten Theil mit fliegenden Fahnen in da« antisemitische Lager Lbcrgegangen ist. Für die conservative Partei liegt hierin eine ernste Mahnung, wenn sic sich nicht etwa gar durch Herrn Ablwardt würdig vertreten fühlt. Es wird uns zuverlässig berichtet, daß von konservativen Großgrundbesitzern sehr bedeutende Geldaufwendungen für diesen Wahlzweck gemacht und daß einige Pastoren eine un glaubliche Wahlagitation entfaltet haben. Aber auch dcu Freisinnigen ist cS wieder einmal sehr bcmerklich geworden, daß trotz so mancher für sie günstigen Zeitumstände ihre Volkstbümlichkeit in ländlichen oder nur wenige kleine Landstädte zählenden Wahlkreisen auf schwachen Fußen beruht. Der Rückgang "der freisinnigen Stimmen, dessen Umfang sich noch nicht genau feststellcn läßt, beträgt auf alle Fälle einige lausend: viele derselben sollen sich sogar in der anti semitischen Stimmenzahl befinden. Bemcrkenswerth ist, daß gerade in den meisten Städten des Wahlkreises die Mehrzahl der Stimmen für den Antisemiten abgegeben wurde. In Arnswalde sind 761 antisemitische, 150 conservative, 70 freisinnige und 40 socialdemokratische Stimmen abgegeben worden, in andern kleinen Gemeinden wurde der Antisemit säst einstimmig gewählt. Auch in Friedeberg und Reetz erlangte Ahlwardt die Mehrheit. Der Wahlkreis war seit Gründung des Reichs bis zum Jahre 1800 konservativ ver treten, mit Ausnahme der Legislaturperiode 1874—77, wo ein Nationalliberaler das Mandat inne hatte. Bei den Wahlen von 1800 wurden 5009 conservative, 5202 deutschsreisinnige und 020 socialdemokratische Stimmen abgegeben, woraus in der Stich wahl der freisinnige Candidat, v. Forckenbeck, mit 88l5 gegen 6827 Stimmen siegte. Herr von Forckenbeck lehnte aber das Mandat ab, worauf in der Nachwahl der conservative Eandidat (v. Meyer-ArnSwalde) mit 6740 gegen 6258 frei sinnige Stimmen siegte. Welcher Umschwung hat sich mithin in dem Wahlkreise unter dem neue» Eurse vollzogen! Muß Graf Eaprivi zur Auflösung des Reichstags schreiten, so wird er voraussichtlich ein seltsames LUxtum compositum erhalten. Was der Reichskanzler Graf Capri vi in seiner großen Rede bei Einbringung der Militairvorlage über Frankreich gesagt hat — daß Deutschland den Franzosen militairisck kaum etwas anhaben könne und, selbst wenn wir siegten, dock keine wirksame Garantie für Ruhe und Frieden zu schaffen vermöchten —, bat das Selbstgefühl unserer Nach barn jenseits der Bogescn ganz bedeutend gesteigert, mehr, als Graf Caprivi wünschen kann. Tie ganze Pariser Presse freut sick dieser „Anerkennung" und schließt anS dem Um stande, daß unser Herr Reichskanzler mchr von Frankreich als von der Tripel-Allianz gesprochen habe, diese babe ersichtlich an Festigkeit verloren. Während der Ver- bandlungcn des Reichstags über die Militairvorlage wird Gras Eaprivi daher gut tbim, einerseits daS Selbstgefühl der Franzosen wieder etwas herabzustimmen und zugleich die Festigkeit des Dreibundes etwas mehr zu betonen. Die sranzösischcn Mackthaber möchten sonst vielleicht Lust gewinnen, die Probe ans ihre Stärke zu machen, bevor die geplante Reorganisation der deutsckcn Armee zur Ausführung gekommen ist. Daß die Pariser Presse trotz der unwiderleglichen Ausführungen Eaprwi'S über die Einser Depesche daran festhalten würde, Bismarck habe sich einer Fälschung schuldig gemacht, um Frankreich zum Kriege zu zwinge», war vorauszuschen. Man hatte die Lügen der „deutschen" Socialdemokratie zu lange un- widcrlcgt gelassen, als daß sie den Franzosen nicht in Fleisch und Blut hätten übergehen müssen. Jetzt Hilst man sich in Paris, um diese alten Lügen aufrecht erhalten zu können, mit neuen, in denen sogar Fürst Bismarck redend eingesührt wird. Eine soeben eintreffende Depesche lautet nämlich: Paris, 26. November. Das „Journal" veröffentlicht beute die bereits «»gekündigte Unterredung seines Berichterstatters Henry dcS Hoiix mit dem Fürsten Bismarck. Elfterer erzählt: Der Exkanzler habe mit Bezug auf den zuerst von Maximilian Harden in der „Zukunft" veröffentlichten Artikel über die Einser Depesche gesagt, die Entrüstung der Diplomaten »nd der Presse sei eine kindische zn nennen. Wer glaube heutzutage noch ernstlich daran, daß eine Kriegserklärung um einer Depesche willen erfolgt sei? Er, Bismarck, habe den Krieg gebraucht, um die verschiedenen deutschen Münzen in eine einzige zusammeuzuschmelzen. „Der erste Vorwand, dessen er nun zu einem Kriege habhaft werden konnte, sei, wie der Erfolg gelehrt, völlig gelungen, andernfalls hätte er nicht gezögert, »ach einem anderen Vorwände sür die Kriegserklärung zu suchen." Der Kanzler betonte, „man mußte König Wilhelm erst von der Nothwcndigkeit eines Krieges und von seinem Rechte zur Kriegserklärung überzeugen. Ter König hatte zu lange die Augen geschlossen. Man mutzte sie ihm öffnen. Tie nun folgende, allerhöchste Entschließung war die eines energischen Mannes, aus den man sich verlassen konnte, wenn er nur cininal aus gutem Geleise war." Für Jeden, der sich nicht absichtlich täuschen lassen will, liegt eS ans der Hand, daß Fürst Bismarck nicht von einer deutschen Kriegserklärung und von dem Suchen nach einem Vorwände zu einer solchen Erklärung hat sprechen können, da die Franzosen cS waren, die einen Borwand suchten und fanden. Aber unsre westlichen Nachbarn wollen sich nun einmal absichtlich weiter täuschen, »achtem sie einmal von unserer Socialdemokralie dazu angeregt und von dem Manne, der längst das schändliche Lügengewebe hätte zerreißen können, in ihrer Selbsttäuschung gelassen worden waren. Die Ver zögerung der amtlichen Aufklärung trägt nunmehr ihre bösen Früchte. WaS in Paris gegenwärtig Alles möglich ist, daS be kundet vie Thatsache, daß am Mittwoch Emile Ollivier, der Mann mit dem „leichten Herzen", cs wagen konnte, in der ^caäömic fiantzaiso den Borsitz zu führen und die Rede über die Tugcndpreise zu halten, die jedes Jahr zur Ver- theilung gelangen. Znm ersten Male seit dein „furchtbaren Jahre" war es, wie der „Figaro" hervorbebt, daß Emile Oliver wieder öffentlich sprach, und das Pariser Boulevard blatt ist so naiv, binzuzufügen: „Der Zufall der Geschichte will, daß das Wort Emile Olliver genau in der Stunde ge geben wird, wo Fürst BiSniarck Lurch ein unerwartetes Gc- siändniß zugleich den früheren Siegelbewahrer und dessen Freunde dcaagirt." Emile Ollivier hatte jedenfalls ein klares Gefühl seiner eigenen Verantwortlichkeit, indem er trotz seiner Wahl in die Feailsmis t'iantzaiso lange Jahre hindurch sich scheute, in diese Körperschaft einzutrelen. Wenn er sich nun aber sür legitimirt erachtet, als Vorsitzender der ^escksmic t'rautzsiso die Rede über die Tugendprcise zu halten, so darf er die Berechtigung sicherlich weit weniger aus den jüngsten historischen Feststellungen als daraus herleilen, daß man sich in der Zeit, in der der Panamaskandal immer weitere Kreise in Mitleidenschaft zieht, nicht allzu sehr zu geniren brauche. ES scheint, als ob die Angelegenheit des Panama- skanda ls noch mancherleilleberraschungen an den Tag bringen werde. Mußte mau nach dem so herausfordernden und sicgcS- gewiffen Auftreten des Abgeordneten Dclahaye glauben, daß dieser Herr für seine außerordentlich gravirenden Be hauptungen Beweise in den Händen hätte, so erleidet heute diese Annahme durch die Meldung einen bedenklichen Stoß, daß Dela- haye bei seiner ersten Vernehmung vor dem parlamentarische» Untersuchungs-Ausschuß erklärt hat, er könne keine Namen mittheilen, da er keine oder, wie die andere LcSarl lautet, nur moralische Beweise habe. Man möge nur, wenn man Sicheres über die Angelegenheit erfahren wolle, die betreffenden Bankhäuser um Auskünfte angeken. DaS klingt ganz wie ein Rückzug und cS entsteht unwillkürlich die Frage, was den Abg. Delabayc bewogen hat, seinen Gegnern diese Gefälligkeit zu erweisen. Anders verhält cS sich mit dem Leiter der Zeitschrift „Eocarde", Ducret, der Einzelheiten Uber die angebliche Bestechung Floquet's veröffentlicht. Danach hätte dieser Anfangs Januar 1888 einbunderttauscnd Francs, Ende Januar wieder hunderttausend, dann im April 1888 die letzten hunderttausend Francs erhalten, aber nicht als Geheim fonds, sondern zur eigenen Benutzung. Ducret verlangt hierüber vom Untersuchungs-Ausschuß vernommen zn werden. Die Untersuchungs-Eommission in der Panama- Angelegenheit vernahm gestern auch den Rcdacteur dcS Journals „Libre Parole", welcher erklärte, nichts anssagen zu können; sein College Drumont allein, der gegenwärtig im Gefängnisse Samte Pclagic eine Strafe verbüße, könnte Ausschluß geben. Die Commisfion beantragte bei dem Juslizminister Ricard, Truinond zn gestatten, vor der Commission zn erscheinen und Anssagen zn machen. Die Commisfion beschloß ferner, die Regierung zu ersuchen, über die Ursachen des plötzlichen Todes des BaronS Reinach Nachforschungen anzustellen und, wenn sich Selbstmord ergeben sollte, die Papiere res Verstorbenen durchsuchen zu lassen. Die Er klärung dcS Instizministcrs Ricard, datz an dem Nachlaß des BaronS Reinach keine Siegel angelegt worden seien, bat in der Commission großes Aussehen erregt, da der Minister gewußt babe, daß der verstorbene Baron wegen der Panama- angelcgenhcit gerichtlich verfolgt worden sei. Graf Taafse hat durch seine Rede eine Wirkung hervor- aernsen, die sich nicht mehr wegwischen und aushcben läßt. Die deutsche liberale Partei in Oesterreich hatte sich in den letzten Jahren mit schmerzlichster Selbstüberwindung eine Politik dcS größten Entgegenkommens zur Richtschnur ge macht und dafür die größten Opfer gebracht: jetzt ist diese Politik von einer hochernsten Krisis bedroht, und Graf Taasfc ist eS, welcher die Linke vor die entscheidende Frage stellt, ob sie eine Hoffnungsleere Opportunität sortsctzcn oder zu einer aus dem innersten Herzen des deutschen Volkes strömenden Opposition zurückkehrcn soll. ES ist in diesem Augenblick noch un gewiß, was in der Debatte über den Dispositionsfonds geschehen wird, aber das Feuer, welches Graf Taafse angezündet hat, kann durch Worte und Erklärungen nicht mchr ganz auS- gelöscht werden. Graf Taafse selbst bat die deutschen Abgeordneten vor daS Problem gezerrt: Opportunität oder Opposition. Wenn Graf Taafse auch geneigt sein sollte, die eigene Rede wieder hinunterzuschlucken, so wird er doch nicht im Stande sein, das Mißtrauen, welches sich in der liberalen Partei tief eingenistet bat, wieder zu verscheuche». Man braucht, so sagt die „Neue Freie Presse", nur auf die Stimmen der Wähler zu horchen, um die Symptome der Furcht zu erkennen, daß die Vertreter der deutschen Nation ihre Arbeit für eine politische Täuschung verschwenden und daß sie dereinst, herabgcwürdigt und ab genützt, weggeworfen werden mit dem quälenden Gefühle, sich ui allen Voraussetzungen geirrt zu haben. Der Glaube an den Grafen Taafse war niemals stark, und jetzt ist er voll ständig erschüttert worden, und jeder deutsche Abgeordnete, welcher in der Zukunft seine Stimme dem Grafen Taafse geben sollte, wird von der Sorge beschlichen werden, daß er einen Gegner stützt. Eine politische Partei darf mit Ehren unterliegen, aber sie darf niemals in eine Situation kommen, wo nicht allein der Untergang, sondern der Spott über die Kurzsichtigkeit und Vertrauensseligkeit droht. In dieser Ge fahr befindet sich die Vereinigte Linke, denn die Opportunität bat nur dann einen Sinn, wenn sic dem deutschen Volke die Sicherheit des nationalen Besitzstandes, einer wohlwollenden Verwaltung und eines genügenden Einflusses auf die innere Politik gewährt. Eine Opportunität, welche nicht einmal diese schwächlichen Garantien bietet, wäre der größte Fehler, denn sie stärkt eine feindliche Regierung aus Kosten der Partei, und sie schafft dem Grafen Taasfc nur die Möglichkeit, be quem abznwarten, bis es dem Prinzen Schwarzenberg ge lingt, den Ring durch die Nase des Herrn Gregr zu ziehen. Graf Taaffe hat die Linke tief verletzt, und eine Klärung der Lage ist unvermeidlich, weil sonst das dcittschc Volk sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und alle Zaghaften mit einem jähen Rucke wcgjchleudern würde. — Uedcr die augen blickliche Lage liegen heute folgende Nachrichten vor: Wien, 25. November. In den Couloirs des Abgeordneten hauses circulirt das Gerücht, das; der Minister G»as Kuenburg bereits seine Demission eingercicht habe. — Heute Bormittag war Minislerratb, woraus Taasfc zum Kaiser berufen wurde. Am Nachmittage sand eine Besprechung des Vorstandes der Linken mit Taasfc und Kuenburg statt. Wie verlautet, ist Taasfe zu dem Zu« gcstaiidniß bereit, bei der Ernennung eines czechischen Landsmaim- ininlsterS gleichzeitig einen Fachministcr aus der Linken zu berufen. Angeblich soll Künburg dem Grase» Taaffe sein Portefeuille bereits znr Beringung gestellt hq^cn. Tie Aliczecken-Orgaiie be schwöre» die Jungczcche», die günstige Gelegenheit zu benutzen, sich de» Feudalen zu nähern, um die Linke überflüssig zu machen; die Jungczecheil erklärten jedoch, keine Lust zn habe», Taafse zu Hilse zu kommen, so lange nicht von der ganzen Rechte» das czechische nationale Programm angenommen werde; sie seien daher unter allen Umständen gegen den Dispositionsfonds. Wien, 25. November. Gras Kuenburg dürste heute sein Entlajsuiigsgejuch cinreiche». Gras Taaffe will Zeit gewinnen, weshalb die Debatte über den Dispositionsfonds, wobei eine Erklä rung der Linken über die weitere Stellung gegenüber der Regierung bcvorslcbt, auf Dienstag verschoben wird. Der Frcmdenhaß der Londoner Arbeiter bekundete sich mit bisher ungewohnter Schärfe in einer Resolution, welche am Dienstag von einer Confcrcn; städtischer Ver- waltnngsdclcgirter zu Westminster gefaßt wurde und in der an die Staatsbehörden gerichteten Aufforderung gipfelt, die Einwanderung mittelloser Ausländer zu be schränken und zu reguliren. Um der Resolution ge steigerten Nachdruck zu verleihen, wurde noch besonders hcrvorgchobc», daß hinter ihr die Interessen einer Volts zahl von dritthalb Millionen mit einem besteuerten Ein kommen im Betrage von 2» Millionen Pfund ständen. Man hat cö hiev also mit einer Anregung zu thun, welcher Regie- Feuillrtsn. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 47s Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Der Wcsthimmel war in lichte Gluth getaucht, als sich in der großen Tenne die Knechte und Mägde versammelten. Die Musiker, aus den Tonnen im Winkel sitzend, stimmten bereits ihre Instru mente; die sür die Herrschaften bestimmten Stühle waren noch leer; hinter denselben hatte sick ein zweiter Rang gebildet, Bänke, ans denen die nickt zur Landwirthsckaft gehörigen Zwitter geschöpft Platz nahmen: die Zofen der Frau Rispori und ihrer beiden Gäste; hier bemerkte man auch den Feuermolch Basilio, der beute besonders sauber auSsah; einige Mägde behaupteten sogar, sie hätten ihn heute am Brünnen ge waschen; doch er achtete wenig aus das Gekicker derselben; denn ibm zur Seite saß ein Wesen, das sie alle an Schön beit bedeutend überstrahlte: es war Cusette, die Zofe aus dem sreiherrlicken Hause derer von Senden, und schon deshalb bochslchend über den Kammermädchen, welche nur bürgerliche Köpfe frisirten und Toilettenscifcn darreichten für Hände, die keinen Wappcnring am Ringfinger trugen, sondern nur Ringe mit gleichgiltigen Edelsteinen. Uebcrdics war Susctte mehr Gcsellschastsfräulcin als Zofe, und das Alles wußte sie in das Kopfnicken zu legen, mit welchem sie die Be grüßungcn der untergeordneten Toilcttcnqchilsinncn erwiderte Darüber konnte sic sich indcß nickt täuschen, daß sic wegen der Huldigungen, die ibr Basilio sichtlich tarbrackte von den Andern nickt beneidet wurde; mancher Blick siel auf das Paar; man kicherte und flüsterte. Sie zuckte die Achseln über die Blindheit der Leute, welche ja nickt wußten, daß sie eine künftige Million in diesem »»gestalten Feucrzwerg liebte. Endl ick erschien mit blankgewicksten Stulpstiefcln der Inipcctor, welcher als Obcrcercmoiiieiiineister den nahenden hohen Herrschaften vorausschritt. Sein Gesicht batte etwas Verklärtes, und alle Flüche, die sonst hurtig loswctterten, schienen heute in diesen lächelnden Mundwinkeln eingcschlafen zu sein. Er winkte der Musik — und unter ihrem Tusch und dem lauten Hoch der versammelten Schnitter und Schnitterinnen betraten Rispori und seine Frau, Enrico, Frau Locea und Nora die Tenne, setzten sich ans ihre Ehrenplätze, und Victorio und Umberto stellten sich als kleine Pagen daneben. Die eigene Familie wunderte sich noch mehr als die GutS- angebörige» darüber, daß der alte Rispori sich bei einem solchen Feste zeigte. Es bedurfte heute keiner großen Ucber- rcdung; er war bereit dazu, doch wie unstet war sein Blick und sein Wesen; welch dunkel brütender Mißmuth in seine» Zügen! Strähnen des graue» Haares hingen ibm über die c^tirn herab; er war im Hansrock erschienen, an dem einige rtnöpse fehlten, und trug ein Paar weite, über die Füße herabsck'lvtternde Pluderhosen; einen zerknitterten Filzhul hielt er in der Hand. Daß der Vater sich an diesem Feste betheiligte, erschien besonders Enrico ganz unerklärlich und er fürchtete irgend eine dahinter lauernde böse Absicht. Mißtrauisch wandte er nickt das Auge von ibm ab, um irgend eine vorbedachte oder unfreiwillige Störung noch reckt zeitig abwcnden zu können. Vor de» Sitzen der Herrschaften erschienen fünf der saubersten Mägde; jede trug in ihren Hände» einen mit Bändern und lÜluineii durchflocktenc» Erntekranz. Tie Tochter des OberkiicchlS, eine junge Dirne mit einer wcittönendcn Stimme, die vom Kuhstall über alle Pfützen und Düngerhaufen des HoseS hinweg bis zum Pferdestall am entlegenen entgegen gesetzten Ente desselben reichte, dcelamirtc die Verse, welche die Muse dem Schullehrer des Ortes eingegcben batte. Glücklicher weise waren ihrer nickt viele, und wen» sie auch den letzten uni zwei Füße beschädigt batte, so kam sic dock glücklich zn Ende. Sie überreichte den mit allerlei Zuckerwerk ausstafsirten und mit einer goldenen Krone versehene» Hauptkranz dem Guts herrn . . . Rispori aber warf ibr einen wutbentflammlen Blick zu, riß ihr den Kranz aus den Händen, schleuderte ihn zu Boden und trat ihn mit Füße». Enrico war eilig hinzu- gesprungcn, hatte ihn aufgehoben und seiner Miiticr gereicht; nur ein unglücklicher Zufall, krampshastc Nervcnznstände sollten für diese böswillige Thal verantwortlich gemacht werden; doch die Näherstebcndcn ließen sich durch solche Verschleierung nicht irre macken; der Haß, den der Alle gegen die Land- I wirthsckasl hegte, war Allen längst bekannt, und Basilio, der »auf demselben bohen Pferde ritt, hatte daS Scinige dazu bci- getrasten, die geringschätzige Stimmung, welche sie im Labo ratorium von niedriger Hand- und Erdarbeit hegten, in den Kreisen der ländlichen Bevölkerung zu verbreiten. Auch die Liebenswürdigkeit der Frau Rispori und ihres Sobncö und der herzliche Dank derselben vermochten nicht, die Wolke des MißmuthS und der trüben Stimmung zu verscheuche», die auf einmal über den zum Fest versanimcllen Dörflern lagerte. Nur der Inspector, der sich deS größte» Anscbcns erfreute, vermochte bei ihnen wieder frischeres Leben bcrvorznrufcn, indem er den Oberknechten durch eine bezeichnende Bewegung klar zu macken suchte, daß eS mit dem Gutsherrn nickt ganz richtig sei, durch ein tiefschmerzlickes Achselzucken ibr Mitleid in Anspruch nabi», dann aber mit seiner markerschütternden Commandostimine Allen befahl, lustig zu sein und mit dem Tanze zu beginnen. Und der Tanz begann. — Frau Rispori walzte im Arm des Obcrknechlcs, Frau Locea drebtc sich mit dem Inspcctor im KreiS; nur Nora lehnte jede Betbciligung ab; ihre Hobe Gestalt würde auch, von einem Bauernourschen heriim- gcsckwcnkt, einen bcsrcmtlichcn Eindruck gemacht haben. Auch batte sie ja keine Verpflichtungen, da sie nicht zur Gntsherr- schaft gehörte. Frau Rispori begnügte sich niil dem ersten Pflichttanz ; Frau Locea dagegen fand großes Vergnügen daran, sich mit diesen kernhasten Bauern, die sie nicht mit Glace handschuhen ansaßtcn, herumzndrchcn und kostete diese Idylle mit unverwüstlicher Vergnüglickkeil ans. DaS batten die verschmitzten Bauer»bnrscheii bald herausgcsnndcn; sic flüsterten sich dies oder jenes über die tanzlustige „Alte" inö Lbr und holten sie um die Wette von ihrem Sitze. Helle Sckwcisi tropfen standen ihr auf der Stirn, sie schien ganz ansgelöst in Hitze und Entzücke». Sie selbst forderte Enrico mehrmals zum Tanze auf; denn da keine Damenwahl aus der Tanz ordnung stand, hielt sie'S sür daS Beste, solche Einladungen zu improvisiren; sie leimte hingcgcbcn in Enrico'S Armen; ihre feurigen eroberiingSlusrigen Blicke hatte sic für ihn auf- ycspart, da sic dieselbe» doch nickt an 'das blöde Volk ver schwende» konnte, obschon die kräftige Männlichkeit desselben ihr ein mehr als idyllisches Behagen verursachte. Enrico aber erwiderte nickt den warmen Händedruck der schönen Fra», nickt den leisen Truck der sich anschmicgendcn üppigen Fermen: er tbat nur die Pflicht und Schuldigkeit, die ihm als Tänzer oblag; seine Blicke schweiften imincr zu Nora hinüber, die auch ihm jeden Tanz abgeschlagen, die kalt und stolz wie ein Marmorbild an einem der Holzpfeiler der Tenne leimte. „Wie sie taslebt, so fremd und theilnabmloS", sagte Frau Locea in einer Tanzpausc zu ihrem Tänzer, „ja, wenn daS der Tanz der Sphären und ihre Musik wäre, da würde sick vielleicht ihr Auge beleben; doch wenn wir armen Menschen kinder uns drcbcn, da sind wir sür sie nicht mchr als Kreisel, welche von Knaben gepeitscht werden." „Sic bat einen hoben Sin» ... und der Taumel der all täglichen Lust berührt ihn nicht", erwiderte Enrico. Und doch — wer einen Blick in daS Herz dieses hoch gesinnte», unberührdaren Mädchens geworfen hätte, der würde darin nichts gefunden haben von jenen kosmischen Verzückungen, welche Frau Locea erwähnte, sonder» nur ins geheim brennende Eifersucht ans die eigene Mutter und selbst ans alle die Frauen und Mädchen des Hofs und Torfes, die mit Enrico tanzten. Es übcrkam sie ein Abscheu vor dieser aufdringlichen Weiblichkeit, in der sic nichts sab als einen Abgrund von Wünschen und Begierde», ein robeS, verzerrtes Spiegelbild des verhängnißvollcn Feuers, das in ihrem eigenen Herzen glühte. Bisweilen trat Susctte zu ibr, die ebenfalls glaubte, von edlerem Metall zu sein als das Frauenvolk, das natnrkräftig über die Tenne trampelte; naserümpfend lehnte sic manche Aufforderung zum Tanz ab. „Ta will mich wieder einer ans seine Mistgabel laden", sagte sic zu Nora, welche ihren Bemerkungen kaum Gehör schenkte; wenn aber ein schmucker sonncnbrauner Bursche kam, schlank und kräftig, mit bcllcm Blick und rotben Backe», da ließ sich Suscttchen nicht allzu lange bitten. Sic konnte ja hier Be werber zurückweiscn nach Belieben ... die Gesetze dcS Salons batten hier keine Giltigkeit. Ihr Basilio dagegen ließ keinen Tanz auS; er war aber ein scbr ungeschlachter Tänzer; er sprang umher wie ei» a»S der Flasche geschlenderter Stöpsel und die Dirnen hatten ibrcn Spaß mit ihm; wenn er seinen dicken Kopf gebeugt hcrabsenktc, so zwinkerten sie über ihn hinweg den Nächststchcndcn ;», und Einige gingen soweit, die Zunge berauszustrccken. Ter Fcnermolck wurde zum Gegen stände eines nicht allzu zagbaftcn Gelächters, und daS er bitterte Susctte, welche mit ihren scharsen Augen das Alle» bemerkte. (Fortsetzung folgt.)
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