Vorwort Zinzendorfs schicksalsreiche Lebensjahre zwischen 1722 und 1732, die hier im Anschluß an den Band „Der junge Zinzendorf" ihre Darstellung finden, erweisen sich trotz vieler verwirrter Tage in ihnen als eine schöpferische Spanne von seltsamer innerer Geschlossenheit. Gewiß wird der geniale Graf, ein religiöser Genius im 18. Jahr= hundert, in der Beurteilung immer umstritten bleiben. Er gehört in das Säkulum, in dem er lebte und wirkte, und doch sprengt er diesen Rahmen. Denn er hat in dieser Zeit nicht nur wie viele seiner Zeitgenossen gefragt, wo bleibt angesichts der beiden be= drückenden Unendlichkeiten der Mikrophysik und der Kosmik Gott, der fern und doch zu nahe ist, um ihn leugnen zu können. Nach dem Vorbild Pascals in seinem berühmten Traktat über die Wette und doch wieder anders als der große Franzose ist er unter seine Mitmenschen getreten und hat ihnen gezeigt: Man kann im Zentralorgan des „Herzens" zur Gewißheit gelangen und in der Paradoxie des Glaubens Christus ergreifen, der den lähmen= den Abgrund des Nichts verwandelt in sein Reich der Liebe und Geborgenheit und der die Menschen den heillosen zentrifugalen Mächten entreißt, so daß sie nunmehr mit= und füreinander zu leben beginnen. Wir meinen, daß wir in der geistigen und religiösen Situation des Grafen vor der nackten Unendlichkeit und dem leeren Nichts und darum v o r G o 11 die ganze Gegenwart wiederfinden. Damit stehen wir vor einer Aufgabe, wie sie Zinzendorf zwischen 1722 und 1732 umtrieb, zugleich auch vor der Aufforderung, die er seinen Zeitgenossen zumutete, in „rigoroser Entschlossenheit Welt, Gott und Mensch, Lehen und Tod durch das Medium (den Mitt= ler) Jesu Christi zu sehen". Leipzig, im Oktober 1959 Erich Beyreuther